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netz und politik

bits: Ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß

Netzpolitik - Tue, 03/11/2020 - 18:00

Hallo,

seit zwölf Wochen gibt es Proteste in Belarus, im Volksmund auch Weißrussland genannt. Die Massendemonstrationen entzündeten sich an den letzten Scheinwahlen, die der seit 26 Jahren amtierende Diktator Aljaksandr Lukaschenka offiziell mit knapp 80 Prozent der Stimmen gewonnen hat. In Medien habe ich häufig von Wahlfälschungen, unterdrückter Opposition und festgenommenen Journalist:innen gelesen, aber aufgrund von fehlendem Hintergrundwissen zur letzten Diktatur Europas konnte ich die Proteste nicht wirklich einschätzen.

Deshalb habe ich Katja Artsiomenka interviewt, die als Professorin an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln im Fachbereich Journalismus und Kommunikation arbeitet und sich privat für Demokratie in Belarus engagiert, wo sie herstammt.

In unserem rund 25 Minuten langen Gespräch erklärt sie mir die Hintergründe der Proteste und warum sie jetzt viel größer sind als bei früheren Wahlen. Das hat auch mit der größeren Verbreitung von Smartphones und Internet zu tun, auch wenn das Regime häufig das Netz ausschaltet, um Vernetzung zu behindern.

Artsiomenka erklärt mir auch die Symbolik der Proteste, die visuell von Frauen in weißer Kleidung und Blumen geprägt werden. Das habe damit zu tun, dass die Protestierenden einen friedlichen Aktivismus mit zivilem Ungehorsam praktizieren und das damit zeigen wollen.

Wir reden über die Nachhaltigkeit dieser Proteste, aber auch darüber, wie sich die Belarus-Community in Deutschland darüber vernetzt und welche Rolle Medien dabei spielen können, die Demokratiebewegung zu unterstützen und Licht darauf zu werfen.

https://netzpolitik.org/wp-upload/2020/11/bits_podcast_katja_artsiomenka_belarus_proteste.mp3
(Hier als MP3)

Von Katja Artsiomenka gibt es auch das ausgezeichnete Radio-Feature „Das Gefühl von Sicherheit – Über eine deutsche Sehnsucht„, wo sie aus ihrer weißrussischen Perspektive über Freiheit reflektiert hat und mich dafür interviewte.

(Wer jetzt von der Überschrift einen Ohrwurm hat und den los werden möchte, bitte schön.)

Neues auf netzpolitik.org

Leonard Kamps berichtet: Drei Nutzer:innen verhindern Trumps TikTok-Verbot, denn die Redefreiheit triumphiert gegenüber persönlichen Interessen des Präsidenten.

Die Video-App TikTok wird in den USA weiterhin funktionieren. Das Verbot der App durch US-Präsident Trump hat ein Gericht jetzt ausgesetzt. Der entscheidende Grund ist die Redefreiheit.

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Rechtsanwalt Oliver Rosbach erörtert: Grobe Verletzungen datenschutzrechtlicher Vorschriften in Hinblick auf Schulunterricht in Zeiten der Pandemie. Im Sinne der DSGVO müssen Verantwortliche zum Schutz der Schüler*innern bestimmt werden.

Die personenbezogenen Daten von Kindern genießen einen besonderen Schutz, der immer berücksichtigt werden muss. Bei einer durch die Schule erzwungenen Nutzung von Office 365 kommt es aber zu schwer oder gar nicht kontrollierbaren Datenabflüssen. Rechtsanwalt Oliver Rosbach hat am Beispiel einer bayerischen Schule die Datenschutzverstöße analysiert.

Kurze Pausenmusik:

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Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Tomas Rudl unterstützt.

Was sonst noch passierte:

Heute wird in den USA gewählt und heute Nacht dürfte es im Netz spannend werden, je nach Ausgang der Wahl. Es gibt seit langem die Befürchtung dass die großen Plattformen nicht ausreichend darauf vorbereitet sind. Jillian York ordnet bei der EFF das Versagen der Plattformen bei Wahlen in anderen Staaten ein und befürchtet nichts Gutes: Now and Always, Platforms Should Learn From Their Global User Base.

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Das Imageboard 4chan war mal in den Nuller-Jahren ein einflussreicher Bestandteil der Netzkultur, aus dem u.a. die Anonymous-Bewegung entstanden ist. Allerdings ist 4chan mit der Zeit immer weiter nach rechts gerückt, entwickelte sich zu einem Nährboden für die Alt-Right-Bewegung und zeigt noch mehr die düsteren Seiten des Netzes. Vice-Motherboard hat die Gründe dafür recherchiert: The Man Who Helped Turn 4chan Into the Internet’s Racist Engine.

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Das Altpapier des MDR bietet seit 20 Jahren einen medienjournalistischen Tagesüberblick mit viel Kontext. Es gehört für mich seit vielen Jahren zu meiner wochentäglichen Lektüre. Zum 20. Geburtstag wurde ich gebeten, eine Geburtstagsnachricht zu schreiben. Die findet sich hier: Welten, die leider (!) immer noch (!) parallel (!) leben.

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In Berlin laufen momentan „40 Disziplinarverfahren gegen mutmaßlich rechtsextreme Polizisten“. Bisher haben sich die Zahlen schon im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

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Der Twitter-Account @TagesschauVor20 zeigt, welche Themen vor 20 Jahren relevant waren. Dabei gibt es erschreckend viele Themen, bei denen man das Gefühl hat, dass sich nichts weiterentwickelt hat und wir immer noch in denselben Debatten feststecken. Der Account wird von dem Literaturwissenschaftler Hannes Fischer ehrenamtlich betrieben. Die Süddeutsche Zeitung hat ihn dazu interviewt: „Die Gegenwart bekommt mehr Tiefe“.

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Die Internet Movie Database wird 30 Jahre alt. Bei Golem gibt es einen Rückblick auf die Geschichte: Die größte Filmdatenbank der Welt.

Audio des Tages: Die Radikalisierung der US-Demokratie

Ein spannendes Radio-Feature zur politischen Situation in den USA gab es von Tom Schimmeck bei „WDR Dok 5 – Das Feature“: Wurzeln des Zorns – Die Radikalisierung der US-Demokratie. Interessant sind auch die historischen Wurzeln und Strategien.

Video des Tages: Familie Dutschke

Ingo Zamperoni ist Tagesthemen-Moderator und mit einer US-Amerikanerin verheiratet. Im Vorfeld der US-Wahl hat er mit Kamerateam und Frau eine Reise durch die USA unternommen und ihre Familie an unterschiedlichen Orten besucht. Dabei ist ein einfühlsames Portrait über die Zerrissenheit der Gesellschaft herausgekommen: Trump, meine amerikanische Familie und ich.

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Das Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 wurde bisher nicht klar als rechtsterroristisches Attentat in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Zu dem Ergebnis kommt die ARD-Dokumentation „Dutschke – Schüsse von Rechts“.

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John Oliver erklärt in der „Last Week Tonight“-Show die Verantwortung von Trump in der US-Coronakrise: Trump & the Coronavirus.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

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Categories: netz und politik

Anzeigenpreise im US-Präsidentschaftswahlkampf: Warum Trump für Werbung auf Facebook weniger bezahlen muss als Biden

Netzpolitik - Tue, 03/11/2020 - 17:31

Eine Analyse des US-Mediums The Markup hat Hinweise darauf ergeben, dass Donald Trumps Kampagne für Wahlkampfanzeigen auf Facebook teilweise deutlich niedrigere Preise für vergleichbare Zielgruppen bezahlte als Konkurrent Joe Biden. Schon im Präsidentschaftswahlkampf 2016 kosteten Trumps teils hetzerische Anzeigen im Schnitt weniger als Hillary Clintons Werbung auf Facebook.

Besonders starke Unterschiede fand die Analyse im Juli und August in den umkämpften Swing States, also in den US-Bundesstaaten, in denen beide Parteien Chancen auf eine Mehrheit haben. Dort kosteten die Anzeigen der Demokraten im Durchschnitt doppelt soviel wie die der Republikaner. So bezahlte die Trump-Kampagne im Schnitt 17 US-Dollar pro 1.000 ausgespielte Anzeigen, die Biden-Kampagne etwa 34 US-Dollar. Die Anzeigenpreise des demokratischen Kandidaten Biden und des republikanischen Kandidaten Trump hat The Markup mit der „Facebook Ad Library API“ und dem Analyse-Tool Ad Observatory der New York University berechnen können. Die Schnittstelle von Facebook für Werbedaten war als Transparenzmaßnahme im Nachgang der letzten US-Präsidentschaftswahl angekündigt worden.

Polarisierende Werbung performt

Dass die unterschiedlichen Preise auf die teils verhetzenden und irreführenden Inhalte der Trump-Kampagne zurückzuführen sind, legt ein Beispiel nahe, bei dem die Preise noch krasser auseinanderklaffen. Beide Kandidaten zielten im ähnlichen Zeitraum auf ältere Menschen im US-Bundesstaat Arizona. Biden warb mit „Expand Medicare to Age 60“ für öffentliche Krankenversicherungen. Trump polarisierte mit „The RADICAL Left has taken over Joe Biden and the Democratic Party. Don’t let them take over America“: die radikale Linke hätte Biden und die demokratische Partei übernommen, „lasst sie nicht Amerika übernehmen“. Pro 1.000 Ausspielungen der Anzeigen zahlte Biden im Schnitt 91 US-Dollar, Trump 14 US-Dollar in derselben Zielgruppe.

Screenshot von The Markup: „Trump hat weniger für seine Facebook-Werbung bezahlt, allerdings ist sein Preisvorteil kürzlich verschwunden.“ Alle Rechte vorbehalten The Markup

Die Unterschiede kommen durch Facebooks Auktionsmechanismus für Werbeanzeigen zustande. Politische Werbung konkurriert dort mit jeder anderen Werbung. Die Aufmerksamkeit seiner Nutzer:innen lässt sich Facebook unterschiedlich bezahlen. Wie genau die Preise berechnet werden, hält Facebook geheim. Digitale Wahlkampfwerbung ist in den USA nicht reguliert, anders als Wahlkampfwerbung in klassischen Medien. Im Fernsehen oder in Zeitungen ist eine Benachteiligung einer Partei durch höhere Anzeigenpreise verboten und muss beiden Parteien zum gleichen Preis zur Verfügung stehen.

Über die automatisierten Werbeauktionen wird von Expert:innen vermutet, dass besonders spitze und polarisierende Inhalte besser performen. Der gebotene Preis, der Inhalt der Anzeige sowie Verhaltensdaten von Nutzer:innen fließen in den Endpreis einer Anzeige ein. Facebook schätzt mit einer Vorhersage, wie wahrscheinlich individuelle Nutzer:innen mit einer Anzeige interagieren. Diese so berechnete „Relevanz“ von Anzeigen kann sogar Anzeigen mit höheren Bieterpreisen ausstechen. Facebook bevorzugt diese explizit, je höher die Relevanz, desto günstiger also anscheinend der Preis.

Trumps Werbung für Facebook „relevanter“?

Allerdings gibt Facebook an, die Relevanz von Werbeanzeigen mit minderer „Qualität“ herabzustufen. Indikatoren seien etwa „das Zurückhalten von Informationen, reißerische Sprache und Engagement-Baiting“, also exzessive Aufrufe zum Linken, Kommentieren und Teilen. Ab Mitte September wendete sich das Blatt, und die durchschnittlichen Preise für Trumps Werbanzeigen lagen über denen von Biden. Nach der Berechnung von The Markup berechnete Facebook aber über alle US-Staaten und Anzeigen hinweg dem Biden-Lager etwa 2,50 US-Dollar mehr pro 1.000 Ausspielungen. Dieser Unterschied addiert sich insgesamt auf acht Millionen US-Dollar Mehrkosten für Biden im Vergleich zu Trump.

Fraglich bleibt, ob Facebooks Performance-Parameter der einzige Grund für Trumps Vorteil waren oder ob dessen Kampagne Facebooks Werbemarkt auch mit anderen Mitteln besser bedient. Die wiederholten Vorwürfe aus dem republikanischen Lager, Facebook zensiere konservative Inhalte, könnten die Auslegung, was als „reißerisch“ ausgelegt wird, im Sinne der Republikaner verschieben.

Gegen extremistische Inhalte – abseits des Werbemarkts – hat Facebook im September und Anfang Oktober eine härtere Gangart eingelegt. Etwa wurden QAnon-Inhalte als terroristische Bedrohung gewertet und von Facebook verbannt. Ob es in der gleichen Zeit die Kriterien für die Bewertung der Qualität von Anzeigen gab und damit Trumps möglicher Relevanz-Bonus verschwand, ist unklar.

Erst vor wenigen Wochen konnte der britische Fernsehsender Channel 4 zeigen, wie Trumps Kampagne 2016 Werbung auf Facebook für eine Strategie der Demobilisierung nutzte. Mögliche Clinton-Wähler:innen wurden gezielt mit Negativinformationen über die demokratische Bewerberin bespielt, damit sie am Wahltag zuhause bleiben. Im Fokus dieser Demobilisierungsstrategie standen überproportional häufig Schwarze Wähler:innen. In der Woche vor der heutigen Wahl und auf unbestimmte Zeit danach erlaubt Facebook keine neue politische Werbung, um einen friedlichen Machtwechsel nicht zu gefährden.

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Office 365 in der Schule: Grobe Verletzungen datenschutzrechtlicher Vorschriften

Netzpolitik - Tue, 03/11/2020 - 12:54

Die Nutzung von Software an Schulen ist in Pandemiezeiten oft notwendig, aber bei Schülern, Eltern und Lehrern sowie den Bildungseinrichtungen selbst mit vielen Rechtsfragen verbunden. Dazu zählt der Datenschutz. Oliver Rosbach exerziert einen Teil der Probleme an einem konkreten Beispiel durch: Microsoft Office 365 im Schulbetrieb, sowohl auf dienstlichen als auch privaten Rechnern.

Oliver Rosbach, Mag. Art. Phil., Rechtsanwalt. Er studierte Geschichtswissenschaft und Soziologie an der Freien Universität Berlin sowie Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in Nürnberg über die Entstehung und Bedingungen der Zivilgesellschaft.

Es geht um Grundrechte

Datenschutz heißt nicht Schutz der Daten, sondern Schutz der Personen hinter den Daten und damit auch Schutz der demokratischen Gesellschaft. Denn Datenschutz dient der Umsetzung der Grundrechte, vor allem aus Artikel 8 (Schutz personenbezogener Daten) und Artikel 7 (Recht auf Privatsphäre) der Europäischen Grundrechtscharta und der informationellen Selbstbestimmung nach dem deutschen Grundgesetz.

Die Grundrechte garantieren die Freiheiten des Bürgers und die Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft. Der Datenschutz übernimmt dabei die Funktion, der Machtasymmetrie zu begegnen, die sich durch Nutzung von Daten zwischen Organisationen und einzelnen Personen ergibt.

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) ist Bestandteil einer umfassenden Konzeption der EU zur Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft. Dabei geht es einerseits um die Wahrung der Freiheiten und Grundrechte der Menschen sowie andererseits um die Wahrung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit angesichts des digitalen Wandels.

Rechtsanwalt Oliver Rosbach. Alle Rechte vorbehalten privat

Aus diesem Grund ist nach der DSGVO die Verarbeitung personenbezogener Daten untersagt, soweit es keinen speziellen Rechtfertigungsgrund hierfür gibt. Kinder genießen dabei besonderen Schutz, der bei Eingriffen in deren Rechte berücksichtigt werden muss.

Schulen und Behörden werden im Zuge des Digitalpakts Schule unter Aufwendung erheblicher Mittel mit dem Softwarepaket von Microsoft Office 365 ausgestattet. Während der Coronakrise wurden die Lehrer verstärkt angewiesen, ihren Tätigkeiten im Home Office unter Verwendung dieser Software nachzugehen und eine Kommunikation unter den mit Office 365 verbundenen Diensten (Teams, Kalender) aufrechtzuerhalten. Mangels Dienstrechner hatte die Verwendung der Software in der Regel auf privaten Rechnern zu erfolgen.

Die Nutzung von Office 365 ist wie die Nutzung von Windows 10 erheblichen datenschutzrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Die Tätigkeitsberichte der Landesämter für Datenschutz des Saarlandes, Bremen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern sowie die niederländische Datenschutzbehörde sehen die Verwendung von Microsoft-Produkten Windows 10 oder Office 365 als nicht oder nur bedingt datenschutzkonform an.

Je nach Verwaltungsorganisation sind die Schulen oder Schulträger bei Nutzung von Software für die Datenverarbeitung verantwortlich. Der Verantwortliche hat nach der DSGVO verschiedene Pflichten, unter anderem durch geeignete Informationen offenzulegen, welche Daten, aus welchem Grund, zu welchem Zweck und mit welchem Rechtsgrund verarbeitet werden. Dies geschieht durch

  • Vorlage eines Verzeichnisses der Verarbeitungstätigkeiten,
  • Offenlegung der Auftragsdatenverarbeitung,
  • Bezeichnung geeigneter technischer und organisatorischer Maßnahmen (TOM) – Vorlage einer Datenschutzfolgeabschätzung.
Untersuchungsgegenstand und -gang

Anlass und Gegenstand der Untersuchung war die Vorgabe an Lehrer einer bayerischen Mittelschule im Mai 2020, die Software MS Office 365 zu nutzen. Es sollte hierfür eine Cloud-basierte Nutzung eingerichtet werden, die dann im August/September 2020 realisiert wurde.

Zunächst war die Nutzung der Software auf dem Dienstrechner oder dem privaten Rechner zur Verwendung im Home Office vorgesehen. Es ergaben sich daraus vier mögliche Nutzungsarten: jeweils auf Dienstrechner und Privatrechner eine Cloud-basiert genutzte oder rechnerseitig installierte Version. Bei allen Unterschieden bleibt gleich, dass die Anwender*in ein Angebot der Schule nutzt. Die Schule schließt ein Vertragswerk mit Microsoft zur Nutzung eines Softwarepakets, welches sie den Lehrern zur Verfügung stellt. Später soll das Softwarepaket auch den Schülern zur Verfügung gestellt werden, weshalb für diese dann das Gleiche gelten wird. In einigen Städten steht dies bereits zur Verfügung.

Der vorliegende Fall gestaltet sich noch komplexer, weil zwischen Schule und der Microsoft Deutschland GmbH ein Intermediär eingeschaltet ist. Über die Aufgaben und Funktion dieser Firma liegen keine Informationen vor. Es fehlt der Auftragsverarbeitungsvertrag. Ausgehend von dieser Situation wäre im Regelfall der Verantwortliche für eine Datenverarbeitung bei der Anwendung von MS Office 365 die Schule beziehungsweise entsprechend der Verwaltungsorganisation der jeweilige Schulträger.

Microsoft stellt unterschiedliche Lizenzen zur Verfügung, die sowohl in Funktionsumfang als auch zu Steuerungsmöglichkeiten der administrativen Eingriffe verschiedene Möglichkeiten der Datenverarbeitung bieten. Die hier vereinbarte Lizenz ist nicht bekannt. Untersucht wurde die Nutzung der Software MS Office 365 auf Computern mit dem Betriebssystem Windows 10.

Untersuchungsziel war die Feststellung, ob ausreichende Informationen nach den Erfordernissen der DSGVO zur Verfügung gestellt werden, um die Rechtmäßigkeit der Grundrechtseingriffe zu beurteilen.

Installation von Office 365 auf privatem Dienstrechner

Zunächst wurde die Installation der Software MS Office 365 auf einem Computer mit Betriebssystem Windows 10 begleitet. Dort wurde bereits vor der Installation und als deren Voraussetzung die Zustimmung zu umfangreicher Datenverarbeitung durch Microsoft verlangt: Der Anwender wurde darauf hingewiesen, dass die Datenschutzeinstellungen und der Umfang des Softwareangebots durch den Anbieter, in diesem Fall die Schule, administriert werden. Darüber hinaus könnten durch den Anbieter weitere „Dienste“, also Softwareangebote von Microsoft, freigeschaltet werden. Diese durchgängig als „verbundene Dienste“ bezeichneten Softwareangebote wurden nicht näher bezeichnet. Es dürfte sich um Teams, Outlook, Kalender, Kontakte etc. handeln. Wenn diese Dienste in Anspruch genommen werden, hätte der Anwender den Datenschutzbestimmungen von Microsoft vor der Installation zuzustimmen.

In dieser Version kommt erschwerend hinzu, dass die Nutzung des Softwarepakets nicht von der Nutzung von Windows 10 getrennt werden kann. Da Windows 10 selbst umfangreiche Telemetriedaten ermittelt, entsteht je nach Lizenz von Office 365, Einstellung der Administratoren und eigenen Datenschutzeinstellungen ein komplexes Geflecht von Verantwortlichkeiten, die sich zwischen dem Anbieter (Schule) und Microsoft verteilen.

Das Erfordernis der Zustimmung zu den Datenschutzerklärungen von Microsoft führte auf die Datenschutzoptionen von Microsoft. Dort findet sich beispielhaft der Link „Online Steuerelemente für Werbung“. Folgt man diesem, so ist dort die Erhebung von Daten zum Zweck der Erstellung personalisierter Werbung voreingestellt.

Bereits die Möglichkeit einer Verarbeitung personenbezogener Daten durch Microsoft zum Zweck einer Personalisierung von Werbung stellt nach hiesiger Ansicht im Verhältnis Lehrer und Schule eine grobe Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften dar.

Die Voreinstellung der Erhebung personenbezogener Daten zum Zweck einer Personalisierung von Werbung stellt einen weiteren Verstoß datenschutzrechtlicher Vorschriften dar. Zudem hat sich herausgestellt, dass die Deaktivierung der Option nicht gesichert wurde.

Die im nächsten Schritt untersuchte Datenschutzerklärung von MS Office 365 umfasst als PDF-Version 459 Seiten und erhält die Darstellung von schätzungsweise acht- bis zehntausend Diagnosedaten, die bei der Nutzung des Softwarepakets erhoben werden können. Stehen alle diese Nutzungsdaten zur Verfügung, lässt sich ein vollständiges Verhaltensprofil im Zusammenhang der Nutzung erstellen. Es fehlt eine Erklärung, wie und ob diese Datenerhebung durch den Anbieter eingeschränkt wird.

An dieser Stelle wurde die Installation des Produkts beendet. Es herrschte vollkommene Unklarheit darüber, für welche Softwarebestandteile die Schule und für welche Bestandteile Microsoft selbst als Verantwortlicher im Sinne der DSGVO fungiert. Darüber hinaus waren keine Datenschutzerklärungen des Anbieters (Schule) einsichtig. Die Datenschutzoptionen von Microsoft verletzen Grundsätze des Datenschutzrechts.

Da es sich bei den hier von dem Anwender bearbeiteten Daten neben dem Lehrmaterial maßgeblich um Schülerdaten handelt, lässt sich ein verantwortlicher und datenschutzkonformer Umgang mit den Daten auf diese Weise nicht garantieren.

Installation von Office 365, Schulversion

Etwa acht Wochen nach der Unterrichtung der Schule über die festgestellte Problematik erfolgte eine Kontrolluntersuchung auf einem anderen privaten Rechner einer anderen Lehrkraft. Diese hatte ebenfalls das Softwarepaket installiert. Es zeigte sich keinerlei Veränderung der festgestellten Problematik: unklare Verantwortlichkeiten, fehlende Informationen und Voreinstellung von Datenverarbeitung zum Zweck personalisierter Werbung.

Installation von Office 365, Studentenversion

Die Kontrolluntersuchung einer Installation von Microsoft Office 365 auf einem weiteren Rechner eines Lehramtskandidaten zeigte keine Abweichungen von dem vorgenannten Bild. Allerdings stellte sich heraus, dass es sich nicht um die von der Schule angebotene Version, sondern um ein ähnliches Angebot einer Universität handelte.

Auch hier fehlte es an einer entsprechenden aktiven Aufklärung über die Verantwortlichen und die Datenverarbeitung. Es bestand Unklarheit über die Verantwortlichen der Datenverarbeitung in unterschiedlichen Softwarebestandteilen. Es erwies sich, dass auch hier Einstellungen zur Datenverarbeitung zum Zweck personalisierter Werbung voreingestellt waren.

Online-Zugang zur Cloud-Anwendung

Weitere acht Wochen nach den Kontrolluntersuchungen erfolgte eine Nachschau des Online-Zugangs von Office 365 über die Cloud. Zunächst stellte es sich als schwierig heraus, zu den Datenschutzerklärungen zu gelangen.

Auf der Website, die offenbar von der federführenden Stadt als Vertragspartnerin von Microsoft für die Bereitstellung der notwendigen Informationen eingerichtet war, bestätigte sich das vorliegende Bild. Die Seite hält folgende Erklärung vor:

  1. Aufklärung und Zustimmung, Deaktivierung von Dynamics 365 Sales Insights,
  2. Datenschutzerklärung der Stadt,
  3. Nutzungsbedingungen der Stadt,
  4. Datenschutzerklärung von Microsoft.

Dynamics 365 beschreibt die Datenverarbeitung von „Kommunikations- und Zusammenarbeitsmustern innerhalb der Office 365-Organisation und deren Nutzern“. Da es sich dabei um ein eigenes, hochsensibles und komplexes Thema des Beschäftigten-Datenschutzes handelt, muss dies hier ausgeklammert werden.

Screenshot der Voreinstellung bei den Kommunikations- und Zusammenarbeitsmustern.

Die ausdrücklich aufgelistete Datenschutzerklärung der Stadt führte ins Leere. Die Nutzungsbedingungen führten zu einer Seite, die die Mitteilung vorhielt, dass die Nutzungsbedingungen nicht akzeptiert worden seien. Eine Option zur Zustimmung zu den Nutzungsbedingungen wurde jedoch nicht angeboten. Unabhängig davon, dass nun mit der Stadt eine weitere Organisation auf den Plan tritt, die als Verantwortliche infrage käme, fehlt es hier nach wie vor an den aufgrund der DSGVO vorgeschriebenen aktiven Informationspflichten.

Vorbehaltlich einer Kenntnis dieser Nutzungsbedingungen ist im Allgemeinen die Zustimmung zu Nutzungsbedingungen in datenschutzrechtlicher Hinsicht nicht geeignet, die Verarbeitung personenbezogener Daten zu rechtfertigen.

Der Link Datenschutzerklärung von Microsoft führt auf die bereits erwähnten Datenschutzoptionen und -erklärungen. Es handelt sich um die Version vom September 2020. Nach kursorischer Prüfung konnten größere Abweichungen nicht festgestellt werden. Die demnach beschriebenen Unklarheiten und Datenschutzverstöße bleiben bestehen.

Ergänzend wird hinsichtlich des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs in der Sache C-311/18 (Schrems II) festgestellt, dass die Microsoft Corporation das Privacy-Shield-Rahmenabkommen nach wie vor einhält, dieses jedoch aufgrund der Rechtsprechung des EuGH nicht als legale Basis für die Übertragung persönlicher Daten betrachtet. Es ist demnach gegen das Urteil des EuGH weiter von einer Datenübertragung in das außereuropäische Ausland auszugehen.

Vorläufige Feststellungen

Im Rahmen des Angebots lassen sich klare Verantwortliche im Sinne der DSGVO nicht feststellen. Eine Aufklärung erfolgt nicht. Es liegt eine provozierte Verantwortungsdiffusion vor.

Die Verantwortlichen stellen keine nach Artikel 12 ff. DSGVO notwendige Informationen über Art und Umfang der Erhebung personenbezogener Daten zur Verfügung.

Das nach Artikel 30 DSGVO erforderliche Verarbeitungsverzeichnis liegt nicht vor. Auch die nach Artikel 35 DSGVO erforderliche Datenschutz-Folgenabschätzung liegt nicht vor.

Unklare Verantwortlichkeit und mangelnde Kontrolle

Aufgrund unbekannter Softwarelizenzen, unklarer Zuweisungen von Softwarebestandteilen, ausufernder Nutzungsbedingungen und teils fehlender, teils überbordender unverständlicher Datenschutzerklärungen bestehen Zweifel darüber, wer für jeweilige Programmteile und Nutzungsarten verantwortlich im Sinne der DSGVO ist, welche Daten konkret erhoben und wo diese gespeichert werden. Sowohl der Anbieter als Kunde von Microsoft (Schule), als auch Microsoft selbst fungieren in unterschiedlichem Maß als Verantwortliche.

Es besteht damit eine Verantwortungsdiffusion, die für Anwender*innen (und offenbar auch für die anbietende Schule) nicht nachvollziehbar ist und die Kontrolle der Datenübertragung erheblich erschwert oder unmöglich erscheinen lässt. Die Verantwortungsdiffusion ist auf das rechtliche Konstrukt unterschiedlicher Lizenzen und der Trennung der verschiedenen Dienste durch Microsoft zurückzuführen.

Vermischung von dienstlichen und privaten Geräten, Daten, Nutzungen

Lehrer (und zukünftig Eltern von Schülern) werden aufgefordert, das Office-Paket auf eigenen Rechnern zu installieren oder Cloud-basiert zu nutzen. Durch die Nutzung von Office 365 und Windows 10 kommt es zu nicht einsehbaren und schwer oder nicht zu kontrollierenden Datenabflüssen. Diese umfassen im Fall der Nutzung eines privaten Rechners damit sowohl dienstliche als auch private Daten.

Verarbeitung von Daten der Betroffenen und Anwendern

Bei den personenbezogenen Daten handelt es sich nicht nur um die Daten der Schüler oder deren Eltern, sondern auch um Daten der Anwender*innen (Mitarbeiter*innen, Lehrer*innen).

Lehrer verarbeiten bei der Nutzung des Softwarepakets personenbezogene Daten der Schüler. Diese gelten im Sinne der DSGVO als besonders schützenswerte Daten.

Übertragung von Telemetriedaten und Tracking

Office 365 überträgt wie Windows 10 nach der Datenschutzerklärung von Microsoft voreingestellt Telemetriedaten und personenbezogenen Daten an Microsoft. Es soll für den Verantwortlichen die Möglichkeit bestehen, die Datenübertragung datenschutzkonform zu gestalten. Im vorliegenden Fall liegen keine Informationen hierzu vor.

Daneben erfolgt durch Microsoft eine Verarbeitung und Übertragung von personenbezogenen Daten zum Zweck der Personalisierung von Werbung und zum Zweck der Gestaltung der Software nach User Experience Design. Eine Dokumentation der technischen und organisatorischen Maßnahmen liegt nicht vor.

Privacy by Default und Kopplungsverbot

Nach Artikel 25 Abs. 2 DSGVO besteht das Gebot des Privacy by Default. Dieses wird unterlaufen, denn die Datenübertragung ist voreingestellt und muss jeweils deaktiviert werden.

Mit der Nutzung von Office 365 (und Windows 10) werden Daten an Microsoft übertragen, die zur Ausübung der Dienstverpflichtung (oder für Schüler im Rahmen der Schulpflicht) nicht erforderlich sind. Für eine weiter greifende Datenverarbeitung fordert Microsoft teils aktive, teils passive, also voreingestellte Zustimmung ein.

Nach der DSGVO kann eine Datenverarbeitung im Rahmen eines Vertrags oder aufgrund einer informierten und freiwilligen Zustimmung erfolgen. Die Erfüllung des Vertrags oder eines Dienstverhältnisses darf nicht an die Bedingung geknüpft werden, dass zusätzlich eine Zustimmung über eine darüber hinausgehende Datenverarbeitung erfolgt. Eine solche Kopplung ist daher untersagt. Da Lehrer*innen die Software im Rahmen eines Dienstverhältnisses und hier auf Weisung eines Dienstherren nutzen und Schüler*innen (beziehungsweise deren Eltern) die Software im Rahmen der Schulpflicht, ist eine Freiwilligkeit einer über die im Rahmen dieser Zwecke notwendigen Datenverarbeitung nicht vorstellbar.

Soweit von Anwender*innen im Rahmen der Dienstpflicht oder Schulpflicht, gleich ob es sich um Lehrer*innen oder Schüler*innen handelt, eine Zustimmung zur Datenverarbeitung gefordert wird, dürfte dies die Grundsätze der DSGVO verletzen.

Zusammenfassung

Im Ergebnis lassen sich neben den oben benannten Versäumnissen bei der Beachtung der DSGVO in der Konstruktion des Angebotes zentrale Problemfelder durch Verschleierung der Verantwortlichkeiten und der daraus folgenden Verantwortungsdiffusion feststellen.

Aufgrund der Verletzungen des Datenschutzrechts ist eine Nutzung von Office 365 unter den festgestellten Umständen weder für Lehrer*innen noch für Schüler*innen und Eltern anzuraten.

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Gerichtsentscheid: Drei Nutzer:innen verhindern Trumps TikTok-Verbot

Netzpolitik - Mon, 02/11/2020 - 18:56

Ein US-Gericht hat die Anordnung des US-Präsidenten Donald Trump gekippt, die ab dem 12. November die Video-App TikTok in den USA unbenutzbar gemacht hätte. Das Gericht bewilligte am Freitag einen Antrag, Trumps Anordnung aufzuheben, bis ein finales Urteil im Gerichtsverfahren gefällt ist. Drei Nutzer:innen der App mit jeweils Millionen von Follower:innen hatten geklagt. Bis ein rechtskräftiges Urteil feststeht, wird TikTok in den USA also weiterhin funktionieren.

Interessant ist der Grund, weshalb die Anordnung des Präsidenten jetzt gekippt wurde: Der US-Präsident hat sich mit Sonderrechten ausgestattet, die er im Falle eines Notstandes im Sinne des „International Emergency Economic Powers Act“ hat. Damit kann er Importe und Exporte von Produkten ausländischer Firmen regulieren, wenn sie die nationale Sicherheit bedrohen. Aber TikTok darf er nach Ansicht eines Bundesgerichts im US-Bundesstaat Pennsylvania mit diesem rechtlichen Instrument nicht regulieren.

Präsident darf kein Informationsmaterial verbieten

In dem Gesetz ist eine „direkte oder indirekte Regulierung oder Verbot“ von „Informationsmaterial“ explizit ausgeschlossen. Die Richterin stellte jetzt fest, dass der Video-Feed der „For You Page“ – also der Startseite der App – mit „Filmen, Kunstwerken, Fotografien oder Nachrichtentickern“ vergleichbar sei. Die Anordnung Trumps hätte das Funktionieren der App unmöglich gemacht, weil das Hosting und Bereitstellen von Inhalten der App damit verboten wäre, und damit praktisch die ganze App. Demnach überschreitet Trump seine Autorität, wenn er das Produkt der chinesischen Firma ByteDance in den USA verbieten will.

Die klagenden Nutzer:innen geben an, dass sie über die App Inhalte zu „Selbsthilfe, Finanzen, Psychologie und Politik“ konsumieren. Eine Klägerin habe sich für die Universität mit Lernvideos über Marktmanipulation vorbereitet. Außerdem verpassten die Kläger:innen Trump offenbar einen Seitenhieb: Sie geben an, sie hätten sich auch über die Positionen der Präsidentschaftskandidaten bezüglich des Klimawandels und Waffenkontrolle informiert.

Die Anwältin der TikTok-Creator stellt nun die Entscheidung des Gerichts als eine Entscheidung im Sinne der Redefreiheit dar. Zu The Verge sagte sie: „Wir freuen uns, dass die Richterin dieses Verbot gestoppt hat, das die Befugnisse des Präsidenten nach dem ‚International Emergency Economic Powers Act‘ überschreitet, insbesondere des Teils des Gesetzes, der das starke Einstehen unserer Nation für die Redefreiheit widerspiegelt.“

Redefreiheit stärkeres Argument als Einkommensverluste von TikToker:innen

Das Verbot von TikTok sollte mit zwei verschiedenen Anordnungen des Präsidenten umgesetzt werden. Die erste Anordnung sollte den Download der App aus den App Stores von Apple und Google verbieten. Die drei TikToker:innen sahen sich in ihren Rechten verletzt, über die App Einnahmen zu generieren. Der Antrag zitiert auch teilweise ihre Einnahmen: Einer der Dreien hat demnach etwa 12.000 US-Dollar mit Werbung für eine Kaugummimarke verdient und sich damit die Universitätsgebühren finanziert. Mit dem TikTok-Downloadverbot sei ihnen aber nicht die Möglichkeit genommen worden, Einnahmen zu generieren, entschied das Gericht noch Ende September. Es gebe bereits ein globales Millionenpublikum, das die bereits installierte App auch weiterhin hätte nutzen können.

Die zweite Anordnung des Präsidenten zielte auf das Hosten und Bereitstellen von Inhalten der App. Die Argumentation der Kläger:innen gegen diese Anordnung fand das Gericht jetzt überzeugender. Wird TikTok in den USA unbenutzbar, würden sie ihre Einnahmen verlieren, außerdem sei es dem Präsidenten nicht erlaubt, Informationsmaterial zu verbieten.

TikTok selbst geht in einem separaten Gerichtsverfahren gegen die Verbote der App vor. Die US-Administration hatte die Verbote mit dem Argument begründet, die App der chinesischen Firma bedrohe die nationale Sicherheit. Um dem Verbot zu entgehen, wurde ein Deal mit einer US-Firma angestrebt, der aber derzeit ruht. Die Apps TikTok und WeChat bleiben in den US-App-Stores weiterhin erhältlich.

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bits: Der Datenschutz der Corona-Warn-App ist nicht das Problem

Netzpolitik - Mon, 02/11/2020 - 18:00

Hallo,

der erste Tag mit den neuen Kontaktbeschränkungen ist da. Mich persönlich treffen sie jetzt nicht besonders, weil ich meine Kontakte seit Beginn der Pandemie schon auf das Notwendigste beschränkt habe. Aber ich sehe die Auswirkungen auf viele Menschen und befürchte, dass das noch ein halbes Jahr anhalten wird.

Was mich stört ist, dass es offensichtlich immer noch kein großes Konzept gibt, wie wir die Pandemie unter Kontrolle halten können und politische Entscheidungen immer nur für die kommenden zwei bis vier Wochen getroffen werden. Dabei beginnt der Winter gerade erst, auch wenn man heute noch im T-Shirt draußen unterwegs sein konnte. Aber leider ließ man all die Monate, die wir zur Vorbereitung hatten, ungenutzt verstreichen. Am Freitag ärgerte ich mich etwas über die Heute-Show im ZDF, die das ähnlich sah, aber massenwirksam den Datenschutz der Corona-Warn-App mitverantwortlich machte.

Mit dem Argument wurde ich die vergangenen Wochen häufig konfrontiert. Es lässt sich einfach vorbringen, wenn man alle technischen Gegebenheiten vergisst und mal polemisch was behaupten will. Ich hab das Gefühl, dass das meist nicht konsequent zu Ende gedacht ist: Denn die Alternative wäre ein Überwachungsstaat und die Erfahrungen mit diesen Maßnahmen ist immer, dass die dann im Anschluss nicht mehr zurückgenommen werden und auch eine Pandemie überleben.

Außerdem ist fraglich, ob ein solcher Weg zielführender wäre als die derzeit gewählte Lösung mit dem dezentralem und anonymen Weg der Kontaktverfolgung, der in immer mehr Fällen hilft. Und überhaupt: Jetzt alles neu entwickeln würde keine Probleme in den kommenden Winter-Monaten besser lösen als der aktuelle Ansatz.

Sinnvoller wäre es, die Infrastruktur der Warn-App endlich mal fertig zu stellen, alle Labore anzuschließen und unsere Gesundheitsämter besser zu digitalisieren. Das sollte nicht erst nach der Pandemie fertig sein. Auch die App könnte mehr Features bieten, die den Datenschutz trotzdem respektieren. Business Insider berichtet heute, dass die Bundesregierung weitere Funktionalitäten plant, die wir schon lange fordern: Corona-Warn-App bekommt Updates: Das ist der geheime Plan der Bundesregierung. Die Frage ist: Warum erst teilweise in einigen Monaten?

Bei mir gab die Corona-Warn-App bisher keine rote Warnung aus, aber in meinem Umfeld gibt es das gerade mit den stark wachsenden Infektionszahlen häufiger. Bei t3n schreibt Jan Vollmer über seine Odysee, in Berlin dann auch einen garantierten Test zu bekommen. Vielleicht hilft die Erfahrung anderen, den Weg abzukürzen und nicht den halben Tag in Telefon-Warteschleifen zu verbringen: Chaos: Was ich in Berlin erlebte, als meine Corona-Warn-App rot wurde.

Neues auf netzpolitik.org

Im Interview mit Constanze Kurz erklärt „Volksverpetzer“ Thomas Lashyk seinen Umgang mit Falschnachrichten und der neuen Rechten im Netz: „Diese ganze negative Energie in etwas Positives verwandeln“

Er hat die Telegram-Kanäle im Blick, die Corona-Fake-News verbreiten, und liest rechtsextreme Postings aus beruflichen Gründen: Beim „Volksverpetzer“ schreibt Thomas Laschyk mit Humor gegen Falschnachrichten und Halbwahrheiten an. Wir sprechen mit der „Chefpetze“ über Faktenchecks, griffige Titel und seine Motivation.

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Das Umweltministerium hat mit seiner umweltpolitischen Digitalagenda viel vor. Der Klima- und Umweltforscher Stephan Ramesohl erklärt im Interview mit Marie Bröckling, was es braucht, damit sie ein Erfolg wird: Warum niemand weiß, wie viele Rechenzentren es in Europa gibt.

Die Datenmengen im Internet wachsen und wachsen. Und damit der Stromverbrauch der Rechenzentren. Wie also bewegt man die Digital-Branche dazu, auf klimaneutrale Prozesse umzustellen? Erstmal soll durchgezählt werden bei den Betreibern, denn derzeit gibt es nur Schätzungen.

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Alexander Fanta und Ingo Dachwitz legen in ihrer Reihe „Medienmäzen Google“ nochmal nach. Heute berichten sie darüber, wieso der Tech-Konzern ein regimenahes Medium in Ruanda fördert:

Die Google News Initiative unterstützt Medien auf der ganzen Welt. Dass das Geld des Konzerns auch bei einer extrem regierungsfreundlichen Zeitung in Ruanda landet, stößt bei Menschenrechtsorganisationen auf Unverständnis.

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Ebenfalls in dieser Reihe erschien am Wochenende eine neue Folge unsere Podcasts. Ingo Dachwitz und Alexander Fanta fassen darin ihre Arbeit an der Studie „Medienmäzen Google“ zusammen: Wie Google zum größten Medienmäzen unserer Zeit wurde.

Money, Money, Money: Mehr als 200 Millionen Euro hat Google in den vergangenen Jahren an europäische Medienunternehmen verschenkt. Im Podcast erklären wir, warum und mit welchem Effekt der Datenkonzern zum Medienförderer wurde und wie unsere Studie entstanden ist.

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Es gibt Ärger um eine Website des EU-Parlaments zu Corona-Tests. Trotz Privacy-Shield-Urteil landen hier offenbar sensbile Daten in den USA, weshalb einige
Abgeordnete Beschwerde gegen das EU-Parlament eingelegt haben:

Von einer Coronatest-Webseite des EU-Parlaments landen sensible Daten auf US-Servern. Mehrere EU-Abgeordneten beschwerten sich darüber beim EU-Datenschutzbeauftragten. Der Fall könnte nun sogar vor dem EuGH landen.

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„Ihr müsst euch verbünden, sonst ändert sich nichts“, appellierte Peter Grottian einst an seine Studierenden. Markus Reuter erzählt vom Leben des nun verstorbenen Politikwissenschaftlers und Aktivisten:

Der unbequeme Berliner Professor prägte über Jahrzehnte die Politik an der Universität und auf der Straße. Er engagierte sich gegen Überwachung und wurde selbst überwacht. Jetzt ist Peter Grottian gestorben. Ein Nachruf.

Kurze Pausenmusik:

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Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Tomas Rudl unterstützt.

Was sonst noch passierte:

Der Spiegel hat den Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber zu den Plänen der Gro-Ko interviewt, unseren Geheimdiensten Staatstrojaner zu erlauben und es zu ermöglichen, dass diese Provider zur Kooperation zwingen dürfen, um Staatstrojaner auch mit gängigen Updates auf Zielrechner platzieren zu können. Das ist natürlich ein Bärendienst für die Schaffung von Vertrauen und IT-Sicherheit, das sieht Kelber genauso: „Überwachung übersteigt das für eine Demokratie erträgliche Maß“.

Die Nachrichtendienste sollten keine solchen zusätzlichen, massiven Eingriffsmöglichkeiten in die Privatsphäre erhalten. Polizei- und Strafverfolgungsbehörden können verschlüsselte Messenger-Kommunikation bereits mitschneiden. Das Ausmaß der staatlichen Überwachung übersteigt mittlerweile das für eine Demokratie erträgliche Maß.

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Bei Heise-Online porträtiert Monika Ermert drei Frauen, die mittlerweile in wichtigen Standardisierungsgremien eine Führungsrolle übernommen haben. Dazu zählen die neue RIPE-Chefin Mirjam Kühne, die neue Chefin des Internet Architecture Board (IAB), Mirja Kühlewind, sowie Alissa Cooper, Chefin der IETF. „So unterschiedlich die drei Frauen sind, ihr Beispiel könnte Schule machen“, schreibt Ermert: Weiblicher Hattrick für das Internet – Trend oder Signal?

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Das Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) warnt davor, dass bei immer mehr Demonstrationen in der Europäischen Union die Pressefreiheit gefährdet wird, weil Journalist:innen von Demonstrierenden angegriffen werden: Journalisten auf Demos besonders gefährdet.

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Auf einen der wenigen positiven Nebenaspekte der Corona-Pandemie weist Erich Moechel bei FM4 hin: COVID-19 bremst boomende Gesichtserkennungbranche.

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Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gibt der Staat eine direkte finanzielle Förderung für privatwirtschaftlich organisierten Journalismus aus. Allerdings landet das Geld bei den Medienunternehmen, die noch auf das alte Trägermedium Papier aka Zeitungen setzen. Der Medienwissenschaftler Christopher Buschow kritisiert die Förderung in der Taz als „Eine vertane Chance“: „Was man mit einem solchen Modell aber nicht schafft, ist, Qualität und Innovation zu fördern. Dabei wären das aus meiner Sicht die dringenderen Kriterien.“

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Die BBC hat neue Social-Media-Regeln für ihre Mitarbeiter:innen formuliert. Diese dürfen sich nicht mehr mit ihrer Privatmeinung zu politischen Fragestellungen und kontroversen Themen äußern. Ich bin jetzt nicht so davon überzeugt, dass das ein vernünftiger Weg ist, um Neutralität der BBC zu simulieren: BBC issues staff with new social media guidance.

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Ein Bündnis von zivilgesellschaftlichen Organisationen wendet sich mit einem Forderungskatalog an die Finanzminister:innen aus Bund und Ländern, um Forderungen zur Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts zu artikulieren: Unsere Demokratie braucht eine starke Zivilgesellschaft (PDF).

Zu den Forderungen gehören die Ergänzung fehlender gemeinnütziger Zwecke, eine Neuauslegung des bestehenden gemeinnützigen Zwecks „Politische Bildung”, mehr Rechtssicherheit für politische Betätigung zur Verfolgung des eigenen Zwecks, ein Engagement über die eigenen Satzungszwecke hinaus sowie die Streichung der Beweislastumkehr.

Außerdem schlägt man vor, die Förderung der nationalen und/oder internationalen Durchsetzung der Grund- und Menschenrechte, die Förderung der sozialen Gerechtigkeit, die Förderung des Klimaschutzes, Förderung des Friedens sowie die Förderung der Gleichstellung aller Geschlechter als neue Zwecke aufzunehmen.

Das kann ich alles so unterschreiben, ich würde dazu noch Journalismus als neuen Gemeinnützigkeitszweck aufnehmen, sowie die Freifunker, denen das schon im GroKo-Koalitionsvertrag versprochen wurden.

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The science of superspreading“ ist eine weitere nett anzusehende Scroll-Doku zum Thema Visualisierung von Superspreading, diesmal vom Science-Mag: Why preventing hot spots of transmission is key to stopping the COVID-19 pandemic.

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In einigen sogenannten Swing-States in den USA scheint die Trump-Kampagne gegenüber der Biden-Kampagne durch die Preisgestaltung von Facebook einen Vorteil bekommen zu haben. The MarkUp hat recherchiert, dass die Preise für die Biden-Kampagne doppelt so teuer wie für die Trump-Kampagne waren: Facebook Charged Biden a Higher Price Than Trump for Campaign Ads.

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Für die Taz am Wochenende hat Peter Unfried die Politik-Ökonomin Maja Göppel über Ideologie interviewt: „Wir wird wichtiger als Ego“.

Black Panthers ab 18

Beim ZDF gibt es mit „Ab 18! – Luisa“ eine Dokumentation über die „Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer.

Und in der Arte-Mediathek gibt es eine zweiteilige Dokumentation über die „Black Panthers„-Bewegung in den USA zu sehen, die ich spannend fand.

Keine Empfehlung ist der Spielfilm „Exit“ in der ARD-Mediathek, der als „Thriller zu Künstlicher Intelligenz“ verkauft wird. Dem würde ich aber höchstens 5/10 Punkten geben, aber auch nur wegen der paar netten Special Effects.

Netzpolitik-Jobs

Ich bekomme regelmäßig Job-Angebote im netzpolitischen Bereich zugeschickt und dachte mir, dass eine zusätzliche Rubrik ein guter Service sein könnte. Zweimal die Woche werde ich zukünftig auf aktuelle Job-Angebote hinweisen.

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Die Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg sucht eine/n Referent (m/w/d) Medienregulierung. Das ist eine spannende Stelle, weil diese zukünftig dafür zuständig ist, den kommenden Medienstaatsvertrag umzusetzen, wozu auch Plattformregulierung gehört.

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Das Wissenschaftszentrum Berlin sucht für den Schwerpunktbereich „Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel“ eine/n Wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in (m/w/d) (Postdoc).

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Die von Max Schrems gegründete Organisation Noyb sucht in Wien eine/n Full Stack Web Developer/in mit einem Fokus auf Legal-Tech.

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Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (Fraktion Die Linke) sucht eine:n wissenschaftliche:n Mitarbeiter:in für den Bereich Netzpolitik.

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Investigate Europe ist eine transnationale Medienplattform für investigativen Journalismus mit Sitz in Berlin. Aktuell wird ein/e Community Engagement Coordinator/in gesucht. Das ist wohl zwischen Social Media-, Community-Management und Audience Development angesiedelt.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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Categories: netz und politik

Datenschutz auf Coronatest-Seite: Abgeordnete legen Beschwerde gegen das EU-Parlament ein

Netzpolitik - Mon, 02/11/2020 - 15:04

Sieben Abgeordnete aus der Fraktion der Grünen haben beim Europäischen Datenschutzbeauftragten eine Beschwerde gegen das EU-Parlament eingereicht. Grund ist eine Parlamentswebseite für das Buchen von Corona-Tests, von der aus durch einen nichteuropäischen Diensteanbieter persönliche Daten in die USA abfließen.

Ausgerechnet hochsensible Gesundheitsdaten von Abgeordneten und ihren Mitarbeitenden landen durch die Parlamentsseite unter anderem bei Google und dem Bezahldienstleister Stripe. Über den Fall hat zuerst die Nachrichtenseite Euractiv berichtet.

Die Betreiberfirma EcoCare, eine Tochterfirma von EcoLog aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, beruft sich für seine Datentransfers in die USA auf Standardvertragsklauseln. Doch deren Anwendbarkeit steht seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in diesem Sommer in Frage. Das EU-Gericht erklärte die Privacy-Shield-Entscheidung für Datentransfers in die USA für rechtlich ungültig, seither sind Transfers über die Standardvertragsklauseln rechtlich zumindest fragwürdig.

„Gesundheitsdaten sind hoch sensible Daten, die nach strengsten Datenschutzstandards gehandhabt werden müssen“, sagt die Grünen-Abgeordnete Alexandra Geese, die die Beschwerde beim Datenschutzbeauftragten miteingereicht hat. „Wer einen Corona-Test macht, muss sich darauf verlassen können, dass diese Daten verantwortungsvoll verarbeitet werden und nicht in einem Land gespeichert werden, in dem sie nicht vor dem Zugriff durch Dritte geschützt sind.“

Neue EuGH-Klage im Gespräch

Der EU-Datenschutzbeauftragte hat inzwischen alle EU-Institutionen aufgefordert, „Verarbeitungsvorgänge zu vermeiden, die die Übermittlung von personenbezogenen Daten an die Vereinigten Staaten beinhalten“. Das geht aus einem am neuen Papier des Datenschutzbeauftragten hervor, der für den Datenschutz von EU-Behörden zuständig ist.

Das Parlament antwortete auf eine Anfrage von netzpolitik.org, dass es die Beschwerde prüfe. Die Abgeordnete Geese denkt inzwischen bereits über einen weiteren Schritt nach, der den Fall vor die höchste Instanz bringen könnte. „Ich bin im Gespräch mit Nichtregierungsorganisationen wie der NOYB und lote aus, ob wir eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben.“

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Categories: netz und politik

Freedom of the Press: Google funds mouthpiece of Rwandan regime

Netzpolitik - Mon, 02/11/2020 - 09:55

The New Times describes itself as „Rwanda’s leading daily“. The paper writes in a reverent tone about President Paul Kagame, who has ruled the East African country with a firm hand for 20 years. But the gloves come off when an NGO dares to criticise Kagame’s government.

Take the example of Human Rights Watch. The group recently voiced outrage over the forced disappearance of Paul Rusesabagina, a critic of Kagame’s government.

The New Times‘ opinion pages promptly responded. „Human Rights Watch or Terrorist Rights Watch?“, a piece suggestively asked.

Such attacks are not uncommon in the New Times, says Lewis Mudge. The Central Africa Director at the NGO Human Rights Watch told netzpolitik.org that the paper frequently „serves as a mouthpiece to attack opponents of the ruling Rwandan Patriotic Front (RPF) and the executive.“

Rusesabagina alone was subject of 21 opinion pieces in the New Times over 6 months, including one titled „Rusesabagina’s megalomania has no limit“.

Yet red flags have not stopped Google from funding The New Times. The aid is part of the Google News Initiative, a global conduit for the tech company’s engagement with the media, which we investigated as part of our recently published study „Google, the media patron“.

Press funding without a free press

In Rwanda freedom of the press is heavily curtailed. In Reporters Without Borders‘ press freedom index, Rwanda ranks 155th out of 179 states.

Censorship is omnipresent and self-censorship is widespread to avoid trouble with the regime, according to Reporters Without Borders. The genocide of the Tutsi minority in 1994 was abused by the government to take action against critical media for allegedly „divisive“ reporting, the NGO says.

But the difficult environment has not stopped Google from handing out cash.

The New Times was one of the winners of Google’s Innovation Challenge for the Middle East, Turkey and Africa. With the help of the digital giant, the newspaper launched the project „Readers‘ Call on the News“. Similar projects have received up to 150,000 dollars from Google.

The project is meant to collect ideas for stories from readers, journalists from the paper then help to write up. The project „will create a bond again to make sure readers‘ ideas are heard, covered and in the end, that better news is produced about Rwanda“, Google’s website states.

It is not Google’s first funding grant to media. The search engine giant announced a 60-million-euro fund for publishers in France in 2013. From 2015, Google’s Digital News Initiative gave 140 million euro in cash gifts to media innovation projects in the whole of Europe, and in 2019 Google promised a 300-million-dollar grant to support journalism around the world.

In Africa, Google has supported eight projects in 2020, one of which is in Rwanda. This Google iniative has puzzled observers of the local media landscape.

„It empowers one-sided information“

Several human rights advocates we spoke to share concerns about Google’s funding decision in Rwanda. While Google was free to allocate funding where it deems fit, it would be „useful to understand the criteria“, Sigi Waigumo Mwanzia of Article19, a freedom-of-expression advocacy group, said in an e-mail to netzpolitik.org.

In the Rwandan context, funding to pro-government media might lead to negative outcomes for free speech, Waigumo Mwanzia said. „It empowers what some consider to be the government’s mouthpiece with more armour to continue promoting pro-government and often one-sided information“.

Meanwhile, such funding could „disempower media outlets without this resource base by reducing, on the face of it, their ability to combat any one-sided narratives which are churned out by NT and other pro-government outlets.“

In response to netzpolitik.org, Google referred to the governance structure of its Innovation Challenges. Its funding decisions are taken by a mixed jury of local media representatives and Google’s funding team.

„We have clear, public guidelines for eligibility and governance for all our GNI Innovation Challenges and we publicly share information about who we fund“, the company said in an written reply.

In the Innovation Challenge for the Middle East, Turkey and Africa, Google distributed a total of about 2 million US dollars to 21 projects. Projects received up to 150,000 dollar from Google, but the company does not reveal exact figures.

Who belonged to the jury is as unclear as the criteria by which the winners were selected. The Innovation Challenges website does not mention any concerns about press freedom, independence or journalistic integrity in the selection process.

„Best case scenario: Someone at Google messed up“

„The New Times’ reporting is not regarded as independent“, Lewis Mudge with Human Rights Watch explained.

„Human rights defenders, especially those who publicly denounce violations of freedom of expression or association, are also targeted by the government and the [ruling party] RPF. The New Times serves as a means to amplify those attacks and attempts to de-legitimize critics.“

There are at least two possibilities, says Mudge. „Best case scenario: Someone at Google messed up and no due diligence was conducted. This is stupefying considering the resources Google has.“

The worst case scenario for the NGO representative, however, is that „Google is signalling that it is funding repression and supports the muzzling of free speech, the closing of political space in Rwanda and attacks on political opponents and human rights defenders.“

„Even if we assume it’s the best case scenario, the outcomes still follow this trend, so it’s pretty shocking that Google has taken this decision and stands by it.“

Journalism scholar and long-time Rwanda watcher Allan Thompson from Carleton University in Canada said that it would have been better for local media if Google had promoted more than just one news outlet.

While the New Times could be credible on some of its coverage and had a few „journalists of good conscience“ working there, Thompson said the paper was „clearly pro-government“ and that the President’s office had a direct say in certain news stories.

„My criticism is not so much that they fund the New Times, but they should have looked for other, more independent news organizations that need support to keep running.“ The New Times as establishment outlet was least in need of support compared to media such as Igihe and Kigali Today, Thompson said.

Funding to a Sheikh’s paper

The Google News Initiative also pours money into other places with limited press freedom. The United Arab Emirates ranks just a little better than Rwanda, coming in on 131 out of 180 countries on RSF’s press freedom index.

In the Emirates, Google recently gave funding to the English-language newspaper The National, which is owned by a member of the ruling family of Abu Dhabi, the Emirate’s capital.

„As such, it would be extremely difficult to make the case that The National has any kind of editorial independence (and I don’t think it ever pretends to)“, Middle East scholar Christopher M. Davidson said in an e-mailed reply to a question by netzpolitik.org.

The paper „is probably the best of the other English language newspapers in the region, and does sometimes cover critical topics (e.g. migrants‘ rights issues, corruption, etc.). Google probably sees it as its best bet in the UAE“, Davidson said.

The National started in 2008 with the ambitious goal of becoming the „New York Times of the Middle East“. But only a few years later, journalists hired from abroad left the paper, criticizing self-censorship and a lack of independence.

Journalists in the Emirates face severe legal constraints. The least criticism of the regime by journalists or bloggers is likely to lead to charges of defamation, insulting the state or posting false information with the aim of damaging the country’s reputation, notes Reporters without Borders.

Despite the hostile climate for independent journalism, Google still decided to fund the pro-regime paper. The money helped The National in developing a program to create audio versions of its stories.

Google reversed controversial grant in Hungary

This is not the first time that Google’s funding has attracted criticism. As part of its earlier, Europe-only Digital News Initiative, Google gave 50,000 euro to a project at the Origo news site in Hungary.

Origo belongs to a family close to Prime Minister Viktor Orban, and the site regularly publishes attacks on migrants and the philanthropist George Soros. A New York Times story on Origo is entitled: „The Website That Shows How a Free Press Can Die“.

After a scathing report by the blog MediaPowerMonitor, Google quickly withdrew its funding commitment to Origo. After „further examination“ Google decided not to support the Hungarian news website after all, the company said in response to an inquiry from the media blog NiemanLab.

Google’s gifts to the media are already raising questions about the independence of the recipient media in democratic societies, as we have highlighted in our study. But if pro-government media in authoritarian states are also being promoted in the same way, Google must ask itself whether it has crossed a red line.

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Categories: netz und politik

Medienmäzen Google: Tech-Konzern fördert regimenahes Medium in Ruanda

Netzpolitik - Mon, 02/11/2020 - 09:42

The New Times beschreibt sich selbst als „Ruandas führende Tageszeitung“. Das Blatt berichtet in ehrerbietigem Tonfall über Präsident Paul Kagame, der das ostafrikanische Land seit 20 Jahren mit harter Hand regiert. Ungehalten wird die New Times hingegen bei Kritik von NGOs aus dem Ausland.

Das gilt etwa für Human Rights Watch. Die Nichtregierungsorganisation wagte es kürzlich, die Verhaftung des Regierungsgegners Paul Rusesabagina zu kritisieren.

In der New Times fand sich prompt eine harte Replik. „Wenn Human Rights Watch Terroristen verteidigt, dann ist es höchste Zeit, dass es seinen Namen in Terrorist Rights Watch ändert“, heißt es im Titel eines Kommentars, den das Blatt veröffentlicht. 21 Beiträge bringt die New Times binnen sechs Monaten allein über den Fall Rusesabagina. Die Schlagzeilen lauten etwa „Rusesabaginas Größenwahn kennt keine Grenzen“.

Attacken wie jene gegen Human Rights Watch sind in der New Times keine Seltenheit, beklagt Lewis Mudge. Der Direktor für Zentralafrika bei der Human Rights Watch sagt zu netzpolitik.org, das Blatt sei „ein Sprachrohr für Attacken der Regierung auf Widersacher der Regierungspartei RPF und des Präsidenten“.

Umso ungewöhnlicher ist es da, dass ausgerechnet der Weltkonzern Google die New Times in Ruanda finanziell unterstützt. Die Förderung ist Teil der Google News Initiative, mit der der das Technologieunternehmen weltweit Medien fördert (mehr dazu in der neuen Studie der Autoren und der Berichterstattung dazu auf netzpolitik.org).

Der Konzern sagt, er wolle mit der News Initiative Verantwortung für das digitale Nachrichtenökosystem übernehmen und den Journalismus fördern – und könnte an manchen Orten das Gegenteil erreichen. Ruanda ist nicht das einzige autoritär regierte Land, in dem Google regierungsnahen Medien Geld gibt.

Presseförderung ohne freie Presse

Noch immer ist Ruanda stark von den Folgen der europäischen Kolonialherrschaft und des Völkermordes der Hutu-Mehrheit an der Tutsi-Minderheit im Jahr 1994 geprägt. Auch wenn die Rolle des Präsidenten in den Bürgerkriegsjahren umstritten ist, regiert Paul Kagame das Land seit 20 Jahren.

Der ostafrikanische Staat gilt in Sachen Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung als Vorbild für die Region. Der Preis dafür ist jedoch, dass Präsident Kagame politischen Widerspruch durch breitflächige Überwachung, Einschüchterung und mutmaßlich auch durch Attentate unterdrückt, so die US-Organisation Freedom House.

Auch von freier Presse ist kaum zu sprechen. Im Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen kommt Ruanda nur auf Rang 155 unter 179 Staaten. Zensur sei allgegenwärtig und auch Selbstzensur verbreitet, um Ärger mit dem Regime zu vermeiden, heißt es von Reporter ohne Grenzen. Der Genozid werde von der Regierung missbraucht, um gegen kritische Medien wegen angeblich „spalterischer“ Berichterstattung vorzugehen.

Doch das schwierige Umfeld hält Google nicht davon ab, hier Geschenke zu verteilen.

Die New Times war eine der Gewinnerinnen von Googles Innovation Challenge für den Mittleren Osten, die Türkei und Afrika. Für das Projekt „Readers‘ Call on the News“ könnte das Blatt bis zu 150.000 US-Dollar erhalten haben. Es soll die Ideen von Leser:innen sammeln und aus ihnen Geschichten entwickeln. Das Blatt wolle dadurch „Misstrauen“ überwinden und die Distanz zu seinem Publikum verkleinern, heißt es auf der Website der Google News Initiative. Das Projekt werde helfen „sicherzustellen, dass die Ideen der Leser gehört und darüber berichtet wird und am Ende bessere Nachrichten über Ruanda produziert werden.“

Ermächtigung für ein Sprachrohr der Regierung

Dass Google Geld an Medien verschenkt, ist keine Seltenheit. Ein erstes Programm dieser Art entwickelte der Konzern 2013 in Frankreich. 2015 weitete er es auf ganz Europa aus, seit 2019 fördert Google Innovationsprojekte von Medien auf der ganzen Welt.

In Afrika unterstützt Google 2020 acht Projekte, davon eines in Ruanda. Das sorgt für Unverständnis unter Menschenrechtler:innen.

Die Mittelvergabe könne negative Entwicklungen fördern, sagt Sigi Waigumo Mwanzia von der NGO Article 19, die sich der Verteidigung der Meinungsfreiheit verschrieben hat. „Sie ermächtigt das, was einige für ein Sprachrohr der Regierung halten, weiterhin regierungsfreundliche und oft einseitige Informationen zu verbreiten.“

Unabhängige Medien, die keine Förderung von Google erhalten haben, würden dadurch in ihren Bemühungen geschwächt, „einseitige Erzählungen“ von regierungsnahen Medien zu bekämpfen.

Google verweist auf Nachfrage von netzpolitik.org auf die Organisationsstruktur seiner Innovation Challenges. Der Konzern schreibt hier zeitlich begrenzte Runden für unterschiedliche Weltregionen aus. Die Medien können sich mit Projekten um eine Förderung bewerben, am Ende entscheidet eine Jury aus Vertreter:innen der regionalen Medienlandschaft gemeinsam mit Googles Projektteam.

Insgesamt verteilte Google bei der Challenge für den Mittleren Osten, die Türkei und Afrika knapp 2 Millionen US-Dollar auf 21 Projekte. Pro Projekt gab es bis zu 150.000 US-Dollar, genaue Summen sind nicht bekannt.

Wer zur Jury gehörte ist genau so unbekannt wie die Kriterien, nach denen die Gewinner ausgewählt wurden. Von Pressefreiheit, Unabhängigkeit oder journalistischer Integrität ist auf der Seite der News Initiative jedenfalls nichts zu lesen. Es wäre durchaus hilfreich, Googles Kriterien für die Verteilung von Mitteln zu verstehen, sagt Waigumo Mwanzia.

„Im besten Fall hat Google Mist gebaut“

Die Berichterstattung der New Times könne nicht als unabhängig angesehen werden, kritisiert Lewis Mudge von Human Rights Watch. „Menschenrechtsaktivisten, insbesondere diejenigen, die Verletzungen der Meinungs- oder Vereinigungsfreiheit öffentlich anprangern, sind eine Zielscheibe für die Regierung und die RPF. Die New Times dient als Mittel für Versuche, diese Angriffe zu verstärken und Kritiker zu delegitimieren.“

Es seien zumindest zwei Varianten denkbar, sagt Mudge. „Im besten Fall: Jemand bei Google hat Mist gebaut, und es gab keine gebührende Sorgfalt. Das verblüfft angesichts der Ressourcen, über die Google verfügt.“

Der schlimmste anzunehmende Fall ist hingegen für den Menschenrechtler, dass „Google signalisieren möchte, dass es Unterdrückung finanziert und Maulkörbe für die freie Rede unterstützt, ebenso wie das Schließen politischer Räume in Ruanda und Attacken auf politische Widersacher:innen und Menschenrechtler:innen.“

Der Journalismusprofessor und Ruanda-Kenner Allan Thompson von der Carleton University in Kanada betont, es wäre nutzbringender für die lokale Medienlandschaft gewesen, würde Google mehr als nur ein Medium vor Ort fördern. „Meine Kritik ist nicht so sehr, dass sie die New Times finanzieren, sondern sie hätten nach anderen, unabhängigeren Nachrichtenorganisationen suchen sollen, die Hilfe brauchen.“

Förderungsbedürftig seien etwa Medien wie Kigali Today und Igihe. Die New Times als etablierte Zeitung „brauche am wenigsten Unterstützung von außen“, sagt Thompson.

Google-Geld fließt auch in die Vereinigten Emirate

Geld aus der Google News Initiative landet unterdessen auch in einem anderen Land mit beschränkter Pressefreiheit. In den Vereinigten Arabischen Emiraten – Platz 131 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit – fördert Google seit dem Frühjahr 2020 unter anderem die englischsprachige Zeitung The National. Der Besitzer des Mediums ist eine staatliche Aktiengesellschaft unter Kontrolle des emiratischen Herrscherhauses.

„Daher wäre es äußerst schwierig zu sagen, dass The National in irgendeiner Weise redaktionell unabhängig ist und ich glaube nicht, dass sie auch nur so tun“, sagt der britische Nahost-Forscher Christopher M. Davidson gegenüber netzpolitik.org. Das Blatt sei dabei eines der besseren englischsprachigen Medien in der Region, Google habe es wohl als noch die beste Wahl angesehen.

The National startete vor mehr als einem Jahrzehnt mit dem ehrgeizigen Ziel, die „New York Times des Mittleren Ostens“ zu werden. Doch schon wenige Jahre später verließen aus dem Ausland angeheuerte Journalisten das Blatt wieder, sie kritisieren Selbstzensur gegenüber dem Herrscherhaus der Emirate.

Das wäre kein Wunder: Selbst die leiseste Kritik am Regime durch Journalist:innen führe oft zu strafrechtlichen Vorwürfen und dem Risiko hoher Haftstrafen und Misshandlung im Gefängnis, schreibt Reporter ohne Grenzen in seinem Länderbericht. Der Lage zum Trotz fördert Google das regimenahe Blatt. Auf Kosten des US-Konzerns entwickelt The National ein Programm zur automatisierten Übersetzung seiner Artikel in Audio-Beiträge.

Rückzieher in Ungarn

Es ist nicht das erste Mal, dass Förderungen von Google für Kritik sorgen. Für Aufsehen sorgte vor eineinhalb Jahren ein Fall bei dem europäischen Vorläufer von Googles globalem Medienfonds, der Digital News Initiative. Im März 2019 vergab Google in Ungarn 50.000 Euro an ein Projekt der Nachrichtenseite Origo.

Origo gehört einer Familie im politischen Umfeld von Premierminister Viktor Orban, die Seite veröffentlicht regelmäßig Attacken auf Migranten und den Philanthropen George Soros. Ein Bericht der New York Times über Origo trägt den Titel: „Die Webseite, die zeigt, wie die Pressefreiheit sterben kann“.

Nach einem kritischen Bericht des Blogs MediaPowerMonitor zog Google die Förderzusage an Origo rasch wieder zurück. Nach „weiterer Prüfung“ habe Google sich entschlossen, das ungarische Medium doch nicht zu fördern, sagt der Konzern auf Nachfrage des Medienblogs NiemanLab.

Unsere Studie zu Googles Geschenken an Medien in Europa hat die Frage nach der Unabhängigkeit der Empfänger:innen und den Folgen für die Medienvielfalt aufgeworfen. Wenn der Konzern nun nach dem gleichen Muster regierungsnahe Medien in autoritären Staaten fördert, muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, sich mit den dortigen Regimen gemein zu machen. Was in einer demokratischen Gesellschaft schon fragwürdig erscheint, gerät in einer Autokratie zum Schlag gegen Pressefreiheit und Meinungspluralismus.

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Categories: netz und politik

Interview zur umweltpolitischen Digitalagenda: Warum niemand weiß, wie viele Rechenzentren es in Europa gibt

Netzpolitik - Sun, 01/11/2020 - 09:00

Bis 2030 sollen alle Rechenzentren in der Europäischen Union klimaneutral arbeiten, so hat es die EU-Kommission im Frühjahr angekündigt. Das ist ambitioniert, denn derzeit ist nicht einmal bekannt, wie viele Rechenzentren es gibt und wie viel Strom sie verbrauchen.

Mit dem Aktionsplan „umweltpolitische Digitalagenda“ will Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) nun das Ziel der klimaneutralen Rechenzentren während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vorantreiben. Voraussichtlich im Dezember wird sich zeigen, wie erfolgreich Schulze war, denn dann werden die Umweltminister:innen aller EU-Länder ihre gemeinsamen Schlussfolgerungen vorlegen.

Stephan Ramesohl ist Forscher am Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie und hat an dem Aktionsplan von Ministerin Schulze mitgearbeitet. Im Interview erklärt er, warum wir so wenig über Rechenzentren wissen und weshalb die umweltpolitische Digitalagenda keine gesetzlichen Mindeststandards festlegt.

Die historische Entwicklung der Rechenzentren

netzpolitik.org: Im Fokus der „digitalpolitischen Umweltagenda“ stehen Rechenzentren. Warum sind die so wichtig?

Stephan Ramesohl: Das ist wie die Stahlindustrie im 19. Jahrhundert oder die Chemieindustrie im 20. Jahrhundert. Rechenzentren sind die zentralen Bausteine der Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts und deswegen müssen wir uns mit ihnen beschäftigen.

netzpolitik.org: Um einen Eindruck von der Bedeutung der Rechenzentren für die Klimakrise zu bekommen: Wie groß ist denn der Stromverbrauch der deutschen Rechenzentren?

Ramesohl: Der Stromverbrauch der deutschen Rechenzentren entspricht ungefähr dem jährlichen Stromverbrauch der Stadt Berlin. Bei diesen Aussagen muss man jedoch immer die Einschränkung machen, dass die Angaben geschätzt sind, weil wir keine sehr belastbaren Zahlen haben. Im Vergleich zu anderen Industrien wie Stahlwerken wird der Energieverbrauch in den Rechenzentren nicht statistisch erfasst.

netzpolitik.org: Ich war überrascht, als ich das las: Das Bundesumweltministerium weiß nicht, wie viele Rechenzentren es in der EU eigentlich gibt, geschweige denn wie viel Strom die verbrauchen. Wie kommt das?

Ramesohl: Das ist nie systematisch erfasst worden, weil einfach diese Art von Infrastruktur in der Vergangenheit keine Aufmerksamkeit genoss. Es fing ja irgendwann alles damit an, dass größere Computer zu Servern in Unternehmen oder in Verwaltungen wurden. Diese traditionellen Rechenzentren haben lange den Großteil der Nutzung ausgemacht. Seit 2010 etwa sieht man, dass die Cloud-Rechenzentren von spezialisierten Anbietern immer mehr an Bedeutung gewinnen und perspektivisch mit dem Ende dieser Dekade den Markt dominieren werden. Gleichzeitig gibt es Bereiche wie die Telemedizin oder das autonome Fahren, wo schnelle Ergebnisse entscheidend sind. Dafür wird das Edge-Computing immer wichtiger. Insgesamt handelt es sich um eine sehr dynamische Landschaft.

Die Betreiber sollen nun die Daten bereitstellen

netzpolitik.org: Konzerne wie Amazon und Microsoft sind dominant im Bereich Cloud-Rechenzentren. Inwiefern versuchen diese Platzhirsche, durch ihre Lobbyarbeit die umweltpolitischen Maßnahmen zu beeinflussen?

Ramesohl: Das ist nicht unbedingt eine Frage der Lobbyarbeit, sondern schlichtweg ein Ergebnis der Regeln und Mechanismen in der Plattformökonomie. Es ist einfach so, dass eine gewisse Skalierung zu großen Vorteilen führt, die dann wiederum über eine Wettbewerbsfähigkeit im Markt die Marktposition stärkt und damit den Marktanteil erhöht. Das ist ein selbstverstärkender Effekt. Hinzu kommt, dass diese Akteure in der Lage waren, zu investieren und sich damit ein technologisches Know-how aufzubauen, was wiederum im Umkehrschluss ihre Marktposition stärkt.

netzpolitik.org: Diese großen Player können ja kein Interesse an staatlicher Regulierung haben, sondern werden versuchen, eine branchenweite Selbstverpflichtung herbeizuführen.

Ramesohl: Das ist richtig, dass gerade bei den großen Playern entsprechende selbstdefinierte Nachhaltigkeitsziele vorliegen. Das sind teilweise sehr ambitionierte Pläne, die versuchen, die Emissionen, die im Laufe der Unternehmensgeschichte bisher aufgelaufen sind, rückwirkend zu kompensieren. Solche privaten Initiativen senden wichtige Signale, dürfen jedoch staatliche Ziele nicht ersetzen. Es ist wichtig, dass die Handlungsfähigkeit von Politik und Staat nicht dadurch ausgehebelt wird, dass private Unternehmen eigene Maßnahmen verfolgen und notwendige Daten für einen branchenweiten Wandel zurückhalten oder nicht bereitstellen.

Vorerst keine gesetzlichen Mindeststandards

netzpolitik.org: Erster Schritt der umweltpolitischen Digitalagenda ist es, ein Kataster aufzubauen, um einen Überblick zu gewinnen. Inwieweit wird dort neben Stromverbrauch auch der Verbrauch von weiteren Ressourcen wie Land oder Wasser mit berücksichtigt?

Ramesohl: Der Energieverbrauch und die damit verbundenen CO2-Emissionen stehen bei der geplanten Datenerhebung im Fokus. Ich glaube, das ist auch richtig, denn Rechenzentren sind im wesentlichen Stromverbraucher. Aber Sie sprechen zurecht die anderen Umweltauswirkungen an. In Rechenzentren stehen natürlich Geräte, Server und weitere Ausrüstung, in denen kritische Rohstoffe eingesetzt werden, deren globale Lieferketten sehr bedenklich sind. Bei der Gewinnung dieser Rohstoffe entstehen teilweise erhebliche Umweltschäden, zum Beispiel wenn sie in Naturschutzgebieten abgebaut werden. Im Moment haben wir einen wachsenden Verbrauch dieser Rohstoffe, ohne dass es eine Zurückführung in den Kreislauf gibt. Das heißt, nach dem Ende der Lebensdauer werden diese Rohstoffe in den meisten Fällen nicht zurückgewonnen.

netzpolitik.org: Das Kataster ist nur der erste Schritt. Das Bundesumweltministerium hat angekündigt, „ordnungspolitische Instrumente oder auch ein Mindestniveau auf EU-Ebene zu diskutieren“. So steht es in der Antwort auf meine Presseanfrage. Bis wann kann man mit solchen Mindeststandards für die energieeffiziente Rechenzentren rechnen?

Ramesohl: Diese Prozesse brauchen in der Regel eine gewisse Zeit. Denn wenn ich eine Mindesteffizienz-Anforderung formuliere, dann muss ich letztlich dafür auch Überprüfungs- und Sanktionsmöglichkeiten schaffen und das muss quasi „gerichtsfest“ sein. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie lange das dauern wird. Ich hoffe, dass das mit großem Nachdruck angegangen wird.

Stephan Ramesohl hat an der digitalpolitischen Umweltagenda mitgearbeitet. Alle Rechte vorbehalten Wuppertal Institut Preise müssen die ökologische Wahrheit sagen

netzpolitik.org: Was halten Sie von höheren Steuern?

Ramesohl: In der Nachhaltigkeitswissenschaft ist schon seit Langem der Leitsatz fest verankert, dass Preise die ökologische Wahrheit sagen müssen. Viele Fehlentwicklung, die wir beobachten, sind unter anderem dadurch verursacht, dass es Geschäftsmodelle gibt, die einfach nicht die wahren Kosten tragen. Das bedeutet auch für die Digitalwirtschaft, dass die dort eingesetzten Ressourcen adäquat bepreist werden müssen. Das heißt, die Kosten für Strom, Ressourcen und die Entsorgung des Elektroschrotts müssen in den Geschäftsmodellen Niederschlag finden.

netzpolitik.org: Das Bundesumweltministerium hat auf eine Anfrage von mir geantwortet, dass die „im europäischen Vergleich höheren deutschen Strompreise bisher nicht zu umfassenden Energieeffizienz-Maßnahmen der IT-Industrie geführt“ hätten.

Ramesohl: Die Stromkosten alleine sind für die Wirtschaftlichkeit von digitalen Geschäftsmodellen schlicht nicht so entscheidend, wie es für den Betrieb eines Schmelzofens in der Stahlindustrie ist. Ich glaube, da brauchen wir ein Zusammenspiel aus richtigen Preisen, Effizienzzielen, Mindeststandards und am Ende auch Siegel für besonders energieeffizient oder besonders CO2-arme Anbieter. Ein Ansatz wäre, ein Label für grüne Rechenzentren und für CO2-freie digitale Dienste zu schaffen. Das befähigt die Kunden und Kundinnen, ihre entsprechende Auswahl zu treffen.

Ein Leben ohne Internet-Flatrate

netzpolitik.org: Endverbraucher:innen wissen in den meisten Fällen nicht, wie viel Strom das Abspielen eines Videos oder eines Songs verbraucht.

Ramesohl: Ja. Als wir begonnen haben, über das Digitale zu sprechen, da war der Computer eine große, hässliche graue Kiste, die vor uns auf dem Schreibtisch stand und im Zweifel unglaublich viel Krach machte. Das heißt, der Prozess war sehr sichtbar. Wenn ich heute auf Netflix ein Video streame, habe ich in der Regel nur mein Smartphone oder Tablet in der Hand. Die Dienstleistungen des digitalen Lebens finden in der Cloud statt. Und das heißt, der Kunde oder die Kundin hat eigentlich keine Chance nachzuvollziehen, was passiert, wenn ich ein Straßenbahnticket online oder am Automaten kaufe.

netzpolitik.org: Was halten Sie von einem Verbot von Internet-Flatrates? Kundinnen müssten dann für ihren tatsächlichen Verbrauch bezahlen, wie beim Strom.

Ramesohl: Also Verbote sind natürlich ein hartes Mittel. Aber ja, ich glaube, dass wir als Verbraucher mehr Transparenz und mehr Preissignale brauchen, damit wir uns der Konsequenzen unseres digitalen Handelns bewusst sind.

netzpolitik.org: Was halten Sie von einem Öko-Transparenz-Siegel pro Dienstleistung, das der Endverbraucherin anzeigt, wie viel CO2 das Abspielen eines Videos verbraucht?

Ramesohl: Also ich glaube, dass Information eine absolute Notwendigkeit ist, wenn man informierte Entscheidungen treffen will. Ich sehe aber auch viele handwerkliche, methodische Schwierigkeiten, weil diese Kennziffer nicht so einfach zu bestimmen ist. Eine aktuelle Publikation des Umweltbundesamtes zeigt, dass eine Stunde Streaming zunächst einmal einen überschaubaren Wert an CO2 verbraucht. Entscheidend ist dann der Transport zum Kunden. Es macht einen Riesenunterschied, ob ich mit Glasfaseranschluss zu Hause streame oder auf der Straße, womöglich noch im alten 3G-Netz. Das bedeutet, ich kann diesen Kennwert sehr schlecht standardisieren. Trotzdem glaube ich, dass wir mehr in diese Richtung denken müssen. Es ist schwierig, aber das ist kein Grund, es nicht zu versuchen.

Keine Autoplay-Funktion bei Werbevideos

netzpolitik.org: Was muss sich strukturell ändern, um klimafreundlichere digitale Angebote zu schaffen?

Ramesohl: Da geht es um die Frage, ob jede Internetwerbung eine Autoplay-Funktion braucht, also abspielt, wenn ich nur über die Seite scrolle. Das erzeugt nämlich ein enormes Datenvolumen. Oder die Frage, ob alles standardmäßig in höchster Auflösung gestreamt werden muss, wenn es auf einem kleinen Bildschirm angeschaut wird. Das wären so kleine Stellschrauben, die in der Summe dazu führen, dass wir weniger Daten verbrauchen würden und damit auch weniger Umweltbelastung hätten.

netzpolitik.org: Was fehlt in der aktuellen Debatte? Wohin sollte mehr geschaut werden?

Ramesohl: Wir müssen vermeiden, dass wir eine isolierte Debatte um einzelne Bausteine führen. Es gibt eine gewisse Tendenz, sich nur die Rechenzentren anzuschauen oder sehr stark auf die Smartphones der privaten Nutzer zu fokussieren. Aber wir müssen das Zusammenspiel im Gesamtsystem anschauen. Dazu gehören die Mobilfunk-Infrastruktur und die Software-Ebene. Also die Art und Weise, wie wir Dienstleistungen und Datenströme programmieren. Hier gibt es große Unterschiede in der Effizienz der Software. Das ist ein Thema, was noch komplett unterschätzt ist, weil man dort bislang einfach zu wenig Aufmerksamkeit drauf gelenkt hat.

netzpolitik.org: Vielen Dank!

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Categories: netz und politik

Interview zu Fake News: Diese ganze negative Energie in etwas Positives verwandeln

Netzpolitik - Sat, 31/10/2020 - 14:17

Wir sprechen mit Thomas Laschyk, leitender Redakteur und Geschäftsführer vom Volksverpetzer.

Thomas Laschyk ist Journalist, Blogger und Aktivist.

Wer etwas gegen die Verbreitung von Fehlinformationen und gegen mehr oder weniger offenkundige Lügen tun möchte, der leistet eine Sisyphos-Arbeit. Denn Fakten nachzuprüfen und Thesen nach Kriterien der Wissenschaft oder der Medienkompetenz zu recherchieren, aufzuschreiben und weiterzugeben, dauert immer länger, als Unwahrheiten in die Welt zu setzen. Trotzdem machen sich manche Menschen die Mühe: mit Witz, Argumenten und Schlagfertigkeit – und mit Erfolg.

Wer aktuell den Volksverpetzer liest, findet viele Artikel, die versuchen, den kursierenden Halbwahrheiten oder erfundenen Lügenmärchen belegte Fakten und den wissenschaftlichen Konsens in der Covid-19-Pandemie entgegenzusetzen. Doch Corona ist nur ein Thema von vielen: Man kann über rechtsextreme Youtuberinnen, die Partei AfD oder über halbseidene „Welt“-Autoren lesen, deren Machwerke in großer Detailtiefe besprochen und zerlegt werden, aber auch über Flüchtlingspolitik oder das Hufeisenmodell. Und fehlen darf natürlich auch nicht die „Bild“-Zeitung, wenn es um Falschnachrichten geht. Nur eines darf man als Leser bei der Wahrheitsfindung nicht erwarten: Dass sich die Autoren beim „Volksverpetzer“ kurzfassen, wenn sie sich an den Fake-News-Schleudern abarbeiten.

Das Bedürfnis, etwas gegen Fake News und Hetze zu unternehmen

Wie würdest Du den „Volksverpetzer“ in einem Satz beschreiben?

Thomas Laschyk: Wir sind ein Anti-Fake-News-Blog und haben es uns zur Aufgabe gemacht, Fake-News-Narrative zu widerlegen und darüber aufzuklären, und schreiben auch über die Leute, die sie verbreiten.

Um das auch gleich eingangs zu klären: Warum nennst Du Dich bei Twitter „Chefpetze“?

Thomas Laschyk im Interview mit netzpolitik.org.

Thomas Laschyk: Das hat sich einfach so entwickelt. Mein Team hat irgendwann angefangen, mich so zu nennen, und so hab ich mich dann auch bei Twitter genannt. Denn es gefällt mir. (lacht)

Wie kam es denn dazu, ein eigenes Projekt gegen Unsinniges und Falschnachrichten zu starten?

Thomas Laschyk: Angefangen hat das aus dem Bedürfnis, etwas gegen diese Fake News, gegen diese Hetze zu machen. Wir haben alle ehrenamtlich in unserer Freizeit damit angefangen und einfach drauflos recherchiert und geschrieben, erst in den Kommentarspalten und später dann auf unserem Blog. Und das ist gewachsen: Wir haben viel dazugelernt, das Team ist größer geworden, inzwischen machen wir das seit zwei Jahren professionell.

Redaktion mit vielen Ehrenamtlichen

Was hat es mit dem recht eigentümlichen Namen Volksverpetzer auf sich?

Thomas Laschyk: Wir hatten uns überlegt, gegen Volksverhetzer anzutreten und sie zu entlarven und Lügen aufzudecken. Dann kamen wir drauf, sie zu verpetzen, also deren Methoden aufzuklären und anzuprangern. Dann natürlich das Wortspiel, dass wir die Volksverpetzer sind mit der doppelten Bedeutung, dass wir die verpetzen, die für sich selbst beanspruchen, für das Volk zu sprechen.

Auf Eurer Website steht: „Wir sind finanziell vollkommen unabhängig.“ Werdet Ihr durch Spenden bezahlt?

Thomas Laschyk: Richtig. Wir werden – und das ist bis heute komplett so – von den Fans getragen.

Wie groß ist Eure Redaktion mittlerweile?

Thomas Laschyk: Wir sind zwei feste Mitarbeiter – also ich und noch ein Mitarbeiter –, die das hauptberuflich machen können, dank Spenden von Einzelpersonen. Unser erweitertes Team besteht aus etwa zwanzig Personen, die ihre Freizeit für alles Mögliche opfern: Lektorat, Recherche, Feedback, etc.

Jeden Tag dutzende Fake News

Wie wählt Ihr aus, welche Aussagen Ihr im Blog thematisiert? Und wie schafft Ihr es, dann möglichst schnell zu reagieren?

Thomas Laschyk: Es kommt immer darauf an, wie viele Kapazitäten wir haben. Wir haben ja jeden Tag dutzende Fake News. Wir haben ein Auge auf die Telegram-Kanäle, auf die rechtsextremen Hassgruppen auf Facebook, etc. Aber es gibt so viele Dinge, die wir gar nicht machen können, weil uns einfach die Zeit fehlt. Wir schauen einfach immer: Wo brennt es am meisten? Zur Zeit ist das natürlich bei den Corona-Fake-News der Fall.

Und ja, wir müssen uns dann hinhocken und sputen. Es geht schneller, wenn wir gerade mehr Kapazitäten bei den Ehrenamtlichen haben, die uns zum Beispiel ein Video transkribieren können oder die wichtigsten Aussagen raussuchen oder schon die Quellen recherchieren. Danach läuft es bei mir oder meinem Mitarbeiter zusammen, wir können das dann umsetzen, ausformulieren, überprüfen, etc.

Je nach Text, je nach Aufwand dauert das natürlich schon Stunden. Wir können es uns leider nicht leisten, viele Tage zu recherchieren, weil dann die Themen teilweise schon überholt sind. Außer bei Themen, die länger aktuell sind: Wir haben aktuell ein paar Recherchen, die schon ein, zwei Wochen lang gehen, wo wir meinen, da rentiert sich das. Da sitzt man natürlich auch länger dran. Mit unseren Ressourcen und unserem Team, das ja zum größten Teil aus Ehrenamtlichen besteht, müssen wir uns auch oft dagegen entscheiden, Themen zu behandeln, wenn wir das einfach nicht qualifiziert genug machen könnten in einer angemessenen Zeit.

Plakative Titel in großen Lettern sind typisch für den Volksverpetzer. Alle Rechte vorbehalten Volksverpetzer

Wie geht Ihr mit dem Problem um, dass sich Lügengeschichten oft viel besser verbreiten als ihre Korrektur?

Thomas Laschyk: Genau, es ist natürlich immer viel einfacher, Lügen in die Welt zu setzen, als sie qualifiziert zu widerlegen. Deswegen wird es auch immer mehr von diesen Fakes geben, als wir aufarbeiten können. Wir haben nur unsere Ressourcen, deswegen müssen wir auch schauen, wo wir bleiben.

Fakten zu überprüfen, kostet viel Zeit und manchmal auch Vorwissen. Bei Euch finden sich oft lange Texte, die Unsinniges Schritt für Schritt zerlegen und detailliert widerlegen. Werden diesen langen Artikel mit zahlreichen Quellenangaben denn auch gelesen?

Thomas Laschyk: Nach unserer Erfahrung ist es so, dass tatsächlich ein – leider natürlich – großer Teil der Arbeit schon erledigt ist, wenn wir eine Schlagzeile haben, die aussagt: Dieses und jenes ist falsch. Auch viele Leute, die wissen, wie gute Recherche funktioniert und dass man Quellen überprüfen muss, wissen mittlerweile, dass sie uns da größtenteils vertrauen können. Sie nutzen eine gute Schlagzeile bereits und lesen gar nicht mehr alle Details, aber schicken das weiter. Das heißt: Wenn wir den Faktencheck gemacht haben, hat das schon viel Wirkung.

Wir machen das gern gründlich und wir machen das gern ausführlich, weil wir uns immer fragen: Wo könnten irgendwelche Zweifler oder die Fake-News-Streuer noch Einwände haben? Wo könnten sie sagen: „Das habt ihr nicht widerlegt, das traut ihr euch nicht.“ Teilweise kriegen wir ja auch Feedback, wo Leute schreiben: „Hier ist diese und jene Fake News, antwortet mir bis morgen auf diese E-Mail, sonst ist klar, dass ihr es nicht widerlegen könnt.“ In deren Augen ist eine These dann nicht widerlegt, wenn wir sie nicht ansprechen.

Es ist natürlich eine Perversion der Wahrheitsfindung zu sagen, solange etwas nicht widersprochen wurde, ist es wahr. Ein Beispiel sind diese erfundenen, angeblich durch Masken verstorbenen Kinder, wofür es nie Belege gab. Jetzt existieren auch Belege dagegen, aber lange wurde es so gehandhabt: Das könnte ja so gewesen sein, und solange nichts Gegenteiliges gesagt ist, werden wir es glauben.

Deswegen ist tatsächlich erstmal der Widerspruch wichtig. Denn genauso funktionieren auch umgekehrt die Fake News: Sie stellen erst die Behauptungen auf, dann fehlen zwar die Belege, dann sind logische Sprünge drin, dann macht das alles keinen Sinn, aber die Leute glauben es, weil sie es glauben wollen. Und deswegen ist es ganz wichtig, einen Widerspruch zu machen. Aber wir wollen natürlich nicht genauso schwach und dünn argumentieren wie die „Gegenseite“. Deswegen nehmen wir uns die Zeit, das ausführlich zu machen.

Wo sind die Belege?

Was hat Euch dazu bewegt, geradezu neurotisch jedes einzelne, manchmal sogar offenkundige Detail zu belegen und oft hinter jedem Halbsatz eine Quelle anzugeben?

Thomas Laschyk: Ich habe es schnell gemerkt: Sobald ich etwas geschrieben hatte, sind dann gleich dutzende Leute in den Kommentaren, die schreiben: „Ihr habt das behauptet, das glaube ich Euch nicht, wo sind die Belege?“ Und darum haben wir uns einfach angewöhnt, das direkt dazu anzugeben, dann beschwert sich auch keiner. Diejenigen, die sich ohnehin beschweren, die können uns egal sein.

Den Volksverpetzer unterscheidet von anderen Faktencheckern auch, dass Ihr mit Humor und Polemik an die Sache rangeht. Hast Du die Sorge, dass das Abstriche bei Ansehen und Seriosität bringt?

Thomas Laschyk: Bevor ich beim Volksverpetzer begonnen habe, schrieb ich eine Zeit lang für Mimikama, die Faktenchecker aus Österreich. Sie versuchen, noch seriöser, neutraler, sachlicher zu sein. Wir aber prangern gern Sachen an und schreiben auch unsere Meinung in unsere Artikel rein.

Ich habe schnell gemerkt: Egal, wie sachlich, wie seriös du bist, egal, wie vorsichtig du etwas ausdrückst, in den Augen von beispielsweise Pandemie-Leugnern oder von Rechtsextremen bist du immer der „linksgrünversiffte“ Kommunist oder staatshörig. Sie werfen mit diesen Kampfbegriffen um sich, auf alles, was ihnen widerspricht. Wenn ich mit den Menschen von Correctiv oder Mimikama rede, erzählen sie von demselben Quatsch. Solange du sauber arbeitest, dich an der Wissenschaft orientierst, aber dann nicht das rauskommt, was die Rechtsextremen hören wollen, bist du ihr Feindbild.

Wir passen unsere Sprache an, wenn wir beispielsweise gegen irgendwelche rechtsextremen Telegram-Gruppen schreiben, dann können wir auch ein bisschen lockerer sein. Wenn wir etwa die „Welt“ kritisieren, dann geben wir uns mehr Mühe und versuchen, die Sprache anzupassen. Wir hatten beispielsweise im letzten November an die Kunstfigur Don Alphonso, also Rainer Meyer, einen offenen Brief verfasst. Wir sind auf ihn zugegangen und haben versucht, ihn mit Fakten und seinen eigenen Einstellungen zu erreichen. Und wenn das dem Chefredakteur der „Welt“ nicht gefällt und er nur mit spöttischen Kommentaren auf unseren siebzehnseitigen Artikel reagiert, dann können wir nichts dafür. Da kann jeder Außenstehende selbst betrachten, wer hier seriöser ist.

Wer den Brief nicht gelesen hatte: Er war nicht eben kurz geraten …

Thomas Laschyk: … ja, siebzehn Seiten, das war keine Übertreibung! (lacht)

Ihr greift in einigen der aktuellen Artikel zur Pandemie zu vielen Fachbegriffen und setzt für die Leser manchmal einiges an Vorwissen voraus. Wie versucht Ihr die Waage zu halten zwischen der Gefahr, vom Durchschnittsleser nicht mehr verstanden zu werden, auf der einen Seite, zu Genauigkeit und Wissenschaftsnähe auf der anderen?

Thomas Laschyk: Aus unserer Perspektive ist es immer so, dass wir Angst haben, dass wir zu dumm sind. (lacht) Keiner von uns im Team ist Virologe oder Epidemiologe. Wir haben eine Tierärztin, die sich auf Seuchen spezialisiert hat und uns berät. Wir haben im ehrenamtlichen Kreis auch eine befreundete Ärztin und einen Virologen, die uns ab und zu mal beraten. Aber wir hatten eigentlich eher Angst, dass wir Dinge zu ungenau formuliert haben. Ab und zu haben wir auch Feedback von Expertinnen und Experten bekommen, die Korrekturen für kleine technische Details, die ungenau formuliert waren, geschickt haben. Wir fühlen uns wie ein paar Laien, die eigentlich kein Recht hätten, da mitzureden.

Aber wir versuchen natürlich, uns immer sprachlich anzupassen, weil die Gefahr ja ist, dass viele Menschen das nicht verstehen, wie Du richtig gesagt hast. Und deswegen sind sie alle ja auch anfällig dafür, wenn irgendein Arzt oder ein verrenteter Epidemiologe für seine Buchverkäufe anfängt, Quatsch zu erzählen und mit Fachbegriffen um sich zu schmeißen. Dann mag das für einen Laien auf den ersten Blick möglich oder seriös klingen. Deswegen müssen wir uns daran anpassen. Wenn spezielle technische Behauptungen aufgestellt werden, müssen wir das auch erklären.

Wir versuchen es aber vorausschauend etwas leichter zu erklären, nämlich im Titel schon. Ein Beispiel wäre ein Artikel mit dem Titel: Ja, der PCR-Test ist zuverlässig! Das ist schon die Grundaussage, welche die meisten Leute verstehen sollen. Und dann gehen wir mehr ins Detail und erklären, was die Fachbegriffe bedeuten. Nicht jeder muss alles verstehen, um die Grundaussage zu begreifen.

Würdest Du andere Faktenchecker als Vorbild für Eure Arbeit sehen?

Thomas Laschyk: Ich würde nicht sagen, dass wir ein spezielles großes Vorbild haben. Ich fand aber zum Beispiel John Oliver aus den USA sehr interessant. Der macht weniger Fact Checking, aber er ist ein Vorbild dafür, wie man komplizierte Hintergründe und Zusammenhänge unterhaltsam darstellt.

Mit Unterhaltung die Leute erreichen

Unterscheidet Euch vor allem Euer Humor und die Polemik von anderen Faktencheckern?

Thomas Laschyk: Ich nenne mich nicht gern Faktenchecker, weil das für mich mehr Sachlichkeit impliziert. Ich finde das auch sehr richtig und wichtig, dass Correctiv oder Mimikama das sachlich unaufgeregt machen, dass sie sich auch Zeit nehmen, Sachen lieber dreimal zu überprüfen. Wenn mir Leute sagen, wir hätten etwas reißerisch formuliert oder ein bisschen mehr Meinung, dann gebe ich denen auch recht.

Mit Jahren der Erfahrung und mit dem, was ich gesehen habe, was funktioniert und was gut ankommt, bin ich der Meinung, dass auch Unterhaltungselemente mit rein müssen: Weil das eben auch für mehr Verbreitung sorgt, weil wir auch dieselben Algorithmen benutzen und vielleicht auch dieselben Leute erreichen können, die sonst Gefahr laufen, nur von den Fake News erreicht zu werden.

Neben dem nun schon monatelangen Schreiben gegen Lügen über die Pandemie: Was sind Eure Schwerpunkte bei den Faktenchecks und welche strebt Ihr künftig an?

Thomas Laschyk: Wir hatten uns vor der Pandemie stark mit rechtsextremen Narrativen und Fake News beschäftigt. Auch wenn es schön wäre, davon auszugehen, dass die nach Beginn der Corona-Pandemie weg sind, bezweifle ich das. Deswegen wird das wahrscheinlich auch noch ein Thema bleiben.

Im Idealfall, also wenn wir komplett unabhängig Themen setzen könnten, würden wir tatsächlich mehr über Klimapolitik schreiben, weil es in unseren Augen vielleicht das wichtigste Thema ist, bei dem auch die Wissenschaft mehr Verstärkung in der Öffentlichkeit braucht. Wenn wir jetzt immer größer werden, würden wir gern mehr Leute einstellen, weil auch die Aufgaben mitwachsen: Erstmal noch mehr Faktenchecks, aber wir versuchen uns jetzt auch an Videos, um die Leute auch anders zu erreichen. Das hängt natürlich davon ab, wie unterstützenswert das unsere Fans finden. Wir sind ja wirklich zu neunzig Prozent von Crowdfunding und Spenden abhängig, nur zu zehn Prozent besteht das Einkommen aus ein bisschen Merchandise, das wir noch nebenher verkaufen. Wenn die Leute meinen, dass wir unterstützenswert sind, dann gibt es mehr davon.

Was waren Eure Artikel mit der größten Reichweite?

Thomas Laschyk: Ich glaube, unser erfolgreichster Inhalt der letzten zwei Jahre war tatsächlich einfach nur ein kleines Video, wo ein Lokführer, nachdem ihm ein Rassist gesagt hatte: „Ausländer raus!“, einfach aus der Lok ausgestiegen ist und das gefilmt hatte. Das war eigentlich nicht mal ein Faktencheck. Ansonsten: Wir haben einen sehr erfolgreichen Artikel über entlarvende Kommentare der AfD gemacht, der im letzten Oktober viral gegangen ist. An der dritten Stelle kommt dann schon ein Meinungsartikel von mir, der die Corona-Verschwörungserzähler anprangert.

Was treibt Dich eigentlich an, Dich immer wieder mit komplettem Unsinn, mit Falschmeldungen und Halbwahrheiten von Verschwörungslügnern auseinanderzusetzen?

Thomas Laschyk: Ich schaue mir das jeden Tag an, rege mich darüber auf, und dann ist das Debunken und sich damit beschäftigen eher kathartisch. Es ist auch die Motivation, die wir ursprünglich hatten. Wir wollten dem irgendwas entgegensetzen, was machen, das Gefühl haben, gegen diese Flut an Desinformation anzukämpfen und Artikel zu schreiben, die gut recherchiert sind, wo die Fakten drinstehen, womit man widersprechen kann. Wir wollten sagen: „Hey, die belügen euch, die verarschen euch, fallt nicht drauf rein!“

Besonders, wenn es dann viele Leute lesen, teilen und auch wertschätzen, dann tut das gut, dann hat man das Gefühl, dass man etwas Positives beigetragen, was Sinnvolles dagegen gemacht hat.

Wer verschwörungsideologischen Unfug gut verkraftet, wird Freude an den Kommentaranalysen im Volksverpetzer haben.

Wie wird man dabei nicht irre?

Thomas Laschyk: Du hast unseren Humor schon angesprochen. Wenn wir gerade von einem Shitstorm von Attila Hildmann heimgesucht werden, dann wollen wir uns nicht fertigmachen lassen davon, sondern wir suchen uns die dreißig dümmsten Kommentare und machen uns darüber lustig. Wir versuchen immer, diese ganze negative Energie in etwas Positives zu verwandeln.

Die halbe Welt redet mittlerweile nun schon seit Jahren über Fake News. Hat sich aus Deiner Sicht etwas verändert, und wenn ja, was?

Thomas Laschyk: Ja, ich sehe eine Veränderung. Langsam werden sich immer mehr Menschen bewusst, wie Social Media funktioniert: Es wird weiter Fake News geben, weil sie – ganz zynisch betrachtet – ein Geschäftsmodell sind. Auch wenn es jetzt viele Maßnahmen auf Plattformen gibt, um das ein bisschen einzudämmen, ist das grundsätzlich ein Problem, weil Social Media so funktioniert, dass diese Geschichten Emotionen und den Confirmation Bias der Leute ansprechen, die das glauben wollen.

Wir haben das Problem, dass die Plattformen einen enormen Einfluss auf die Politik haben, dass sich ganze politische Bewegungen gebildet haben, die das ausschlachten für Klicks, für Werbeeinnahmen, für Buchverkäufe, für Wählerstimmen. Ich glaube, der Weckruf kam erst mit der Wahl von Donald Trump. Aber es fehlt immer noch an breitem Bewusstsein, dass man professionelle Betrügerinner und Betrüger nicht so behandeln kann, wie man zuvor mit validen Minderheitsmeinungen in der Politik umgehen konnte. Denn hier handelt es sich teilweise um echte Faschisten, um professionelle Lügner, die kein Interesse an einem Austausch haben.

Erwartest Du, dass sich diese Entwicklung noch verschlimmert oder aber verbessern wird?

Thomas Laschyk: Schlimmer geworden ist es bis vor etwa einem Jahr. Vor Beginn der Corona-Pandemie habe ich gemerkt, dass es wieder besser geworden ist, dass es wieder ein breiteres Bewusstsein gegeben hat, wie man mit Faschisten umgeht, die jetzt aber leider wieder prominent in der deutschen Politik und auch in anderen Ländern gehört werden.

Man hat eine Verbesserung auch gemerkt an dem medialen Umgang mit Themen, beispielsweise mit „Fridays For Future“: Es ging wieder zurück auf eine Sachebene, wir haben wieder über sinnvolle Politik geredet. Das wurde mit der Ausnahmesituation um Corona ein bisschen durcheinander geworfen. Meine Befürchtung ist, dass wir in einer zweiten Welle nicht diesen Zusammenhalt haben wie im Frühjahr noch.

Was würdest Du Dir wünschen?

Thomas Laschyk: Dass die Leute einfach ein bisschen mehr nachdenken würden, bevor sie irgendwas teilen, nur weil sie meinen, dass es ihrer Weltanschauung entspricht. Das würde schon reichen. (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch!

Transkribierung für netzpolitik.org: Leonard Kamps. Vielen Dank!

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Categories: netz und politik

NPP 214: Wie Google zum größten Medienmäzen unserer Zeit wurde

Netzpolitik - Sat, 31/10/2020 - 08:00

https://netzpolitik.org/wp-upload/2020/10/NPP214-Medienmazen-Google.mp3

Alex und Ingo haben in dieser Woche eine Studie veröffentlicht. In „Medienmäzen Google: Wie der Datenkonzern den Journalismus umgarnt“ nehmen sie das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen den Medien und Google unter die Lupe. Der Internetgigant ist nämlich nicht nur Berichterstattungsobjekt, Technologieanbieter und Konkurrent der Medien, sondern auch ihr größter Förderer. Kongresse, Preise, Fellowships, Fortbildungen und hunderte Millionen für Innovationsprojekte: Google umwirbt den Journalismus seit einigen Jahren heftig.

Im Podcast fassen Alex und Ingo die wichtigsten Ergebnisse ihrer Forschung zusammen, sprechen über die Entstehung ihrer Studie und geben einen Ausblick auf die weitere Entwicklung.

Shownotes:

NPP ist der Podcast von netzpolitik.org. Abonniert unser Audio-Angebot, etwa bei iTunes oder Spotify, oder ladet diese Folge als MP3- oder OGG-Datei herunter. Alle unsere Podcasts findet ihr unter: https://netzpolitik.org/podcast. Wie immer freuen wir uns über Kommentare, Wünsche und Verbesserungsvorschläge.

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Zum Tode von Peter Grottian: Ihr müsst euch verbünden, sonst ändert sich nichts

Netzpolitik - Fri, 30/10/2020 - 22:34

Das Digitale lag ihm nicht. Er schrieb bis zuletzt handschriftliche Briefe und wehrte sich in einem studentischen Projekt 2002 vehement gegen eine Internetpräsenz: „Kein Mensch braucht eine Webseite“. Extinction Rebellion und Fridays for Future kritisierte er zuletzt dafür, dass sie acht Stunden am Tag in den sozialen Medien verbringen würden anstatt die Obrigkeit in die Knie zwingen.

Für den Politologen Peter Grottian waren die reale Begegnung, das Schmieden von Bündnissen und die Aktion wichtig.

Während er dem Internet und sozialen Medien kritisch gegenüberstand, fasste er die Universität umso mehr als Ort der Demokratie, der Emanzipation und der politischen Unruhe auf. Viele seiner Seminare waren darauf angelegt, dass am Ende ein Protest herauskam. Sie waren darauf angelegt, dass die Studierenden außerparlamentarische politische Organisierung von der Pike auf erlernen. Grottian, das war Aktivismus an der Universität. Und immer wieder appellierte er dabei: „Ihr müsst Euch verbünden, sonst ändert sich nichts.“

Schule des Aktivismus

Und so prägte er in den fast drei Jahrzehnten seines Wirkens als Professor am Berliner Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft Generationen von Studierenden. Er gab ihnen das Handwerkszeug für die demokratische Rebellion mit auf den Weg, hatte ein offenes Ohr und war ein beliebter Professor, vor dessen gemütlichem Büro immer zahlreiche Studierende warteten. Manche davon auch, weil sie als Langzeitstudenten bei der berüchtigten „Zwangsberatung“ bei ihm keine Standpauke anhören mussten, sondern bei Kaffee und Keksen politisch diskutieren konnten.

Seine Prüfung bei Grottian zu machen, das hieß, dass man keine Fragestellung bekam, sondern ein leeres Blatt, auf dem man die Fragen selbst stellen sollte. Freiheit der Lehre, Freiheit der Universität, Freiheit des Denkens – ganz praktisch umgesetzt. Heute im verschulten Bologna-System wäre einer wie Grottian undenkbar.

„Wenn jemand erwischt wird, zahle ich“

Grottian, der „bemooste alte Karpfen“, war auch anstrengend, manchmal paternalistisch und dominant in der Durchsetzung seiner Ideen. Auf der anderen Seite aber eben wunderbar befreiend, weil er Dinge ermöglichte, die heute an an Universitäten nicht mehr möglich sind. Und dabei hatte er immer ein Gespür für die Provokation und die mediale Wirkung von Protesten.

Es war ein ermächtigendes Gefühl, einen Professor zu haben, der seine Studierenden anstiftet, zusammen mit ihm eine große demonstrative Schwarzfahrer-Aktion zu starten, um gegen die Streichung des Sozialtickets und die Erhöhung der Preise im Berliner Nahverkehr zu protestieren.

Ein Professor, der auch noch einfach so zusagte: „Wenn jemand erwischt wird, dann zahle ich.“ Am Ende gab es einen Strafbefehl von 3000 Euro gegen ihn, konservative Landespolitiker forderten seinen Rauswurf aus der Uni. Der Universität gelang es allerdings nie, den unbequemen Professor irgendwie zu mäßigen.

Manchmal zwischen den Stühlen

Die Schwarzfahrer-Aktion war eine der zahlreichen Aktionen, an denen Grottian als Ideengeber, als Anstifter, als Spiritus Rector, als Katalysator, Initiator und Anschieber beteiligt war.

Bei einem anderen Bündnis, gestartet in einem Seminar, versuchte Grottian im Jahr 2002 den damals schon zum Ritual verkommenen Berliner 1. Mai neu zu erfinden und zu politisieren: Die Polizei sollte sich aus Kreuzberg komplett zurückziehen, dafür sollte der komplette Bezirk ein politisches Straßenfest werden. Sowohl der Innensenator lehnte das Konzept ab, wie auch die autonome Szene.

Mal wieder war Grottian zwischen allen Stühlen, ihm wurde damals sogar sein kleines Auto abgefackelt. Später entkernte der Berliner Senat Grottians Konzept zu einem unpolitischen Straßenfest mit massiver Polizeipräsenz.

Professor Peter Grottian ehrt bei einem Satire-Protest im Jahr 2019 den Berliner Immobilienbesitzer Padovicz für seine Verdienste und verleiht ihm die Ehrenbürgerwürde. Alle Rechte vorbehalten Christian Mang „Mehr Zivilen Ungehorsam!“

Grottian prägte mit solchen und zahlreichen anderen Aktionen und Bündnissen über Jahrzehnte die Sozialproteste in Berlin, was ihm Bezeichnungen wie „Bewegungsunternehmer“, „Krawallschachtel“ und „Bewegungsonkel“ einbrachte. Für seine Aktivitäten wurde er über Jahre vom Berliner Verfassungsschutz überwacht.

Grottians Steckenpferd war dabei immer der zivile Ungehorsam, die gezielte und gewaltfreie Regelverletzung. Für ihn war der zivile Ungehorsam „das Salz in der Suppe der Demokratie“, ein Mittel um „gesellschaftliche Nachdenk- und auch Umdenkprozesse anzustoßen“.

Er zog gegen den Berliner Bankenskandal durch das Reichenviertel der Stadt, gründete das Berliner Sozialforum mit oder rief zum Überfall auf Banken mit Schokopistolen auf. Er setzte keine Hoffnung in Parteien, weil diese ohne Druck von der Straße nicht zu sozialer Veränderung bereit seien. Seine politische Haltung wurde 2007 bei seiner Versetzung in den „Unruhestand“ treffend mit „Radikaler Reformismus“ beschrieben.

Vorreiter und Praktiker

Grottian war auch ein Vorreiter: Als Professor verzichtete er zusammen mit Wolf-Dieter Narr schon im Jahr 1985 auf ein Drittel seines Professorengehaltes, damit am Berliner Otto-Suhr-Institut eine Stelle für eine Professorin geschaffen wird. Er forderte damit mehr Feminismus an der Universität und stellte gleichzeitig professorale Privilegien infrage. Grottian war nicht der große Theoretiker, sondern der große Praktiker.

Grottian engagierte sich über Jahre im Grundrechtekomitee gegen Überwachung und für den Ausbau von Grund- und Freiheitsrechten. In diesem Zusammenhang war er auch an der Publikation des Grundrechte-Reports beteiligt.

Peter Grottian ist am Donnerstag in Bregenz im Alter von 78 Jahren gestorben.

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Categories: netz und politik

Wochenrückblick KW 44: Eine strategische Meisterleistung von Google, Rechtsruck bei Facebook

Netzpolitik - Fri, 30/10/2020 - 18:34

Wir starten ins Ende einer Woche mit unserer Artikelreihe über den „Medienmäzen Google“. Der Datenkonzern macht viele Millionen Euro als Gönner für den Journalismus locker. Wie sehr sich das auf die Unabhängigkeit der Medien auswirkt, haben unsere Redakteure Ingo Dachwitz und Alexander Fanta monatelang in einer Studie erforscht, finanziert vom DGB und Otto-Brenner-Stiftung.

Im Auftakt der Artikelserie fassen sie ihre Ergebnisse in einer guten und einer schlechten Nachricht zusammen. Es wurden keine direkten Einflussversuche auf den Inhalt der Berichterstattung gefunden. Allerdings sorgen sich die interviewten Medienmacher:innen um mögliche Selbstzensur durch die neue Nähe zum Digitalkonzern. So sind die Zuwendungen zu verstehen: als PR-Maßnahme, die auf den medienpolitischen Druck der Verlage reagiert.

Auch andere Konzerne und milliardenschwere Gründer:innen aus der Tech-Branche wie Jeff Bezos umgarnen die klassischen Medien mit Millionensummen. Teilweise kaufen sie ganze Verlage oder statten sie prestigeträchtig mit Stiftungsgeld aus. Wie Google hat auch Facebook diverse Initiativen, um Verlage besser zu entlohnen.

Die Verlage in Deutschland halten für die Digital News Initiative offenbar gern die Hand auf. Gerade Innovationsprojekte der angeschlagenen Branche finanziert diese in vielfältigen Häusern. Allerdings profitieren die erfolgreichsten Unternehmen am meisten.

Der News Showcase von Google teilt die Front der Verlage. Mit dem Deal bezahlt Google den Verlagen Lizenzen für Artikel, die sonst hinter ihrer Paywall stehen. Dafür dürfen sich dann Googles Partnerverlage nicht mehr für das Leistungsschutzrecht einsetzen, das Google zu branchenweiten Zahlungen verpflichten soll. Eine strategische Meisterleistung, kommentieren Ingo und Alexander.

BND-Gesetz, Polizei- und Grenzfahndung mit Überwachungstechnologie

Wir veröffentlichten ein Papier, in dem Deutschlands oberster Datenschützer den Entwurf der Reform des BND-Gesetzes der Bundesregierung kritisiert. Viele Regelungen seien „kritisch“ zu bewerten, das geheimdienstliche Hacken und strategische Massenüberwachung massive Eingriffe in die Privatsphäre. Die Grenzen der neuen geplanten Überwachungskompetenzen mit Staatstrojaner und Co. sind „unklar und unbestimmt“.

Das Schengener Informationssystem (SIS II) ist eine Datenbank für Grenzkontrollen, in der Personen wie polizeilich Gesuchte oder abgelehnte Asylsuchende und Gegenstände wie Waffen gespeichert werden. Angeschlossen sind bereits zahlreiche Behörden und Geheimdienste in ganz Europa, nun sollen noch mehr Stellen Daten eintragen dürfen. Unter der Federführung des BKA soll das System bald zu „SIS 3.0“ ausgebaut werden.

Als Function Creep wird bezeichnet, wenn Überwachungstechnologie, die zunächst für einen eingeschränkten Aufgabenbereich eingeführt wurden, dann aber auch für andere Zwecke eingesetzt wird, wenn das System erstmal da ist. Das könnte jetzt Kennzeichenlesesysteme betreffen, die eigentlich Tempolimits und Diesel-Fahrverbote überwachen sollen. Das Justizministerium plant Rasterfahndungen mit automatischen Kennzeichen-Scannern der Polizei für Strafverfolgung zu ermöglichen, auch mit vorhanderen Anlagen. Wir veröffentlichten den Gesetzentwurf.

Über dem Mittelmeer werden jetzt langfristig Überwachungsdrohnen bei Tag und Nacht kreisen, um irreguläre Migration aufzuspüren. Italien und Frontex nehmen beträchtliche Summen für Drohnen und eine neue Basisstation in die Hand, um die Satellitensignale der Videostreams empfangen zu können. Wenn sich Boote mit Flüchtenden noch in der libyschen Seerettungszone befinden, werden die anfallenden Daten an die libysche Küstenwache weitergeleitet.

Automatisierung und Nachhaltigkeit mit KI

Der neue „Automating Society Report 2020“ stellt fest, dass auch in Deutschland immer mehr gesellschaftlich relevante Fragen durch automatische Entscheidungsfindung übernommen werden, also Systeme, die etwa mit Künstlicher Intelligenz arbeiten. Die Kritik des Berichts ist, dass diese Systeme überwiegend negative gesellschaftliche Folgen haben und nicht von der nötigen Debatte begleitet werden. Eine breite gesellschaftliche Unterstützung fehle.

Wie Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit zusammengedacht werden können, haben Klemens Witte und Nils Hungerland vom HIIG analysiert. Die Technologie biete Möglichkeiten für eine nachhaltigere Entwicklung, etwa mit Klimamodellen, sei aber nicht als Selbstzweck zu betrachten. Der KI-Fußabdruck ist schon jetzt beträchtlich und wird stark wachsen.

Gesundheitswesen und Corona-App

Die Digitalisierung des Gesundheitswesen wurde lange verschleppt, jetzt soll es aber ganz schnell gehen und unangenehme Datenschutzbedenken übersprungen werden. Anfang nächsten Jahres soll die elektronische Patientenakte schon kommen, die Sicherheitsprobleme sind angesichts der sehr sensiblen Gesundheitsdaten aber noch gravierend. Unklar ist, ob sie rechtzeitig behoben werden können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn drückt trotzdem auf die Tube.

Es ist in der aktuellen Corona-Lage wieder Zeit, den Stand der Corona-Warn-App zu betrachten. Es gibt Vorschläge für neue Funktionen, die die Kontaktnachverfolgung sinnvoll ergänzen und möglicherweise noch mehr Menschen vom Nutzen der App überzeugen könnten. Die Belastung der Gesundheitsämter ist schon sehr hoch, trotzdem überlassen immer noch vierzig Prozent aller positiv auf Sars-Cov-2 Getesteten den Gesundheitsämtern die Warnung der möglichen Risikokontakte anstatt die Hilfe der App wahrzunehmen.

Uploadfilter für Terrorinhalte, strenge Regeln für legale aber schädliche Inhalte

In rund einem Monat will die EU-Kommission einen Entwurf für das neue Digitale-Dienste-Gesetz vorlegen, das die Regeln für Online-Plattformen grundlegend erneuern soll. Die Debatte um den ersten Aufschlag ist in vollem Gange. Frankreich fordert jetzt strenge Auflagen, nicht nur für den Umgang mit illegalen Inhalten, sondern auch schädlichen, aber legalen wie Desinformation.

In Julia Redas Kolumne Edit Policy legt sie die Widersprüchlichkeit der Position der Bundesregierung zu Uploadfiltern offen. Hieß es noch in der Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie, man bemühe sich, in Deutschland ohne Uploadfilter auszukommen, setzt sich die Bundesregierung als EU-Ratsvorsitzende für Uploadfilter gegen Terrorinhalte ein. Sie macht damit ihre Position bezüglich Uploadfilter „vollständig unglaubwürdig“.

Moderation von Porno-Plattformen und rechte Inhalte im Facebook Newsfeed

[Warnung: sexualisierte Gewalt] xHamster ist die in Deutschland meist besuchte Porno-Plattform. Trotzdem moderieren Freiwillige mutmaßlich illegale Nutzerinhalte. Ein Kreis von enthusiastischen Nutzer:innen soll nach Bauchgefühl darüber entscheiden, ob eine abgebildete Person minderjährig aussieht oder Tränen in einer Missbrauchsszene echt oder gespielt sind. Im Zweifel sollen möglicherweise illegale Inhalte öffentlich bleiben. Zahlreiche Fälle von ohne Einwilligung veröffentlichten oder sogar heimlich angefertigten Aufnahmen sind in letzter Zeit bekannt geworden.

Offenbar aus Angst vor Regulierung, welche die freie Hand in der Gestaltung seines Newsfeed-Algorithmus einschränken könnte, drehte Facebook-Chef Mark Zuckerberg nun die Sichtbarkeit rechter Inhalte hoch. Die Führungsriege besteht mittlerweile aus mehr und mehr Republikanern, und Zuckerberg selbst pflegt direkten Kontakt zu führenden Rechten. Der langjährige Vorwurf, die Plattform benachteilige konservative Stimmen, hat sich zu einem Rechtsruck des Facebook-Nachrichtenökosystems umgewandelt.

Und sonst so?

Journalistische Onlinemedien fallen mit dem jetzt vom letzten Landesparlament ratifizierten Medienstaatsvertrag unter die Zuständigkeit der Landesmedienanstalten. Die aus dem Rundfunkbeitrag finanzierten Anstalten sollen beaufsichtigen, ob die journalistische Sorgfaltspflicht einhalten wird. Sie könnten auch gegen Desinformation vorgehen, wenn sie auf Portalen wie „KenFM“ oder „RT Deutsch“ erscheinen. Wir haben bei allen Landesmedienanstalten nachrecherchiert. Ergebnis: Es ist zweifelhaft, ob sie ihre neuen Aufsichtspflichten mit dem Inkrafttreten des Gesetzes erfüllen können. Zusätzlich gibt es Überschneidungen mit dem europäischen Digitale-Dienste-Gesetz.

Wir veröffentlichten einen Ausschnitt aus Alexander Hoffmanns Band „Rechts gegen rechts“. Darin zeigt er, wie Akteure von Rechtsaußen mit Abmahnungen und einstweiligen Verfügung gegen freie Berichterstattung vorgehen. Sie belasten klassische Medien, insbesondere aber auch freie Journalist:innen und kleine Medienkollektive und Verlage. Die Pressefreiheit wird so systematisch im politischen Meinungskampf durch wiederholte Anwaltskosten in Mitleidenschaft gezogen.

Über Trumps übersprungshafte Netzpolitik wie beim TikTok-Verbot wird laufend berichtet. Einen Hintergrund dazu, was mit einem US-Präsident Biden netzpolitisch zu erwarten ist, klären Elisabeth Giesemann von Wikimedia und Nikolas Becker von der Gesellschaft für Informatik. Es stehen diverse Regulierungsvorhaben im Raum, von Netzneutralität, Plattformregulierung, Datenschutz bis Netzneutralität.

Die Schattenbibliothek SciHub ist eine nutzerfreundliche, aber illegale Möglichkeit für Wissenschaftler:innen, um sich ihre Fachliteratur zu besorgen. Der Großverlag Elsevier scheint sich jetzt mit Spionagesoftware gegen die Nutzung seiner Publikationen ausrüsten zu wollen. Andere mächtige Wissenschaftsverlage arbeiten stattdessen mit Bibliotheken in Deutschland an einem Deal, um die Literatur als Open Access für alle zugänglich zu machen. Der Artikel ist auch auf Englisch erschienen.

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Categories: netz und politik

bits: Wenn die KI bei der Content-Moderation durchdreht

Netzpolitik - Fri, 30/10/2020 - 18:00

Hallo,

in den vergangenen Monaten häufen sich Berichte über automatisierte Content-Moderationen auf den großen Plattformen. Ein besonders drastisches Beispiel habe ich beim Deutschen Hanfverband (DHV) gefunden. Dieser setzt sich als Bürgerrechtsorganisation für die Legalisierung von Cannabis und die Entkriminalisierung von Konsument:innen ein. Dazu zählen auch eine starke Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit. Ein zentrales Element ist die wöchentliche Nachrichtensendung DHV-News auf Youtube, die pro Folge regelmäßig zehntausende Zuschauende hat. Mit 163.000 Abonnenten ist der Hanfverband eine der erfolgreichsten politischen NGOs im deutschsprachigen Raum auf Youtube.

Aber aktuell ist der Kanal fast leer und die Schuld sieht der DHV-Geschäftsführer Georg Wurth bei Youtube und seinen automatisierten Content-Moderationen. Ich habe mit ihm dazu ein Interview geführt, was Ihr Euch hier anhören könnt: „Wir merken, wie die KI übernimmt.“

https://netzpolitik.org/wp-upload/2020/10/bits_podcast_georg_wurth_hanfverband.mp3
(Hier als MP3)

Georg Wurth beschreibt darin, wie in den vergangenen Monaten immer mehr Einschränkungen kamen und Videos aus verschiedenen Gründen abgeschossen wurden. Mittlerweile gefährdet das die gesamte Öffentlichkeitsarbeit der Lobbyorganisation und Youtube reagiert darauf fast gar nicht.

Natürlich kann man jetzt sagen: Selbst Schuld, warum sind die auch auf Youtube: Wurth schilderte mir aber auch das Gatekeeper-Problem der marktdominanten Plattform Youtube: Selbstverständlich kann man auf freie und offene kleine Alternativen ausweichen, das hat man ausprobiert, aber dann schaut niemand mehr zu.

Die ersten Probleme traten durch (menschliche) Meldungen wegen vermeintlich fehlender Altersbeschränkungen auf. Das war lästig und führte dazu, dass viele potenziell Zuschauende die News nicht mehr sehen konnten, bis sich jemand bei Youtube das angeschaut und bewertet hat: „Das kostete uns schnell zehntausende Zuschauer.“ In den vergangenen Wochen wurden die Probleme automatisierter und es wurden Links in den Videobeschreibungen gelöscht, wo in der Regel auf journalistische Quellen und die eigene Webseite des DHV samt Fördermitgliedsformularen und Merchandising-Shop verlinkt wird. Begründet wurden die Roboter-Löschungen mit Verweis auf einen Verstoß gegen die Youtube-Richtlinien „zum Verkauf von Gütern, die gesetzlichen Beschränkungen unterliegen“.

Dabei handelt es sich hier um politische Meinungsäußerungen und nicht um den Verkauf von Cannabis. Der Hanfverband sieht gerade im Oktober massive Probleme in Verbindung mit Verschärfungen der Youtube-Regeln im September und macht verstärkte, unkontrolliert wütende KI-Systeme dafür verantwortlich. Es gibt auch keine menschliche Reaktionen bei Youtube mehr: „Dann kann im Prinzip eine KI einen ganzen Kanal killen/löschen, der komplette Kanal ist dann erst mal weg, bis Menschen sich das irgendwann angucken, vollautomatisch“, so erzählte es mir Wurth am Telefon.

Das ist aktuell ein globales Problem, dass sich in Folge der Corona-Pandemie noch verschärft hat, da alle Plattformen mehr automatisieren, wie Jillian York von der EFF bei Politico beschreibt: What happened when humans stopped managing social media content.

Der DHV hat mittlerweile alle Videos auf nicht-öffentlich geschaltet, damit wenigstens noch die aktuelle wöchentliche News-Sendung erscheinen kann und nicht wegen alter Videos der komplette Kanal weg ist. Youtube/Google hat bisher auf meine Presseanfrage dazu nicht reagiert.

Update: Nach Rücksprache mit den Google und YouTube Kollegen kann die PR-Agentur von Google leider keine Auskunft zu einzelnen Videos geben und meine Fragen nicht beantworten.

Neues auf netzpolitik.org

News Showcase ist Googles strategische Meisterleistung„, finden Alexander Fanta und Ingo Dachwitz in ihrer gemeinsamen Analyse:

Mit seinem Milliarden-Dollar-Angebot perfektioniert Google seine Teile-und-herrsche-Strategie gegenüber den Medien. Die Verlage können das Angebot kaum ablehnen und doch schwächen sie damit den Stand ihrer Branche im medienpolitischen Poker mit dem Datenkonzern. Ein Kommentar.

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Datenschutzbeauftragter kritisiert Staatstrojaner für Geheimdienste„, fasst Andre Meister ein nicht-öffentliches Papier aus dem BfDI-Haus zusammen, das wir veröffentlichen:

Das Kanzleramt will die Befugnisse des Bundesnachrichtendiensts ausweiten und dessen Kontrolle schwächen. Das kritisiert der Bundesbeauftragte für den Datenschutz in einem Papier, das wir veröffentlichen. Massenüberwachung und Staatstrojaner bezeichnet er als „massiven Eingriff in die Privatsphäre“.

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Leonard Kamps fasst den „Automating Society Report 2020“ von Algorithmwatch für Deutschland zusammen: Automatisierung schreitet auch in Deutschland voran.

Immer häufiger werden kritische Entscheidungen von Algorithmen getroffen. In Europa und Deutschland finden sich nach einem neuen Bericht immer mehr solcher Systeme, ohne dass ihre Einführung gesellschaftliche Unterstützung hätte.

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Immer mehr Behörden werden an das Schengener Informationssystem angeschlossen, wie Matthias Monroy weiß: Tausende neue Behörden nutzen Europas größtes Fahndungssystem.

Nach Polizeien, Zoll und Ausländerämtern werden nun zahlreiche nichtpolizeiliche Behörden an das Schengener Informationssystem angebunden. Alle teilnehmenden Staaten müssen dazu drei neue Verordnungen umsetzen. In der Schweiz regt sich überraschender Widerstand, am Ende könnte das Land aus dem SIS-Verbund aussteigen.

Kurze Pausenmusik:

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Feedback und sachdienliche Hinweise bitte an markus@netzpolitik.org schicken.

Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Tomas Rudl unterstützt.

Was sonst noch passierte:

In NRW werden immer mehr rechtsextreme Verdächtige in Sicherheitsbehörden entdeckt: Skandal um rechtsextreme Polizei-Chats weitet sich aus.

Und in Berlin kaufen Polizisten im Dienst alte Radios mit Hakenkreuz drauf und würden auch mehr kaufen, wenn die wieder reinkommen: Berliner Polizisten kaufen offenbar Radio mit Hakenkreuzen.

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Das Bundeskartellamt hat ein „Wettbewerbsverfahren gegen Amazon und Apple“ gestartet, wie die FAZ berichtet. Bei den Untersuchungen geht es um Kooperationen zwischen den beiden Unternehmen, die verhindern sollen, dass nicht-zertifizierte Apple-Händler Produkte des Unternehmens auf Amazon verkaufen. Das Beispiel zeigt, dass Amazon eben kein neutraler Vermittler ist, als der sich das Unternehmen gerne zeigt, weil man damit regulative Vorteile hat.

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In Frankreich gibt es Pläne für Verschärfungen der sowieso schon ziemlich scharfen Sicherheitsgesetze. La Quadrature du Net weist auf die Debatte um ein „Gesetz zur globalen Sicherheit“ hin, das die Nutzung von Drohnen durch Sicherheitsbehörden legalisiert und gleichzeitig verbietet, dass Bilder von Polizist:innen veröffentlicht werden dürfen: Loi securite globale: Surveillance generalisee des manifestations.

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Robert Brockhaus, Simon Gerdemann und Christian Thönnes warnen im Verfassungsblog davor, dass eine Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie zu einem ungleichen Schutz für Whistleblower führen kann: Zu drohenden verfassungswidrigen Ungleich­behandlungen durch die Umsetzung der EU-Whistleblowing-Richtlinie.

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Der vierte Deutsche Kinder- und Jugendsportbericht fordert mehr Förderung von Sportmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche, weil die zuviel vor Bildschirmen sitzen und dicker werden: Mehrheit der Kinder und Jugendlichen bewegt sich zu wenig.

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Die Fraunhofer-Initiative Roberta4Home verschenkt 1000 Calliope-Mini-Computer an Grundschüler im Rahmen des Wettbewerbes Code4Space, für den Grundschulteams Experimente für die Internationale Raumstation ISS machen. Die Calliope-Mini-Computer sind eine gute Möglichkeit für den niedrigschwellgen Einstieg in die Programmier-Welt. Hier kann man sich bewerben.

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Missverständliche Aussagen des SPD-Gesundheitspolitikers Karl Lauterbach zu möglichen Wohnungskontrollen zur Einhaltung der Corona-Regeln führten gestern zu erregten Debatten, auch im Bundestag. Das ZDF hat das zusammengefasst: Lauterbachs Wohnungskontrollen – Perfekte Zutaten für einen Shitstorm.

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Während bei uns die Zahlen langsam durch die Decke gehen (und es uns damit immer noch vergleichsweise gut geht gegenüber den meisten europäischen Staaten), schaut Taiwan auf 200 Tage Corona-frei zurück. Natürlich hat ein Inselstaat mehr Möglichkeiten, sich abzuschotten und die Einstellung des Reiseverkehres für Nicht-Bewohner:innen spielt hier eine Rolle. Aber dazu zählen ebenso klare Quarantäne-Regeln, deren Einhaltung auch überprüft und deren Missachtung teuer bestraft wird. Und die Quarantäne-Regeln gelten auch für alle Kontaktpersonen, auch wenn diese einmal negativ getestet wurden. Dazu hat Taiwan sehr früh eine eigene Maskenproduktion gehabt und Maske tragen ist dort als solidarischer Akt mehr in der Gesellschaft akzeptiert als bei uns mit den vielen Covidioten. Das Time-Magazine berichtet über Taiwan: Taiwan Achieves Record 200 Days With No Local Coronavirus Cases.

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In einem großen Experiment haben Forscher der Uni Halle an der Saale getestet, wie Großveranstaltungen trotz Corona möglich sein können. Die Ergebnisse liegen jetzt vor: Großveranstaltungen können laut Studie auch in einer Pandemie stattfinden. In der Theorie geht das, in der Praxis dürfte das aber leider sehr langweilig sein und das mag für Konzerte irgendwie noch funktionieren, aber nicht wirklich für Kongresse.

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Bereits 1999 hat David Bowie in einem Interview die zukünftigen Auswirkungen des Internets besser vorhergesagt, als es aktuell viele Artikel im Feuilleton tun. Die BBC erinnerte gestern mit einem Auszug des Interviews nochmal an die weise Voraussicht.

Video des Tages: Ungewollt nackt im Netz?

Das Y-Kollektiv aus dem Funk-Universum gibt in der Kurz-Dokumentation „Ungewollt nackt im Netz? Das kannst du tun, wenn du öffentlich auf Pornoseiten gedemütigt wirst“ genau in die Thematik Einblick und gibt Tipps, wie man sich wehren kann.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

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Categories: netz und politik

Medienstaatsvertrag: Der lange Kampf gegen Desinformation

Netzpolitik - Fri, 30/10/2020 - 15:29

Medien, die im Netz Unwahrheiten verbreiten, können bald dafür belangt werden. Spätestens Mitte November sollen sie unter der Aufsicht der Landesmedienanstalten stehen. Vorgesehen ist dies im Medienstaatsvertrag, dem seit dieser Woche alle Landesparlamente zugestimmt haben. Die neuen Regelungen ersetzen den Rundfunkstaatsvertrag, der seit 1991 gilt. Sie ermöglichen nun auch ausdrücklich eine Regulierung von Internetmedien. Recherchen von netzpolitik.org wecken jedoch Zweifel, ob die Aufsichtsbehörden wirklich für die neuen Aufgaben gerüstet sind.

Laut Staatsvertrag müssen sich Internetmedien an anerkannte journalistische Grundsätze halten. Dazu gehört, dass sie die Nachrichten vor der Veröffentlichung sorgfältig prüfen – auch auf deren Wahrheitsgehalt. Diese Regelung betrifft auch Blogs, sofern sie nicht privat betrieben werden. Angebote wie beispielsweise „KenFM“ oder „Tichys Einblick“ könnten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Falschmeldungen verbreiten, genauso „RT Deutsch“, berüchtigt für russische Propaganda.

Ob die Berichterstattung im Netz vorwiegend auf einer Website oder auf anderen Kanälen stattfindet, spielt hierbei keine Rolle: Der Staatsvertrag bezieht sich auf Telemedien mit journalistisch-redaktionellen Angeboten im Allgemeinen. Die Schwelle dürfte damit gering genug sein, dass bereits Facebook-Seiten und Telegram-Kanäle der Aufsicht der Medienanstalten unterliegen, sofern dort Inhalte redaktionell aufbereitet werden. Der Staatsvertrag könnte sich also als ein mächtiges Mittel erweisen, um die Verbreitung von Desinformationen auf diesen Plattformen einzudämmen.

Ortsprinzip für Regulierung

Reagieren soll wohl zunächst die Medienanstalt, die für die Region zuständig ist, an der das jeweilige Medium seinen Sitz hat. Komplizierter wird es wohl, wenn Angebote kein Impressum haben, wie der rechtsradikale Blog „PI-News“. Auch im Fall des QAnon-Anhängers Oliver Janich, der vor allem auf Telegram aktiv ist, könnten Maßnahmen schwierig werden: Er verbreitet seine Verschwörungsmythen offenbar von den Philippinen aus.

Um ein Stimmungsbild einzuholen, haben wir den 14 Medienanstalten jeweils eine Reihe von Fragen geschickt. Teilweise wollten wir wissen, inwiefern sie für konkrete Internetmedien im Falle von Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten tatsächlich zuständig wären. „Desinformation entspringt häufig der fehlenden Bereitschaft, richtig zu recherchieren“, so Tobias Schmid, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM). Mit seinem Sitz in Köln fällt etwa das rechte Jugendportal „Flinkfeed“ (ehemals „Fritzfeed“) in den Zuständigkeitsbereich der LfM. Verfassungsschützer:innen bezeichneten die Inhalte der Website als teilweise rechtsextrem.

„‚Flinkfeed’ ist sicherlich ein Angebot, dass wir im Hinblick auf unsere zukünftig erweiterten Kompetenzen besonders in den Blick nehmen werden“, teilte Schmid mit. Die übrigen Medienanstalten wollten sich auf Anfrage nicht zu konkreten Medien äußern.

Vorsichtige Antworten

Die meisten der Anstalten, die wir angefragt hatten, schickten uns weitgehend gleichlautende E-Mails. „Wenn wir unabgestimmt antworten würden, würden wir ein falsches Bild abgeben“, schrieb uns ein Sprecher der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz. Andere betonten, wie eng vernetzt die Anstalten miteinander seien. Statt aussagekräftiger Antworten erhielten wir vor allem vage Auskünfte.

Zum Teil wichen sie unseren Fragen aus. Wir hatten uns erkundigt, ob die einzelnen Medienanstalten ihrer Einschätzung nach ausreichend aufgestellt sind, um die zahlreichen neuen Aufgaben zu bewältigen. Nur die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg gab an, gut gerüstet zu sein. Die Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern schrieb uns, sie benötige mehr Geld, um mehr Personal einstellen zu können.

Die gemeinsame Geschäftsstelle in Berlin formulierte eine Antwort vor, wonach gerade mal der Prozess einer intensiven Vorbereitung begonnen hat. Zu diesem gehöre auch, bestehende Strukturen zu bewerten und den neuen Gegebenheiten anzupassen. In den kommenden Monaten gehe es dann darum, Erfahrungen zu sammeln. Deutlich wird, dass der Medienstaatsvertrag für die Aufsichtsbehörden wohl zunächst als Experiment beginnen wird.

Beanstandung, Untersagung, Sperrung

Die Medienanstalten sollen unabhängig vom Staat sein, sie werden hierzu im Wesentlichen durch den Rundfunkbeitrag finanziert. Verstoßen Publikationen nach Ansicht einer Medienanstalt gegen Sorgfaltspflichten, können diese Beanstandungen aussprechen. Gegebenenfalls soll es auch möglich sein, Angebote gänzlich zu untersagen, unter Umständen auch sperren zu lassen. Bußgelder sind nicht vorgesehen.

Es ist nicht gesagt, dass Angebote Maßnahmen auch akzeptieren werden. Das liegt auch daran, dass der entsprechende Absatz des Staatsvertrags Spielraum für Interpretation lässt. Zum Streitpunkt könnte etwa die Frage werden, wann ein Medium tatsächlich gegen Sorgfaltspflichten verstößt und was genau „anerkannte journalistische Grundsätze“ sind. Gemeint sein könnte damit der Pressekodex des Deutschen Presserats, der ethische Standards für den Journalismus festlegt. Ausdrücklich genannt wird der Pressekodex in diesem Zusammenhang aber nicht.

Denkbar wäre auch, dass beanstandete Medien bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen könnten, indem sie gegen die Maßnahmen der Aufsichtsbehörde als eine Einschränkung der Pressefreiheit klagen.

Freiwillige Selbstkontrolle für Internetmedien

Grundsätzlich räumt der Staatsvertrag Internetmedien die Möglichkeit ein, sich einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle anzuschließen. Ausgenommen sind hiervon die Internetangebote von Print-Medien, die dem Pressekodex und Presserat unterliegen. Die übrigen können einer Art Presserat speziell für Angebote im Netz beitreten. Dieser würde das Angebot dann anstelle der Medienanstalt regulieren.

Eine solche Einrichtung müsste unabhängig sein und zunächst durch eine Medienanstalt anerkannt werden. Da der Medienstaatsvertrag formal noch gar nicht in Kraft ist, gibt es zwangsläufig auch noch keine entsprechend anerkannten Einrichtungen.

Auch scheint zweifelhaft, ob „KenFM“ oder „RT Deutsch“ in Anbetracht ihrer Ausrichtung in der Lage wären, in der Zukunft einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle beizutreten, die auch eine solche Anerkennung erhalten würde. Ohne sich einer solchen anzuschließen, bleibt Internetmedien jedoch nur noch die Regulierung durch die Medienanstalten selbst.

Selbst wenn ein Medium eigentlich von einer Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle reguliert wird, könnte die zuständige Medienanstalt laut Staatsvertrag einschreiten. Dazu müsste die Einrichtung nach Ansicht der Medienanstalt bei einer Entscheidung die Grenzen des Beurteilungsspielraums überschritten haben.

Begrenzte Mittel

Wie groß die Auswirkungen des Staatsvertrags im Hinblick auf Sorgfaltspflichten bei Internetmedien sein werden, wird womöglich stark von den örtlichen Gegebenheiten abhängen. Es gibt keinen Zwang für die Medienanstalten, proaktiv gegen Verstöße vorzugehen. Internetnutzer:innen könnten die Aufsichtsbehörden auf konkrete Fälle hinweisen. Diese würden dann aber selbst entscheiden, wie umfangreich sie dem nachgehen.

Eine Rolle spielen wird deshalb wohl auch, wie engagiert die Anstalten im Einzelnen sind. Ausschlaggebend werden auch die Mittel sein, die ihnen dabei zur Verfügung stehen.

Im Bereich der Medienaufsicht der Anstalten sind nach unseren Recherchen meist fünf bis zehn Mitarbeiter:innen zuständig, die häufig aber noch andere Aufgaben übernehmen müssen. „Ich sehe schon, dass die Medienanstalten, wenn jetzt viele Beschwerden kommen sollten, personell und mit ihrem Know-how an Grenzen stoßen könnten“, sagt Kerstin Liesem gegenüber netzpolitik.org. Sie ist Professorin für öffentliches Recht an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen mit dem Schwerpunkt Kommunikationsrecht. „Die Medienanstalten werden erstmal abwarten und wenn viel neue Arbeit anfällt, müssen sie aus meiner Sicht neue Mitarbeiter einstellen.“

Große Sprünge sind wohl zunächst nicht zu erwarten. Die Medienanstalt Mecklenburg-Vorpommern, deren Aufsicht nur aus zwei Personen besteht, teilt mit, sie wolle mindestens eine weitere anheuern. Die Entscheidung, ob neues Personal eingestellt wird, sei letztendlich auch fallabhängig, heißt es in der Formulierung der gemeinsamen Geschäftsstelle. Zum Teil unterscheiden sich die Medienanstalten deutlich in ihrer Größe.

Dass dies ein wunder Punkt sein könnte, zeigt eine Antwort aus dem kleinsten Bundesland Bremen. Die dortige Medienanstalt wollte auch auf wiederholte Nachfrage nicht sagen, wie viele Mitarbeiter:innen bei ihr für die Medienaufsicht zuständig sind. Stattdessen teilte sie uns mit: „Wir werden die neuen Aufgaben verwaltungsorganisatorisch so organisieren, dass sie wahrgenommen werden können.“ Wie groß jedoch der Spielraum ist, den sie hat, um Personal umzuschichten, bleibt offen.

Bei der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien waren nach eigenen Angaben zuletzt insgesamt 86 Vollzeitstellen vorgesehen. Die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg beschäftigt rund 30 Mitarbeiter:innen. Die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) mit 23 Mitarbeiter:innen schreibt uns, sie habe bereits in den vergangenen Jahren personelle Kapazitäten auf die Aufsicht von Internetplattformen verlagert. Dass die MA HSH schon umstrukturiert hat, ist wohl kein Zufall. Denn auf einige Anstalten dürfte besonders viel Arbeit zukommen, wenn der Staatsvertrag in Kraft tritt.

Medienanstalt gegen Goliath

Demnächst wollen die Landesmedienanstalten auch Tech-Riesen wie Google und Facebook regulieren. Der Medienstaatsvertrag nennt sie Medienintermediäre, weil sie im Grunde keine eigenen Inhalte herstellen, aber Nutzer:innen Angebote von Dritten zugänglich machen. Die Regulierung greift für die Plattformen, sobald sie in Deutschland eine Million Menschen pro Monat erreichen.

Die Intermediäre müssen sogenannte Zustellungsbevollmächtigte in Deutschland benennen. Deren Sitz wird dann darüber entscheiden, welche Landesmedienanstalt für das jeweilige Unternehmen zuständig ist. „Es besteht aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass der Sitz des Zustellungsbevollmächtigten dem Deutschland-Sitz der Unternehmen folgt“, so eine Sprecherin der MA HSH.

Die Deutschland-Zentralen von Google und Facebook sind in Hamburg, auch Twitter hatte hier seine Büros. Schon bei der Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ließ sich aber nur Google von der hauseigenen Rechtsabteilung vertreten. Facebook beauftragte stattdessen eine Berliner Anwaltskanzlei, Twitter nennt in seinem Impressum eine Adresse in München.

Genauso könnten Intermediäre Zustellungsbevollmächtigte im Sinne des Medienstaatsvertrags aus taktischen Gründen an einem ganz anderen Ort wählen. Zum Beispiel im Zuständigkeitsbereich einer Landesmedienanstalt, von der bekannt ist, dass ihre Aufsicht personell dünn besetzt ist.

Die gemeinsame Geschäftsstelle gibt sich Mühe, zu betonen, wie eng die einzelnen Medienanstalten bei der Aufsicht zusammenarbeiteten. Wie diese Vernetzung konkret aussieht, bleibt indes fraglich.

Verstoß gegen EU-Recht

Bei den Regulierungen, die der Medienstaatsvertrag für Intermediäre vorsieht, geht es unter anderem darum, nach welchen Kriterien sie auf publizistische Inhalte verweisen. Erklären müssen sie auch, inwiefern dabei beispielsweise Empfehlungsalgorithmen zum Einsatz kommen. Zudem verbietet der Staatsvertrag den Intermediären, einzelne Medien zu benachteiligen. Facebook könnte demnach also Probleme bekommen, wenn es Inhalte bestimmter Medien bei der Ausspielung in den Newsfeeds der Nutzer:innen systematisch herunterstuft.

Um Maßnahmen durchzusetzen, könnten sich die Medienanstalten wohl auch hier in letzter Konsequenz für Sperrungen entscheiden. Allerdings gibt es Zweifel daran, dass sie die großen Tech-Firmen überhaupt regulieren dürfen. Der Medienstaatsvertrag könnte womöglich rechtlich gar nicht durchsetzbar sein.

Gemäß der E-Commerce-Richtlinie der Europäischen Union gilt eigentlich das sogenannte Herkunftslandprinzip. Das bedeutet: Facebook muss sich an seinem Firmensitz in Irland regulieren lassen, nicht aber von den Medienanstalten in Deutschland. Die EU-Kommission hatte sich kritisch hierzu geäußert. „Einige Bestimmungen des deutschen Vertragsentwurfs werfen Bedenken auf, ob sie mit EU-Recht vereinbar sind“, teilte ein Vertreter bereits im Frühjahr mit.

Blaupause für Europa

„Ich denke, dass ein Anbieter nicht chancenlos wäre, würde er eine Klage anstreben“, sagt auch die Medienrechtlerin Kerstin Liesem. Sie wertet den Staatsvertrag vor allem als politisches Signal. Man wolle den Intermediären wohl klarmachen, dass man sie im Blick habe. „Ich sehe den Medienstaatsvertrag als mögliches Vorbild für eine Regulierung auf europäischer Ebene.“

Tatsächlich arbeitet die EU-Kommission am Digitale-Dienste-Gesetz („Digital Services Act“), das die rund 20 Jahre alte E-Commerce-Richtlinie erneuern soll. Die Pläne sehen eine europaweit einheitliche Regulierung für Plattformen wie Google und Facebook vor. Sie sollen damit auch den Wildwuchs begrenzen, zu dem Deutschland schon mit dem NetzDG beigetragen hat.

Mit dem Medienstaatsvertrag wurde nun abermals eine nationale Extrawurst gebraten. Seit am Mittwoch auch der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern seine Zustimmung erteilt hat, müssen die 16 Ratifizierungsurkunden nur noch in Berlin gesammelt werden, das in diesem Monat den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz übernommen hat. Ist dies geschehen, wird es an den 14 Medienanstalten liegen, sich an die Umsetzung heranzutasten. Dann wird man herausfinden, was wirklich möglich ist und was nicht.

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Categories: netz und politik

BND-Gesetz: Datenschutzbeauftragter kritisiert Staatstrojaner für Geheimdienste

Netzpolitik - Fri, 30/10/2020 - 10:09

Nach einen Urteil des Bundesverfassungsgerichts will das Bundeskanzleramt die Befugnisse des Bundesnachrichtendiensts neu regeln. Vor einem Monat haben wir den Entwurf für ein neues BND-Gesetz veröffentlicht. Mehrere Autor:innen haben den Entwurf kritisiert: mangelhafte Kontrolle, Überwachung von Medien und Gefahr für die Pressefreiheit.

Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Ulrich Kelber arbeitet an einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf. Wir haben jetzt eine „erste Positionierung“ des obersten Datenschützers erhalten, die wir an dieser Stelle im Volltext veröffentlichen. Zuerst berichtete das ARD-Magazin Monitor über das Papier.

Kritische Befugniserweiterungen

Die Datenschutz-Behörde bewertet in dieser ersten Einschätzung des Gesetzentwurfs viele Regelungen als „kritisch“. Wie berichtet, soll der Geheimdienst künftig ganz legal Mobilfunk- und Internetanbieter hacken dürfen. Der BfDI hält diese Hacking-Befugnis für eine Kompetenzerweiterung, die „unklar und unbestimmt geregelt“ ist.

Wenn Geheimdienste hacken, ist das eine „hohe Eingriffsqualität im Einzelfall“, der Eingriff in Grundrechte ist noch tiefer als bei der „strategischen“ anlasslosen Massenüberwachung. „Insofern müssten mindestens die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur strategischen Telekommunikationsüberwachung beachtet werden, was nicht geschieht.“

Mit einem zweiten Gesetz sollen neben dem BND auch alle anderen 18 Geheimdienste hacken dürfen. Auch diese Staatstrojaner bezeichnet der Datenschutzbeauftragte in einer Pressemitteilung als „massiven Eingriff in die Privatsphäre“ und als Verstoß „gegen das verfassungsrechtliche Trennungsgebot zwischen Polizeibehörden und Nachrichtendiensten“. Diese Kritik an den Hacking-Befugnissen für den Verfassungsschutz gilt auch für den Bundesnachrichtendienst.

Weitreichende Erfassungsvolumina

Seit Edward Snowden und dem Geheimdienst-Untersuchungsausschuss ist öffentlich belegt, wie weitreichend die Geheimdienste das Internet überwachen. Damals durfte der BND nur einzelne Leitungen abhören, und davon eigentlich nur 20 Prozent. Seit 2016 darf der BND ganze Telekommunikationsnetze abhören, ganz ohne Beschränkung.

Das Bundesverfassungsgericht kippte dieses Gesetz. Jetzt will das Kanzleramt eine „Beschränkung auf maximal 50 Prozent aller bestehenden Telekommunikationsnetze weltweit“. In der Praxis kann der BND gar nicht die Hälfte der weltweiten Kommunikation abhören, selbst die NSA schaffte nur 75 Prozent der US-Kommunikation.

Der BfDI sieht in der 50-Prozent-Regelung keine wirksame Beschränkung. Er bezeichnet die Datenmassen, die der Geheimdienst damit abhören darf, als zu weitreichend und bedenklich. Das Ausmaß der Überwachung sei nicht im Einklang mit dem höchstrichterlichen Urteil.

Umgehung der Beschränkungen

Der BND darf Daten nicht nur erheben, speichern und auswerten, sondern auch an andere Behörden im In- und Ausland weitergeben. Der BfDI kritisiert, dass der Gesetzentwurf die „essenziellen Übermittlungsbeschränkungen“ umgeht und damit neue Datenweitergaben erlaubt.

Beispielsweise kann der BND Daten aus seiner anlasslosen Massenüberwachung aus Telekommunikationsnetzen auch an das Bundesamt für Verfassungsschutz weiterleiten. Dabei muss der BND nicht ranschreiben, wo er die Daten herhat. Sind die Daten einmal ohne Kennzeichnung „im ‚zentralen Datentopf‘ der Inlandsnachrichtendienste“, kann die Herkunft „nicht mehr nachvollzogen werden“. Dann sieht der Verfassungsschutz nicht mehr, dass er die Daten nicht weitergegeben darf.

Darüber hinaus kritisiert der BfDI die „Verarbeitung erheblicher Volumina von Verkehrsdaten deutscher Staatsangehöriger und Personen im Inland“. Eigentlich darf der Auslandsgeheimdienst nur Ausländer abhören. Das Gesetz erlaubt aber das Abhören von „Maschine-zu-Maschine-Kommunikation“, wenn beispielsweise ein Smartphone mit einem Mobilfunknetz kommuniziert. „Dies generiert mitunter tiefgreifendere Erkenntnisse als die Telefonüberwachung.“ Das erinnert an Rechtsakrobatik wie die Weltraumtheorie.

Schwächung der Kontrolle

Am ausführlichsten kritisiert der BfDI die Aufsicht über den BND. Das Bundesverfassungsgericht hatte kritisiert, dass es keine „ausgebaute unabhängige objektivrechtliche Kontrolle“ des Geheimdiensts gibt. Stattdessen gibt es einen Flickenteppich aus acht verschiedenen Institutionen, die einzelne Teile der BND-Aktivitäten kontrollieren sollen.

Das Kanzleramt will dieses Potpourri nicht straffen, sondern ein neues Gremium schaffen: den „Unabhängigen Kontrollrat“. Der BfDI urteilt kritisch: „Der Vorschlag des Bundeskanzleramts versäumt es, bestehende Zuständigkeit zu nutzen und verschenkt Synergien für die Effektivität der Kontrolle. Im Ergebnis droht eine Schwächung der [Geheimdienst]-Kontrolle durch Parallelstrukturen.“

Der BfDI kritisiert weiter, dass der „unabhängige“ Kontrollrat eine „faktische Nähe“ zu Kanzleramt und BND hat, obwohl er diese kontrollieren soll. Die neuen Kontrolleure müssen das Kanzleramt anhören, bevor sie eine Geschäftsordnung erlassen oder den Bundestag unterrichten können. Der Kontrollrat kann dem Kanzleramt sogar „die Personalverwaltung und Personalwirtschaft übertragen“. Der BfDI geht davon aus, dass er aus Zeitgründen sogar dazu gezwungen sein wird.

Kontrolle durch Datenschutzbeauftragte

Der Bundesdatenschutzbeauftragte ist der Auffassung, dass seine Behörde am besten geeignet ist, die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Kontrolle durchzuführen. In zehn Punkten führt das Papier aus, was für den BfDI spricht: demokratische Legitimation, Effektivität, Kompetenzen, Einsparungs- und Synergieeffekte, Erfahrung und Vertrauen.

In der Tat hat die Datenschutz-Oberbehörde seit vielen Jahren eine eigene Abteilung „Polizei und Nachrichtendienste“ mit sechs Referaten, darunter Verfassungsschutz und MAD sowie BND, Militärisches Nachrichtenwesen, Nachrichtendienstliche Kooperationen.

Die Öffentlichkeit bekommt davon wenig mit, im letzten Tätigkeitsbericht zum Datenschutz gibt es nur einen kurzen Absatz über Beratungs- und Informationsbesuche beim BND: „Aufgrund der strengen Vorgaben der Verschlusssachenanweisung kann ich an dieser Stelle allerdings nur sehr eingeschränkt hierüber berichten.“

Ein einziges Mal wurde öffentlich bekannt, wie der BfDI den BND geprüft hat. Nach den Snowden-Enthüllungen besuchten die Datenschützer die BND-Abhörstation in Bad Aibling. Daraus entstand ein geheimer Prüfbericht, den wir veröffentlichten. Die oberste Datenschutzbehörde stellte 18 schwerwiegende Rechtsverstöße fest und sprach zwölf offizielle Beanstandungen aus. Der Bericht war ein Paukenschlag, führte aber nicht zu ernsthaften Konsequenzen.

Sorgfalt und Tiefe ausgeschlossen

Das Papier ist noch keine offizielle Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten, sondern nur eine „erste Positionierung“. Der Gesetzentwurf des Kanzleramts ist 111 Seiten lang, die Materie ist komplex. Eine vollständige Prüfung mit der „geforderten Sorgfalt und Tiefe“ hält die Behörde in der kurzen Zeitspanne für „ausgeschlossen“.

Die Bundesregierung drückt trotzdem auf’s Tempo. Eigentlich wollte sie den Gesetzentwurf schon am Mittwoch im Kabinett beschließen, doch die Ministerien verhandeln noch. Das Bundesverfassungsgericht hat eine großzügige Übergangsfrist bis Ende nächstes Jahr erlaubt. Doch die Große Koalition will das leidige Thema Geheimdienst-Überwachung offenbar aus dem anstehenden Wahlkampf halten, vor allem die SPD.

Erste Positionierung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Bundesnachrichtendienst zur Umsetzung der Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Mai 2020 (BNDG-E) I. Einleitung

Das BVerfG hat dem BND zur Erfüllung seiner besonderen Funktion die Möglichkeit, tiefer Grundrechtseingriffe durch eine Datenerhebung bei der strategischen Telekommunikationsüberwachung im Ausland zugestanden, wenn diese verfassungsrechtlich durch Eingriffsgrenzen, Übermittlungsbeschränkungen und eine effektive aufsichtliche Kontrolle abgesichert wird.

Beim vorliegenden Gesetzentwurf sind aus Sicht des verfassungsgerichtlich geforderten Grundrechtsschutzes die Übermittlungs- und Kennzeichnungsvorschriften für Daten aus der strategischen TKÜ, die schon vom Gericht als bedenklich eingestuften Volumina der Datenerfassungen, die weitreichende Verarbeitung von Verkehrsdaten von Deutschen und Inländern (§ 28 BNDG-E), die Rechtsgrundlage für den Eingriff in informationstechnische Systeme im Ausland (Hacking) und die Befugniserweiterungen im Licht des informationellen Trennungsprinzips als kritisch einzustufen.

Der Gesetzentwurf ermöglicht insbesondere Umgehungen der essenziellen Übermittlungsbeschränkungen des BVerfG und enthält undefinierte Kompetenzerweiterungen. Die Übertragung der administrativen Kontrolle auf eine neue oberste Bundesbehörde mit faktischer Nähe zum BKAmt bzw. zum BND schwächt die Vorgabe einer tatsächlichen Unabhängigkeit. Erstmals wird für die Kontrolle der Datenverarbeitung einer Einrichtung des Bundes eine zweite Behörde neben dem BfDI geschaffen, damit nimmt die Zerstückelung der Kontrolllandschaft zu statt ab.

Das BKAmt plant, den konsolidierten Gesetzentwurf am 28.10.2020 ins Kabinett einzubringen. Es erscheint ausgeschlossen, dass das komplexe Regelwerk innerhalb dieser Fristen mit der in Bezug auf die von der Materie geforderten Sorgfalt und Tiefe geprüft werden kann.

II. Überblick

Nach dem Gesetzentwurf ist in Bezug auf die Tätigkeit des BND folgende Kontrolllandschaft vorgesehen:

  1. Neue Einrichtung einer gerichtsähnlichen Kontrolle der Maßnahmen der strategischen TKÜ.
  2. Aufbau einer ebenfalls neuen administrativen Kontrolle für eine datenschutzrechtliche Kontrolle, inklusive der technischen Verarbeitungsprozesse, die der Datenverarbeitung zugrunde liegen.
  3. Zusammenfassung beider Kontrollstränge unter einem Dach zu einer neu zu schaffenden obersten Bundesbehörde [1].
  4. Beibehaltung der umfassenden datenschutzrechtlichen Kontrolle des BND durch den BfDI.
  5. Kontrolle des BND durch die G10-Kommission flankierend für Erfassung von G10-geschützen Inhaltsdaten.

Der Vorschlag des BKAmts versäumt es, bestehende Zuständigkeit zu nutzen und verschenkt Synergien für die Effektivität der Kontrolle. Im Ergebnis droht eine Schwächung der ND-Kontrolle durch Parallelstrukturen.

III. Vorteile einer Wahrnehmung der Kontrolle durch den BfDI

Warum im Gesetzentwurf die vom BVerfG ausdrücklich angesprochene Übertragung der administrativen Kontrolle über den BND auf den BfDI nicht übernommen wurde, ist nicht ersichtlich. Der BfDI nimmt aufgrund seines gesetzlichen Auftrages die Datenschutzkontrolle und die damit verbundene Kontrolle der zugrunde liegenden technischen Prozesse der strategischen TKÜ bereits wahr und sollte diese aus guten Gründen fortsetzen:

  • Der BfDI ist die von parlamentarischer Seite legitimierte Behörde zur Datenschutzkontrolle aller Bundesbehörden (inkl. des BND und des BKAmts als Aufsichtsbehörde des BND).
  • Datenschutzkontrolle ist Nachrichtendienstkontrolle. Die Kontrolle von Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten und Metadaten, also der Gegenstand der strategischen TKÜ, unterfällt dem Zuständigkeitsbereich des BfDI.
  • Nach Vorstellung des BKAmts sollen Prüfkompetenzen des BfDI unangetastet bleiben. Hieraus resultiert eine parallele Prüfarchitektur, die den BND der doppelten Belastung einer zusätzlichen administrativen Kontrolle aussetzt, die der gerichtsähnlichen in weiten Teilen auch zuarbeitet und nicht lediglich Stichprobenkontrollen durchführt.
  • Es ist nicht ersichtlich, wie angesichts dieser Doppelung der Zerstückelung der Kontrolllandschaft begegnet wird, die Effektivität der Kontrollen durch reibungsloses Zusammenspiel der hierzu berufenen Organe erleichtert und damit die Glaubwürdigkeit der Kontrolle aus Sicht des Bürgers erhalten bleibt. Dazu enthält der Gesetzentwurf keinerlei Regelung.
  • Der BfDI hält als unabhängige oberste Bundesbehörde bereits die im Urteil geforderten Kompetenzen, Expertise, vollumfassende Unabhängigkeit und einen entsprechenden Kontrollansatz.
  • Durch die Übernahme der administrativen Kontrolle durch den BfDI müsste mit der unabhängigen gerichtsähnlichen Kontrolle lediglich dieser eine Strang neu errichtet werden. Durch den Aufbau nur der gerichtsähnlichen Kontrolle entstehen Einsparungs- und Synergieeffekte:
    • Es werden keine Prüfstrukturen mit dem BfDI gedoppelt.
    • BND sieht sich nicht einer weiteren Kontrollstelle („need to know-Basis“) gegenüber, die im Ergebnis dasselbe prüft, ohne dass hierdurch ein Mehrwert für die Wahrung der Grundrechte erzielt würde.
    • Eine administrative Kontrolle durch den BfDI erfolgt mit bereits vorhandener Expertise und Kenntnis der technischen Systemlandschaft des BND.
  • Der BfDI erfüllt aufgrund der langjährigen Kontrolle des BND bereits nachweislich die höchst möglichen gesetzlichen Geheimhaltungspflichten. Das Fachpersonal des BfDI wird in gleicher Weise wie das Personal des BND sicherheitsüberprüft, hausinterne Sicherheitsstandards sind identisch. In der Praxis zeigt der BfDI mit seinem in sich abgeschlossenem Kontrollsystem seit Jahren, dass dieser nicht nur ein effektives, sondern auch verlässliches Kontrollorgan ist, der den notwendigen Geheimschutz gewährleistet. Dies erkennen auch BND und BKAmt an.
  • Um den Anforderungen des BVerfG an die Kontrolle zu entsprechen, sind lediglich die erforderlichen Personalmaßnahmen zu ergreifen und die Kontrolldichte anzupassen.
  • Der BfDI genießt hohes Maß an Vertrauen durch das Wahlverfahren und die Unabhängigkeit in Parlament und Bevölkerung. Die Novelle nutzt dieses Potential nicht.
  • Der BfDI genießt als langjähriges Kontrollorgan das Vertrauen sämtlicher deutscher Nachrichtendienste. Der BND hat keinen Vertrauensverlust bei Partnerdiensten zu befürchten.

Problematische Regelungen zur Unabhängigkeit des Kontrollrates in Bezug auf das BKAmt als der dem BND vorgesetzten Behörde:

  • Gem. § 43 Abs. 7 BNDG-E ist BKAmt vor Erlass einer Geschäftsordnung/Verfahrensordnung des unabhängigen Kontrollrats anzuhören.
  • Gem. § 44 Abs. 5 BNDG-E ist das BKAmt vor Veröffentlichung einer abstrakten Unterrichtung des Bundestages anzuhören.
  • Gem. § 42 Abs. 4 BNDG-E darf der unabhängigen Kontrollrat dem BKAmt die Personalverwaltung und Personalwirtschaft übertragen. Schon aufgrund der Herausforderung die gerichtsähnliche Kontrolle von Grund auf in kürzester Zeit aufbauen zu müssen, ist davon auszugehen, dass dem unabhängigen Kontrollrat keine andere Wahl bleibt, als dieses Angebot anzunehmen.
IV. Materiell-rechtliche Bedenken Beispiel für Umgehung der Übermittlungsbeschränkungen des BVerfG:

§ 21 Abs. 10 BNDG-E sieht vor, dass bei der Datenübermittlung die Kennzeichnung von Daten als aus der strategischen FMA stammend unterbleibt. Dies eröffnet bei der Datenübermittlung an inländische Nachrichtendienste einer Umgehung der Übermittlungsvorgaben Tür und Tor. Ohne diese Kennzeichnung kann nach der Übermittlung an den Inlandsnachrichtendienst die Herkunft des Datums im „zentralen Datentopf“ der Inlandsnachrichtendienste nicht mehr nachvollzogen werden. Damit sind die dem Datum eigentlich noch anhaftenden Übermittlungsbeschränkungen für weitergehende Übermittlungen von den Inlandsnachrichtendiensten nicht mehr sichtbar.

Unklare gesetzlich fixierte Kompetenzerweiterung:

§ 36 BNDG-E sieht unklar und unbestimmt geregelte „Hackingeingriffe“ des BND im Ausland vor. Auch die Übermittlung hieraus erhobener Daten soll ohne Kennzeichnung erfolgen, obwohl dieser zielgerichtete Eingriff eine ungleich höhere Eingriffsqualität im Einzelfall hat, als der Eingriff der im Einzelfall von der allgemeinen strategischen Telekommunikationsüberwachung ausgeht. Insofern müssten mindestens die Vorgaben des BVerfG zur strategischen TKÜ beachtet werden, was nicht geschieht.

Bereits im Kontext der Novelle des BVerfSchG wurde eine Befugnisnorm für „Hackingeingriffe“ diskutiert. Das BMI strich die Norm nach massiver Kritik; die Fragen, die schon für den Bereich des BVerfSchG aufgeworfen wurden, sind weiter ungeklärt.

Unklare und weitreichende Erfassungsvolumina

Das BVerfG hat intensiv auf den Umfang der Erfassungen abgestellt, um zu einer verfassungsrechtlich vertretbaren Erhebungs- und Speicherbefugnis zu gelangen. Die Volumenbegrenzung dient dem Zweck der Abfederung der Breite und Schwere der Grundrechtseingriffe. §§ 21 Abs. 8, 28 Abs. 2 BNDG-E werden dem nicht gerecht, da er dynamisch und ohne Rücksichtnahme auf die übertragenen Datenvolumina die Erfassung lediglich auf 50 % „der bestehenden Telekommunikationsnetze“ begrenzt.

§ 28 Abs. 5 BNDG-E ermöglicht die Verarbeitung erheblicher Volumina von Verkehrsdaten deutscher Staatsangehöriger und Personen im Inland, sofern sie nach rein technischen Gesichtspunkten nicht direkt, sondern als Zwischenstufe zwischen den Teilnehmern an der Kommunikation von Maschine zu Maschine kommuniziert werden. Dies generiert mitunter tiefgreifendere Erkenntnisse als die Telefonüberwachung.

Fußnoten
  1. Bisher nicht bedacht wurde, ob die gerichtsähnliche Kontrolle zwangsläufig als oberste Bundesbehörde ausgestaltet sein muss und nicht etwa viel leichter als Parallelstruktur der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit besonderen Geheimhaltungspflichten installiert werden kann. Die Kontrolle des BND würde in dieser Variante durch die unabhängige Gerichtsbarkeit und den unabhängigen BfDI umgesetzt.

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SIS 3.0: Tausende neue Behörden nutzen Europas größtes Fahndungssystem

Netzpolitik - Fri, 30/10/2020 - 08:50

Rund 2.000 weitere deutsche Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden werden im Laufe des kommenden Jahres an das Schengener Informationssystem (SIS II) angeschlossen. Das schrieb das Bundesinnenministerium in der Antwort auf eine Kleine Anfrage im August dieses Jahres. Damals hieß es, zur Zahl der neuen Zugriffsberechtigten könne man „keine verlässliche Schätzung vornehmen“. In einer neuerlichen Antwort wird das Ministerium nun konkreter.

Das SIS II ist die größte europäische Datenbank, die seit 25 Jahren von Grenz-, Polizei-, Zoll- oder Einwanderungsbehörden sowie Geheimdiensten genutzt wird. Derzeit sind dort mehr als 90 Millionen Personen und Gegenstände zur Fahndung oder auch Einreiseverweigerung ausgeschrieben, die meisten Einträge stammen aus Italien, Frankreich und Deutschland. Dort können vor allem Polizeibehörden Fahndungen im SIS II einstellen und abfragen, außerdem der Zoll, Migrationsbehörden oder Zulassungsstellen.

Indirekter Anschluss für Freizeitsportverbände

Dieser Kreis wird nun deutlich ausgeweitet. Hintergrund ist die Umsetzung von drei neuen EU-Verordnungen zum Rechtsrahmen des SIS II. In Deutschland sollen etwa Zulassungsstellen für Wasserfahrzeuge oder Schifffahrtsämter auf Bundes- und Landesebene, das Luftfahrtbundesamt mit seinen Dienststellen oder die deutschen Botschaften in den SIS-Verbund aufgenommen werden. Letztere dürfen beispielsweise künftig Rückkehrentscheidungen und Einreisesperren für abgelehnte Asylsuchende eigenständig in das SIS II eintragen.

Am Ende des mehrjährigen Verfahrens werden zudem die Waffenbehörden an den SIS-Verbund angebunden, sie sollen dort etwa zur Fahndung ausgeschriebene Schusswaffen abfragen können. Auch der Anschluss von Einbürgerungs- und Justizbehörden soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

Ebenfalls verbunden werden private Zulassungsstellen für den Freizeitsport, darunter Verbände für Flug und Modellflug oder den Fallschirmsport sowie der Allgemeine Deutscher Automobil-Club. Sie dürfen das SIS aber nicht direkt, sondern nur mit einem Umweg über Polizeibehörden nutzen.

Arbeitsgruppe mit 94 MitarbeiterInnen

Die neuen Verordnungen sehen nicht nur neue NutzerInnen vor, sondern auch erweiterte Rechte für die bestehenden TeilnehmerInnen. Die Polizeiagentur Europol erhält beispielsweise Zugriff auf weitere Ausschreibungskategorien, auch die Justizbehörde Eurojust und die Grenzagentur Frontex können jetzt Fahndungen nutzen.

Umsetzen muss die Bundesregierung die SIS-Neufassung bis Ende 2021. Hierfür haben mehrere Behörden unter Federführung des Bundeskriminalamtes (BKA) vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe „SIS 3.0“ mit 94 MitarbeiterInnen eingerichtet, die sich zu zwei Dritteln aus privaten Dienstleistern zusammensetzt. Seitens der Behörden sind das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie das Bundesverwaltungsamt beteiligt. Die Gruppe ist für technische Schnittstellen zuständig, entwirft Schulungsprogramme für die Neuzugänge und führt diese auch durch.

Für die Arbeitsgruppe erhält das BKA vom Bundesinnenministerium bis zum Jahr 2024 68,5 Mio. Euro, einen Teil davon übernimmt die EU-Kommission aus dem Fonds für die Innere Sicherheit. Das BKA will darüber Studien zur Umsetzung von Anforderungen der neuen Verordnungen finanzieren.

Ärger aus der Schweiz

Neben den meisten EU-Mitgliedstaaten (außer Irland und Zypern) nehmen auch Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz am SIS II teil. Als Schengen-Staaten können sie das neue EU-Recht nicht mitbestimmen, sondern nur im Komplettpaket übernehmen oder ablehnen. Erst Mitte September hat sich der Nationalrat in der Schweiz mit der Umsetzung der neuen Verordnungen befasst und knapp dagegen votiert. Das Zünglein an der Waage war die Sozialdemokratische Partei, die sich durchgehend enthielt und so den Grünen und der Volkspartei zur ablehnenden Mehrheit verhalf.

Bislang hat die Schweiz sämtliche Änderungen in Schengen-Angelegenheiten übernommen, zum ersten Mal seit dem Beitritt vor 16 Jahren erfolgt nun eine Ablehnung. Jedoch ist der Abstimmungsprozess noch nicht zu Ende. So könnte der Ständerat, der mit dem Nationalrat die Bundesversammlung bildet, den Verordnungen zustimmen. Anschließend wird der Nationalrat im Zuge der „Differenzbereinigung“ beider Kammern abermals um Zustimmung gebeten. Bleiben die SozialdemokratInnen bei ihrer Enthaltung, müsste die Schweiz den Schengen-Verbund verlassen.

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Categories: netz und politik

Medienmäzen Google: News Showcase ist Googles strategische Meisterleistung

Netzpolitik - Fri, 30/10/2020 - 07:00

Das spannendste an Konferenzen ist bekanntermaßen nicht das, was auf den Bühnen besprochen wird, sondern das, was danach an den Kaffeetischen passiert. Die Pausengespräche bei den Münchner Medientagen müssen dieses Mal aber leider entfallen. Wegen der Corona-Pandemie findet einer der wichtigsten Kongresse der Medienbranche diese Woche online statt.

Dort hätte es ein Thema gegeben, dass den Konferenztratsch sicher dominiert hätte. Am Montag stellte Google bei den Medientagen etwas vor, das die Branche seit Wochen in Aufregung versetzt: News Showcase.

Das Produkt ist auf den ersten Blick ein neuer Ausspielkanal für redaktionelle Inhalte in Googles News-Apps. Aber es ist auch sehr viel mehr. Eine Milliarde Dollar will Google in den nächsten drei Jahren im Rahmen eines exklusiven Lizenz-Deals an Partnermedien auf der ganzen Welt auszahlen. Die Medien dürfen die Darstellung ihrer Inhalte im News Showcase selbst gestalten und kuratieren. Deutschland gehört mit 20 teilnehmenden Medien neben Brasilien zu den ersten Märkten, wo das Produkt gelauncht wurde.

Fragt man Google, wer von diesem Deal profitieren wird, lautet die Antwort: alle. „Wir wollen mit dem Produkt nicht nur Journalismus nachhaltig unterstützen, sondern auch redaktionell kuratierte Inhalte auf Google-Plattformen hervorheben und Nutzer:innen den Mehrwert digitaler Abonnements näherbringen.“ Das erklären die Manager:innen bei der Produktpräsentation auf den Medientagen.

Man muss die hehren Absichten gar nicht in Abrede stellen, um festzustellen: der größte Profiteur dürfte am Ende wieder mal Google selbst sein.

Das ewige Leistungsschutzrecht

Vom eigentlichen Grund für das Milliarden-Angebot sprechen die Google-Vertreter:innen nämlich selten. Es ist der seit bald einem Jahrzehnt andauernde medienpolitische Streit mit einer Branche, die ihr Geld früher mit gedruckten Zeitungen verdient hat und im Digitalzeitalter immer noch nach einem stabilen Geschäftsmodell sucht.

Während die Medien ihr Heil lange Zeit in kostenlosen Inhalten, großer Reichweite und Online-Werbung sahen, ist inzwischen allen klar, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Die Duopolisten Google und Facebook lassen anderen Playern auf dem Werbemarkt schlicht nicht genug Platz. Die Verlage fordern deshalb eine Art Gewinnbeteiligung von dem Werberiesen. Wenn eine Suchmaschine kurze Auszüge von journalistischen Inhalten anzeigt, sollen Lizenzgebühren fällig werden.

Dieses Leistungsschutzrecht ist eine Erfindung des Axel-Springer-Verlages und wird dank der Urheberrechtsrichtlinie ab 2021 in jedem EU-Land eingeführt werden. Google lehnt das strikt ab – mit einem guten Argument: Die Suchmaschine will die Medien nicht dafür bezahlen, dass sie Besucher:innenströme auf ihre Websites leitet.

Um das Leistungsschutzrecht abzuwehren, hat der Konzern unterschiedliche Dinge versucht. Immer wieder drohte er mit dem Ende von Google News und machte damit in Spanien sogar ernst. Zugleich umgarnte er die Medien im Rahmen seiner News Initiative mit Millionengeschenken.

Eine strategische Meisterleistung

In diesem Streit um das Leistungsschutzrecht ist News Showcase eine echte strategische Meisterleitung. Statt einer branchenweit einheitlichen Lösung mit verbindlichen Konditionen zahlt Google nun Geld an ausgewählte Partnermedien und spaltet damit die Front der Verlage.

Eine Milliarde über drei Jahre, für Google sind das Peanuts. Für einzelne Medien aber könnte das Branchenkreisen zufolge mehr als eine Millionen Euro pro Jahr bedeuten. Umgerechnet in Stellen sind das mehr als ein Dutzend neuer Redakteur:innen. Es ist ein Angebot, das die Verlage nur schwer ablehnen können.

Im Gegenzug erhält Google mit News Showcase ein neues exklusives Produkt, das ihm im Wettkampf mit Apple und Facebook um die Plattformisierung des Nachrichtengeschäfts einen Vorsprung verschafft. Seit längerem ringen die Größen des Silicon Valley hier um die Vorherrschaft – bislang ohne klaren Sieger.

Die Verlage freuen sich, dass ihre Marken in News Showcase präsent sind und sie die redaktionelle Hoheit behalten. Aus dem 101 des Plattformkapitalismus wissen wir allerdings, dass die Plattform am Ende immer gewinnt. Google wird durch Designentscheidungen nicht nur Einfluss drauf haben, welche Nachrichten die Nutzer:innen wie konsumieren, sondern auch die Daten über das Leseverhalten erhalten und auf dieser Basis Werbung verkaufen.

Der neue Nachrichtenkanal im eigenen Ökosystem zahlt direkt auf Googles originäres Geschäftsmodell ein: die Vermarktung der Aufmerksamkeit seiner Nutzer:innen an Werbekunden.

Teile und herrsche

Medienberichten zufolge erhält Google im Rahmen des Deals auch das Recht, Artikel exklusiv hinter der Paywall hervorzuholen. Damit trifft der Konzern künftig also explizit redaktionelle Entscheidungen. Die ohnehin schon schwammige Grenze zwischen Plattform- und Medienunternehmen – mit News Showcase verflüssigt sie sich weiter.

Der Schritt fügt sich nahtlos ein in Googles jahrelange Anstrengungen, die Verlage zu umwerben und auf diesem Weg Regulierung zu verhindern: All die Sponsorings für Branchen-Events, all die von Google bezahlten Fellowships aufstrebender Berufsanfänger:innen bei renommierten Medien, alle die kostenlosen Trainings für Journalist:innen und natürlich die mehr als 200 Millionen Euro, die Google Verlagen in Europa seit 2013 für Innovationsprojekte geschenkt hat.

Wir haben dieses komplexe Beziehungsgeflecht zwischen Google und den Medien in unserer gerade erschienen Studie „Medienmäzen Google“ monatelang untersucht und können zeigen, dass die News Initiative eine Reaktion auf den zunehmenden medienpolitischen Druck der Verlage war. News Showcase ist die Perfektion des Prinzips „Teile und herrsche“, das Google hier erprobt hat.

Wer nicht mitmacht, hat ein Problem

Aber warum machen Branchengrößen wie der Spiegel, die FAZ oder Zeit Online da mit? Man darf ja nicht vergessen, dass Google weiterhin nicht nur Konkurrent der Verlage auf dem Werbemarkt ist, sondern auch Gegenstand diverser staatlicher Untersuchungen, gerichtlicher Verfahren und journalistischer Recherchen. Von Datenschutzverstößen bis zum Missbrauch von Marktmacht.

Mal abgesehen davon, dass sich die Branche in einer andauernden Krisenerzählung befindet und sich über jede Einnahmemöglichkeit freut: Die Verlage sehen den direkten Draht zum Plattformriesen als strategischen Vorteil, auch das zeigt unsere Studie zur News Initiative. Endlich können die Medienmanager:innen mitbestimmen, wie ihre Inhalte bei Google präsentiert werden und werden von technischen Änderungen nicht mehr überrumpelt.

Für die teilnehmenden Verlage dürfte das Kalkül kurzfristig zwar aufgehen, mittelfristig wird das für die Branche aber ein Problem. Wer nicht mitmacht, erleidet schließlich einen herben Wettbewerbsnachteil. Ihm gehen nicht nur die Lizenz-Einnahmen, sondern auch die Besucher:innenströme aus dem neuen Ausspiel-Kanal verloren.

Rückschlag im Lizenz-Poker mit Google

Eine Partnerschaft auf Augenhöhe sieht zudem anders aus. Als Teil der Vertragsbedingungen diktiert Google etwa, dass die Beteiligten gegenüber der Öffentlichkeit keine Transparenz über die Details des Deals herstellen dürfen. Die Zusammenarbeit soll monatlich aufkündbar sein, sodass eine langfristige Planung mit den Einnahmen unmöglich ist und Journalist:innen sich noch stärker unter Druck fühlen dürften, den Datenkonzern nicht zu verärgern.

Vor allem aber behält Google sich laut Medienberichten vor, die Partnerschaft einseitig zu beenden, sollten die Verlage an juristischen Verfahren oder Beschwerden gegen Google partizipieren. Einem Bericht der Welt zufolge schließt Google vertraglich sogar explizit aus, dass die Partnermedien Forderungen nach dem Leistungsschutzrecht stellen.

News Showcase schwächt somit die bislang gemeinsame Position der Verlage im Lizenz-Poker mit Google. Man kann ja vom Leistungsschutzrecht halten, was man möchte. Wir bei netzpolitik.org haben es oft kritisiert, weil die Verlinkung zu Inhalten eines der Kernelemente des Netzes ist und dieses durch die neue Zahlungspflicht eingeschränkt zu werden droht.

Die deutschen Medien aber haben bisher fast geschlossen hinter dem Konzept gestanden. Jetzt, kurz vor der europaweiten Gültigkeit, ist es Google gelungen diese Linie zu durchbrechen. Wir dürfen sehr gespannt sein, ob sich die Medien, die an News Showcase teilnehmen, weiterhin so vehement dafür einsetzen wie vorher. Und natürlich, ob sie sich an Klagen gegen ihren Plattformpartner beteiligen, sollte Google sich dem Leistungsschutzrecht verweigern.

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Automating Society Report 2020: Automatisierung schreitet auch in Deutschland voran

Netzpolitik - Thu, 29/10/2020 - 20:00

Die Nichtregierungsorganisation AlgorithWatch und die Bertelsmann Stiftung haben gestern die 2020er Ausgabe des Berichts „Automating Society“ veröffentlicht, in dem sie eine starke Zunahme von automatisierten Entscheidungssystemen in Europa feststellen.

In 16 Ländern recherchierten die Autor:innen über 100 Fälle, in denen Algorithmen mit Methoden wie Machine Learning und sonstigen statistischen Modellen automatische Entscheidungen oder Prognosen zu gesellschaftlich relevanten Fragen herbeiführen.

Die überwiegende Mehrheit solcher automatischen Entscheidungssysteme wirke sich eher zum Nachteil von Individuen und Allgemeinheit aus. Sie seien im Stillen eingeführt worden, ohne die Öffentlichkeit ausreichend darüber zu informieren und breite gesellschaftliche Unterstützung für die Ziele der Programme herbeizuführen. Positive Beispiele finde man hingegen äußerst selten, konstatieren die Autor:innen, obwohl es durchaus vielfältige Anwendungsmöglichkeiten gebe, die der Allgemeinheit und den Bürger:innen nützen könnten.

Keine breite gesellschaftliche Unterstützung abgewartet

Deutschland habe im Vergleich mit anderen europäischen Ländern eine lebhaftere Debatte, obwohl es das Thema auch hier selten in die Schlagzeilen schafft. Eine Ausnahme sei die Debatte um den Test einer Videoüberwachung mit Gesichtserkennung am Bahnhof Südkreuz in Berlin. Durch den öffentlichen Druck sei der breitflächige Einsatz von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum zunächst verhindert worden.

Dennoch stellt der Report in Deutschland eine Unschärfe bei den Begrifflichkeiten fest, die gleichzeitig Symptom und Ursache der ausbleibenden gesellschaftlichen Debatte sei. Die Vermischung von Begriffen wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Machine Learning und Automatisierung verwässere die Auseinandersetzung mit den konkreten Anwendungsfällen.

Generell erkennen die Autor:innen eine Technologiegläubigkeit, die Risiken von automatisierten Entscheidungssystemen als auszuräumende Bugs darstellt. Die Frage, ob ein gesellschaftliches Problem überhaupt einer technischen Lösung bedarf, werde unreflektiert übergangen.

Gefährder-Vorhersage und Analyse von Asylsuchenden

Automatisierte Entscheidungssysteme sind laut dem Bericht auch in Deutschland immer häufiger an kritischen Stellen im Einsatz. Ein Trend, der alle gesellschaftlichen und staatlichen Bereiche betrifft und in den nächsten Jahren noch deutlicher zu beobachten, so die Prognose.

Schon heute geben Algorithmen etwa bei Sicherheitsbehörden teilweise die Richtung vor. Wie hoch das individuelle Gewaltrisiko einer Person im militant-salafistischen Spektrum ist, soll für das BKA beispielsweise Tool RADAR-iTE errechnen. Die Entscheidung, ob weitere Schritte gegen die analysierte Person eingeleitet werden, bleibt aber den Mitarbeiter:innen überlassen.

Auch Schulen, Arbeitgeber und Frauenhäuser können sich von Software Prognosen zum Gewaltpotenzial über Menschen geben lassen, die im Verdacht stehen, zu einem Amoklauf oder häuslicher Gewalt zu neigen.

Um die Angaben von Geflüchteten über ihr Herkunftsland im Asylverfahren zu überprüfen, setzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge umfangreiche Analysetools ein. Die Inhalte der Handys werden automatisiert aufbereitet und eine Sprachsoftware soll Auskunft darüber geben, ob der Dialekt in der Muttersprache zu den Aussagen passt.

Im Ausland verschafft sich das Auswärtige Amt einen Überblick mit einem Programm, das öffentliche Daten darauf hin auswertet, wo internationale Krisen aufkommen könnten.

Mehr Mensch oder Maschine?

Der Report nennt darüber hinaus ein Beispiel, in dem ein Überwachungssystem menschliche Interaktion sogar ersetzen könnte – mit möglicherweise dramatischen Folgen. Es handelt sich um ein Gefängnis-Experiment in Nordrhein-Westfalen. Dort soll eine intelligente Videoüberwachung Suizide verhindern, indem gefährliche Situationen automatisiert erfasst werden. Funktioniere das System zuverlässig, könne auf die heute üblichen menschlichen Überprüfungen alle 15 Minuten verzichten. Sie belasten einige Häftlinge wegen des Schlafentzugs. Allerdings könnten das Wegbleiben von menschlichem Kontakt und die panoptische Überwachung die Suizidgefahr auch verschlimmern, warnen die Autor:innen.

Ein Programm zur Analyse von Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern hat die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime in Nordrhein-Westfalen mit Microsoft entwickelt. Das Programm analysiert die Bilder, damit Menschen die belastende Tätigkeit seltener ausführen müssen. Der Algorithmus in der Cloud soll pornografische Inhalte erkennen und Gesichter aus Polizeidatenbanken abgleichen, erst im Anschluss übernimmt die manuelle Polizeiarbeit wieder.

Die Polizeien in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, NRW und Niedersachsen haben zudem bereits mit datengetriebenen Vorhersagen über Einbrüche experimentiert. Die Technik ist allgemein unter Schlagwort Predictive Policing bekannt.

Dem Report zufolge hat Bayern eine Software im Betrieb, die Baden-Württemberg schon wieder eingestellt hat, nämlich das Einbruchs-Vorhersagetool PRECOBS. Das Problem in Stuttgart: zu wenig Einbrüche und damit zu wenige Daten. Daher soll nun in Baden-Württemberg ein neues datengetriebenes System auf weitere Kriminalitätsformen ausgedehnt werden, um die Vorhersagen zu verbessern.

Transparenz und Aufsicht

In der Verwaltung sei der Einsatz von automatisierten Entscheidungssystemen in Deutschland noch seltener. Es gibt einzelne Projekte, wie etwa in der Bundesagentur für Arbeit, wo die relevanten Daten automatisch ausgewertet werden, um die Ansprüche an Sozialhilfe zu errechnen oder in Hamburg, für die Koordination und Abrechnung von Sozialdiensten.

Das ist noch weit entfernt von praktischen Anwendungen wie zum Beispiel in Estland. Dort gibt es schon lange umfangreiche eGovernment-Dienste, etwa ein automatisches Kindergeld, ohne nur ein Formular auszufüllen, oder eine softwaregesteuerte Zuteilung von Kita-Plätzen.

Das Gesamtbild über den Einsatz von algorithmischen Entscheidungssystemen in Europa, das sich den Verfasser:innen des Berichts bietet, bring sie zu konkreten Forderungen. Damit negative Folgen durch automatisierte Entscheidungssysteme abgewendet werden können, brauche es mehr Transparenz über den Einsatz – gerade im öffentlichen Sektor. Das ginge mit einem öffentlichen Register, das die Systeme auflistet und bindenden Regeln für den Zugang zu den Daten.

Außerdem fehle es an verbindlichen Regeln, die die Verantwortlichkeiten klären. Algorithmen werden schließlich von Menschen erschaffen und sind „weder neutral noch objektiv“, so die Autor:innen. Die eingebauten Annahmen und Überzeugungen würden die Erschaffer:innen verantwortlich machen für die Entscheidungen der „gruseligen“ aber „immer menschlichen“ Algorithmen.

Es braucht eine gesellschaftliche Debatte

Für eine Zukunft, in der immer mehr weitreichende Entscheidungen mit weniger direktem menschlichen Einfluss automatisiert werden, müsse gesichert werden, dass der Zivilgesellschaft die Möglichkeit für Kritik eingeräumt wird. Der Staat dürfe nicht einseitig über den Einsatz solcher Systeme entscheiden, wenn sie so weitreichende Folgen für Grundrechte haben können, wie etwa bei der Videoüberwachung mit Gesichtserkennung. Diese sollte dem Bericht nach am besten verboten werden, da die Gefahr der Massenüberwachung zu groß sei.

Nicht nur Expert:innen sollen sich mit den Systemen auseinander setzen können. An den Stellen, wo Automatisierung eingesetzt werden soll, müsse erst einmal die nötige Kompetenz geschaffen werden, damit die Qualität der Entscheidungen eingeschätzt werden kann und die versprochene menschliche Kontrolle auch stattfindet.

Und schließlich solle die öffentliche Debatte nicht mit dem Framing der Technikfeindlichkeit vom Tisch gewischt werden. Die politische Förderung für Forschung und Wirtschaftsförderung im Bereich der Automatisierung dürfe nur eine Seit der Medaille sein. Die Politik sollte zudem auch eine breite öffentliche Debatte fördern, wenn die digitale Autonomie der Bevölkerung betroffen ist, damit diese an diesem Wandel teilhaben kann.

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bits: Musikindustrie geht gegen Youtube-dl vor und behindert damit unsere Arbeit

Netzpolitik - Thu, 29/10/2020 - 18:00

Hallo,

in der vergangenen Woche ist die US-Musikindustrie mit einem Copyright-Claim erfolgreich gegen Youtube-DL auf der Coding-Plattform Github vorgegangen. Seitdem ist dort der Quelltext der Software samt einiger Forks nicht mehr verfügbar, jedenfalls nicht offiziell.

Das beliebte Linux-Kommandozeilen-Werkzeug ermöglicht es, Inhalte von Streaming-Plattformen wie Youtube herunterzuladen. Die Lobbyvereinigung RIAA argumentiert, dass damit die technischen Systeme zum Schutz von Inhalten umgangen und dadurch urheberrechtlich geschützte Inhalte von RIAA-Künstler:innen unautorisiert heruntergeladen werden können.

Das ist eine gefährliche Entwicklung. Nicht nur, weil sich Github den aus meiner Sicht vorgeschobenen Argumenten allzu schnell gefügt hat. Sondern auch, weil Youtube-DL aus gutem Grund sehr beliebt bei Journalist:innen und Archivar:innen ist. Wenn wir Inhalte auf Youtube und Co. im Rahmen unserer investigativen Recherchen sichern müssen, greifen wir darauf zurück. Denn es funktioniert gut und ist viel vertrauenswürdiger als die vielen Browser-Extensions mit ähnlichen Möglichkeiten, bei denen man nie genau weiß, ob nicht im Hintergrund Surf-Daten verarbeitet und verkauft werden.

Youtube-DL ist ein Dual-Use-Werkzeug, keine Frage. Es kann dazu genutzt werden, urheberrechtlich geschützte Inhalte zu sichern, aber ebenso ermöglicht es auch, freie Inhalte herunterzuladen, wenn die Lizenz so was explizit erlaubt. Noch lässt sich die Software auf der Website des Projekts herunterladen. Aber es ist gut denkbar, dass das Vorgehen gegen das Github-Repository nur der erste Schritt der Musikindustrie war.

Ich hoffe mal, dass US-Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation und die Freedom of the Press-Foundation vor Gericht ziehen und erfolgreich durchsetzen, dass der Entwicklung und Nutzung von Youtube-DL keine unnötigen Steine in den Weg gelegt werden.

Neues auf netzpolitik.org

Tomas Rudl schreibt über Pläne der französischen Regierung, dass Plattformen im Rahmen der Diskussion über das europäische Digitale-Dienste-Gesetz stärker gegen legale Desinformation vorgehen sollen, was Fragen der Meinungs- und Informationsfreiheit aufwirft: Frankreich will stärkeren Radiergummi.

Künftig soll der Umgang mit illegalen Inhalten im Internet europaweit besser geregelt werden. Einem Medienbericht zufolge setzt sich nun Frankreich dafür ein, dass das kommende Gesetz für digitale Dienste auch bei legalen, aber schädlichen Inhalten wie Desinformation greifen soll.

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Chris Köver, Alexander Fanta und ich haben die aktuelle Debatte um die Corona-Warn-App zusammengefasst: Welche Upgrades der Corona-Warn-App jetzt sinnvoll sein können.

Mir den steigenden Infektionszahlen nimmt auch die Debatte um die Corona-Warn-App wieder Fahrt auf. Gefordert werden weitere Funktionen, mehr Aufklärung und eine bessere Anbindung der Labore. Doch nicht alle Ideen sind durchdacht – oder überhaupt machbar.

Zu dem Thema habe ich auch dem Weser-Kurier ein Interview gegeben: „Ich bin froh, dass wir jetzt zur zweiten Welle die App haben“.

Kurze Pausenmusik:

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Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Tomas Rudl unterstützt.

Was sonst noch passierte:

Gestern wurden wieder die Chefs der großen Tech-Konzerne vor dem US-Senat angehört Dabei gab es die skurrile Situation, dass einige Senator:innen den Namen des Google-Chef Sundar Pichai falsch aussprachen und stattdessen ihn mit Mr. Pick-Eye ansprachen, wie Buzzfeed News schreibt: US Senators Can’t Be Bothered To Pronounce The Google CEO’s Last Name Correctly.

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Am Dienstag hat die ARD anlässlich des UNESCO-Welttages für das audiovisuelle Erbe ihre Archive für ein Retro-Archiv geöffnet. Mehr als 7.000 Produktionen aus der Zeit vor 1966 gibt es jetzt dort zu sehen, darunter viele Nachrichtensendungen. Leider ist die ARD nicht den Weg gegangen, diese Inhalte zum Download anzubieten und unter einer freien Lizenz zu veröffentlichen, wie Georg Fischer bei iRights.info schreibt: Die ARD öffnet weiter ihre Archive, Nutzungen bleiben eingeschränkt.

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In einer Studie für das Büro für Technologiefolgeabschätzung beim Deutschen Bundestag haben Reinhard Grünwald und Christoph Kehl über „Autonome Waffensysteme“ (PDF) geschrieben. Bei Heise-Online gibt es eine Zusammenfassung der Studie: Ächtung von Killer-Robotern – Das Zeitfenster schließt sich .

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Seit einigen Jahren gibt es die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) in München. Die Behörde soll unsere Sicherheitsbehörden bei der Entschlüsselung von Kommunikation unterstützen, wozu auch Staatstrojaner gehören. Mittlerweile sollen über 180 Menschen für Zitis arbeiten, aber was genau dort passiert, wissen noch nicht einmal Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Florian Flade gibt bei Tagesschau.de einen aktuellen Überblick, was bekannt ist und was die Probleme sind: Was macht eigentlich die „Hackerbehörde“?

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Drei schöne Visualisierungen von der Verbreitung von Aerosolen in Räumen hat die Zeitung El Pais veröffentlicht. Dabei wird auch gezeigt, welche Maßnahmen wie dagegen wirken können: A room, a bar and a classroom: how the coronavirus is spread through the air.

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Die Praxis des bekannten Corona-Leugners und Querdenken-Sprechers Bodo Schiffmann wurde durchsucht. Die Polizei vermutet, dass er Gesundheitszeugnisse gegen das Tragen von Masken an Personen ausgestellt hat, die gar nicht von ihm in der Praxis untersucht wurden: „Unrichtige Gesundheitszeugnisse“.

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Aus der beliebten Kategorie „Auch dieser Attentäter war unseren Geheimdiensten vorab bekannt“:
BND wurde vor Islamist gewarnt – und gab Warnung nicht weiter. Es geht um den Islamisten, der in Dresden mit einem Messer ein schwules Pärchen angegriffen und einen der beiden getötet hat. Der BND bedauert jetzt, dass man da was verpeilt habe und fühlt sich unschuldig.

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Die NSA hat Hintertüren in Netzwerkgeräte des US-Anbieters Juniper einbauen lassen. Und bedauert jetzt, dass diese leider auch von einem anderen Staat ausgenutzt worden seien: NSA-Hintertür von anderem Staat missbraucht. Das ist ein schönes anschauliches Beispiel, warum niemals Hintertüren irgendwo eingebaut werden sollten, weil es immer das Potential gibt, dass diese auch von anderen ausgenutzt werden.

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Beim Tonspion gibt es die Geschichte von „Take on me“ von a-ha zu lesen und jetzt hab ich die ganze Zeit einen Ohrwurm im Kopf.

Video des Tages: US-Wahlen

US-Wahlkämpfe führen immer zu einer Flut von TV-Dokumentationen. Empfehlenswerte aktuelle Dokus gibt es mit „Amerika hat die Wahl: Trump gegen Biden“ bei Arte und „Donald Trumps Kampf um die Macht“ bei ZDFZoom.

Bei Arte findet sich ebenfalls eine Doku, in dem Fall über Melania Trump: „Dieses obskure Objekt der Macht“. Die ist aber belanglos und leider eine ziemliche Zeitverschwendung.

Netzpolitik-Jobs

Ich bekomme regelmäßig Job-Angebote im netzpolitischen Bereich zugeschickt und dachte mir, dass eine zusätzliche Rubrik ein guter Service sein könnte. Zweimal die Woche werde ich zukünftig auf aktuelle Job-Angebote hinweisen.

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Die Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg sucht eine/n Referent (m/w/d) Medienregulierung. Das ist eine spannende Stelle, weil diese zukünftig dafür zuständig ist, den kommenden Medienstaatsvertrag umzusetzen, wozu auch Plattformregulierung gehört.

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Das Wissenschaftszentrum Berlin sucht für den Schwerpunktbereich „Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel“ eine/n Wissenschaftliche*r Mitarbeiter*in (m/w/d) (Postdoc).

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Die von Max Schrems gegründete Organisation Noyb sucht in Wien eine/n Full Stack Web Developer/in mit einem Fokus auf Legal-Tech.

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Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (Fraktion Die Linke) sucht eine:n wissenschaftliche:n Mitarbeiter:in für den Bereich Netzpolitik.

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Investigate Europe ist eine transnationale Medienplattform für investigativen Journalismus mit Sitz in Berlin. Aktuell wird ein/e Community Engagement Coordinator/in gesucht. Das ist wohl zwischen Social Media-, Community-Management und Audience Development angesiedelt.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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Categories: netz und politik