Netzpolitik
Remote Chaos Experience: Der CCC-Kongress wird dieses Jahr dezentral und digital
Nach 36 Kongressen wird der Chaos Communication Congress dieses Jahr wegen der Corona-Krise erstmals ausfallen – aber trotzdem stattfinden. Das Jahrestreffen der Hacker:innen hat für dieses Experiment einen neuen Namen bekommen: Remote Chaos Experience oder kurz rC3. Das verkündete der Chaos Computer Club am Freitag auf seinem Event-Blog.
Eine Präsenzveranstaltung mit 17.000 Menschen sei in diesem Jahr weder verantwortungsvoll noch legal durchführbar, heißt es in der Mitteilung. Über die neue Veranstaltung schreibt der CCC: „Wir wollen so viel wie möglich von Freude, Inhalten, Zusammensein und wunderbarem Wahnsinn transportieren, die einen Chaos Communication Congress ausmachen.“
Hacker:innen seien zwar remote-Arbeit und -Zusammenkünfte gewohnt. Umso wichtiger sei deswegen das jährliche persönliche Treffen:
Natürlich wird es schwierig, all den Wahnsinn online abzubilden, der den Congress für uns ausmacht. Doch dann sagte jemand, es wäre unmöglich. Unser Ehrgeiz war geweckt.
Wir wollen sehen, wie sich die geballte Energie und Kreativität der Hackerinnen dieser Herausforderung widmet.
Das Konzept des rC3 sieht eine Vielzahl von kleinen lokalen Events in örtlichen Hackerspaces mit einem gemeinsamen Programm von gestreamten Talks, Online-Workshops, Kunst, Kultur und „verschiedensten Formen des vernetzten Zusammenseins“ vor.
Aus der Not der Corona-Krise macht der Club nun eine Tugend. In den vergangenen Monaten habe man „mit dem digital verteiltem Online-Chaos wichtige Erfahrungen sammeln“ können. Für die rC3 gelte es, noch darüber hinauswachsen: „Endlich kann auch dein Wohnzimmer oder euer Hackerspace zur Bühne, zum weltweiten Workshop-Space, zur Kunst-Installation werden!“
Hierfür ruft der Chaos Computer Club zur Beteiligung und Mitgestaltung auf.
Die Remote Chaos Experience findet vom 27. – 30. Dezember 2020 online und in lokalen Hackerspaces mit „den bevorzugten Infektionsgemeinschaften“ statt.
Immer zwischen Weihnachten und SilvesterDer unkommerzielle Chaos Communication Congress findet seit 1984 jedes Jahr zwischen Weihnachten und Silvester statt. Er zog von Hamburg nach Berlin, dann wieder nach Hamburg und zuletzt nach Leipzig.
In den letzten Jahren hat sich der Kongress weit über die klassische Hackerszene hinaus geöffnet und ist mit hunderten Workshops und Vorträgen zu technischen und gesellschaftspolitischen Themen eine der wichtigsten Konferenzen Deutschlands. Mit zuletzt jeweils 17.000 Teilnehmenden in der Messe Leipzig ist er zugleich das größte Hacker:innentreffen der Welt. Zahlreiche Vorträge und Veranstaltungen des Kongresses werden traditionell gestreamt und liegen als Archiv auf media.ccc.de vor.
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NPP 209 Off The Record: Liebesgrüße aus Brüssel
https://netzpolitik.org/wp-upload/2020/09/NPP209-OffTheRecord-Liebesgruesse-aus-Bruessel.mp3
Seit zwei Jahren sitzt unser Kollege Alexander Fanta als EU-Korrespondent in Brüssel, wo er als einziger deutschsprachiger Journalist ausschließlich über Netzpolitik berichtet. Was als „Experiment“ für ein paar Monate begonnen hat, hat sich nun bewährt: Mit Alex vor Ort können wir noch tiefgründiger über große netzpolitische Weichenstellungen der EU berichten, von der Urheberrechtsreform über die Urteile des obersten EU-Gerichts bis zum geplanten Gesetz für digitale Dienste.
Im Podcast sprechen wir über EU-Kommissare, die Science-Fiction-Romane schreiben, und darüber, welche EU-Institution welchem Haus aus dem Zauberinternat Hogwarts bei Harry Potter entspricht. Alex erzählt außerdem davon, welche großen Themen und welche Recherchen ihn in den vergangenen zwei Jahren begleitet haben. So spricht er über seine investigative Spurensuche nach der Frage, warum die EU sich eigentlich nie mit ihrem Wunsch nach einem einheitlichen Ladekabel für alle Handys durchgesetzt hat.
Natürlich plaudert Alex aus dem Nähkästchen, etwa über seine Begegnungen auf den Fluren von Parlament und Kommission. Wir besprechen aber auch die Frage, wie die Coronapandemie die Arbeit der EU-Institutionen und den Brüsseler Journalismus geändert haben. Und wir werfen einen Blick in die Zukunft, denn netzpolitisch stehen in Brüssel weitere große Gesetzesvorhaben und damit spannende Jahre bevor.
Mit in dieser Folge: Alexander Fanta, Constanze Kurz und Ingo Dachwitz.
Alexander Fanta, Constanze Kurz, Ingo Dachwitz: So sehen unsere Podcastaufzeichnungen derzeit aus.Shownotes:
- Harry Potter (Wikipedia)
- Margrethe Vestager: Eine Kritikerin des Silicon Valley strebt an die EU-Spitze (netzpolitik.org)
- Thierry Breton: Der Konzernchef als Marktwächter (netzpolitik.org)
- Unsere Einnahmen und Ausgaben und weitermachen, als wäre nichts (netzpolitik.org)
Der Podcast „Off The Record“ erscheint immer am ersten Samstag des Monats und gibt Einblicke in den Maschinenraum unserer Redaktion. Welche aktuellen Themen haben wir begleitet, wie lief die Recherche ab und warum schauen wir auf eben diese Geschichten? „Off The Record“ ist Teil des Netzpolitik-Podcasts NPP und auf dem gleichen Feed zu abonnieren. Ihr könnt diese Folge des Podcasts auch im OGG-Format herunterladen oder bei Spotify abonnieren.
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Wochenrückblick KW36: Über Werbung für Verschwörungstheorien, einen Geburtstag und ein Vorschaltbanner
Diesen Wochenrückblick und alle anderen unserer Artikel gäbe es gar nicht, wenn wir nicht zahlreiche großzügige Spender:innen hätten. Doch wir hören immer wieder, dass Menschen gar nicht wissen, dass netzpolitik.org durch Spenden finanziert wird. Deswegen machen wir im September ein Experiment: Seit dieser Woche ploppt ein Spendenbanner vor unseren Artikeln auf, mit dem wir vor allem Gelegenheitsleser:innen auf unsere Finanzierung aufmerksam machen möchten. Wir freuen uns über Feedback dazu und auf Eure Ideen, wie wir Gelegenheitsleser:innen auf die Spendenfinanzierung hinweisen können.
Ein Projekt, das auch uns am Herzen liegt, hat in dieser Woche Jubiläum gefeiert: Der Verein „Digitale Gesellschaft“, auch liebevoll DigiGes genannt, hat sich vor zehn Jahren gegründet. Vorstand Benjamin Bergemann blickt in einem Gastbeitrag zurück ins Jahr der Gründung und beschreibt, was sich in einem Jahrzehnt netzpolitischen Engagements alles getan hat.
Schlag gegen US-GeheimdiensteIn diesen zehn Jahren liegen auch die Enthüllungen von Edward Snowden über die Massenüberwachung der NSA. Ein Gericht in den USA hat nun geurteilt, dass die Vorratsdatenspeicherung des US-amerikanischen Geheimdienstes illegal und möglicherweise verfassungswidrig war. Edward Snowden zeigte sich erfreut über das Urteil. Strafverfolgung muss er in den USA trotzdem weiterhin fürchten.
Wer noch nach Gründen sucht, um seinen Bekanntenkreis vom Einkauf bei Amazon abzuhalten, dem liefert vielleicht eine neue Studie weitere Argumente. Sie beleuchtet, wie der Konzern seine Mitarbeiter:innen in den USA überwacht und sie auf Leistungssteigerung trimmt. Der Internationale Gewerkschaftsbund bezeichnet die Arbeitsbedingungen bei Amazon als „schockierend“.
Mehr Überwachung will auch die EU-Kommission, jedoch in einem anderen sensiblen Feld: Sie plant ein Gesetz zur Durchleuchtungspflicht von Online-Kommunikation. Begründet wird dies mit der Bekämpfung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern. Diese Pflicht soll zum Beispiel für Dienste wie Facebook oder GMail gelten. Datenschützer:innen kritisieren unter anderem einen möglichen Angriff auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messengern.
Verschwörungstheorien und Hassrede machen die RundeNach den Corona-Demonstrationen am vergangenen Wochenende reißt die Diskussion über den gefährlichen Mix aus Verschwörungstheorien und rechtsradikaler Ideologie nicht ab. Dass große Online-Plattformen bei der Verbreitung von Desinformation eine bedeutende Rolle spielen, haben Daniel Laufer und Sebastian Meineck in ihrer Recherche über Amazon aufgedeckt. Der mächtigste Buchhändler der Welt empfiehlt seinen Kund:innen gerne Literatur über Verschwörungsmythen.
Auch auf Facebook fallen Falschinformationen oft auf fruchtbaren Boden. Jetzt hat der Konzern angekündigt, vor den Präsidentschaftswahlen in den USA verstärkt dagegen vorgehen zu wollen. Zu den Maßnahmen gehört, dass die beiden Kandidaten eine Woche vor der Wahl keine neuen Anzeigen mehr schalten dürfen und Falschbehauptungen zu den Wahlen konsequenter gelöscht werden sollen. Ob Zuckerbergs Pläne tatsächlich Manipulationen von Wähler:innen verhindern werden, wird sich zeigen.
Facebook, Twitter und Co. betreiben eine Datenbank mit digitalen Fingerabdrücken von terroristischem Material, um gegen dessen Verbreitung vorzugehen. Die Kontrolle über diese Inhalte wurde so jedoch privatisiert, demokratisch legitimiert ist sie offenbar nicht. Und die Gefahr, dass die falschen Inhalte gesperrt werden, ist hoch, analysiert Tomas Rudl.
Um Hassrede im Netz zu unterbinden, hat jetzt auch Österreich ein Gesetz auf den Weg gebracht, welches sich am deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz orientiert. Mit dem „Kommunikationsplattformen-Gesetz“ will die Regierung Plattformen ab einer bestimmten Größe verpflichten, beleidigende und hetzerische Inhalte, die Nutzer:innen ihnen melden, binnen 24 Stunden oder längstens einer Woche zu löschen. Das Gesetz geht aber womöglich zulasten kleinerer Anbieter.
Regulierung von Big Tech-MachenschaftenDass Big Tech wie Facebook und Amazon in Deutschland nicht walten können, wie es ihnen beliebt, hat ihnen im vergangenen Jahr das Bundeskartellamt nahegelegt. Die Marktwächter beschäftigten sich im vergangenen Jahr viel mit großen Digitalkonzernen, wie in seinem frisch veröffentlichten Jahresbericht zu lesen ist. Dabei ging es nicht nur gegen massenhafte Datenverarbeitung vor, sondern auch um Verbraucher:innenschutz.
Datenaktivist Max Schrems wehrt sich seit Jahren vor den obersten EU-Gerichten dagegen, dass Facebook und Google Daten europäischer Nutzer:innen in die USA weitergeben. Dort sind sie vor dem Zugriff der Geheimdienste per Gesetz nicht geschützt. Mit der Annulierung des Privacy Shield hatte Schrems einen Erfolg erzielt. Er berichtete diese Woche im EU-Parlament jedoch, dass Facebook nicht vor hat, seine Praxis zu ändern. Schrems glaubt, dass nur eine Reform der US-Geheimdienstgesetze wirklichen Datenschutz bringen könnte.
Die Show um den Verkauf von TikTok in den USA nähert sich wohl ihrem Finale. Kurz vorher hat die chinesische Regierung aber noch ihre Exportregeln für Technologien geändert, sodass der Verkauf der chinesischen App von einer Genehmigung abhängen könnte. Ganz unabhängig ist ByteDance dann doch nicht von der chinesischen Führung.
Der Schweizer Messenger Threema will nach jahrelanger Kritik seinen Code einsehbar machen. Gleichzeitig kündigte das Unternehmen an, dass eine deutsch-schweizerische Investmentfirma bei ihm einsteigen wird. Threema ist vor allem bei deutschsprachigen Nutzer:innen beliebt, die ihre Daten nach der WhatsApp-Übernahme nicht Facebook anvertrauen wollten.
Politik im RückschrittWir wundern uns nicht mehr darüber, dass die konservativen Parteien immer wieder die Vorratsdatenspeicherung fordern, wenn staatliche Behörden versagt haben. Das konnte man bei den Corona-Demos in der vergangenen Woche mitansehen, als Rechtsradikale die Treppen des Bundestag bestiegen und von einer angeblich völlig überraschten Polizei aufgehalten wurden. Kurz darauf wurde die Forderung nach Vorratsdatenspeicherung und dem Staatstrojaner wieder laut. Warum das ein Ablenkungsmanöver ist, kommentiert Markus Beckedahl.
Das Bundesgesundheitsministerium hat indes ein Portal an den Start gebracht, das es interessierten Bürger:innen erleichtern soll, medizinische Informationen richtig einzuordnen. Dort finden sich unter anderen Informationen zu den 200 häufigsten Krankheiten, zur Pflege und digitalen Medizin. Das Portal soll eine unabhängige Alternative zu privaten Anbietern sein und bezeichnet sich als politisch unabhängig – was ob nicht abgebildeter Debatten zu Gesundheitsthemen jedoch fraglich erscheint.
In der vergangenen Woche hatte Markus Reuter über die Pläne des Innenministerium berichtet, die Steuer-Identifikationsnummer als Personenkennziffer einzuführen. Das ist problematisch, weil damit technisch eine Zusammenführung aller Register möglich würde. Am letzten Freitag äußerten die Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder jedoch Bedenken zu dem dazugehörigen Gesetzentwurf: Sie halten ihn für verfassungswidrig. Noch könnte das Innenministerium nachbessern, wenn es denn wollte.
Und sonst so?Der freiheitsliebende Ruf, den Australien unter Tourist:innen genießt, gilt leider keinesfalls für seine strikte Einwanderungspolitik. Die Regierung sperrt Geflüchtete teilweise jahrelang in Lagern ein. Jetzt hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das es erlaubt, inhaftierten Geflüchteten ihre Handys wegzunehmen. Damit verlieren die Geflüchteten den Zugang zum Internet und ihren Draht zu Familie, Freund:innen und Anwält:innen.
Youtuber und Medienschaffende kritisieren sich auf Youtube gerne gegenseitig. Wer dabei aus den Videos anderer zitiert, muss in Deutschland allerdings aufpassen. Ein aktueller Fall um den Medienjournalisten Holger Kreymeier zeigt, wie streng das Zitatrecht hier ausgelegt werden kann. Leonhard Donbusch kommentiert, was sich bessern muss.
In unserem Podcast ging es diese Woche um Kriminalliteratur, aber mit Bezug zur Netzpolitik. Markus Beckedahl hat mit der Schriftstellerin Zoe Beck besprochen, wie sie schwierige Themen einem Massenpublikum vermittelt und was sie dabei motiviert.
In einer weiteren Folge „Neues aus dem Fernsehrat“ berichtet Leonhard Dobusch über die Schließung des Institut für Rundfunktechnik, einer Forschungseinrichtung der öffentlich-rechtlichen Sender. Offenbar war das kein großes Thema im Fernsehrat, wobei fraglich ist, wie die Sender in Zukunft gemeinsam Technologien für digitale Angebote entwickeln wollen.
Das war es für diese Woche – bis bald!
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Was vom Tage übrig blieb: Leistung, Listen und Lokales
The Pandemic Is No Excuse to Surveil Students (The Atlantic)
Einige Colleges in den USA verpflichten ihre Studierenden zu Standort-Tracking durch eigene Spionage-Apps. Das soll dabei helfen, den Lehrbetrieb während der Corona-Pandemie am Laufen zu halten, ist aber eine kaum zu rechtfertigende Form der allgegenwärtigen Überwachung. In ihrem Artikel beschreibt die Forscherin Zeynep Tufekci die neuen Maßnahmen und vergleicht sie mit bereits zuvor eingesetzten digitalen Mitteln, mit denen College-Athleten rund um die Uhr unter Kontrolle ihrer Universitäten gestellt wurden, um sie bei höchstmöglicher Leistungsfähigkeit zu halten. Tufekci beschreibt die Apps als „Überwachungstheater“, das als Maßnahme gegen das Virus ineffektiv ist, aber den eigentlichen Daseinszweck einer Hochschule als Ort der Emanzipation durch Bildung unterläuft.
CCC meldet Schwachstellen bei weiterer digitaler „Corona-Liste“ (CCC.de)
Der Chaos Computer Club hat sich erneut mögliche Schwachstellen bei der Sicherung von Kund:innendaten zur Corona-Kontaktverfolgung angesehen und ist wieder fündig geworden: 400.000 Datensätze von über 1.000 Einrichtungen waren u.a. wegen Mängeln bei der Verschlüsselung nicht ausreichend vor fremden Zugriffen geschützt. Das Fazit des CCC: „Nicht selten wird Verschlüsselung von Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten verteufelt. Am vorliegenden Beispiel zeigt sich einerseits ihre Wichtigkeit für Datenschutz, Privatsphäre und IT-Sicherheit: Dank Verschlüsselung blieben über 400.000 Datensätze von über 1.000 Einrichtungen vor fremdem Zugriff geschützt.“
Targeted (Tampa Bay Times)
In einer aufwändig erzählten Geschichte berichtet eine US-Lokalzeitung, wie der örtliche Sheriff ein Programm schuf, das auf Basis von historischen Daten wie etwa früheren Festnahmen mögliche zukünftige Verbrechen vorhersagt. Mehr als 1.000 Menschen in der Gegend von Pasco County in Florida waren deshalb schon im Visier der Behörden, die bei den Betroffenen willkürlich beispielsweise Hausdurchsuchungen und alle Arten von Überprüfungen vornahmen. Der Artikel fasst schön zusammen, wie dystopisch algorithmisch gesteuertes „Predictive Policing“ sein kann.
Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es jetzt die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb“, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.
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Neues aus dem Fernsehrat (64): Wie wollen Öffentlich-Rechtliche künftig gemeinsam forschen?
In mittlerweile publizierten Nachrufen (z.B. bei Golem, heise.de oder der SZ) auf das Institut für Rundfunktechnik (IRT), einem gemeinsamen Forschungsinstitut von ARD, ZDF, Deutschlandradio, ORF (Österreich) und SRG/SSR (Schweiz), werden die Mitwirkung am MP3-Standard oder aktuelle Forschung zu Rundfunkübertragung via 5G als Beispiele für dessen Arbeit angeführt. Als Grund für die Schließung des Instituts mit rund 100 Mitarbeiter:innen werden primär wirtschaftliche Gründe angeführt – obwohl das IRT mehr als 50 Prozent seines Budgets selbst erwirtschaftet und nur der Rest durch Zuschüsse der Gesellschafter abgedeckt werden müssen. Zuletzt waren das laut SZ Zuschüsse in Höhe von insgesamt 16,6 Millionen Euro – ein nicht unerheblicher, im Verhältnis zu den Budgets der betroffenen Anstalten aber auch nicht übermäßig hoher Betrag.
Medienjournalist Peter Welchering fasst in einem Deutschlandfunk-Beitrag für mediasres (MP3) in fünf Minuten die Situation kompakt zusammen und wirft einen Blick in die Zukunft (ich durfte auch zwei kurze O-Töne beisteuern):
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kämpfen mit einem massiven Medienwandel und dabei müssen sie vor allen Dingen einen Technologiewandel bewältigen. Damit der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiterhin seine Aufgaben erfüllen kann, müssen viele Projekte betrieben werden. Der Ausbau der Mediatheken, die Umstellung von Produktion und Programmausstrahlung auf Internetprotokoll-basierte Standards, eine öffentlich-rechtliche, soziale Medienplattform.
Auch deshalb ist fragwürdig, ob die Schließung des IRT einen Fortschritt darstellt – gerade angesichts der im vergangenen Jahr verkündeten Netzwerk-Strategie von ARD und ZDF. In einem gemeinsamen Gastbeitrag in der ZEIT verkündeten ARD-Vorsitzender Wilhelm und ZDF-Intendant Bellut die Vision, „Öffentlich-Rechtliche im Internet als einen großen, durchlässigen und intelligenten Kosmos“ zu gestalten. Damit so eine Strategie – die meiner Meinung nach auch andere gemeinnützige Player in einem öffentlich-rechtlichen Ökosystem miteinbeziehen sollte – Erfolg haben kann, wird es aber mehr und nicht weniger Räume für Zusammenarbeit und Austausch über öffentlich-rechtliche Anstalten hinweg brauchen. Das IRT war genau so ein Raum. Ihn relativ leichtfertig aufzulösen, ohne über einen zumindest funktionalen Ersatz zu verfügen, erscheint mir unweise.
Kein Thema im FernsehratIm Plenum des Fernsehrats war die Entscheidung des ZDF, sich aus dem IRT zurückzuziehen, kein Thema. Nur im Verwaltungsrat gab es – laut Beschlussprotokoll der Sitzung vom 29. September 2019 – einen Tagesordnungspunkt dazu. In der „Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse“ heißt es dort unter „TOP 11: Kündigung der IRT-Mitgliedschaft des ZDF“:
Der Verwaltungsrat nimmt das vorgesehene Ausscheiden des ZDF aus dem Gesellschafterkreis beim Institut für Rundfunktechnik (IRT) zur Kenntnis und stimmt gemäß § 28 Ziff. 2 des ZDF-Staatsvertrags zu, dass das ZDF bis zum Jahresende 2019 seine Mitgliedschaft beim Institut für Rundfunktechnik (IRT) fristgerecht zum 31.12.2020 durch Kündigung beendet.
Soviel zur Aussagekraft von Beschlussprotokollen. Mit dieser Entscheidung trat das ZDF jenen Prozess los, der letztlich zur Abwicklung des IRT führen sollte. Für mich folgen daraus zwei Punkte: einerseits wird im Fernsehrat sowie in den Ausschüssen zu wenig über die Beteiligungen des ZDF berichtet und diskutiert. Immer größere Tätigkeitsbereiche der öffentlich-rechtlichen Medien werden im Rahmen eigenständiger Gesellschaften erfüllt. Im Umfeld des ZDF sind das zum Beispiel ZDF Enterprises und, für Online-Angebote besonders relevant, deren 100%-Tochter ZDF Digital. Im Fernsehrat sind deren Ausrichtung und Aktivitäten kaum je ein Thema.
Standardisierungsstelle und TransmissionsriemenAndererseits braucht es dringend neue Kooperationsstrukturen für Forschung zu digitalen Zukunftsthemen und -technologien für öffentlich-rechtliche Medien. Das gilt ganz besonders für Standardisierungsfragen, die sich zunehmend auch auf europäischer Ebene stellen. Hier ausschließlich auf „externe, spezialisierte Expertise“ zu setzen, wie es die SZ berichtet, wird dafür keine geeignete Grundlage bieten. Denn auch wenn der Fokus im IRT auf technologischen Fragen lag, erfüllte es dennoch auch die primär sozialen Rollen einer Standardisierungsstelle sowie eines Transmissionsriemens über die öffentlich-rechtlichen Anstalten hinweg.
Umso wichtiger wird es sein, ab sofort viel stärker auf Open-Source-basierte Lösungen zu setzen. Diese könnten zumindest teilweise auch einen organisatorischen und rechtlichen Rahmen für Kooperation über verschiedene öffentlich-rechtliche Anbieter hinweg bieten und die Abhängigkeit von externen Technologiepartnern in Grenzen halten. Auch in dem kürzlich erschienen Acatech-Impulspapier für eine „European Public Sphere“ (PDF) wird so ein Ansatz befürwortet:
Für die Technologie bedeutet das, wo immer möglich auf Offenlegung von Quellcodes beziehungsweise Open Source zu setzen. Governance-Strukturen müssen diese Umsetzung über die Freiwilligkeit hinaus einfordern.
Mit anderen Worten: Open Source sollte für Entwicklungsprozesse im Rahmen einer zu etablierenden Multi-Stakeholder-Governance für eine „European Public Sphere“ verpflichtend vorgesehen werden. Ob es in absehbarer Zeit zu deren Etablierung kommen wird, ist aber unklar. Umso wichtiger wäre es deshalb, zumindest im deutschsprachigen Raum verstärkt open-source-basierte Entwicklungskooperationen und Standardisierungsprozesse zu forcieren. Das IRT hätte dafür eine Plattform bieten können. Dessen Totengräber in den Anstaltsleitungen werden sich daran messen lassen müssen, ob es ihnen gelingt, zeitnah für eine Alternative zu sorgen.
Offenlegung: ich wurde als einer von zahlreichen Expert:innen für das Acatech-Impulspapier befragt.
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US-Präsidentschaftswahl: Facebook kündigt Maßnahmen gegen Desinformation an
Zwei Monate vor der US-Wahl kündigt Facebook an, politische Werbung und Desinformation auf seiner Plattform einzuschränken. In einem Statement, das Gründer und Firmenchef Mark Zuckerberg gestern auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht hat, äußert er seine Besorgnis, Wähler:innen könnten durch Falschbehauptungen vom Wählen abgehalten werden.
Das Statement liest sich in Teilen wie ein Schuldeingeständnis zu Facebooks Problemen bei der letzten Präsidentschaftswahl, bei der die Umstände russischer Einmischung immer noch nicht geklärt sind und der Skandal um das Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica Fragen zu Facebooks Geschäftsmodell aufwarf.
Zuckerberg betont jedoch auch neue Herausforderungen, insbesondere weil die Wahl während der Corona-Pandemie stattfindet. Er erwartet einen hohen Anteil an Menschen, die vor dem eigentlichen Wahltag ihre Stimme abgeben, weswegen er die neuen Regeln „jetzt schon“ in Kraft setzt, obwohl es bis zur Wahl noch acht Wochen hin ist. Twitter und Google/Youtube hatten bereits vor Monaten Maßnahmen ergriffen und politische Werbung eingeschränkt.
Weiterhin individueller Zuschnitt von politischer WerbungZu den nun von Zuckerberg angekündigten Maßnahmen gehört, dass die beiden Präsidentschaftskandidaten eine Woche vor der Wahl keine neuen Anzeigen mehr schalten dürfen. Das heißt aber nicht, dass es auf der Plattform keine politische Werbung mehr geben wird. Anzeigen, die die Kampagnen in den Wochen und Monaten vorher schon mal ausgespielt haben, dürfen sie weiterhin verbreiten. Zuckerberg zufolge wolle man damit verhindern, dass kurz vor der Wahl Werbung auftauche, deren Fakten und Aussagen Öffentlichkeit und Medien nicht mehr prüfen und analysieren können.
Es erscheint zweifelhaft, ob diese Methode ausreicht, um gegen Desinformation in politischen Anzeigen vorzugehen. Auch wenn Medien kritisch über Wahlwerbung berichten können und die Aussagen in Zweifel ziehen, erreichen diese Aussagen immer noch die Nutzer:innen, die wenig Vertrauen in die seriösen Medien haben.
Außerdem darf das Targeting, also der individuelle Zuschnitt der Werbung, auch eine Woche vor der Wahl noch angepasst werden. Anzeigen, die im Vorfeld bereits geschaltet waren, können in der Woche vor der Wahl also noch neue Nutzer:innen erreichen, wenn man die Parameter des Zuschnitts verändert.
Postings, die explizite Falschbehauptungen über die Wahl enthalten, werde man in Zukunft konsequenter entfernen. Diese Regel betreffe alle Falschinformationen zur Frage, wie und wann man wählen könne und wie man an einen Wahlschein komme.
Auswirkungen der Corona-PandemieEntfernt würden ebenfalls Inhalte und Werbung, die Menschen glauben lassen könnten, dass man beim Wählen Gefahr laufe, sich mit dem Corona-Virus zu infizieren. Facebook wolle verhindern, dass über die Plattform Inhalte ausgespielt würden, die Menschen vom Wählen abhalten.
Der Konzern will außerdem verhindern, dass sich ein Kandidat online zum Sieger erklärt, bevor die offiziellen Ergebnisse da sind. Zu diesem Zweck soll das von Facebook eingerichtete „Voting Information Center“, das Nutzer:innen Informationen zur Registrierung und zur Wahl zur Verfügung stellen soll, am Wahltag darüber informieren, falls das Ergebnis später als sonst vorliegen könnte, vor allem durch den zu erwartenden großen Anteil an Briefwähler:innen.
Entsprechende Posts will Facebook aber nicht entfernen, sondern sie lediglich um zusätzliche Informationen und Links zu offiziellen Ergebnissen ergänzen. Das gilt auch für Falschbehauptungen zu möglichem Wahlbetrug und einer Delegitimierung der Wahl.
Regeln gelten auch für Donald TrumpIn einem Interview mit dem TV-Sender CBS betonte Zuckerberg, dass diese Regeln auch den amtierenden Präsidenten Donald Trump betreffen, der in der Vergangenheit immer wieder mit Falschinformationen zu möglichem Wahlbetrug durch Briefwahl auffiel und sich nicht einmal festlegen wollte, ob er eine mögliche Wahlniederlage anerkennen werde.
Auch bei dieser Regelung ist fraglich, ob die ergänzenden offiziellen Informationen die Nutzer:innen überhaupt erreichen, die Falschnachrichten Glauben schenken. Wer Seiten oder Personen folgt, die derartige Desinformation betreiben, misstraut Behörden, staatliche Institutionen und etablierten Medien häufig.
Eine weitere Maßnahme, die Zuckerberg in seinem Statement ankündigt, ist die Begrenzung der Weiterleiten-Funktion im Facebook Messenger, um die Ausbreitung von Falschinformationen zu verlangsamen. Außerdem das konsequente Löschen von Gruppen und Seiten, die Verschwörungsmythen verbreiten.
Außerdem habe man ausländische Netzwerke im Blick, die sich in die Wahl einmischen könnten. Wie genau man ausländische Einflussnahmen verhindern will, ist dem Statement nicht zu entnehmen. Zuckerberg behauptet, man habe in die Sicherheit investiert und fähige Teams, die diese Attacken verhindern sollen. Doch konkrete Maßnahmen nennt der Unternehmenschef nicht.
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Messenger: Threema wird Open Source
Der Messenger Threema will in den kommenden Monaten den Quellcode offenlegen. Das kündigte das Unternehmen in einer Pressemitteilung an.
Threema ist vor allem im deutschsprachigen Raum verbreitet. Der kostenpflichtige Messenger konnte damals beim Verkauf von WhatsApp an Facebook an Nutzer:innen zulegen, die dem Datenkonzern Facebook nicht vertrauen.
Threema braucht keine TelefonnummerIm Vergleich zum Messenger Signal hatte Threema immer den Vorteil, dass die ID nicht an einen sogenannten eindeutigen Bezeichner wie die Telefonnummer geknüpft sein muss. Das erlaubt auch eine pseudonyme Nutzung des Messengers ohne Offenlegung der Telefonnummer.
Im Gegensatz zu Signal gab es dagegen bei Threema immer Bedenken, weil der Code nicht eingesehen werden konnte. Threema versuchte dies in der Vergangenheit mit Audits seines Codes zu kontern. Nun geht der Messenger auf den Hauptkritikpunkt ein, indem er seinen Code offenlegen will.
Investmentfirma steigt bei Threema einZugleich kündigte Threema jedoch auch den Einstieg der deutsch-schweizerischen Investmentfirma Afinum Management AG an. Die ursprünglichen Gründer Manuel Kasper, Silvan Engeler und Martin Blatter halten weiterhin Anteile und werden das Unternehmen auch weiter führen.
Erst kürzlich hatte Threema auch Videotelefonie eingeführt. Diese Funktionalität haben andere Messenger schon länger im Programm, Threema hinkte hier etwas hinterher. Threema bietet mit Threema Web auch eine Desktop-Version an.
Facebook-Konzern dominiert MessengerdiensteLaut einer Studie der Bundesnetzagentur (PDF) nutzen 83 Prozent der Deutschen regelmäßig einen Messenger. Der Markt wird hierbei vom Facebook-Konzern mit seinen Produkten WhatsApp, Facebook Messenger und Instagram bestimmt. 96 Prozent der Messenger-Nutzer haben WhatsApp, viele nutzen jedoch mehrere unterschiedliche Messenger-Apps.
Die für ihre Privatsphäre bekannten und vermarkteten Messenger sind eher in der Nische anzutreffen. In Deutschland nutzten Ende 2019 nur 4 Prozent Threema und ebensoviele Signal, wobei nur gut 1,5 Prozent angaben, dass sie diese Messenger hauptsächlich nutzten.
Für die Erhebung wurden Ende 2019 mehr als 2200 Menschen befragt. Die Nutzung von Messengern, vor allem auch beruflich, dürfte durch die Corona-Krise noch einmal deutlich zugelegt haben. Die berufliche Nutzung lag Ende 2019 noch bei nur knapp 50 Prozent.
Update:
Threema wird laut der Ankündigung nur den Code des Clients offenlegen. Die Einsehbarkeit des Codes heißt auch nicht, dass dieser unter eine freie Lizenz gestellt wird.
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Was vom Tage übrig blieb: Polizei, Preise und Plattform-Probleme
Polizei: Unberechtigte Datenabfragen in Sachsen-Anhalt (Golem)
Mit Sachsen-Anhalt reiht sich ein weiteres Bundesland in die immer länger werdende Liste von Ländern, in denen Polizist:innen mutmaßlich illegal Daten abgefragt haben. Anna Biselli berichtet bei Golem über die 24 Ermittlungsverfahren, die im ostdeutschen Bundesland seit 2016 eingeleitet wurden. Insgesamt 21 Cops werden beschuldigt, unberechtigte Datenabfragen durchgeführt zu haben. Unterdessen berichtet die taz, dass die vom „NSU 2.0“ bedrohte Anwältin Seda Ba?ay-Y?ld?z erneut eine Drohmail erhalten habe. Darin steht ihre nicht öffentlich bekannte Wohnanschrift in Frankfurt – was den Schluss zulässt, dass diese Information ebenfalls aus einem Polizei-Computer stammt. Langsam sollte sich das wirklich jemand ansehen, finden wir.
EuGH: Roaming zu Inlands-Preisen gilt automatisch (Verbraucherzentrale Bundesverband)
Man kann’s ja mal probieren, dachte sich der Mobilfunkbetreiber Telefonica, und stellte nicht alle der eigenen Kund:innen automatisch auf einen regulierten EU-Roaming-Tarif um. Das war illegal, urteilte heute der Europäische Gerichtshof. Geklagt hat der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) beim Landgericht München, das den Fall an den EuGH weiterreichte. Die EU hat die überteuerten Roaming-Gebühren 2017 weitgehend abgeschafft, zum Leidwesen der Mobilfunkbranche, die damit ein einträgliches Nebengeschäft verloren hat. Nach der Grundsatzentscheidung des EuGH beschäftigt sich wieder das Landgericht München mit dem Fall. Es muss nun darüber entscheiden, ob Telefonica mit seinen Informationen zum Roaming auch irreführend gehandelt hat.
Airbnb muss deutschen Steuerfahndern Daten übermitteln (Handelsblatt)
Airbnb muss Daten von Vermieter:innen an die Steuerfahndung weitergeben. Das hat ein Gericht in Irland entschieden, wo Airbnb offiziell sitzt. Wer auf der Plattform etwa Ferienwohnungen vermietet und seine Einkünfte nicht auf der Einkommensteuerklärung angegeben hat, dem drohen damit nun Probleme. Für die Abwicklung zuständig ist die Steuerfahndung in Hamburg.
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Urteil im Fall Schrems: Facebook schickt weiter Daten in die USA
Vor sieben Wochen zerriss der Europäische Gerichtshof die juristische Basis für Facebooks Datenaustausch mit den USA in der Luft. Die Richter annullierten mit ihrer Entscheidung das sogenannte Privacy Shield, da die Daten von Europäer:innen in den USA nicht hinreichend vor Überwachung durch Geheimdienste geschützt seien.
Doch an den umstrittenen Datentransfers Facebooks ändert sich erstmal wenig, wie der Datenschützer Max Schrems am heutigen Donnerstag dem EU-Parlament schilderte. „Facebook hat uns in einem Brief geschrieben, dass sie weiter Daten [in die USA] schicken werden, auch wenn das Urteil ihnen das untersagt hat“, sagte Schrems per Videokonferenz den Abgeordneten im Innenausschuss des EU-Parlaments.
Dass das Urteil des EU-Gerichts an der Alltagspraxis wenig ändert, bestreitet Facebook erst gar nicht. Der Konzern nehme nicht zu den Angaben von Schrems Stellung, teilte ein Sprecher gegenüber netzpolitik.org mit. Er verweist auf eine Stellungnahme vom August. Facebook betont darin, Daten statt unter dem Privacy Shield künftig unter Einsatz von Standardvertragsklauseln in die USA zu schicken.
Die EU-Kommission überarbeitet bis Jahresende die Standardvertragsklauseln. Sie sollen damit an das Urteil des EuGH angepasst werden, sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders dem Parlament.
Schrems fordert US-GeheimdienstreformDas Problem dabei aus der Sicht von Schrems: Diese Klauseln schützen Europäer:innen ebenso wenig vor Überwachung durch die NSA und andere Geheimdienste wie zuvor das Privacy Shield. Mittelfristig führe kein Weg daran vorbei, dass die USA ihre Überwachungsgesetze wie den Abschnitt 702 des FISA-Gesetzes überarbeite.
Eine solche Reform hält der österreichische Datenschützer für weitaus realistischer als es viele in Europa glaubten. Denn für US-Konzerne wie Google und Facebook sei der europäische Markt von immenser Bedeutung. „Wenn das halbe Silicon Valley den Hügel hinauf [zum US-Kongress] marschiert, dann kriegen wir ein Ergebnis“, sagte Schrems.
Die EU-Institutionen haben erstmal umfassendes Grübeln angekündigt. Andrea Jelinek, ebenfalls Österreicherin und Vorsitzende des Ausschusses aller Datenschutzbehörden, kündigte die Gründung einer Taskforce zum Urteil an. Diese beschäftigt sich zunächst mit Schrems‘ 101 Klagen gegen Firmen, die sich auch nach dem Urteil des EU-Gerichtes auf Privacy Shield berufen.
Grundsätzliche Lösung statt neuem FeigenblattDie Kommission hält sich bis auf Weiteres bedeckt, wie sie weiter vorgehen will. Justizkommissar Reynders hatte bereits kurz nach der Entscheidung im Juli in einer gemeinsamen Presseerklärung mit der US-Regierung eine Neuauflage von Privacy Shield in den Raum gestellt.
Dies wäre der inzwischen dritte Anlauf für eine rechtskonforme Vereinbarung in Sachen transatlantischer Datentransfers. Vor Privacy Shield sollte die Safe-Harbor-Vereinbarung den legalen Datenaustausch garantieren, wurde jedoch, nach einer Klage von Schrems, ebenfalls vom EuGH für unzulässig erklärt.
Ein Weg des geringsten Widerstandes ohne große Änderungen am rechtlichen Unterbau dürfte wenig Aussichten auf anhaltenden Erfolg haben. Schrems selbst betont, es brauche eine permanente und echte Lösung zum Schutz europäischer Daten, kein neues Feigenblatt. Auch die EU-Abgeordnete Sophie in’t Veld betonte, eine neue Lösung müsse „Schrems-sicher“ sein, also nicht wieder vom EuGH gekippt werden.
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Hass im Netz: Österreich soll ein NetzDG erhalten
Österreich soll nun auch ein Gesetz gegen Hass im Netz bekommen. Ein heute vorgestelltes Maßnahmenbündel richtet sich gegen hetzerische und beleidigende Inhalte im Internet, die von betroffenen Online-Diensten rasch gelöscht werden müssen. Sonst drohen ihnen Geldstrafen.
Herzstück des von der konservativ-grünen Regierung auf den Weg gebrachten Pakets ist das „Kommunikationsplattformen-Gesetz“. Inspiriert vom deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll es Plattformen ab einer bestimmten Größe dazu verpflichten, klar rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden nach Meldung zu entfernen. In nicht eindeutigen Fällen haben die Betreiber eine Woche Zeit, die Inhalte im Detail zu prüfen.
Ursprünglich sollte der Gesetzentwurf bereits im Juli vorgestellt werden, allerdings sorgte die Corona-Pandemie und das Feilschen um Details für Verzögerungen. So stand etwa lange zur Debatte, ob auch Kommentarspalten beliebiger Online-Angebote oder nicht-kommerzielle Plattformen wie Wikipedia darunter fallen sollten.
Strenge Regeln mit AusnahmenFür diese Anbieter gibt es nun Ausnahmen. Grundsätzlich soll das Gesetz für alle Plattformen ab 100.000 registrierten Nutzer:innen und einem Jahresumsatz von 500.000 Euro gelten. Davon ausgenommen sind Medienunternehmen, die vorrangig journalistische Dienste bereitstellen, Online-Händler sowie nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien.
Die betroffenen Dienste, etwa Facebook oder Youtube, sollen künftig ein „wirksames und transparentes“ Meldeverfahren einrichten. Dazu zählt eine unkomplizierte Möglichkeit für Nutzer:innen, den Plattformen mutmaßlich rechtswidrige Inhalte zu melden.
Auf der Gegenseite müssen Plattformen sicherstellen, sich zügig um die Überprüfung der Meldungen zu kümmern und beanstandete Inhalte innerhalb der Frist zu entfernen. Eine wie in Deutschland inzwischen nachgereichte Meldepflicht an Ermittlungsbehörden sieht der österreichische Ansatz nicht vor.
Alleingang statt EU-AnsatzDieser reiht sich ein in eine Reihe nationaler Vorstöße, die in Deutschland wie auch in Frankreich für heftige Kontroversen gesorgt haben. Beide Länder sind in den vergangenen Jahren vorgeprescht und haben eigene Gesetze gegen Hass im Netz erlassen. Das französische „Avia-Gesetz“ wurde allerdings kürzlich vom dortigen Verfassungsgericht gekippt, weil es ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit war.
Um der Gefahr einer weiteren Zersplitterung des europäischen Binnenmarktes zu begegnen, arbeitet die EU-Kommission derzeit an einer gesamteuropäischen Lösung, dem Digitale-Dienste-Gesetz. Teil des für den Herbst erwarteten Gesetzesvorschlags sollen auch Maßnahmen gegen illegale Inhalte im Internet sein, die einen europäischen Flickenteppich verhindern sollen.
Der österreichischen Justizministerin Alma Zadi? (Grüne) zufolge habe die Regierung bislang „keine negativen Signale aus Brüssel empfangen“, sagte sie auf einer morgendlichen Pressekonferenz, berichtet futurezone.at. Der Alpenstaat muss die EU-Kommission über das Gesetz unterrichten, das entsprechende Notifizierungsverfahren läuft bereits. Auf eine Frage von netzpolitik.org antwortete ein Kommissionssprecher diplomatisch mit dem Hinweis, einen europäischen Ansatz für effektiver zu halten als nationale Alleingänge.
Beschwerdeverfahren soll Meinungsfreiheit sichernDie Gefahr des „Overblockings“, also des unrechtmäßigen Löschens von Inhalten, soll in Österreich ein Beschwerdeverfahren abmildern. Zugleich sollen etwaige Verstöße nicht automatisch zu Geldstrafen für die Plattformen führen. „Strafen gibt es nicht, wenn eine Plattform einmal ein Posting nicht löscht, sondern nur bei systematischen Verletzungen“, sagte die Verfassungsministerin Karoline Edstadler (ÖVP).
Neue Transparenzpflichten sollen dafür sorgen, dass die Moderationspraxis der Dienste nachvollziehbar wird. Mindestens einmal im Jahr müssen die Anbieter Berichte vorlegen und darin offenlegen, wie viele und welche Inhalte sie entfernt haben. Gelten soll dies nicht nur für beanstandete Postings, die dem Kommunikationsplattformen-Gesetz unterliegen, sondern auch für Inhalte, welche die Plattformen aufgrund ihrer Geschäftsbedingungen gelöscht haben. Dies soll die Statistiken vergleichbarer machen.
Anders als in Deutschland sollen sich die Geldstrafen nicht vom Jahresumsatz des jeweiligen Dienstes ableiten lassen. Stattdessen kann, je nach Schwere des Verstoßes, eine Geldbuße in der Höhe von bis zu zehn Millionen Euro verhängt werden. Persönlich belangt können auch die verantwortlichen Beauftragten, die jeder betroffene Online-Dienst abzustellen hat. Dem Entwurf zufolge könnten beispielsweise bis zu 10.000 Euro fällig werden, sollten deren Kontaktdaten nicht leicht auffindbar sein.
Maßnahmen gegen Cyber-MobbingDie im Fokus stehenden Inhalte sind im Entwurf angeführt, es handelt sich um Straftaten wie Verhetzung, Wiederbetätigung oder Gefährliche Drohung. Zugleich will die Bundesregierung einige Straftatbestände ausweiten.
Beispielsweise sollen unbefugte Bildaufnahmen des Initimbereichs, meist sogenanntes „Upskirting“, mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden. Insgesamt sollen verschiedenste Arten von „Cyber-Mobbing“ leichter verfolgbar werden, hieß es bei der Vorstellung des Pakets.
Die österreichische Digital-NGO epicenter.works beurteilt den Entwurf gemischt. „Manche Aspekte wirken sehr ausgeklügelt, andere kaum durchdacht“, heißt es in einer ersten Analyse. Lob gibt es etwa für den Beschwerde- und Überprüfungsmechanismus, der die Entscheidungen der Plattformen nachvollziehbar machen soll. Auch die Bestimmungen zu Transparenzpflichten der Plattformen bewerten die Aktivist:innen „sehr positiv“.
Auf Große zielen, aber Kleine treffenAllerdings versuche das Gesetz, die „Probleme mit den großen Internetkonzernen zu reparieren“, treffe dabei aber vor allem kleinere Dienste. Im Unterschied zu den großen Plattformen könnten ihnen die Ressourcen fehlen, um das Gesetz umzusetzen. Im schlimmsten Fall könnten sie sich aus dem österreichischen Markt zurückziehen, fürchten die Aktivist:innen.
Zudem treffe die breite Definition zu viele Dienste. Betroffen seien auch Chat-Funktionen von Spielen wie World-of-Warcraft, Rezepte-Plattformen oder Open-Source-Entwicklungsplattformen. „Wenn dieses Gesetz hart und bestimmt genug für globale Konzerne wie Google oder Facebook sein sollte, dann ist es existenzbedrohend für alle kleineren Anbieter“, mahnt epicenter.works.
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Später Sieg für Snowden: Gericht erklärt NSA-Vorratsdatenspeicherung für illegal
Ein Gericht in den USA hat am Mittwoch entschieden, dass die US-Vorratsdatenspeicherung des Geheimdiensts NSA illegal und möglicherweise verfassungswidrig war. Geklagt hatte unter anderen die amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU.
Das Urteil enthält gleich mehrere Hinweise auf die Rolle des ehemaligen NSA-Mitarbeiters und Whistleblowers Edward Snowden bei der Enthüllung des Überwachungsprogramms. Das Gericht kommt zu dem Schluss, dass die „Massensammlung“ solcher Daten gegen den Gesetz zur Überwachung in der Auslandsaufklärung FISA verstößt.
Das Gericht entschied allerdings nicht, dass die Schnüffelei der NSA definitiv verfassungswidrig ist. Es wies aber Argumente des Justizministeriums zurück, dass das Sammeln der Metadaten mit einem 40 Jahre alten Präzedenzfall begründet hatte und behauptete, dass die Kund:innen solche Informationen freiwillig an die Telefonanbieter weitergeben.
14 Jahre illegale VorratsdatenspeicherungDas Überwachungsprogramm, bei dem die NSA die Verbindungsdaten aller Telefongespräche von Millionen Amerikaner:innen sammelte, wurde 2013 durch den Whistleblower Edward Snowden enthüllt. Mit seinen Leaks hatte Snowden den größten Überwachungsskandal der Geschichte an die Öffentlichkeit gebracht.
Begonnen hatte die Vorratsdatenspeicherung ohne jegliche richterliche Entscheidung nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 unter Präsident George W. Bush. Sie wurde dann in ähnlicher Weise im Jahr 2006 durch den geheimen FISA-Court erlaubt und mehrmals verlängert. Das Programm wurde im Jahr 2015 eingestellt.
Edward Snowden freut sich über das Urteil:
Vor sieben Jahren, als in den Nachrichten verkündet wurde, dass ich als Krimineller angeklagt werde, weil ich die Wahrheit gesagt habe, hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich noch erleben würde, wie unsere Gerichte die Aktivitäten der NSA als ungesetzlich verurteilen und mir in demselben Urteil zugute halten würden, dass ich sie aufgedeckt habe.
Und doch ist dieser Tag gekommen.
(unsere Übersetzung)
Snowden sitzt immer noch im russischen Exil fest, weil ihm andere Länder wie Deutschland kein Asyl gewähren und weil ihm Strafverfolgung in den Vereinigten Staaten droht.
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Menschenrechtsverletzungen: Australien will internierten Geflüchteten Handys wegnehmen
Australiens Parlament hat am Dienstag ein Gesetz verabschiedet, das es erlaubt, internierten Geflüchteten in Zukunft die Smartphones wegzunehmen. Das Gesetz muss nun noch durch den Senat.
Es ist ein neuer Tiefpunkt in der Flüchtlingspolitik des Landes. Australien ist heute schon das einzige Land auf der Erde, das eine Einwanderungshaft per Gesetz vorsieht. Geflüchtete werden teilweise über Jahre in Lagern interniert – in Australien und in Drittstaaten.
Die Änderungen des alten Migrationsgesetzes von 1958 räumen Innenminister Peter Dutton und dem amtierenden Einwanderungsminister Alan Tudge nun noch mehr Möglichkeiten ein: Die erlauben es, bestimmte Gegenstände, darunter Mobiltelefone und SIM-Karten, zu verbieten und gewähren den Beamten der australischen Grenztruppen zusätzliche Befugnisse zur Durchsuchung von Gefangenen. Das Beschlagnahmen von Mobiltelefonen und SIM-Karten hatte der Australian Federal Circuit Court im Jahr 2017 noch für illegal erklärt.
„Mobiltelefone und der Zugang zum Internet sind Lebensadern zur Außenwelt für diejenigen, die eingesperrt sind, insbesondere mit den Besucherbeschränkungen wegen COVID-19“, sagt Felicia Anthonio, Kampagnenleiterin bei der Menschenrechtsorganisation Access Now. „Die Verbindungen von Menschen in der australischen Einwanderungshaft auseinander zu reißen, ist einfach sinnlos und grausam.“
Laut einem Bericht von SBS News hatten bis Montagmittag mehr als 30.000 Menschen eine vom Asylum Seeker Resource Centre (ASRC) organisierte Petition unterschrieben, in der die Ablehnung des Gesetzes gefordert wurde.
Kontakt zu Anwälten und ÄrztenDie AHRC-Mitarbeiterin Nina Field erklärte am Montag gegenüber SBS News, dass die Mobiltelefone nicht nur den Kontakt zu Freund:innen und Familien ermöglichten, sondern auch nötig seien, um mit Anwälten, Ärzten oder Sachbearbeitern in Kontakt zu bleiben.
Access Now betonte, das die Verweigerung oder Behinderung des Zugangs zum Internet – sei es durch die Beschlagnahmung mobiler Geräte, die Sperrung von Websites oder die Abschaltung des Internets – eine zunehmend populäre Methode der Unterdrückung sei, die von Regierungen auf der ganzen Welt eingesetzt würde. Amnesty International Australien fordert nun, das Gesetz zurückzuziehen.
Australien steht wegen seiner menschenrechtsfeindlichen Flüchtlingspolitik schon länger in der Kritik. In Offshore-Lagern wie auf Manus Island mussten Geflüchtete über Jahre unter unwürdigen Bedingungen hausen. Die Missstände wurden aufgedeckt, weil ein iranischer Geflüchteter diese mit dem Mobiltelefon dokumentierte und nach Außen trug. Das Lager-System nannte der in Aidelade lebende Literaturnobelpreisträger J.M. Coetzee „Australiens Schande“.
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Debatte um Bundestags-Sicherheit: Grundrechenarten statt Vorratsdatenspeicherung
Eine der ewigen Gesetzmäßigkeiten der Überwachungsdebatte lautet: Wenn irgendwas passiert, wofür es eine politische Verantwortung geben könnte, weil man Sachen versäumt hat, dann fordert die CDU/CSU einfach die Vorratsdatenspeicherung. Mittlerweile auch in Kombination mit dem Staatstrojaner. Das ist immer ein gutes Ablenkungsmanöver.
Jetzt gibt es das wieder als Antwort auf das rechtsradikale Fotoshooting mit Reichsfahnen auf den Treppen des Reichstagsgebäudes am vergangenen Samstag. Weil unsere Sicherheitsbehörden davon und der starken rechtsextremen Mobilisierung angeblich überrascht wurden.
Die Vorratsdatenspeicherung macht hier natürlich überhaupt keinen Sinn. Das hindert aber zahlreiche Medien nicht daran, die vollkommen evidenzfreie Forderung unkommentiert und ohne jegliche Einordnung zu wiederholen.
Es war öffentlich, dass das passieren kannZahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen und Journalist:innen haben sehr genau und schon lange vor der Demonstration – und das vollkommen ohne Überwachungsmaßnahmen wie der Vorratsdatenspeicherung – beobachten können, dass die komplette rechtsextreme Szene nach Berlin mobilisiert. Es ist seit Jahren ein Traum der Rechtsradikalen das Reichstagsgebäude zu stürmen. Die Demo wurde sogar als #SturmAufBerlin beworben, der Hashtag trendete und im Netz kursierten zahlreiche öffentliche Aufrufe, das Parlament zu stürmen.
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Und auch während der Demo waren die Dynamiken, Taktiken und die Aufrufe offen zugänglich, wenn man sich nur die Mühe machte, den richtigen Accounts auf Twitter, Facebook, Telegram und den Livestreams auf Youtube zu folgen.
Um so eine rechtsradikale Aktion vor dem Bundestag zu verhindern, braucht es keine Vorratsdatenspeicherung, sondern einen Sicherheitsapparat der eins und eins zusammenzählen kann und daraus die richtigen Schlüsse zieht. Diese müssen sich dann auch in Polizeitaktiken widerspiegeln. Dies geht in der Debatte um die Nazi-Fahnen vor dem Parlament vollkommen unter.
Eins und eins zusammenzählenEs ist doch absurd, wenn unterfinanzierte oder ehrenamtliche zivilgesellschaftliche Organisationen aus offenen Quellen mehr über das Agieren und die Strategien der rechtsextremen Akteure mitbekommen – und dies sogar öffentlich dokumentieren – als es die vielen Sicherheitsapparate mit ihren weit gefassten Befugnissen und zahlreichen Beamt:innen angeblich können.
Klar ist: Es gibt evidenzbasierte, deutlich sinnvollere und vor allem grundrechtsfreundlichere Maßnahmen statt einer Vorratsdatenspeicherung.
Dazu gehört eine bessere Ausbildung und Schulung der Polizei in solchen Fragen. Ich kann mir nach all den Nazi-Skandalen leider vorstellen, dass es bei Polizei und Verfassungsschutz ausreichend Personal gibt, welches sich privat in Sachen Nazi-Codes, Symbolen und in den Chatgruppen von Rechtsextremen gut auskennt. Aber genau das sind dann die Beamt:innen, die man nicht dafür heranziehen sollte.
Da müssten andere ran. Aktuell soll das BKA im Rahmen des Halle-Prozesses keine gute Figur machen, weil einige vorgeladene Beamte im Zeugenstand eher ihre fehlende Kompetenz in Netzfragen preisgeben. Hier muss also etwas passieren.
Verschwörungsmythen bis hinein in die UnionMan hätte auch darauf verzichten können, einen Rechtspopulisten für einige Jahre zum Präsidenten des Verfassungsschutzes zu machen, der dann genau in dieser Richtung eher keine Bedrohung sieht. Das hat sich jetzt zwar etwas geändert, aber die Zeit von Hans-Georg Maaßen ist immer noch nicht aufgearbeitet.
Und nach der vergangenen Querdenker-Demo Anfang August gab es in rechtskonservativen und rechtsradikalen Kreisen das Narrativ, dass die Polizei die Teilnehmerzahlen massiv manipuliert habe, um nicht die „wahren Ausmaße“ zu kommunizieren. Das war eine klassische Verschwörungserzählung und bei der Amtsübernahme von Donald Trump abgeschaut.
Das hinderte den Vize-Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Arnold Vaatz, nicht, dieses Narrativ auf der neurechten Scharnierplattform Tichys Einblick zu wiederholen. Und dabei das Agieren der Berliner Polizei mit DDR-Medien und der Stasi zu vergleichen.
Das war dann selbst Focus-Online zuviel, die von „kruden Verschwörungstheorien“ im Zusammenhang mit Vaatz Text schrieb. Und wenn Focus-Online das schon schreibt, dann sollte das einem zu denken geben.
Ich bin ja immer wieder verwundert, wer in der CDU/CSU in verantwortliche Positionen kommt und da auch bleiben kann. Die gleichen Personen schreiben dann wohl auch die Forderungskataloge, wonach die Vorratsdatenspeicherung wegen jedem beliebigen Ereignis eingeführt gehört.
Kleiner Pro-Tipp an die CDU/CSU: Wenn Ihr tatsächlich etwas gegen rechtsextreme Tendenzen machen wollt, dann steigt nicht zu den Rechtsradikalen ins Bett und grenzt Euch klar ab. Es könnte so einfach sein, die Vorratsdatenspeicherung braucht es für diese demokratische Abgrenzung übrigens auch nicht.
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Was vom Tage übrig blieb: Apple, Ausbau, Amazon
Trotz Cloud Act: Telefónica/O2 vertraut sein 5G-Kernnetz Amazon an (Golem)
Das Mobilfunknetz der Zukunft liegt in der Cloud. Oder genauer: Das 5G-Kernnetz von O2 soll virtualisiert auf Amazon Web Services laufen, berichtet Golem. Weil das aber ein US-Anbieter ist, könnten womöglich US-Geheimdienste auf dort gespeicherte Daten zugreifen – selbst wenn diese „ausschließlich auf AWS-Servern in Deutschland“ lagern, wie Telefónica beteuert.
App Store: Apple reicht Digitalsteuer an Entwickler durch (Heise)
Immer Ärger mit der Digitalsteuer. Nein Moment, andersrum: Immer Ärger mit Digitalunternehmen, die nicht genug vom Kuchen abkriegen können. In einem Fall ist es Apple, das die Digitalsteuer mehrerer europäischer Länder an Entwickler weiterreicht. In einem anderen Fall müssen die Werbekunden von Google mehr bezahlen, damit die Steuerlast des Online-Werbemarktführers nicht steigt.
Glasfaserquote gestiegen: „Es geht voran“ beim Breitbandausbau (Heise)
Die Zahl der Glasfaseranschlüsse ist im Vorjahr um rund 22 % auf 6,1 Millionen angestiegen, geht aus der gestern veröffentlichten Marktstudie des Bundesverbandes Breitbandkommunikation hervor. Der Lobbyverband der Telekom-Deutschland-Konkurrenz vermeldet zudem, dass immer mehr Kunden hochbitratige Leitungen buchen – wenn man sie denn lässt, solche Anschlüsse also tatsächlich zur Verfügung stehen. Ach ja, und FTTH steht jetzt offenbar für „Fiber to the Homeoffice“.
Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es jetzt die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb“, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.
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Desinformation: So penetrant empfiehlt Amazon den Kauf von Verschwörungsliteratur
Kein Buchhändler auf der Welt ist so mächtig wie Amazon. Aber wenn es um seriöse Buchempfehlungen geht, ist Amazon alles andere als Spitzenklasse. Die Plattform preist Verschwörungserzählungen, Antisemitismus und Desinformation ebenso an wie wissenschaftlich fundierte Sachbücher. Amazon, eines der wertvollsten Unternehmen der Welt, hat diese Bücher nicht einfach nur im Sortiment, seine Algorithmen setzen sie Kund:innen auch noch prominent vor die Nase.
Davon geht eine gesellschaftliche Gefahr aus. Nicht nur Rechtsterroristen wie die von Christchurch und Hanau beziehen sich auf Verschwörungsmythen. Die Mythen verbinden auch die heterogene Gruppe der Coronaleugner:innen, die am vergangenen Wochenende zu Tausenden durch Berlin zogen und offen davon träumten, das Reichstagsgebäude zu „stürmen“. Neben Neonazis und Holocaustleugner:innen gehörten zu den Protestierenden auch Esoteriker:innen und Impfgegner:innen wie der Verschwörungsideologe Robert Kennedy Junior.
Vor zwei Jahren hielt Amazon einer Studie zufolge mit rund 20 Prozent einen erheblichen Anteil am deutschen Buchmarkt. Die Empfehlungen der Plattform haben damit einen bedeutsamen Einfluss.
Amazon-Suche nach Corona Alle Rechte vorbehalten Screenshot netzpolitik.orgDie Amazon-Suche nach „Corona“ – ausgeführt, ohne eingeloggt zu sein – zeigte bei unserem Test gleich mehrere problematische Bücher unter den ersten Suchergebnissen. Auf Platz 1 stand ein Buch mit dem Titel „Corona Fehlalarm?“. Dabei kann der Verdacht eines „Fehlalarms“ bei inzwischen weltweit rund 850.000 gemeldeten Todesfällen in Verbindung mit Covid-19 zweifellos als widerlegt betrachtet werden. „Die prägenden Stilmittel dieses Buchs sind das Geraune, die rhetorische Frage, die Unterstellung und die Andeutung“, fasst Deutschlandfunk Kultur zusammen. Der Autor des Buches, Sucharit Bhakdi, steht Verschwörungserzählungen mindestens offen gegenüber, immerhin ließ er sich im April diesen Jahres vom Verschwörungsideologen Ken Jebsen interviewen.
Zu den ersten Suchergebnissen auf Amazon gehörte auch ein Buch des Verlags Kopp, bei dem das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg schon 2015 eine „weltanschauliche und gescha?ftliche Na?he zu rechtspopulistischen und zum Teil offen rechtsradikalen beziehungsweise antisemitischen politischen Akteuren“ sah. Bereits auf dem Cover wird behauptet, im Schatten der Pandemie werde ein „totalitärer Staat“ aufgebaut – eine Erzählung, die auch zahlreiche Verschwörungsideolog:innen verbreiten. Insgesamt gibt es auf der ersten Suchergebnisseite mehrere Sachbücher, die die Pandemie leugnen oder anzweifeln, etwa: „Corona: Die pure Lüge“.
Doch es geht noch abstruser: Das erste Ergebnis bei der Suchanfrage „Flache Erde“ ist bei unserem Test Mitte August nicht etwa ein Buch, das die Verschwörungserzählung entlarvt, sondern eines mit dem anscheinend ernstgemeinten Titel: „Die flache Erde ist die einzige Wahrheit“.
Das erste Suchergebnis zum antisemitischen Verschwörungsmythos einer Holocaust-Lüge Alle Rechte vorbehalten Screenshot netzpolitik.orgÄhnlich problematisch sind die Amazon-Suchergebnisse zu „Holocaust Lüge“, ein Begriff für die antisemitische Verschwörungserzählung, die den Mord an Millionen Jüd:innen anzweifelt. Das erste Suchergebnis stammt ausgerechnet vom verschwörungsideologischen Autor Thorsten Schulte und wird auch noch als „Bestseller“ beworben. Sein Buch hat dem vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Rapper Chris Ares offenbar so gut gefallen, dass er ein Lied darüber gesungen hat und Schulte im Musikvideo auftreten ließ. Ein Schreckensszenario des Buches ist eine Zukunft, in der es nur noch People of Colour und keine Weißen mehr gibt: Baustein einer durch und durch rassistischen Verschwörungserzählung über die vermeintliche Bedrohung eines weißen „Volks“.
Amazons Defizite zeigen sich auch bei Themen, über die schon seit Jahrzehnten seriöse Sachbücher erscheinen. Unter den ersten Suchergebnissen über „Krebs“ gibt es zum Beispiel Bücher über alternative Heilmethoden und Ernährungstipps gegen die Krankheit. Das ist nicht automatisch Desinformation, könnte Patient:innen aber zu möglicherweise lebensgefährlichen Entscheidungen für die eigene Behandlung verleiten.
Nicht nur die Amazon-Suche konfrontiert Leser:innen mit fragwürdigen Inhalten. Auch auf den Produktseiten von renommierten Sachbüchern kann das passieren, und zwar mittels Empfehlungen. Das heißt: Selbst wer sich schon genau informiert hat und gezielt ein fundiert recherchiertes Buch kaufen möchte, den kann Amazon dazu verleiten, eventuell doch noch etwas Desinformation in den Einkaufswagen zu legen. Das zeigt unsere Recherche, für die wir Hunderte Buchempfehlungen ausgewertet haben.
Amazon verbietet Produkte, die Hass und Gewalt fördern – eigentlichAmazon hat eigentlich strenge Richtlinien, was auf der Plattform verkauft werden darf und was nicht. Nicht erlaubt sind demnach „Produkte, die Hass oder Gewalt gegenüber Personen oder Gruppen fördern, dazu anstiften oder verherrlichen.“ Noch allgemeiner heißt es: „Führen Sie keine Produkte auf, die Amazon-Kunden schädigen könnten.“ Nicht nur sind diese Regeln sehr vage, Amazon behält sich darüber hinaus das alleinige Recht vor, „zu entscheiden, welche Inhalte zu einer schlechten Kundenerfahrung führen, und diese aus dem Verkauf zu nehmen.“
Diese Regeln gibt es nicht nur in der Theorie: Im Jahr 2015 nahm Amazon, neben vielen anderen deutschen Buchhändlern, die Bücher von Akif Pirinçci aus dem Sortiment. Der Rechtsaußen-Schriftsteller hatte auf einer Pegida-Rede unter anderem gesagt: „Die KZs sind ja leider derzeit außer Betrieb“; zudem hat er den Verschwörungsmythos der „Umvolkung“ heraufbeschworen. Heute bietet Amazon seine Bücher wieder an.
Hunderte Empfehlungen analysiertAmazon macht Bücher mit Desinformationen nicht nur denjenigen zugänglich, die womöglich gezielt nach ihnen suchen. Die Plattform schlägt sie Kund:innen sogar aktiv vor, wie unsere Recherche und eine Stichprobe zeigen. Dies geschieht auch unter wissenschaftlich fundierten Sachbüchern.
Wer sich auf Amazon ein Buch ansieht, bekommt im Bereich „Weitere Artikel entdecken“ andere Bücher empfohlen. Mit einem Klick auf eine solche Empfehlung öffnet sich die entsprechende Produktseite, die dann eine neue Palette an Empfehlungen enthält. Anhand von Amazons Vorschlägen zu dem Sachbuch „Corona: Geschichte eines angekündigten Sterbens“ haben wir untersucht, wohin die Plattform ihre Kund:innen mithilfe der Lesetipps führt. Das Sachbuch erscheint als eines der ersten Ergebnisse bei der Amazon-Suchanfrage „Corona“. Geschrieben hat es ein Kollektiv von 19 Journalist:innen des Recherchezentrums Correctiv.
Insgesamt haben wir 355 Empfehlungen ausgewertet, die auf Amazon in direkter oder indirekter Verbindung zu diesem Buch stehen. Es waren 97 unterschiedliche Titel, von denen uns Amazon einige mehrfach vorgeschlagen hat. Jede Buchempfehlung ist durch einen Kreis im Schaubild dargestellt.
Die 355 untersuchten Buchempfehlungen teilen sich in drei Ebenen. Die erste Ebene besteht aus den ersten sieben Amazon-Empfehlungen zu „Corona: Geschichte eins angekündigten Sterbens“.
Amazons Vorschläge, die uns angezeigt wurden zu dem Buch Corona: Geschichte eines angekündigten Sterbens
Die zweite Ebene besteht aus den mit diesen sieben Empfehlungen verknüpften Empfehlungen. Zuletzt haben wir wiederum deren Empfehlungen erfasst – die dritte und unterste Ebene im Schaubild. Damit haben wir die möglichen Klickwege von Amazon-Kund:innen simuliert, die von Empfehlung zu Empfehlung stöbern.
Um die Empfehlungen nicht händisch anklicken zu müssen, haben wir ein Programm geschrieben, das diese Aufgabe automatisch erledigt hat. Die Erfassung erfolgte Ende August ohne Browser-Cookies oder einen Amazon-Login. Sie ist auch deshalb nur als Stichprobe zu verstehen, weil sich die Zusammenstellung von Amazon-Empfehlungen jederzeit ändern kann und von weiteren Faktoren wie dem Standort der Nutzer:innen abhängen kann.
Sämtliche Bücher haben wir anhand eines zuvor festgelegten Regelwerks klassifiziert. Im Schaubild rot markiert ist einschlägige Verschwörungsliteratur – also Bücher, die allein anhand ihrer Produktbeschreibung und Leseprobe eindeutig sogenannte Verschwörungstheorien verbreiten, die bereits in traditionellen Nachrichtenmedien als solche diskutiert wurden. Orange markiert sind Bücher, die sich anhand der Produktbeschreibung als impfskeptisch bis impffeindlich einordnen lassen.
Unsere Auswertung zeigt: Wer auf Amazon stöbert, den lockt die Plattform womöglich geradewegs in einen Kaninchenbau.
124 Empfehlungen für VerschwörungsliteraturMehr als die Hälfte der untersuchten Lesetipps bezieht sich auf Bücher mit problematischem Inhalt. In 124 Fällen schlug Amazon Bücher vor, die eindeutig verschwörungsideologisch sind. Viele von ihnen propagieren zudem rechtsextreme oder rassistische Erzählungen.
Bereits unmittelbar auf der Produktseite des Corona-Buchs der Correctiv-Journalist:innen schlug Amazon uns einen Titel vor, der die staatlichen Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie mit der „Neuen Weltordnung“ in Verbindung bringt, einem antisemitischen Verschwörungsmythos. Der Autor behauptet auch, Flugzeuge versprühten „Chemtrails“, die das Verhalten von Menschen beeinflussen sollten, außerdem wolle der Milliardär Bill Gates die Weltbevölkerung „drastisch reduzieren“.
Auf der zweiten Empfehlungsebene folgte ein Titel, der Enthüllungen über eine „verbotene Wahrheit u?ber die beiden Weltkriege“ und „die Existenz von Außerirdischen“ verspricht. Auf der dritten Empfehlungsebene schlug uns Amazon ein Buch vor, das aus den Visionen von einhundert Seher:innen bestehen soll. Schon in seinem Vorwort verknüpft der Autor den Ersten, den Zweiten und einen angekündigten Dritten Weltkrieg mit dem Zionismus.
Zwei dieser Bücher sind im Verlag von Jan Udo Holey erschienen, das dritte hat dieser selbst verfasst. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bezeichnete ihn in einem 2005 erschienenen Papier als „rechtsextremistischen Esoteriker“. Holey schreibt die Behörde auch eine Vorreiterrolle für antisemitische Verschwörungsliteratur zu. Die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelte gegen ihn wegen Volksverhetzung, einzelne seiner Schriften stehen auf dem Index. Sein Pseudonym Jan van Helsing tauchte in unserem Datensatz in Verbindung mit 37 Amazon-Empfehlungen auf.
Ab der zweiten Empfehlungsebene schlug Amazon uns zudem Bücher von Impfgegner:innen und -skeptiker:innen vor, insgesamt 56 Mal.
Das Spektrum reicht von kritischen Berichten über Impfschäden bis zu radikaler Impfgegnerschaft. Mindestens ein Teil der Bücher ist pseudo-wissenschaftlich, etwa eines, das eine „Impf-Illusion“ anprangert und beispielsweise das Polio-Virus verharmlost. Während wohl Milliarden Menschen auf einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus hoffen, säen diese Amazon-Empfehlungen Zweifel gegenüber Impfungen im Allgemeinen.
„So macht der Konzern die Welt kaputt“Ab der dritten Empfehlungsebene sind verschwörungsideologische und impffeindliche Bücher in der Überzahl. Das ist offenbar kein Zufall: Der Klick auf ein solches Buch fördert in den Empfehlungen gleich noch mehr ähnliche Bücher zu Tage. Das spricht dafür, dass Amazon-Algorithmen durchaus eine Verbindung zwischen diesen Büchern erkennen können.
David Schraven ist Geschäftsführer von Correctiv und Mitherausgeber des Corona-Buchs, das auf Amazon mit zahlreichen Verschwörungsbüchern verknüpft ist. Schraven kritisiert Amazon scharf: „Da macht man sich viel Arbeit und dann wird die Recherche mitten im Müll platziert, der nur nach Aufmerksamkeit hascht“, sagt er gegenüber netzpolitik.org. Anstelle von Aufklärung würden Hass, Dummheit und Zwietracht hervorgehoben. „Amazon sollte sich überlegen, ob das so eine tolle Idee ist. So macht der Konzern die Welt kaputt.“
Wir haben unsere Stichprobe auch mit Sachbüchern über Verschwörungsmythen erhoben, unter anderem „Fake Facts“ von Pia Lamberty und Katharina Nocun und „Nichts ist wie es scheint“ von Michael Butter. In diesen Fällen führten die Amazon-Empfehlungen etwas später zu Desinformation: Erst in der dritten Ebene der Empfehlungen erschienen einschlägig verschwörungsideologische Bücher – sie sind damit nur drei Klicks von dem Buch entfernt, mit dem wir die Stichprobe begonnen haben.
Einmalige Konfrontation mit Verschwörungsmythen kann Verhalten ändernWelch schwerwiegende Auswirkungen solche Amazon-Empfehlungen haben könnten, legt die Forschung von Sozialpsycholog:innen aus Großbritannien nahe. An der Universität in Kent zeigten Untersuchungen von Daniel Jolley und Karen M. Douglas, dass bereits einmaliger Kontakt mit Verschwörungserzählungen einen Unterschied machen kann.
Die Forschenden legten 60 Menschen aus den USA einen Text mit erfundenen Behauptungen zu den negativen Folgen von Impfungen vor. Anschließend sollten sich die Testpersonen vorstellen, ein Kind namens Sophie zu haben, und unter anderem beantworten, ob sie dieses Mädchen impfen lassen würden. Und tatsächlich: Menschen, die mit den Verschwörungserzählungen konfrontiert wurden, waren weniger bereit, Sophie impfen zu lassen als Menschen in einer Kontrollgruppe. Der meiste Zuspruch zum Impfen kam von einer dritten Gruppe, die zuvor einen Text gelesen hatte, der Verschwörungserzählungen von Impfgegner:innen widerlegte. Wie die 2014 veröffentlichte Studie ergab, waren die Impf-Skeptiker:innen zudem misstrauischer im Bezug auf Behörden.
Der Sozialpsycholge Jolley warnt gegenüber netzpolitik.org auch vor den Auswirkungen der Amazon-Algorithmen, die Bücher von Impfgegner:innen neben seriösen Sachbüchern empfehlen. „Es ist zweifellos plausibel, dass der Glaube an solche Erzählungen stärker werden kann, wenn Menschen ihnen wiederholt ausgesetzt sind. Das kann sich wiederum auf ihr Verhalten auswirken.“
Empfohlene Bücher könnten zudem eine verschwörungsideologische Weltanschauung von Nutzer:innen bekräftigen. „Es ist gewiss möglich, dass durch die Konfrontation mit mehreren Buchempfehlungen zu einem bestimmten Thema der Eindruck entsteht, es gebe einen Konsens, den tatsächlich viele Menschen und Organisationen teilen.“ Das könne Menschen wiederum ermutigen, sich weiterhin mit solchen Inhalten auseinanderzusetzen. „Amazon hat dieselbe Verantwortung wie andere Social-Media-Plattformen, ethisch zu handeln“, sagt Jolley.
Attentate wie das in Hanau am 19. Februar 2020 oder in El Paso am 3. August 2019 zeigen, wie Verschwörungserzählungen bei der Radikalisierung von Terroristen eine Rolle gespielt haben. In diesen und weiteren Fällen haben die Täter ihre Gewalt unter anderem mit Verschwörungsmythen legitimiert. Erzählungen wie QAnon können Menschen zu der Überzeugung bringen, dass diabolische Gruppen im Geheimen Böses gegen die Bevölkerung unternehmen. Eine vermeintliche Bedrohung, die Verschwörungsgläubige unter Druck setzen kann, dagegen zu handeln und eine Gewalttat zu begehen. Auch das FBI warnte davor.
Amazon möchte keine einzige unserer Fragen beantwortenWir haben Amazon per E-Mail die Ergebnisse unserer Recherche vorgelegt und eine Liste mit zehn Fragen geschickt. Unter anderem wollten wir wissen, ob dem Konzern das Ausmaß von rechtsextremen und verschwörungsideologischen Inhalten in seinen Suchergebnissen und Empfehlungen bekannt sei. Wir fragten auch, inwiefern Amazon die Verbreitung dieser Bücher eindämme. Keine einzige unserer Fragen wollte der Konzern beantworten.
Deshalb wissen wir nicht, ob sich Amazon überhaupt in der Verantwortung sieht, wenn Kund:innen durch Top-Suchergebnisse und Empfehlungen ihrer Gesundheit schaden, etwa weil sie impffeindliche Bücher gelesen haben. Oder wenn sich Kund:innen durch rechtsextreme Bücher politisch radikalisieren. Amazon wollte auch nicht sagen, wie die Vorschläge im Bereich „Weitere Artikel entdecken“ zu Stande kommen.
Neben einem Verweis auf die öffentlichen Richtlinien ließ der Konzern durch eine Sprecherin lediglich mitteilen: „Wir investieren viel Zeit und Ressourcen, um sicherzustellen, dass unsere Richtlinien befolgt werden, und entfernen Produkte, die nicht im Einklang mit unseren Richtlinien stehen. Über unsere proaktiven Maßnahmen hinaus prüfen wir auch umgehend jeden Hinweis, den wir erhalten.“
Dass Amazon Hinweise prüft, können wir in unserem Fall bestätigen: Amazon wollte von uns noch einmal genau wissen, welche Produkte uns bei den Suchanfragen „Flache Erde“, „Holocaust Lüge“ und „QAnon“ angezeigt wurden. Wir haben der Pressestelle entsprechende Screenshots geschickt. Geändert hat das bislang aber nichts. Noch immer bekommen Nutzer:innen bei diesen Suchbegriffen zunächst einmal Verschwörungsmythen zu sehen.
All das dürfte Rechtsextremen und Verschwörungsideolog:innen sehr gefallen. Der Verschwörungsautor Jan Udo Holey kommentiert auf Amazon süffisant, wie gut ihm die Plattform bei der Verbreitung seiner Bücher helfe. „Amazon macht es möglich, daß jeder meine Bücher schnell und kinderleicht bestellen kann“, heißt es in einem Autorenkommentar unter einer seiner Veröffentlichungen. „Herzlichen Dank an dieser Stelle an das Amazon-Team.“
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Wettbewerb: Bundeskartellamt stellt Jahresbericht vor
Mit einer Pressekonferenz hat das Bundeskartellamt seinen Bericht für das Jahr 2019 und die ersten Monate des Jahres 2020 [PDF] vorgestellt. Wie Präsident Andreas Mundt berichtete, lag der Fokus der Wettbewerbsschützer:innen auch im vergangenen Jahr wieder stark auf den großen Digitalkonzernen.
So gewann das Kartellamt vor dem Bundesgerichtshof ein Verfahren gegen Facebook. Das Amt hatte die Befugnisse des US-Konzerns bei der Datensammlung und -zusammenführung eingeschränkt. So dürfe Facebook die Daten seiner Nutzer:innen nur mit Daten aus anderen Quellen kombinieren, wenn diese ausdrücklich und freiwillig eingewilligt hätten. Es muss aber auch ohne diese Einwilligung möglich sein, die Dienste zu nutzen.
Laut Präsident Mundt hat Facebook eine marktbeherrschende Stellung in der Digitalwirtschaft und darf deshalb keine unangemessenen Vertragsbedingungen an seine Kund:innen stellen, vor allem, wenn Konkurrenten keine Chance hätten, einen vergleichbaren Datenschatz aufzubauen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte einer Beschwerde des US-Konzerns zunächst recht gegeben und die Anordnungen des Bundeskartellamtes außer Kraft gesetzt.
Amazon ändert AGBAuch die Befugnisse von Amazon schränkte das Kartellamt 2019 ein. Der Konzern wurde verpflichtet, seine Geschäftsbedingungen für externe Händler bei seinem Marketplace zu ändern. Weltweit haftet nun auch Amazon selbst für Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit oder die Verletzung von Vertragspflichten.
Den Händlern garantieren die neuen Bedingungen eine ordentliche Kündigungsfrist von 30 Tagen und eine Begründung bei einer außerordentlichen Kündigung. Für rechtliche Auseinandersetzungen sind nicht mehr nur luxemburgische Gerichte zuständig, sondern auch inländische Gerichte. Amazon entscheidet nicht mehr allein über Retouren und Erstattungen.
Verbraucherschutz bei Vergleichsportalen und Smart-TVsDer Bereich Produktrezensionen und Verkäuferbewertungen blieb bei der Bewertung des Amazon Marketplace bislang noch ausgeklammert, da das Kartellamt „Nutzerbewertungen“ in einer gesonderten Sektoruntersuchung zum Verbraucherschutz betrachtet.
Hierbei befassten sich die Wettbewerbshüter:innen mit Bewertungen, die mutmaßlich gefälscht oder manipuliert seien. Plattformen untersuchten die Qualität der Nutzerbewertungen sehr unterschiedlich, so Präsident Andreas Mundt. Manche sortierten sehr stringent und organisiert, ob eine Bewertung echt sei, andere prüften nur manuell auf Werbung oder Schimpfwörter. In einer Pressemitteilung zum Zwischenbericht fasst das Kartellamt die Mechanismen der Bewertungssysteme zusammen. Diese Sektoruntersuchung ist noch nicht abgeschlossen; dem Jahresbericht zufolge erscheint sie im Herbst 2020.
Zu einem Abschluss brachte das Amt im vergangenen Jahr die Sektoruntersuchungen zu Vergleichsportalen und Smart-TVs. Bei Vergleichsportalen empfiehlt das Kartellamt Verbraucher:innen [PDF], sich nicht unter Druck setzen zu lassen, wenn ein Angebot angeblich knapp sei. Solche Hinweise seien oft widersprüchlich formuliert. Außerdem sollen sie das Ranking kritisch betrachten, da Anbieter dafür bezahlen könnten, ihre Angebote weiter oben zu platzieren. Nicht alle Anbieter würden automatisch in Preisvergleiche mit einbezogen werden.
Smart-TVs, also Fernsehgeräte mit Internetverbindung, könnten auf vielfältige Weise personenbezogene Daten erheben und weiterleiten [PDF], warnen die Wettbewerbshüter:innen. Die Datenschutzbestimmungen der Hersteller seien häufig intransparent und nicht mit der Datenschutzgrundverordnung in Einklang zu bringen.
Digitale GrundsatzarbeitAktuell laufe noch eine Sektoruntersuchung zu Online-Werbung. Hierzu konnte Andreas Mundt aber auf der Pressekonferenz noch keine näheren Informationen geben, da das Verfahren noch laufe. Man habe Fragebögen an Werbetreibende und Digitalunternehmen versandt. Eine Regulierung sei hier besonders schwierig, da sich die Geschäftsmodelle der Unternehmen in der Daten- und Werbewirtschaft oftmals stark voneinander unterscheiden würden, so Mundt.
Große Hoffnungen setzt er in die geplante 10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Das Gesetz liegt derzeit als Referentenentwurf vor [PDF] und soll die Wettbewerbsbehörden stärken und die Aufsicht moderner machen, sodass das Kartellamt besser auf die Anforderungen aus der Digitalwirtschaft reagieren können. Mundt und seine Kolleg:innen bekämen so neue Befugnisse für Sanktionen gegen Unternehmen.
Das Bundeskartellamt war bei der Ausarbeitung des Gesetzes mit eingebunden. Auch Teil dieser „Digitalen Grundsatzarbeit“, die das Kartellamt betreibt, war eine Studie über den Einfluss von Algorithmen auf den Wettbewerb [PDF], die das Amt gemeinsam mit der französischen Wettbewerbsbehörde vorgestellt hatte. Insbesondere Rankings und Preissetzungen seien von Algorithmen beeinflusst, was sich auch immer mehr auf den Wettbewerb auswirke.
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Terrorismus im Netz: Eine Datenbank soll’s richten
Fast 500 Mal wurde vergangene Woche eine Veranstaltung einer rechten US-Miliz auf Facebook gemeldet. Aus gutem Grund: Die Gruppe „Kenosha Guard“ hatte nach einem erneuten Polizeiübergriff auf einen Schwarzen im US-Bundesstaat Wisconsin dazu aufgerufen, protestierenden „Black Lives Matter“-Aktivist:innen bewaffnet entgegenzutreten.
Facebooks Moderationsteam sah keinen Verstoß gegen die Gemeinschaftsregeln und reagierte erst, als es zu spät war. Ein 17-jähriger Möchtegernpolizist erschoss zwei Demonstranten und verletzte einen weiteren. Ein bedauerlicher Fehler, sagt Facebook.
Nur wenige Tage später stirbt wieder jemand, diesmal im linksliberalen Portland, Oregon. Dort hatten rechte Gruppen aus der Umgebung zu einer „Trump 2020 Cruise Rally“ aufgerufen und die Veranstaltung ungestört auf Facebook beworben. Unter noch ungeklärten Umständen wurde einer der Teilnehmer erschossen, vermutlich ein Mitglied der rechten „Patriot Prayers“-Miliz.
Nazis raus – oder lieber nicht?In dieser Manier wird es wohl weitergehen – zu tief ist dieses Gedankengut in unsere Gesellschaften eingeschrieben. Die Vorfälle zeigen, wie überfordert die sozialen Netze sind. Facebook etwa will einerseits „Hassreden, glaubwürdige Drohungen oder direkte Angriffe auf Einzelpersonen oder Personengruppen“ nicht auf der Plattform erlauben. Tatsächlich entfernt das Unternehmen inzwischen regelmäßig hetzerische Inhalte, erst kürzlich löschte es hunderte Gewalt verherrlichende Gruppen.
Andererseits stößt diese Absicht schnell an ihre Grenzen, da von solchen Maßnahmen zuvorderst US-Konservative betroffen wären. Das ergab vor Jahren eine interne, unter den Teppich gekehrte Studie. Fingerspitzengefühl ist gefragt, will man es sich nicht mit mächtigen Republikanern verscherzen, ohne Blut an den Händen kleben zu haben.
Twitter wiederum brüstete sich lange Zeit damit, als letzte Bastion der Meinungsfreiheit zu gelten und möglichst wenig zu moderieren. Mittlerweile konnte sich das Unternehmen aber immerhin dazu durchringen, Tweets des US-Präsidenten vereinzelt als „gefährlich“ zu markieren.
Abseits der großen Plattformen sieht es nicht notwendigerweise besser aus. Mal moderieren diese gar nicht und sind gar stolz darauf, Nazis und anderen Extremisten eine Bühne zu geben. Mal moderieren sie zu viel, meist mit Hilfe automatisierter Methoden, löschen dabei unbeabsichtigt legitime Inhalte und verprellen so ihre Nutzer:innen. Ein Spiel, bei dem es keine wirklich guten Antworten zu geben scheint.
Vermeintliches Allheilmittel UploadfilterSchon seit Jahren stehen Online-Dienste und deren radikalisierendes Potenzial im Visier von Regierungen und Ermittlungsbehörden. Und zunehmend formalisiert sich der Druck, der radikalisierende Inhalte aus dem Netz fegen soll. Als Instrument der Wahl hat sich jedoch ein Ansatz kristallisiert, dem Fingerspitzengefühl grundsätzlich fremd ist: das automatisierte Entfernen von Inhalten mittels Uploadfiltern.
Bereits heute ist eine Datenbank in Betrieb, in der inzwischen über 300.000 digitale Fingerabdrücke von mutmaßlich terroristischem Material liegen. Ist ein sogenannter „Hash“ eines bestimmten Inhalts in der Datenbank erfasst, lassen sich Dateien mit dem selben – oder sehr ähnlichen – Fingerabdruck nicht mehr auf eine teilnehmende Plattform hochladen.
Diese Hash-Datenbank war 2017 an den Start gegangen, als Folge einer islamistisch motivierten Anschlagserie in Frankreich und Belgien. Auf Druck der USA und der EU hatten Facebook, Twitter, Youtube und Microsoft das „Global Internet Forum to Counter Terrorism“ (GIFCT) ins Leben gerufen.
Unter dem Mantel des Konsortiums betreiben die großen Plattformen die Datenbank und helfen kleineren Online-Diensten, sich daran anzuschließen. Insgesamt 13 Firmen nehmen inzwischen an dieser Filterung von Inhalten teil, darunter Reddit, Amazon oder Dropbox.
Zwar kamen diese Uploadfilter mittlerweile auch bei rechtsextremem Terrorismus zum Einsatz, etwa nach dem antisemitischen Anschlag in Halle. Doch der Fokus liegt, bis auf Weiteres, auf islamistischer Propaganda.
Über den Tellerrand schauen„Es war die weite Verbreitung von Online-Aktivitäten und Inhalten, die mit ISIS und al-Qaeda in Verbindung standen, die zu der anfänglichen Dringlichkeit bei der Entstehung und Arbeit des GIFCT beigetragen haben“, sagt der GIFCT-Chef Nick Rasmussen über einen Sprecher zu netzpolitik.org. „Aber Terrorismus und gewalttätiger Extremismus umfasst eindeutig auch andere Ideologien, unter anderem ‚White Supremacy‘, anti-muslimische Vorurteile und Antisemitismus“, sagt Rasmussen.
Der US-Amerikaner ist erst kürzlich zum ersten „Executive Director“ des Konsortiums bestellt worden. Er hat eine lange Karriere in der Terrorismusbekämpfung hinter sich, zuletzt leitete er das National Counterterrorism Center. Nach dem 11. September 2001 hieß Terrorismusbekämpfung allerdings in erster Linie, Krieg im Nahen und Mittleren Osten zu führen – und das Internet möglichst weitflächig zu überwachen.
Alleine das sollte schon misstrauisch stimmen. Doch das eilig in die Welt gesetzte GIFCT – so besteht erst seit diesem Jahr eine Führungsstruktur, die noch nicht vollständig ausgefüllt ist – muss auch so schon mit Kritik leben.
„Das Blockieren und andere Formen der Inhaltemoderation entwickeln sich rasch zum Mittel der Wahl für Politiker und Unternehmen, um gegen Terrorismus im Internet vorzugehen“, sagt Deborah Brown von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Das GIFCT sollte in „robustem Austausch“ mit zivilgesellschaftlichen Gruppen stehen, fordert die Aktivistin. „Das soll sicherstellen, dass Maßnahmen, die die Welt sicher machen sollen, nicht die Grundrechte von Menschen zertrampeln“.
Bislang wurden diese Stimmen nicht ausreichend gehört, scheint es. Seit Anfang des Jahres weisen zivilgesellschaftliche Gruppen, darunter Privacy International, die Electronic Frontier Foundation oder das Kriegsverbrechen dokumentierende Syrian Archive, auf die blinden Flecken des GIFCT-Ansatzes hin – allerdings ohne großen Erfolg.
Privatisierte Rechtsdurchsetzung ohne demokratische AufsichtEine zentralisierte und bis auf Weiteres völlig intransparent betriebene Datenbank mit mutmaßlich terroristischem Material könnte Regierungen dazu verleiten, auf einer globalen Ebene unerwünschte Inhalte verschwinden zu lassen, ohne sich einer demokratischen Debatte stellen zu müssen, heißt es etwa in einem Brief vom Februar.
„Das würde nicht nur signifikant die formalen Mechanismen untergraben, mit denen Regierungen und private Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden können“, schreiben die Menschenrechtler, „sondern auch unweigerlich dazu führen, dass geschützte Rede stärker zensiert wird, unabhängiger Journalismus und Forschung behindert wird und Beweise versteckt oder zerstört werden, die für die Verfolgung von Kriegsverbrechen notwendig sind“.
Aus der Luft gegriffen sind diese Beispiele nicht. So löschte etwa Youtube (teil-)automatisiert hunderttausende Videos, die Gräueltaten aus dem syrischen Bürgerkrieg zeigen. Menschenrechtsaktivist:innen wollten damit zur Aufklärung von Verbrechen beitragen, die größte Videoplattform der Welt hielt dies aber augenscheinlich für Terrorismus. Passiert ist der Fehler im Jahr 2017, noch unabhängig von der GIFCT-Datenbank.
Zwar können Online-Dienste, die am GIFCT teilnehmen, selbst entscheiden, wie sie mit in der Datenbank enthaltenen Inhalten umgehen. Trotzdem könnten einmal getroffene Entscheidungen dazu führen, dass unerwünschte Inhalte per Mausklick aus weiten Teilen des Internets verschwinden.
Damit entsteht etwas, das die Forscherin Evelyn Douek „Inhalte-Kartelle“ nennt: Ein Zusammenschluss privater Firmen mit einem Hauch von Regierungsbeteiligung, der selbstständig und ohne effektive demokratische Aufsicht darüber entscheidet, was in weiten Teilen des Internets gesagt werden darf und was verschwindet. Und ist eine solche Infrastruktur erst einmal aufgebaut, lässt sie sich für beliebige andere Dinge instrumentalisieren, warnt Douek.
Dies beginnt schon bei der Definition von „Terrorismus“ oder „Extremismus“. Für Herbert Reul etwa, den Innenminister von Nordrhein-Westfalen, fallen Umweltaktivist:innen darunter. Auch die britische Anti-Terror-Polizei warf Gruppen wie Greenpeace und Extinction Rebellion in einen Topf mit Neo-Nazis. Die Unschärfe der Begriffe erlaubt es, je nach politischer Großwetterlage, katalanische Separatist:innen oder polnische Menschenrechts-Aktivist:innen pauschal als gewalttätige Extremisten einzustufen.
Druck auf kleine PlattformenGleichzeitig ist das Problem von Terrorpropaganda im Netz durchaus real – und unabhängig von den gesellschaftlichen Implikationen könnten Plattformen in Grund und Boden geklagt werden, gehen sie nicht ausreichend gegen illegale Inhalte vor. Europa schickt sich zudem an, den Druck weiter zu erhöhen. Durch einen noch nicht endgültig abgesegneten Gesetzesentwurf will die EU-Kommission möglichst viele Plattformen dazu drängen, ebenfalls auf automatisierte Inhalteentfernung zu setzen.
„Das Problem ist besonders akut für kleine Plattformen und Start-ups, die sich womöglich in der Situation wiederfinden, andere Inhalte als die zu hosten, die sie beim Start ursprünglich im Blick hatten“, schreibt Douek. So könne es schnell passieren, dass eine Textschnipsel-Plattform von ISIS-Enthauptungsvideos überflutet wird oder sich eine Chat-Plattform für Gamer zum Treffpunkt für Nazis entwickelt.
Große Moderationsteams können sich aber vor allem kleine Online-Dienste nicht leisten, genauso wie sie technologisch hinterherhinken. Rund 100 Millionen US-Dollar hat etwa Youtube in sein Content-ID-System gesteckt, um Urheberrechtsverletzungen aufzuspüren. Wieviel das von Facebook entwickelte ThreatExchange gekostet hat – die technische Grundlage der Hash-Datenbank – ist nicht bekannt, dürfte aber das Budget kleiner Firmen um ein Vielfaches übersteigen.
Unabhängiges Beratungsgremium soll mithelfenDiese Warnungen sind zumindest bei Bjørn Ihler angekommen. Der norwegische Friedensaktivist sitzt dem neu eingerichteten, unabhängigen Beratungsgremium (Independent Advisory Committee, IAC) vor. Dieses soll das GIFCT dabei unterstützen, Prioritäten zu setzen und Expertise im Kampf gegen Terror zu liefern.
Derzeit befinde sich das GIFCT in einer „transformativen Phase“, sagt Ihler zu netzpolitik.org. Genau deshalb sei es wichtig, die Kritik zivilgesellschaftlicher Gruppen ernst zu nehmen. „Als IAC-Vorsitzender ist es in der Tat meine Absicht, einige dieser Stimmen ans Licht zu bringen, während wir die Organisation aufbauen“.
Trotzdem sorgen sich viele dieser Gruppen, als Feigenblatt zu dienen. Denn das IAC soll zwar mit zwölf Vertretern der Zivilgesellschaft bestückt werden, allerdings auch mit Abgesandten von Regierungen, unter anderem der USA, Frankreich und der EU-Kommission. Welche NGOs mitmachen werden, ist offiziell noch nicht bekannt.
Abgewunken hat etwa Human Rights Watch. „Unsere Erfahrungen mit Multi-Stakeholder-Initiativen, die private Unternehmen, zivilgesellschaftliche Gruppen und Regierungen umfassen, sind gemischt“, schreiben die Menschenrechtler. „Aber wenn Unternehmen undurchsichtig und gegenüber Regierungsvertretern unterwürfig handeln, dann können Regierungen einen außerordentlichen Einfluss auf den Ausgang solcher Initiativen nehmen“. Genau dies sei beim GIFCT passiert, mahnen die Unterzeichner des Briefs.
„Extreme Maßnahme“ UploadfilterAuch die Digital-NGO Access Now ist nicht zufrieden. Eine formale Antwort auf die offenen Briefe und die darin enthaltene Kritik habe man bislang nicht erhalten, sagt Javier Pallero, der Policy-Chef der NGO. Allerdings würden Gespräche laufen, etwa im Rahmen von Arbeitsgruppen oder einem kürzlich veranstalteten Multi-Stakeholder-Forum.
Den Einsatz von Uploadfiltern hält Pallero jedenfalls für eine „extreme Maßnahme“. Sie würden schnelle Takedowns versprechen, gleichzeitig aber oft legitime Inhalte aus dem Netz fegen. „Wir glauben, dass Uploadfilter eine Rolle in sehr spezifischen und außerordentlichen Fällen spielen können – gesetzt den Fall, dass diese Systeme transparent sind und regelmäßig durchleuchtet werden“, sagt Pallero.
Idealerweise sollte aber Präventionsarbeit im Fokus stehen, fordert Pallero. Und man müsse auch endlich die Funktionsweise der Plattformen genauer unter die Lupe nehmen, welche die Verbreitung solcher Inhalte anreizen, sagt Pallero: „Design-Entscheidungen, die Nutzer:innen zu immer extremistischeren Inhalten führen.“
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Öffentlich finanzierte Alternative: Gesundheitsministerium startet eigenes Informationsportal
Das Bundesgesundheitsministerium will die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung fördern. Nicht alle Patient:innen könnten medizinische Informationen ausreichend gut „finden, verstehen, bewerten und in der Praxis umsetzen“. Gerade online geistere viel Desinformation zu Gesundheitsthemen herum – nicht erst seit der Corona-Pandemie. Um Interessierten die Informationssuche zu erleichtern, gibt es seit heute das „Nationale Gesundheitsportal“, das Infos zu Gesundheit und Medizin leicht verständlich zur Verfügung stellen soll.
Im Augenblick gibt es auf der Webseite Informationen zu den 200 häufigsten Erkrankungen, zum Thema „Gesund leben“, zur Pflege und zur digitalen Medizin. Im Service-Teil ist außerdem die „Weiße Liste“ der Bertelsmann Stiftung implementiert, die bei der Arzt- und Krankenhaussuche helfen soll.
Die Artikel zu den einzelnen Krankheiten sollen einen Überblick über Vorsorge, Diagnose, Behandlung und Nachsorge geben. Ein Kernteam aus sechs Redakteur:innen „mit medizinischem und gesundheitswissenschaftlichem Hintergrund“ und Erfahrung in der Aufbereitung von Informationen erstelle die Artikel, teilt das Ministerium auf Anfrage mit.
Abgrenzung zu bestehenden Angeboten unklarDie Inhalte seien teilweise in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Institutionen wie dem Deutschen Krebsforschungszentrum oder dem Robert-Koch-Institut entstanden, die mit ihren Expert:innen einen Teil der Qualitätssicherung übernehmen würden, so ein Sprecher. An vielen Stellen in den Artikeln verlinkt das Ministerium auf die Informationsangebote dieser Institutionen, anstatt selbst tiefer gehende Informationen zur Verfügung zu stellen.
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, fordert eine Abgrenzung des Nationalen Gesundheitsportals von bereits bestehenden Angeboten. In einer Pressemitteilung befürwortet er den Start der Webseite ausdrücklich. Da diese aber noch unbekannt sei, und „starke und etablierte Konkurrenz“ habe, müsse der Mehrwert deutlicher werden, kritisiert der Verbraucherschützer. Er fordert beispielsweise noch „umfangreichere Möglichkeiten zur Arztsuche oder zum Vergleich von Krankenkassen“.
Gleichzeitig wirft Müller die Frage auf, warum die Initiative erst jetzt an den Start gehe: „Derartige Portale sind im Ausland oft längst Standard und etabliert.“
Wer googelt, findet das Portal (noch) nichtDie Frage nach der Abgrenzung von konkurrierenden Informationsangeboten aus Wissenschaft und Wirtschaft stellt sich auch bei der Sichtbarkeit der Webseite in Suchmaschinen: Wer mit einem neuen Befund oder einer neuen Diagnose von einem Arzttermin kommt und online nach Informationen sucht, soll nach dem Willen von Gesundheitsminister Jens Spahn zuerst auf das Nationale Gesundheitsportal stoßen, um gesicherte Informationen zu erhalten.
Offen ist, wie das Ministerium erreichen will, dass Suchmaschinen wie Google das neue Informationsportal so weit oben anzeigen, dass Menschen auf der Suche nach Informationen tatsächlich zuerst beim Nationalen Gesundheitsportal landen. Wer aktuell eine Krankheit als Suchbegriff bei Google eingibt, landet weiterhin zunächst bei privaten Informationsangeboten, Medien-Berichten oder Info-Seiten von Forschungseinrichtungen und Universitäten. Um die Homepage besser zu positionieren, wäre es nötig, das Portal bekannter zu machen, damit zum Beispiel viele externe Webseiten auf die Webseite verlinken. Das wirkt sich im Google-Ranking positiv aus.
Budget und personelle Ausstattung geringOb eine derart intensive Öffentlichkeitsarbeit beim derzeit im Haushaltsplan der Bundesregierung vorgesehenen Budget von 4,5 Millionen Euro [PDF, S.2342] im Jahr 2020 realistisch ist und ob das Portal gegen die Konkurrenz aus der Privatwirtschaft und der Wissenschaft bestehen kann, ist aber fraglich. Aus dem Gesundheitsministerium gibt es keine konkreten Angaben zur Öffentlichkeitsarbeit und wie man das Portal bekannter machen möchte.
Auch mit Blick auf rasante medizinische Fortschritte, die sich – bei optimaler Kommunikation an die behandelnden Ärzt:innen und an die Patient:innen – direkt auf die Diagnose oder die Behandlung auswirken könnten, erscheint das Budget und die personelle Ausstattung gering. Unter „Qualitätssicherung“ ist zu lesen, dass die Redaktion die Informationen spätestens alle drei Jahre auf ihre Aktualität prüft. Die Frage, ob dieser Turnus aus Sicht des Ministeriums mit der Forschung Schritt halten kann, beantwortet der Sprecher des Gesundheitsministeriums auf Anfrage nicht.
Keine Abbildung von wissenschaftlichen KontroversenKeine Angaben liefert der Sprecher außerdem auf die Frage, wie die Redaktion mit wissenschaftlichen Kontroversen umgehen wird. Gerade der Nutzen von Vorsorgeuntersuchungen wie beispielsweise dem Mammografie-Screening zur Früherkennung von Brustkrebs sind in der Wissenschaft umstritten. Trotzdem empfiehlt das Nationale Gesundheitsportal im Artikel zu Brustkrebs diese Röntgen-Untersuchung. Die Zweifel an der Methode sind überhaupt nicht abgebildet.
Auch Gefahren durch sogenannte alternative Medizin kommen so gut wie nicht vor, dabei zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung [PDF], dass gerade online schlechte oder falsche Informationen über angebliche alternative Behandlungsmöglichkeiten geteilt werden. Eine Suchanfrage auf der Webseite zum Stichwort „Homöopathie“ ergibt lediglich zwei Treffer, die beide keine Auskunft darüber geben, dass sich die evidenzbasiert arbeitenden Wissenschaftler:innen einig sind, dass Homöopathie nicht über den Placeboeffekt hinaus wirkt.
Politische Unabhängigkeit fraglichDie Redaktion sei kein Bestandteil des Gesundheitsministeriums und verfolge keine politischen Interessen, heißt es auf der Webseite. Dennoch wird die Kontroverse um Homöopathie bislang nicht abgebildet, was die Unabhängigkeit der Redaktion mindestens fraglich erscheinen lässt, da Minister Spahn die Finanzierung von homöopathischen Behandlungen durch einige Krankenkassen unterstützt.
Außerdem gibt das Portal jetzt schon Informationen zu der für 2021 geplanten elektronischen Patientenakte, ohne im Datenschutz-Abschnitt zumindest zu erwähnen, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber den jetzigen Gesetzesentwurf für rechtswidrig hält.
Von einem Gesundheitsportal, das den Anspruch hat, neutral und unabhängig zu sein, könnte man jedoch erwarten, dass auch Kritik am eigenen Minister wiedergegeben wird – gerade mit Blick auf den Schutz sensibler personenbezogener Gesundheitsdaten.
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Was vom Tage übrig blieb: Telegram-Todesfall, Terroristen-Anschlag und teurer Instagram-Spaß
Falschmeldung über Todesfall (tagesschau.de)
Über den Messenger-Dienst Telegram verbreitete sich im Anschluss an die Corona-Proteste in Berlin die Falschinformation, eine Frau sei bei einem Polizeieinsatz zu Tode gekommen. Laut Informationen von tagessschau.de empfingen über 15.000 Nutzer:innen die Nachricht mit der Falschmeldung, die sich daraufhin auch in den sozialen Netzwerken verbreitet habe. Die Polizei erklärte in einer Stellungnahme, die Frau sei bei ihrer Festnahme nur leicht verletzt worden, nachdem sie selbst zwei Polizisten angegriffen haben soll.
Schüler muss Polizeikosten tragen (Verwaltungsgericht Hannover)
Das Verwaltungsgericht Hannover hat entschieden: Wer auf Instagram scherzhafte Drohungen ausspricht, muss anschließend auch für die Kosten aufkommen, wenn das Ziel der Drohungen den Streich nicht erkennt und die Polizei einschaltet. Im konkreten Fall bedrohte ein 15-jähriger Schüler seine Schule – laut eigener Aussagen erkennbar scherzhaft. Sein Spaß war ein teurer: Er muss nun die 864 Euro für die Polizeikosten bezahlen.
Raif Badawi’s wife says he was the subject of an assassination attempt (The Canadian Press)
Seit acht Jahren sitzt der saudi-arabische Blogger Raif Badawi bereits im Gefängnis. Als wäre die harsche Strafe, die unter anderem auch Peitschenhiebe beinhaltet, nicht genug, muss der preisgekrönte Regierungskritiker nun offenbar auch um sein Leben bangen. Auf Badawi sei ein Mordanschlag verübt worden, berichtet seine Frau. Er befinde sich im Hungerstreik, weil er sich im Gefängnis nicht sicher fühle. Das ist nachvollziehbar: Badawi, der wegen „Beleidigung des Islam“ verurteilt wurde, muss sich seine Zelle mit islamistischen Terroristen teilen.
Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es jetzt die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb“, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.
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Neue Studie: So überwacht Amazon seine Beschäftigten in den USA
Amazon ist schon länger bekannt für die harschen Arbeitsbedingungen. Wie umfassend der Handelskonzern seine Beschäftigten in den USA überwacht, schildert ein neuer Bericht des Open Markets Institute. Der Bericht zeichnet das Bild einer praktisch allumfassenden Überwachung, die bei den betroffenen Arbeiter:innen zu Stress und Verletzungen am Arbeitsplatz führt.
Hier eine Liste der schlimmsten Praktiken aus dem Bericht:
- Keine persönlichen Gegenstände: Schon beim Betreten des Gebäudes müssen Amazon-Lagerarbeiter:innen alle ihre Sachen inklusive Handy abgeben. Behalten dürfen sie nur eine Wasserflasche und Geld in einem klaren Plastikbeutel.
- Überall Kameras: Amazon überwacht Beschäftigte in der Lagerhalle mit einem Netzwerk an Kameras, die jeden Schritt der Leute aufzeichnen. In der Covid-19-Pandemie nutzt der Konzern die Kameras dazu, um Abstandsregeln durchzusetzen. Sie sind aber auch eine Ausrede dafür, um jede Form der Absprache und Organisation der Beschäftigten (etwa in Gewerkschaften) zu verhindern, heißt es in dem Bericht. Dystopisches Detail am Rande: Große Bildschirme in den Lagerhallen zeigen Aufnahmen von Beschäftigten, die beim Klauen erwischt worden sind. Damit sollen andere von ähnlichen Taten abgeschreckt werden.
- Ständige Leistungsmessung: Scanner zählen, wie viele Sekunden eine Beschäftigte für eine Aufgabe braucht, etwa das Befüllen eines Regals. Wenn sie nicht schnell genug ist, zählt Amazon das als „time off task“ (TOT) – also als verschwendete Arbeitszeit. Wer zu viel davon anhäuft, erhält Warnungen und wird gekündigt. Beschäftigte beschreiben den psychologischen Effekt dieser Maßnahme als schwelende Dauerpanik bei der Arbeit. Ein Armband soll außerdem sicherstellen, dass bei Beschäftigten jeder einzelne Handgriff in die richtige Richtung geht. Wenn nicht, vibriert das Kontrollbändchen.
- Routenzwang für Lieferautos: Eine eigene Navigationssoftware namens Rabbit sucht aus, welche Wege die Fahrer:innen von Amazon und freie Dienstnehmer:innen beim Ausliefern von Ware nehmen müssen. Dieser Weg ist für die Lieferant:innen verpflichtend, für eine Mittagspause sind dabei exakt 30 Minuten eingerechnet. Im Tagesverlauf gibt es nur zwei weitere Pausen für Fahrer:innen von je 15 Minuten, zwischendurch Pinkeln ist nicht vorgesehen. Amazon verlangt, dass 999 von 1.000 Päckchen zeitgerecht ausgeliefert werden, andernfalls droht eine Kündigung.
- Bloß keine Gewerkschaften: Amazon analysiert mit eigener Software beständig eine Vielzahl von Kriterien, um herauszufinden welche Läden seiner Lebensmittelkette Whole Foods dem „Risiko“ gewerkschaftlicher Organisierung ausgesetzt sind. Als besonders hohe Risikofaktoren gelten die Zahl der Beschäftigen aus Haushalten unterhalb der Armutsgrenze, ihre ethnische Diversität und die Stimmung im Team. Durch seine Kameras kontrolliert der Konzern andauernd, ob sich in den Läden und Lagerhallen Beschäftigte zu Absprachen zusammentun.
Amazon bestreitet die Darstellung des Berichts kategorisch. „Diese Behauptungen treffen nicht zu“, schrieb ein Sprecher an netzpolitik.org. „Die Leistung der Mitarbeiter wird über einen langen Zeitraum betrachtet und bewertet. Wir wissen, dass viele Faktoren die Leistung von Menschen beeinflussen. Wo wir sehen, dass die Leistung über längere Zeit nicht erreicht wird, unterstützen wir mit Feedback und Coaching“.
„Schlechtester Arbeitgeber der Welt“Wegen seiner Arbeitsbedingungen ist Amazon schon länger in der Kritik von Beschäftigtenvertreter:innen. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) kürte Amazon-Chef Jeff Bezos zum „schlechtesten Arbeitgeber der Welt“. Das hinderte Bezos übrigens nicht daran, vor einigen Tagen zum ersten Menschen der Geschichte mit einem Vermögen von mehr als 200 Milliarden US-Dollar zu avancieren.
Amazon-Lagerhalle CC-BY 2.0 Scott LewisDie Lage der Amazon-Beschäftigten in EU-Staaten ist dank strengerem Arbeitsrecht und stärkerem Datenschutz weniger schlimm als in den USA. Doch aus Sicht der Gewerkschaften gibt das massive Wachstum von Amazon Grund zur Beunruhigung. „Wir sehen das in Deutschland, in Spanien, in Großbritannien, Italien, Polen und den USA – überall expandiert Amazon rapide, aber die Arbeitsbedingungen sind schockierend“, warnte IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow zuletzt im Gespräch mit netzpolitik.org.
Update vom 2. September: Die Stellungnahme von Amazon traf nach Erscheinen des Artikels ein und wurde nachträglich hinzugefügt.
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