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Alles frei, alles offen – Alles unter Kontrolle

Freie Netze. Freies Wissen.
Ein Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr Linz 2009
Herausgeben von Leonhard Dobusch, Christian Forsterleitner
Echo media verlag ges.m.b.H., Wien 2007
http://www.freienetze.at

Buchbesprechung von Aileen Derieg

Wenn Martin Heller, Intendant der Kulturhauptstadt Linz 2009, dessen
Faszination für Medientechnologie "sich in überschaubaren Grenzen" (S.
6) hält, im Vorwort seine Hoffnung für das Kulturhauptstadtjahr 2009
in "Bündnispartner" setzt, die aus jener jüngeren bis jungen
Generation, die sich mit "Freie Netze. Freies Wissen" zu Wort meldet,
"getragen von einer medialen und medienpolitischen Sozialisation, die
sie von ihren Müttern und Vätern unterscheidet, und getrieben von der
Lust, sich einzumischen" (S. 7), dann übersieht er vor allem eins:
Gerade diese Generation ist nicht nur mit medientechnischen
Möglichkeiten aufgewachsen, sondern auch mit dem zunehmenden Druck,
immer leistungsorientiert, selbständig (d.h. auf sich allein
gestellt), "flexibel" (d.h. jeder Zeit abrufbar und arbeitsfähig),
kreativ (vor allem in Bezug auf Verdienstmöglichkeiten), produktiv zu
denken und zu handeln. Nachdenken, sich Zeit für kritische Reflexionen
lassen, ist weniger gefragt. In diesem Buch ist dieser Umstand fast
schmerzhaft leicht ablesbar.

Das heißt nicht, dass das Buch grundsätzlich schlecht ist. Allein als
Interviewsammlung wäre es ein durchaus lesenswerte Publikation, auch
wenn manche gestellten Fragen etwas an Tiefgang zu wünschen übrig
lassen. Die neun Einführungsbeiträge ergäben einen leicht
verständlichen Einstieg in die jeweilige Thematik. Doch dem Anspruch,
das gesamte Feld mit Einführung – Interview – Projektvorschläge
abzustecken, wird diese Publikation auf keinen Fall gerecht. Durchaus
problematisch und bedenklich ist dabei der Anspruch: "Die Darstellung
der teilweise sehr abstrakten Themen an Hand eines konkret-kommunalen
Beispiels soll sie dabei auch technischen Laien zugänglich machen und
dabei helfen, die europäische Kulturhauptstadt Linz zu einem
kommunalen 'Role Model' digitaler Freiheiten zu machen." (S. 9) Mit
dem Untertitel "Ein Beitrag zum Kulturhauptstadtjahr Linz 2009" und
den 24 Projektvorschlägen liest sich das Buch wie das "Digitale Medien
Programm für Linz 2009", doch die Linz09-Webseite scheint nichts davon
zu wissen, was bedauerlich viel Raum für Spekulationen,
Verdachtsmomente und Vermutungen offen lässt. Die vorgeschlagenen
Träger für die hier ausgearbeiteten Projekte beschränken sich
weitgehend auf die Stadt Linz und das Ars Electronica Center. Die
genannten Zielgruppen der Projekte sind vorwiegend "Bürger und
Bürgerinnen der Stadt Linz".

Etwas nebulös skizziert werden diese Bürgerinnen und Bürger der Stadt
Linz als eine mehr oder weniger homogene Masse, die lediglich über
bestehende Möglichkeiten aufgeklärt werden muss, um sich frei an
demokratisierenden Partizipations- und Mitgestaltungsangeboten im Netz
ausnahmslos und vorbildlich zu beteiligen. Die mehrfach angesprochene
Sorge um die "digitale Spaltung" ist sicherlich nicht bloß eine Frage
der "politischen Korrektheit" seitens der 17 jungen (im Alter von 22 –
30) AutorInnen, sondern doch ernst gemeint, ruft allerdings leider am
Ehesten die alte Aufforderung in Erinnerung, dass kleine Kinder alles
aufessen müssen, "weil die Kinder in Afrika nichts zu essen haben".
Bei allen Sorgen um ältere Menschen wie auch um die Kinder
einkommensschwacherer Eltern, die auch Zugang zum freien Wissen im
Netz brauchen, wird niemals in Frage gestellt, wie jeder einzelne mit
Zugang ausgestattete Mensch mit der ganzen Fülle an verfügbaren
Informationen und Wissen zurecht kommen könnte. Genauso wenig wird
nach Verantwortlichkeiten gefragt: Genügt es, wenn alles an benötigter
Information ins Netz gestellt wird, um jede Bürgerin und jeden Bürger
in die Freiheit der völligen Selbstverantwortung zu entlassen? Alles,
was man wissen kann, weil es im Netz frei zugänglich ist, muss man
auch folglich wissen?

Auch diesem Anspruch werden selbst die an dieser Publikation
Mitwirkenden nicht gerecht. Ansonsten müsste weit mehr im Buch über
bestehende lokalen Initiativen stehen. Zum Beispiel: Radio FRO und
dessen Beteiligung sowohl am digitalen "Cultural Broadcasting Archive"
wie auch an internationalen und lokalen Arbeitsgruppen, die sich mit
den Möglichkeiten mehrsprachiger Zusammenarbeit befassen. Zum
Beispiel: servus, der Linzer Art-Server, der auf der Grundlage
langjähriger Erfahrung eine breite Palette an Workshops, Hacklabs,
Präsentationen, Veranstaltungen und mehr bietet. Zum Beispiel: KUPF,
die Kulturplatform Oberösterreich, die schon längst auf freie Software
umgestiegen ist, wie auch zumindest einige ihrer 106 Mitgliedsvereine.
Weitere Information zu diesen und anderen Beispiele lässt sich doch
ohne Einschränkungen online finden. Somit drängt sich die Frage auf:
Warum haben diese AutorInnen sie nicht gefunden?

So begrüßenswert das Anliegen ist, öffentliche Einrichtungen sollten
nicht von einem multinationalen Konzern abhängig sein, eine quasi von
Oben herab verordnete Freiheit, die von der Stadt Linz beschlossen und
von Ars Electronica durchgeführt werden soll, kann doch nicht die
Lösung sein. Wenn man schon die Prinzipien der Freien Software auf
Kultur im breitesten Sinne übertragen will, muss man auch
berücksichtigen, dass es gerade die vielen verschiedenen Sichtweisen
und Zugänge sind, welche die Stärke der Freien Software ausmachen.

Es bleibt zu hoffen, dass die jungen AutorInnen dieses Buches mit
ihren je eigenen Sichtweisen und Zugängen zur Vielfalt in dieser Stadt
beitragen wollen, auch wenn das Buch leider den Eindruck vermittelt,
sie wollten bestimmen.