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netz und politik

Digitale-Dienste-Gesetz: Wir müssen über Uploadfilter reden

Netzpolitik - Tue, 06/10/2020 - 16:50

Uploadfilter sind aus dem Internet schon lange nicht mehr wegzudenken. Spamfilter sieben unerwünschte Kommentare und Werbeposts aus, PhotoDNA Darstellungen von Kindesmissbrauch, Content ID urheberrechtlich geschützte Werke und ThreatExchange terroristische Inhalte.

In vielen Fällen funktioniert die Technik einigermaßen zuverlässig – aber noch lange nicht in allen. Unverfängliche Beiträge finden sich dann im Spamordner wieder, ikonografische Kriegsfotografien enden womöglich im digitalen Nirvana.

Trotzdem sehen viele Politiker automatisierte Inhalteerkennung als eine Art Wundermittel, um missliebige Inhalte aus dem Netz zu fegen. Zunehmend wollen sie den Einsatz solcher Mittel gesetzlich vorschreiben, etwa im Zuge der EU-Urheberrechtsreform oder dem aktuell verhandelten EU-Gesetz gegen terroristische Inhalte.

Großer Umbau geplant

Mit dem geplanten Digitale-Dienste-Gesetz zeichnet sich bereits das nächste umfangreiche Gesetzespaket ab, in dem solche Vorschriften enthalten sein könnten. Vor dem ersten Gesetzentwurf der EU-Kommission wollte es der Rechtsausschuss des EU-Parlaments aber genauer wissen.

Seit Kurzem liegt nun eine von den Abgeordneten in Auftrag gegebene Studie der „Fachabteilung Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten“ der EU vor. Erstellt von Giovanni Sartor und Andrea Loreggia vom Europäischen Hochschulinstitut in Florenz gibt sie einen Überblick über den Einfluss, den Algorithmen auf Inhalteerkennung und -moderation im Internet haben.

Optionen für gesetzliche Regelungen

Vor allem gibt sie den Abgeordneten wie der Zivilgesellschaft einen Ausblick auf Optionen, die in das Digitale-Dienste-Gesetz einfließen könnten. Dieses soll die gut 20 Jahre alte eCommerce-Richtlinie ersetzen und wird damit prägen, wie der europäische digitale Raum auf absehbare Zeit aussehen wird.

Die Richtlinie legt unter anderem die bedingte Haftungsfreiheit für Online-Dienste sowie das Verbot allgemeiner Überwachungspflichten fest. Geht die anstehende Reform dieser Grundprinzipien jedoch schief, könnte dies unter anderem die Meinungsfreiheit im europäischen Internet gefährden, warnt die Studie.

Uploadfilter manchmal sinnvoll

Grundsätzlich kann der Einsatz automatisierter Systeme manchmal sinnvoll sein. Darauf weisen inzwischen auch Netzaktivist:innen hin, etwa die Digital-NGO Access Now. „Wir glauben, dass Uploadfilter eine Rolle in sehr spezifischen und außerordentlichen Fällen spielen können – gesetzt den Fall, dass diese Systeme transparent sind und regelmäßig durchleuchtet werden“, sagte jüngst Javier Pallero, der Policy-Chef von Access Now, gegenüber netzpolitik.org.

Dies fordern auch die Autor:innen der Studie. Sollten solche Werkzeuge tatsächlich eingesetzt werden, dann müssten sie allfällig Open Source sein – schon allein, weil die Entwicklung teuer und nur für große Anbieter machbar ist. Gleichzeitig weist die Studie darauf hin, dass quelloffene Software nur die halbe Miete ist. Plattformen brauchen eine Infrastruktur sowie ausreichendes Datenmaterial, um mit den großen Anbietern mithalten zu können.

Effektive Berufungsmöglichkeiten

Möglichst transparent sollte bei algorithmisch getroffenen Entscheidungen die gesamte Kette ausfallen und „prozedurale Rechtsmittel“ gesetzlich verankert werden. Nutzer:innen, deren Inhalte automatisiert ausgefiltert oder „herabgesetzt“ wurden, sollten nicht nur informiert werden. Die Entscheidung sollte auch begründet werden, zudem müsste es Berufungsinstanzen geben, die aus Menschen bestehen. Gegebenfalls könnten solche Entscheidungen auch an unabhängige Schiedsstellen ausgelagert werden.

Ferner empfehlen die Autor:innen, zwar eine harmonisierte und EU-weite Regulierung anzustreben, den EU-Ländern aber ausreichend Spielraum in der Bewertung illegaler Inhalte zu geben. Was in einem Land legal ist, muss nicht notwendigerweise für andere Länder gelten und umgekehrt.

Breite Debatte notwendig

Vor allem aber fordert die Studie eine möglichst breite Debatte über Inhaltemoderation und im Besonderen über Uploadfilter. Daran teilnehmen sollten nicht nur politische und administrative Akteure, sondern auch die Zivilgesellschaft und die akademische Welt. „Diese Debatte sollte rechtliche Regulierung in einen breiteren Kontext stellen, der das Verhältnis zwischen menschlichen und sozialen Werten und dem Online-Informationsökosystem adressiert“, so die Autor:innen.

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Lieferkettengesetz: Auch Hersteller von Überwachungstechnologie müssen Menschenrechte einhalten

Netzpolitik - Tue, 06/10/2020 - 13:17

Maren Leifker ist Juristin und arbeitet bei Brot für die Welt als Referentin für Wirtschaft und Menschenrechte. Brot für die Welt beteiligt sich an der „Initiative Lieferkettengesetz“.

In einem aktuellen Bericht zeigt Amnesty International, dass europäische Unternehmen Überwachungstechnologie zur Gesichts-, Verhaltens- und Emotionserkennung an staatliche Institutionen in der chinesischen Region Xinjiang liefern. Dort wird sie zur systematischen Überwachung, Diskriminierung und Unterdrückung von Uigur*innen und anderen Minderheiten eingesetzt.

Konkret wirft der Amnesty-Bericht drei Unternehmen aus den Niederlanden, Frankreich und Schweden vor, chinesische Sicherheitsbehörden und Verantwortliche im Überwachungsapparat in Xinjiang mit der nötigen Software ausgerüstet zu haben. Die Unternehmen riskieren damit, dass ihre Technologien zu schwerwiegenden Verletzungen von Menschenrechten, wie der willkürlichen Verfolgung und Inhaftierung, eingesetzt werden.

Deutschland wird in dem Bericht als eines der fünf Länder mit den meisten Überwachungsunternehmen erwähnt. Auch deutschen Unternehmen wird vorgeworfen, Überwachungstechnologie in Staaten zu exportieren, wo sie zur Unterdrückung der eigenen Bevölkerung eingesetzt wird.

Ein Lieferkettengesetz – auch Sorgfaltspflichtengesetz genannt – könnte deutsche Unternehmen zu mehr Sorgfalt in Bezug auf ihre globalen Geschäfte verpflichten und so Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden reduzieren sowie den Rechtsschutz von Betroffenen verbessern. Doch bei den aktuellen Verhandlungen über Eckpunkte für das geplante Gesetz blockiert das Bundeswirtschaftsministerium wirksame Mindestanforderungen.

Es kommt nicht nur auf die Produktionsbedingungen an

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, die 2011 einstimmig vom Menschenrechtsrat verabschiedet wurden, sehen vor: Unternehmen sollen geeignete Maßnahmen ergreifen, um negative Auswirkungen auf die Menschenrechte zu verhüten oder zu mindern, die mit ihrer Geschäftstätigkeit, ihren Produkten oder Dienstleistungen verbunden sind.

Um Menschenrechtsverletzungen im globalen Geschäftsverkehr zu verhindern, müssen sich nicht nur die Produktionsbedingungen ändern. Unternehmen müssen auch Sorge dafür tragen, dass Produkte, die sie exportieren, nicht zur Verletzung von Menschenrechten eingesetzt werden.

Ein Hersteller von Überwachungstechnologie muss also nicht nur darauf achten, dass Arbeits- und Menschenrechte der bei ihm und gegebenenfalls bei Zulieferern Beschäftigten gewahrt werden. Er muss darüber hinaus auch sicherstellen, dass die Technologie nicht zur Verletzung von Menschenrechten eingesetzt wird. Dazu können dem Käufer etwa Auflagen gemacht werden, dass die Software nur für menschenrechtskonforme Zwecke verwendet werden darf.

Im Extremfall müssen Unternehmen vom Export absehen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn in autoritären Regimen die akute Gefahr des Missbrauchs der Software zur Überwachung und Unterdrückung von Oppositionellen oder zivilgesellschaftlichen Akteuren besteht.

Unternehmen dürfen sich in solchen Fällen auch nicht auf eine eventuell erteilte Ausfuhrgenehmigung verlassen, da diese sie nicht von ihrer eigenen unternehmerischen Verantwortung befreit.

Die Einhaltung der so ausgeprägten Unternehmensverantwortung ist bislang nur in wenigen Fällen gesetzlich bindend. Immer mehr Staaten weltweit verpflichten jedoch ihre Unternehmen zu menschenrechtlicher Sorgfalt, zumindest für bestimmte Themen wie moderne Sklaverei oder Kinderarbeit.

Freiwilligkeit ist gescheitert

In Deutschland hat die Bundesregierung bislang am Prinzip der freiwilligen Unternehmensverantwortung beim Menschenrechtsschutz festgehalten. Im Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 (NAP) hat sie den deutschen Unternehmen bei dem Thema quasi eine letzte Chance gegeben: In einem Monitoring bis 2020 hat sie überprüft, wie Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden es mit den Menschenrechten halten.

Für den Fall, dass weniger als 50 Prozent der Unternehmen die (Menschenrechts-)Vorgaben des Aktionsplans einhalten, sollte ein Gesetz erwogen werden. Im Koalitionsvertrag wurde dieser Ansatz bekräftigt: „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“

Die im Juli 2020 veröffentlichten Endergebnisse der Überprüfung des Aktionsplans ließen keinen Zweifel am Scheitern der freiwilligen Selbstverpflichtung: Nur 13 bis 17 Prozent der Unternehmen, die sich an der Umfrage beteiligt hatten, erfüllten die Anforderungen der menschenrechtlichen Sorgfalt.

Der Regierungssprecher verkündete daraufhin, dass nun die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag greife und man Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz beschließen werde.

Zahnloser Tiger oder wirksames Instrument?

Die Ausgestaltung des Lieferkettengesetzes ist in der Koalition heftig umstritten. Im Juni 2020 wurden Eckpunkte für das Lieferkettengesetz geleakt, auf die sich das Arbeits- und das Entwicklungsministerium geeinigt hatten. Die Initiative Lieferkettengesetz begrüßte die Eckpunkte.

Das im September 2019 gestartete Bündnis von inzwischen mehr als 110 zivilgesellschaftlichen Organisationen, Umweltverbänden, Gewerkschaften und kirchlichen Akteuren in Deutschland setzt sich für die Verabschiedung eines ambitionierten Lieferkettengesetzes noch in dieser Legislaturperiode ein.

Aus Perspektive der Initiative sollte das Lieferkettengesetz in einzelnen Aspekten über die bekannt gewordenen Eckpunkte hinausgehen, um Ausbeutung, Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden im Rahmen der globalen Geschäftstätigkeit von deutschen Unternehmen effektiv zu reduzieren und den Rechtsschutz der Betroffenen zu verbessern. Die Eckpunkte erfüllen aber zentrale Anforderungen an ein wirksames Gesetz.

Positiv ist insbesondere, dass die unternehmerischen Sorgfaltspflichten sehr klar beschrieben werden und dass sie sich an dem internationalen Standard der UN-Leitprinzipien orientieren, also etwa auch für den Export von Überwachungstechnologie gelten sollen. Zudem ist vorgesehen, dass die Einhaltung der Pflichten von einer Bundesbehörde kontrolliert und Verstöße sanktioniert werden. Schließlich sollen Betroffene auf Entschädigung klagen können, wenn ihnen Schäden entstanden sind, weil ein deutsches Unternehmen seine Sorgfaltspflichten verletzt hat.

Endlich handeln statt verschieben

Die Version der Eckpunkte ist aber leider nie offiziell beschlossen worden. Das Arbeits- und Entwicklungsministerium sollen sich jetzt gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium auf eine Eckpunkte-Version einigen, die dann vom Kabinett beschlossen und Grundlage für den Gesetzentwurf werden soll. Der Prozess stockt, da das Wirtschaftsministerium Positionen vertritt, die das Gesetz wirkungslos machen würden.

Nach den Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums soll das Gesetz nur für Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitenden gelten, womit in Deutschland nur etwa 280 Unternehmen erfasst wären. Wichtige deutsche Hersteller von Überwachungstechnologie wie FinFisher würde das nicht betreffen. Die unternehmerischen Pflichten sollen auch nur in Bezug auf direkte Zulieferer in der Produktionskette gelten.

Dadurch wären gravierende Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Export von Produkten, wie Überwachungstechnologie oder Pestiziden, außen vor. Auch die Möglichkeit auf Entschädigung zu klagen, lehnt das Wirtschaftsministerium vollständig ab, womit sich der Rechtsschutz von Betroffenen nicht verbessern würde.

Eine ursprünglich schon für Ende August geplante Befassung des Kabinetts mit Eckpunkten für das Lieferkettengesetz musste schon zum dritten Mal verschoben werden, weil mit dem Wirtschaftsministerium in den zentralen Punkten keine Einigung erzielt werden kann. Statt den Prozess zu verzögern, sollte das Wirtschaftsministerium endlich einsehen, dass ein Gesetz, mit dem Unternehmen zur Beachtung von Menschenrechts- und Umweltstandards verpflichtet werden, auch im Interesse der deutschen Wirtschaft ist.

Als führende Wirtschaftsnation muss die Bundesrepublik bei der Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in der globalen Wirtschaft mit gutem Vorbild vorangehen. Die Bundesregierung muss sich sputen, dieses Vorhaben entsprechend der Vereinbarung im Koalitionsvertrag noch vor Ende der Legislaturperiode umzusetzen.

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EU-Gericht: Anlasslose Vorratsdatenspeicherung bleibt illegal

Netzpolitik - Tue, 06/10/2020 - 10:10

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am heutigen Dienstag ein mit Spannung erwartetes Urteil zur Vorratsdatenspeicherung gefällt. Das Gericht betont darin, dass das anlasslose und massenhafte Sammeln von Kommunikations- und Standortdaten von allen Nutzer:innen eines Telekommunikationsdienstes nicht mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar sei. Zugleich öffnen die Richter:innen ein Tor für Ausnahmen, in denen weiterhin die Speicherung von Daten in Bausch und Bogen denkbar ist.

Das Gerichtsurteil fasst gleich mehrere Klagen aus Großbritannien, Belgien und Frankreich zusammen. Im Kern geht es immer um die Frage, ob massenhaft Telekommunikationsdaten gesammelt und gespeichert werden dürfen.

Im Fall aus dem Vereinigten Königreich klagte die NGO Privacy International gegen die Geheimdienste GCHQ und MI6, weil diese im im großen Stil Profile von weiten Teilen der Bevölkerung anlegen. Nach Darstellung der NGO speichern die Dienste Pass- und Reisedaten, aber auch Daten aus sozialen Medien und Kommunikationsdaten aus verschiedenen Quellen.

Privacy International brachte den Fall erst vor ein Sondergericht für Überwachungsfragen. Das britische Investigatory Powers Tribunal fragte dann das EU-Gericht, ob für die Arbeit der Geheimdienste überhaupt EU-Recht und die dazu gehörenden Datenschutzgesetze gelten. Auch sollte das Gericht in Luxemburg klären, inwiefern die Dienste Schutzmaßnahmen für Grundrechte einhalten müssen.

In den französischen Fällen liegen dem EU-Gericht verwandte Fragen vor. Die NGO La Quadrature du Net, ein Verband von nicht-kommerziellen Internetprovidern und weitere Organisationen klagten gegen die massenhafte Speicherung von Verbindungsdaten zur Terrorbekämpfung durch den französischen Staat. Auch eine weitere belgische Klage wurde behandelt.

Zuvor hatten Privacy International und andere Menschenrechtsorganisationen die Überwachung durch GCHQ bereits vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg gebracht. Das Gericht urteilte 2018, die von Edward Snowden aufgedeckten Überwachungstechniken des GCHQ stellten Menschenrechtsverletzungen dar, allerdings sei grundsätzlich das massenhafte Sammeln von Daten durch Sicherheitsbehörden mit Schutzmaßnahmen zulässig.

Auf die Beschwerden hin beschied der Generalanwalt des EuGH im Januar in einer rechtlich nicht bindenden Meinung, dass auch Terrorgefahr keine unbegrenzte Datensammlung durch die Geheimdienste rechtfertige. Das EU-Gericht hatte bereits zweimal zuvor Verpflichtungen zur Vorratsdatenspeicherung als mit den Grundrechten nicht vereinbar aufgehoben.

Lücken für die nationale Sicherheit

Die Vorratsdatenspeicherung ist nach dem heutigen Gerichtsurteil etwa dann rechtmäßig, wenn „der betreffende Mitgliedstaat mit einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit konfrontiert ist, die sich als echt und konkret oder vorhersehbar erweist“, heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts. Die Maßnahme müsste dann für einen begrenzten Zeitraum gelten und von einem Gericht oder einer unabhängigen Behörde geprüft werden. Damit möchte der EuGH offenbar die Massenüberwachung im Fall etwa einer konkreten terroristischen Bedrohung ermöglichen, allerdings ist unklar, wie überprüft werden kann, was als „ernsthafte Bedrohung“ gilt und was nicht.

Ebenfalls für rechtmäßig hält das Gericht die Vorratsdatenspeicherung, wenn sie auf bestimmte Personengruppen oder Gebiete für eine gewisse Zeit beschränkt ist. Behörden sollen Provider sogar über bisher begrenzte Zeiträume hinweg zur Datenspeicherung anhalten dürfen, wenn es der Aufklärung ernster Verbrechen oder von Angriffen auf die nationale Sicherheit diene, oder wenn solche Anlassfälle vermutet werden müssten.

Das Gericht betont darüber hinaus, dass die geltende E-Privacy-Richtlinie auch einer Echtzeitüberwachung nicht im Wege stehe, wenn es sich um Verdächtige in Terrorfällen handle und eine justizielle Erlaubnis bestehe. Weiters hält das Urteil auch fest, dass nationale Gerichte in Straffällen Beweise und Informationen ignorieren müssten, die aus EU-rechtswidriger Vorratsdatenspeicherung stammten.

NGOs mit unterschiedlicher Einschätzung

Bei den klagenden Organisationen gab es in ersten Reaktionen auf das Urteil gemischte Gefühle. Privacy International begrüßte die Entscheidung des EU-Gerichtes in einer Pressemitteilung. „Das heutige Urteil stärkt die Rechtsstaatlichkeit in der EU“, sagte demnach Caroline Wilson Palow, die Leiterin der Rechtsabteilung der NGO. In demokratischen Gesellschaften müsse es Grenzen und Kontrollen für behördliche Überwachungsbefugnisse geben.

La Quadrature du Net in Frankreich zeigte sich deutlich kritischer. Zwar habe das Gericht bestätigt, dass die französischen Behörden den Providern nicht länger massenhafte Datenspeicherpflichten auferlegen könnten, aber es gebe dabei bedeutende Ausnahmen. „Die Entscheidung ist eine Niederlage in dem Sinn, dass diese Ausnahmen die Wirksamkeit des Rechts auf Privatsphäre beschränken und unweigerlich zu Missbrauch führen werden“, betonte die Organisation. Beide NGOs kündigten ausführlichere Analysen des 85-seitigen Urteils an.

Update vom 6. Oktober 2020: Die Stellungnahmen von Privacy International und La Quadrature du Net wurden nachträglich hinzugefügt.

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bits: Meine Inhalte, meine Rechte

Netzpolitik - Mon, 05/10/2020 - 17:00

Hallo,

die Diskussion um ein Digitale-Dienste-Gesetz (der Digital Service Act) nimmt auf EU-Ebene immer mehr Fahrt auf. Damit sollen die Spielregeln im digitalen Netz neu gestaltet werden. Wir haben in einem Grundlagenartikel die Debatte um „Das Plattformgrundgesetz“ bereits ausführlich beschrieben.

Teil davon sollen auch verbindliche Regeln sein, wie Plattformen mit unerwünschten oder illegalen Inhalten umgehen – und mit Beschwerden von Nutzer:innen, deren Inhalte womöglich ungerechtfertigterweise von einer Plattform verschwunden sind. Die grüne Fraktion im EU-Parlament (Greens/EFA) hat dazu jetzt eine interessante Plattform gestartet. Auf der Kampagnenseite „My content, my rights“ kann die interessierte europäische Zivilgesellschaft jetzt in einem Crowdsourcing-Verfahren mitwirken und dabei helfen, Vorschläge für grundrechtskompatible Regeln für Plattformen zu erstellen. Die sollen dann in den Gesetzgebungsprozess eingebracht werden.

Der Entwurf eines möglichen Gesetzestextes steht bereits online und lässt sich im Detail kommentieren, kritisieren und verbessern. In Stein gemeißelt ist noch nichts, zur Debatte steht jedoch ein differenziertes System. So sollen klare Beschwerdewege sicherstellen, dass Nutzer:innen fragwürdige Inhalte einfach melden können. Das vorgeschlagene „Notice & Action“-Verfahren soll aber nicht automatisch das Haftungsprivileg gefährden, was wohl nur zu Löschorgien führen würde.

Ein Teil der Kampagne ist auch ein öffentlicher Pranger, eine „wall of shame“. Dort können Nutzer:innen anhand von Beispielen zeigen, wie beliebig die Moderationsentscheidungen von Plattformen ausfallen können.

Tomas Rudl hat sich die Kampagne angeschaut und ordnet sie umfassender sein: Das Recht am eigenen Inhalt.

Neues auf netzpolitik.org

Über die Problematik von Datenabfragen bei Bundepsolizei und BKA berichtet Anna Biselli auf Basis der Antworten auf eine kleine Anfrage aus dem Bundestag: Unberechtigte Datenabfragen bei Bundespolizei und BKA.

Unberechtigte Datenabfragen kommen nicht nur bei Landespolizeibehörden vor. Auch bei Bundespolizei und BKA fragten Beamte in den letzten Jahren ohne dienstlichen Grund Informationen ab. Wie die Datenbankanfragen kontrolliert werden, ist uneinheitlich.

In unserem aktuellen Netzpolitik-Podcast Folge 212 „Off The Record“ berichten unsere aktuellen Praktikantinnen über ihre Arbeit und Erfahrungen bei uns: Die Prakti-Special-Edition 2020.

Wir sprechen in dieser Folge mit unseren Praktikantinnen Jana und Charlotte. Über ihre Recherchen aus den vergangenen Monaten, über Journalismus mit Haltung und darüber, was sie an netzpolitik.org irritiert.

Kurze Pausenmusik:

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Feedback und sachdienliche Hinweise bitte an markus@netzpolitik.org schicken.

Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Tomas Rudl unterstützt.

Was sonst noch passierte:

Morgen urteilt der Europäische Gerichtshof das dritte Mal nach 2014 und 2016 über die Vorratsdatenspeicherung. Aktuell geht es um die Umsetzungen in Belgien, Frankreich und Großbritannien. Wir werden morgen bewerten können, wie der aktuelle Stand ist. Währenddessen treibt die deutsche Ratspräsidentschaft selbstverständlich Pläne weiter, eine Vorratsdatenspeicherung irgendwie doch noch auf EU-Ebene durchsetzen zu können, wie Heise-Online mit Bezug auf durch Statewatch geleakte Dokumente berichtet: Deutsche EU-Ratspräsidentschaft treibt Vorratsdatenspeicherung voran.

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Die tägliche Rubrik der Einzelfälle: Selbstverständlich hat NRW wieder einige (heute nur 29) rechtsextreme Verdachtsfälle in Polizeibehörden entdeckt. Aber keine Panik, erklärt Innenminister Reul in einer neuen Kommunikationsstrategie, denn: „Nicht jeden, der in einem rechtsextremistischen Chat ist, kann man als rechtsextrem bezeichnen.“ Die anderen Polizisten sind einfach nur zum Spaß oder rein zufällig in einem rechtsextremen Chat gelandet und kommen nicht mehr raus?

Dazu passt auch diese Meldung aus der Süddeutschen Zeitung: Dutzende Verdachtsfälle bei der Bundespolizei.

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Ich bin in meiner beruflichen Karriere mal kurz über eine Brieffreundschaft mit dem Generalbundesanwalt in Kontakt gekommen, der danach in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde. Für viele Menschen wirkt die Behörde aber häufig wie eine kleine Blackbox. Der ARD-Podcast „Die Justizreporter:innen“ erklärt die Arbeitsweise und Hintergründe der Arbeit mit dem Justizreporter Bernd Wolf und dem ARD-Terrorismusexperten Holger Schmidt: 70 Jahre GBA – Wie arbeiten Deutschlands höchste Staatsanwälte?

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Ab und an klingelte mein Telefon und Otfried Nassauer war dran, um mir weitere Hintergründe für Artikel zu geben, die wir veröffentlicht hatten. Nun wurde bekannt, dass der Journalist und Leiter des Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (zufällig auch BITS) kürzlich leider verstorben ist. Bei der Taz gibt es einen Nachruf, ebenso im AugenGeradeaus-Blog von Thomas Wiegold: Otfried Nassauer wird fehlen – Erst die Fakten, dann die Meinung.

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Zeit-Online erklärt anhand der Kulturgeschichte von Games, warum sich lange das Klischee hielt, dass Computerspiele nur was für Männer seien: Männer zocken auf dem Mars, Frauen auf der Venus?

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Es gibt ja einige Dinge, die man für selbstverständlich hält. Und irgendwann stellt man fest: Wir haben einfach Glück. Fenster scheinen so ein Ding zu sein. Die gibt es überall, aber nicht überall kann man sie öffnen und auf Kipp setzen. Deshalb gibt es jetzt immer mehr Beiträge in Medien aus anderen Staaten, die über das Phänomen des deutschen Stoßlüftens berichten, wie die FAZ erzählt: Varying degrees of Lüften.

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Christian Stöcker schreibt bei Spiegel-Online über exponentielles Covid-Wachstum: Die Zukunft kommt schneller, als Sie denken. Er meint damit, dass man das nicht nur bei Corona bedenken sollte, sondern auch bei anderen Fragen wie der Klimakrise.

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Corona-Leugner:innen kritisieren häufig die PCR-Tests zur Erkennung einer Infektion als ungenau und fehlerhaft. Für das Volksverpetzer-Blog hat sich Philip Kreißel mit den Fakten und Argumenten auseinandergesetzt: PCR-Tests sind sehr genau.

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Zeynep Tufekci fasst bei The Atlantic den aktuellen Stand der Forschung zu Superspreadern zusammen und plädiert dafür, nicht die Variable R (die Reproduktionszahl) in den Vordergrund zu stellen, sondern andere Parameter. Denn Corona verbreitet sich offenbar nicht wie ein Grippe-Virus von einer zur anderen Person, sondern es scheinen die noch nicht ausreichend erforschten Superspreader zu sein, die sehr viele anstecken, während die meisten Infizierten eben niemanden anstecken: This Overlooked Variable Is the Key to the Pandemic. It’s not R.

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Ein langes und lesenswertes Portrait über den „Berliner Zeitung“-Verleger Holger Friedrich gibt es beim Spiegel (möglicherweise hinter der Paywall zu lesen). Ich fand das recht aufschlussreich und spannend, auch wegen der Einordnung seiner DDR-Geschichte und seiner Rolle als Außenseiter in der deutschen Medienwelt: Der Systemsprenger.

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Atomkatastrophen können möglicherweise trotz aller bekannten Nachteile auch kleine Vorteile mit sich bringen. Die Gegend rund um Tschernobyl ist ein gutes Anschauungsobjekt, um rauszufinden, wie sich dort die Natur nach einer solchen Katastrophe verändert, wenn die Menschen weiträumig weggezogen sind. Mehr dazu gibt es bei Wired zu lesen: The Chernobyl Disaster May Have Also Built a Paradise.

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Ein Twitter-Nutzer weist drauf hin, dass die Tweet-Frequenzen von Donald Trump ein schönes Symbol analog zu den Kanarienvögeln in Kohlenminen sind, um zu verstehen, dass irgendwas passiert ist. In den vergangenen Tagen hat der jüngst an Covid-19 erkrankte Donald Trump das erste Mal seit vielen Jahren fast gar nicht getwittert. Sonst kann man nicht viel zur Situation von Trump schreiben, weil unklar ist, welche Realität welche Informationen abbilden. Oder umgekehrt. Aber das Essay von Amy Wilentz im The Atlantic zur Verantwortung von Trump in der Corona-Pandemie fand ich lesenswert: Trump Thought He’d Never Get It.

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Kurzer-Service-Hinweis: Die Grippen-Impfung für diese Saison ist jetzt bei Ärzt:innen erhältlich und kostet nur etwas Zeit und einen Pieks. Hab ich heute erfolgreich getestet und jetzt zum Glück schon hinter mir.

Audio des Tages: Desinformation im US-Wahlkampf 1980

Tom Schimmeck geht in einem Deutschlandfunk-Feature die Frage nach, „Wie die Demokratie gehackt wird„.

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Und WDR5 erinnert an das Jahr 1980, wo es bereits neben dem bekannten Oktoberfestattentat viel Nazi-Gewalt gab: Erinnerungslücke 1980 – Das Terror-Jahr der Rechten.

Video des Tages: Janis Joplin

Aktuell erinnert der 50. Todestag an das Schaffen von Janis Joplin. Einmal gibt es was im Deutschlandfunk: „Alles, wonach ich suchte, war persönliche Freiheit“. Und bei Arte gibt es die Dokumentation „Janis – Little Girl Blue“ zu sehen.

Netzpolitik-Jobs

Ich bekomme regelmäßig Job-Angebote im netzpolitischen Bereich zugeschickt und dachte mir, dass eine zusätzliche Rubrik ein guter Service sein könnte. Zweimal die Woche werde ich zukünftig auf aktuelle Job-Angebote hinweisen.

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Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg (Fraktion Die Linke) sucht eine:n wissenschaftliche:n Mitarbeiter:in für den Bereich Netzpolitik.

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Die Forschungsgruppe „Politik der Digitalisierung“ (POLDI) am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sucht eine/n „Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in (m/w/d)“ für ihr GUARDINT-Projekt, das sich mit der demokratischen Kontrolle digitaler und transnationaler Nachrichtendienstüberwachung befasst.

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Investigate Europe ist eine transnationale Medienplattform für investigativen Journalismus mit Sitz in Berlin. Aktuell wird ein/e Community Engagement Coordinator/in gesucht. Das ist wohl zwischen Social Media-, Community-Management und Audience Development angesiedelt.

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Epicenter.works ist eine österreichische Organisation für digitale Bürgerrechte. Aktuell hat die Organisation mit Sitz in Wien eine „Policy Advisor (m/w/d)„-Stelle ausgeschrieben.

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Wikimedia Deutschland sucht eine/n „Referent für Bildung und Teilhabe in der digitalen Welt“ (m/w/d).

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Die Deutsche Welle sucht eine/n „Redakteur (w/m/d) für Digitalpolitik“ in Berlin.

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Die Free Software Foundation Europe setzt sich für die Förderung von Freier Software (im Volksmund auch Open Source genannt) ein. Für ihr Team in Berlin, das drei Türen weiter neben unserem Büro auf derselben Etage sitzt, sucht die FSFE jetzt eine Büroassistenz.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

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Kampagne: Das Recht am eigenen Inhalt

Netzpolitik - Mon, 05/10/2020 - 16:17

Widerstand ist die niederländische NGO „Women on Waves“ gewohnt. Als die Aktivist:innen mit ihrem Schiff, auf dem sie Schwangerschaftsabbrüche in internationalen Gewässern vornehmen, in Portugal einlaufen wollten, stellte sich ihnen ein Kriegsschiff in den Weg. In Polen wurden sie mit Klagen überzogen, Marokko machte vor ihrer Ankunft den ganzen Hafen dicht.

Ähnlichen Hürden begegnen „Women on Waves“ im Internet. Ihre Website ist aus zahlreichen Ländern nicht erreichbar. Und soziale Netzwerke sperren aus fadenscheinigen Gründen regelmäßig ihre Accounts. Facebook etwa nahm Informationen über eine Abtreibungspille zum Anlass, um die NGO wegen vorgeblicher Anleitung zum Drogenmissbrauch von der Plattform zu werfen. Youtube sah Verstöße gegen die privaten Gemeinschaftsregeln und löschte den Kanal der Aktivist:innen wiederholt von der größten Videoplattform der Welt.

Das Recht am eigenen Inhalt

Dieser Willkür der Plattformen, auf denen inzwischen ein guter Teil des öffentlichen Diskurses stattfindet, sehen sich weltweit unzählige Nutzer:innen ausgesetzt. Zwar hilft in manchen Fällen ein kollektiver Aufschrei, ein konsequent durchgezogenes Gerichtsverfahren oder Berichterstattung durch die Presse, um die Sperren wieder rückgängig zu machen. Aber nicht allen stehen diese Hebel zur Verfügung.

Eine jüngst von den europäischen Grünen gestartete Initiative soll nun dafür sorgen, dass Online-Dienste nicht mehr völlig intransparent schalten und walten können wie bisher. „Mit unserer Kampagne ‚my content, my rights‘ wollen wir Grundrechte im Herzen des Digital Services Act verankern“, sagt Alexandra Geese, die für die Grünen im EU-Parlament sitzt und die Kampagne mitentwickelt hat.

EU plant Überarbeitung der Regeln

Mit dem Digital Services Act, dem Digitale-Dienste Gesetz, will die EU die Spielregeln im digitalen Raum neu gestalten. Gegen Ende des Jahres will die EU-Kommission einen ersten, mit Spannung erwarteten Gesetzentwurf vorstellen. Teil davon sollen auch verbindliche Regeln sein, wie Plattformen mit unerwünschten oder illegalen Inhalten umgehen – und mit Beschwerden von Nutzer:innen, deren Inhalte womöglich ungerechtfertigterweise von einer Plattform verschwunden sind.

Derzeit regeln einerseits die selbst verfassten Gemeinschaftsregeln der Online-Dienste den Umgang mit unerwünschten Inhalten. Andererseits sorgt das sogenannte „Notice & Takedown“-Verfahren, gemeinsam mit der bedingten Haftungsfreiheit für Online-Anbieter, für das Löschen von gemeldeten Inhalten. Doch beide Verfahren sind intransparent und oft genug willkürlich. Zudem entfernen Anbieter viele Inhalte im Zweifel lieber schnell und ohne genauere Prüfung, um ihr Haftungsprivileg nicht zu verlieren, während andere grenzwertige Inhalte stehen bleiben.

„Wall of shame“ sucht nach Beispielen

An diesen Stellen setzt die „my content, my rights“-Kampagne an. Letztlich sollen klare Regeln für die Plattformen entstehen, die in das Digitale-Dienste-Gesetz einfließen sollen. Außerdem soll ein öffentlicher Pranger, eine „wall of shame“, Beispiele von Nutzer:innen einholen und darstellen, wie beliebig die Moderationsentscheidungen von Plattformen ausfallen können. Eines der ersten Beispiele ist der regelmäßig gesperrte Youtube-Account von „Women on Waves“.

An beiden Vorhaben soll die europäische Zivilgesellschaft mitwirken, wünscht sich die grüne Abgeordnete. „Hierfür crowdsourcen wir die Modellregeln für starke Nutzer:innenrechte und sammeln Berichte über ungerechtfertigte Zensurmaßnahmen von Online-Plattformen wie YouTube, Google, Facebook und Co.“, schreibt Geese in einer Mail an netzpolitik.org.

Übereiltes Löschen verhindern

Der Entwurf eines möglichen Gesetzestextes steht bereits online und lässt sich im Detail kommentieren, kritisieren und verbessern. In Stein gemeißelt ist noch nichts, zur Debatte steht jedoch ein differenziertes System. So sollen klare Beschwerdewege sicherstellen, dass Nutzer:innen fragwürdige Inhalte einfach melden können. Das vorgeschlagene „Notice & Action“-Verfahren soll aber nicht automatisch das Haftungsprivileg gefährden, was wohl nur zu Löschorgien führen würde.

Das Recht auf Gegennotifizierung etwa soll Nutzer:innen dabei helfen, sich gegen illegitime Löschersuchen zu Wehr zu setzen – eine beliebte Taktik von rechten Mobs oder auch der Urheberrechtslobby, die manchmal massenhaft oder automatisiert Inhalte melden. Das soll verhindern, dass Plattformen gleich den Löschstift ansetzen. Sollte ein Inhalt dennoch irrtümlich entfernt worden sein, heißt es im Vorschlag der Grünen, müsse ein Mechanismus dafür sorgen, dass der beanstandete Inhalt rasch wiederhergestellt wird.

Über weitergehende Streitigkeiten sollten künftig nicht mehr die Plattformen alleine entscheiden, geht es nach den Grünen. Stattdessen sollen unabhängige Schiedsstellen strittige Fälle klären, ohne das Justizsystem zu überlasten. Und einheitliche und somit besser vergleichbare Transparenzreports sollten sicherstellen, dass die Öffentlichkeit endlich besser Bescheid weiß über das, was die Plattformen eigentlich machen.

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Kleine Anfrage: Unberechtigte Datenabfragen bei Bundespolizei und BKA

Netzpolitik - Mon, 05/10/2020 - 15:20

Eine vermeintliche Gefälligkeit für den Nachbarn, persönliche Neugier oder Ausforschung politischer Gegner: Wenn Polizeibeamte ihren Zugriff auf Datenbanken missbrauchen, um Informationen über Personen abzufragen, kann das viele Hintergründe haben. Vor allem durch die Drohschreiben des sogenannten NSU 2.0 wurde das Problem der unberechtigten Datenabfragen breit diskutiert. Denn den Einschüchterungsversuchen sollen in mehreren Fällen Abfragen auf Polizeicomputern vorausgegangen sein, etwa in Hessen, Berlin und Hamburg. Insgesamt sollen bundesweit in etwa 400 Fällen Verfahren gegen Beamte wegen missbräuchlicher Datenabfragen eingeleitet worden sein.

Dass Polizeibeamte Daten ohne dienstlichen Grund einsehen, kommt nicht nur bei den Landespolizeien vor. Auch bei den polizeilichen Behörden des Bundes gibt es Fälle. Das antwortete das Bundesinnenministerium auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke. Bei der Bundespolizei seien von 2017 bis zum ersten Halbjahr 2020 insgesamt 31 Fälle mit unberechtigten Datenabfragen aufgefallen. Hier sollen „private Interessen“, „Neugier“ und „Abfrage von Angehörigen“ zu den häufigsten ermittelten Gründen gezählt haben. Ob hinter privaten Interessen oder „Gefallen für Bekannte“ auch politische Motivationen stecken könnten, gibt das Innenministerium nicht an.

Beim Bundeskriminalamt wurden im Jahr 2019 zwei Fälle entdeckt, bei einem ging es um die polizeiliche Verbunddatei INPOL, im zweiten um das Einwohnermelderegister Baden-Württembergs. Als Grund gibt das Ministerium private Neugier und das „Interesse eines Bekannten des/der Abfragenden an Speicherungen zu seiner Person“ an. Auch bei der Zollverwaltung wurden im angefragten Zeitraum von dreieinhalb Jahren zwei unberechtigte Abfragen mit persönlichen Motiven festgestellt.

In beinahe allen festgestellen Verstößen gab es Sanktionen. Laut Innenministerium wurden mehrere Beamte aufgrund missbräuchlicher Datenanfragen aus dem Dienst entlassen, es kam zu Verweisen und Geldbußen sowie in manchen Fällen zu strafrechtlichen Ermittlungen.

Ob es auch bei den bundesdeutschen Geheimdiensten ein Problem mit fragwürdigen Auskunftswünschen gibt, beantwortet die Bundesregierung nicht öffentlich. Bei Nachfragen zu Bundesverfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischem Abschirmdienst verweist sie auf die Geheimhaltung zugunsten des Staatswohls. Jelpke ist davon nicht überrascht: „Die Geheimdienste sind bezüglich ihrer Abfragepraxis erwartungsgemäß eine Blackbox. Sie integrieren sich per se nicht in eine demokratische Gesellschaft“, so die Abgeordnete.

Keine einheitliche Kontrollpraxis

Wie und von wem die Abfragen bei den Bundessicherheitsbehörden kontrolliert werden, ist nicht einheitlich. Beim BKA erfolgt bei mittlerweile durchschnittlich jedem tausendsten Datenabruf eine Überprüfung. Dann muss der Abfragende den Grund für die Auskunft angeben. „Dieser wird vom behördlichen Datenschutzbeauftragten und seinen Mitarbeitern auf Plausibilität geprüft“, heißt es in der Antwort. Versucht ein Beamter die Überprüfung zu schließen oder zu ignorieren, wird das an den Datenschutzbeauftragten gemeldet.

Jelpke hält diese Frequenz für „viel zu wenig“. Im Vergleich zu manchen Bundesländern ist jede tausendste Abfrage relativ selten. In Hessen müssen die Beamten bei jeder zweihundertsten Auskunft mit einer Prüfung rechnen, in Rheinland-Pfalz bei jeder fünfzigsten.

Solche Stichproben fehlen bei Bundespolizei und Zollverwaltung bisher. Die Abfragen bei der Bundespolizei werden zwar auch protokolliert, ihre Überprüfung obliegt der Initiative des behördlichen Datenschutzbeauftragten. Beim Zoll werden die protokollierten Daten „anlassbezogen und mit Anordnung der Behördenleitung“ ausgewertet, heißt es in der Antwort des Bundesinnenministeriums. Stichprobenhafte Kontrollen sollen jedoch in Zukunft festgelegt werden.

Wie die Bundespolizei vorgeht, ist für Fragestellerin Jelpke nicht nachvollziehbar: „Offenbar hat man bei der Bundespolizei überhaupt kein Problembewusstsein“, so die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken. „Dabei gibt es keinerlei Grund für die Annahme, dass rechtswidriger Datenabruf dort ein geringeres Problem sein könnte als bei den Länderpolizeien. Es ist einfach nicht hinnehmbar, dass die Abfragepraxis bei der Bundespolizei nicht besser kontrolliert wird.“

Auch „nur jede tausendste Datenabfrage zu kontrollieren“ wie beim BKA, sei viel zu wenig. Für Jelpke steht fest, dass Behörden mit umfangreichen Datensammlungen diese Daten so gut wie möglich vor unbefugtem Zugriff zu schützen haben. „Das wird von den Bundessicherheitsbehörden in beinahe sträflicher Manier vernachlässigt. Gerade angesichts der rechtsextremen Netzwerke in der Polizei muss der Datenschutz schleunigst massiv verbessert werden“, fordert sie.

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NPP 212 Off The Record: Die Prakti-Special-Edition 2020

Netzpolitik - Sat, 03/10/2020 - 06:30


https://netzpolitik.org/wp-upload/2020/10/NPP212_OTR.mp3

Viel zu oft im Hintergrund, heute ganz prominent: In der neuen Folge unseres Hintergrundpodcasts sprechen wir mit Charlotte und Jana. Beide machen seit dem Sommer ein Praktikum bei uns und haben als Journalismus-Studentinnen einen sehr reflektierten Blick auf ihr Schaffen.

Deshalb geht es nicht nur um ihre Recherchen zum Patientendatenschutzgesetz und der Verfolgung von TikTok-Influencer:innen in Ägypten, sondern auch um die große Frage der sogenannten Objektivität im Journalismus.

Ein Thema, das natürlich nicht fehlen darf: Wie ist eigentlich ein Praktikum in Zeiten von Corona? Fehlt irgendwas, wenn man neu dazu kommt und rein virtuell dabei ist? Wie funktioniert das Hybrid-Modell aus Home-Office und Anwesenheit im Büro?

Am Ende der Sendung schauen wir wie gewohnt auf die Spendenentwicklung von netzpolitik.org. Danke fürs Zuhören und danke für die Unterstützung!

Mit in dieser Folge: Charlotte Pekel, Ingo Dachwitz und Jana Ballweber.

Shownotes:

Der Podcast „Off The Record“ erscheint immer am ersten Samstag des Monats und gibt Einblicke in den Maschinenraum unserer Redaktion. Welche aktuellen Themen haben wir begleitet, wie lief die Recherche ab und warum schauen wir auf eben diese Geschichten? „Off The Record“ ist Teil des Netzpolitik-Podcasts NPP und auf dem gleichen Feed zu abonnieren. Ihr könnt diese Folge des Podcasts auch im MP3-Format herunterladen oder bei Spotify abonnieren.

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Categories: netz und politik

Wochenrückblick KW40: Ein Experiment wird erwachsen

Netzpolitik - Fri, 02/10/2020 - 17:00

Irgendwas ist immer, und wer uns regelmäßig liest, wird es bemerkt haben: Seit dieser Woche binden wir unseren bits-Newsletter ins Tagesgeschäft auf netzpolitik.org ein. Im März als Homeoffice-Experiment gestartet, hat unser wochentäglicher Newsletter jetzt sogar die beliebte Rubrik „Was vom Tage übrig blieb“ abgelöst. Die bunte Links-Sammlung zu aktuellen Nachrichten findet ihr aber auch im bits, ebenso wie Einschätzungen von Markus zu netzpolitischen Debatten. Wir schicken euch das Ganze auch wie diesen Wochenrückblick per Mail zu, wenn ihr das möchtet.

Und es gab noch zwei weitere erste Male: Am vergangenen Samstag erschien die erste Crossover-Folge unseres Netzpolitik-Podcast mit Logbuch:Netzpolitik. Constanze und Linus haben mit der Künstlerin ?dil Baydar gesprochen über die mit NSU 2.0 unterzeichneten Morddrohungen, die sie seit fast zwei Jahren erhält, und darüber, wie tief das Rassismus-Problem bei der Polizei sitzt. Ab und zu schalten sich noch zwei weitere Gästinnen dazu, und ?dil Baydar spricht auch über ihre Kunst.

Außerdem veröffentlichen wir seit dieser Woche die Kolumne „Edit Policy“ der ehemaligen EU-Abgeordneten Julia Reda bei uns. Sie erscheint zweiwöchentlich zuerst auf heise.de. In dieser Woche diskutierte Julia Reda einen Referentenentwurf zur Urheberrechtsreform, der nun doch auf strikte Uploadfilter setzt.

So geht staatliches Hacken in legal

Im Mai hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Massenüberwachung durch den Bundesnachrichtendienst (BND) gegen Grundrechte verstößt. Jetzt hat das Bundeskanzleramt das BND-Gesetz überarbeitet. Wir haben den Gesetzentwurf im Volltext veröffentlicht. Deutlich wird darin: Das Bundeskanzleramt will die Hacking-Methoden des BND legalisieren, obwohl dieser so massenhaft Daten von nicht gesuchten Privatpersonen abgreifen kann.

Bei dem Verdacht auf Radikalisierung können deutsche Sicherheitsbehörden auch Kinder überwachen. Die Rechtswissenschaftler:innen Kaja Deller und Konstantin Welker haben für das Deutsche Institut für Menschenrechte untersucht, wie mit der Privatsphäre von Kindern beim Verdacht auf Radikalisierung umgegangen wird. Im Interview erzählen sie, dass es keine einheitlichen Verfahren im Umgang mit vermeintlich radikalisierten Kindern an Schulen gibt und ihre Beobachtung vor allem auf geschürten Ängsten in der Bevölkerung beruht.

Die Bundeswehr überwacht indes „bekannte Schmugglerwege“ in Mali von einem Militärflugplatz im schleswig-holsteinischen Jagel aus. Die Verfolgung und Verhinderung von Fluchthilfe und Menschenhandel – auch diese Aktivitäten fallen unter den Begriff „Schmuggel“ – gehören zwar nicht zu den Aufträgen der Bundeswehr-Drohnen in Mali. Sie könnten trotzdem der Grenzsicherung dienen. Eigentlich sollen auch in Jagel längst große Drohnen fliegen.

Der Journalist Barton Gellman wird von der US-Regierung überwacht, seit Edward Snowden ihm eine Fülle streng geheimer Dokumente aushändigte. In seinem Buch „Der dunkle Spiegel“ beschreibt Gellman seine Begegnung mit Snowden, wie er mit den geheimen Daten umging und was die staatliche Überwachung mit ihm macht. Wir haben einen Auszug daraus veröffentlicht.

Novellen und Hilferufe bei der Polizei

Auch die Polizei in Berlin und Bremen will mehr Befugnisse zur Überwachung. Die anstehende Novelle von Polizeigesetzen hat wenig mit dem Aufrüsten der Polizei in beispielsweise Bayern zu tun. Die Überwachung von Telefonaten und unverschlüsselten Mails wird jetzt auch in Berlin und Bremen im Polizeigesetz festgeschrieben. Präventives Auslesen von verschlüsselten Messenger-Nachrichten durch Trojaner-Software soll hier aber weiterhin nicht ohne ein Ermittlungsverfahren möglich sein.

Die Berliner Polizei versucht seit Langem erfolglos eine rechte Anschlagserie im Berliner Bezirk Neukölln aufzuklären. Jetzt erschweren verschlüsselte Geräte von Verdächtigen die Ermittlungen. Die Beamten konnten sich bislang keinen Zugriff auf die Geräte verschaffen. Das geht aus einem Bericht der zuständigen Ermittlungsgruppe hervor. Sie suchen sich nun abermals Verstärkung.

Die Mächtigen beobachten

Um Überwachung – aber im positiven Sinne – geht es auch einem unabhängigen Aufsichtsgremium, das von der britischen Organisation „The Citizens“ ins Leben gerufen wurde. „The Real Facebook Oversight Board“, bestehend aus prominenten Wissenschaftler:innen, Journalist:innen und Bürgerrechtsexpert:innen, soll Desinformation und Wahlbeeinflussung im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen verhindern. Freie Meinungsäußerung soll ermöglicht und die Unterdrückung von Minderheiten verhindert werden. Allerdings sind die Entscheidungen des Gremiums für Facebook nicht bindend und es gibt Kritik von Aktivist:innen.

Diskriminierung durch automatisierte Entscheidungen ist nichts Neues. Ein geleakter Datensatz zeugt jetzt aber von einem neuen Ausmaß der Diskriminierung von Schwarzen Wähler:innen durch Donald Trumps Wahlkampf-Kampagne 2016. Wähler:innen wurden auf Basis von persönlichen Daten in Kategorien eingeteilt. Diese dienten als Grundlage dafür, welche Wahlwerbung sie auf Facebook sehen konnten. So wollte Trump Schwarze Menschen zum Beispiel durch gezielte Negativ-Berichterstattung über Hillary Clinton davon abhalten, zur Wahl zu gehen. Und Facebook bietet mit seinem Microtargeting den passenden Service.

Für Beschäftigte von Amazon in den USA ist Überwachung rund um die Uhr inzwischen Alltag. Der Handelskonzern macht seit Längerem Anstalten, diese Methoden auch in Europa einzuführen, obwohl sie hier mutmaßlich gegen geltendes Gesetz verstoßen. Amazon hat etwas gegen Gewerkschaften und versucht ihre Bildung mit aller Macht zu verhindern. Vertreter:innen großer Gewerkschaften aus 15 europäischen Ländern protestieren jetzt gegen Amazons Praktiken mit einem Brief an die EU-Kommission.

H&M muss für die Überwachung seiner Angestellten hierzulande blechen: 35,5 Millionen Euro Bußgeld verhängte der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar gegen die schwedische Modekette, die ihren Sitz in der Hansestadt hat. Im Servicecenter des Onlineshops in Nürnberg sei über Jahre das Privatleben von Beschäftigen überwacht worden, beklagt Caspars Behörde. Vorgesetzte legten detaillierte Profile über Angestellte mit sensiblen privaten Informationen an, die auch Entscheidungen über deren beruflichen Werdegang beeinflussten. Grund genug für das Rekord-Bußgeld seit Einführung der DSGVO.

EU-Pläne, die Mark Zuckerberg wehtun könnten

Die EU-Kommission will Anfang Dezember einen Gesetzentwurf zur Regulierung großer Plattformen wie Amazon, Google und Facebook im Rahmen des Digitale-Dienste-Gesetzes vorstellen. Im Vorfeld hat das EU-Parlament mehr Rechte für Nutzer:innen bei automatisierten Entscheidungen durch Algorithmen gefordert. Zum Beispiel soll die automatisierte Konten-Sperrung in sozialen Netzwerken geprüft und korrigiert werden können. Die Abgeordneten wollen Transparenz bei algorithmischen Entscheidungen schaffen und Diskriminierung verhindern.

Ebenfalls mit Blick auf das Digitale-Dienste-Gesetz legte die EU-Kommission eine schwarze Liste unfairer Praktiken von Amazon, Google und Co. an. Sie will verhindern, dass die Digitalriesen die Installation ihrer eigenen Apps erzwingen oder in der Suche eigene Produkte und Dienstleistungen bevorzugt anzeigen. Ein geleakter Entwurf der schwarzen Liste enthält unter anderen den Vorschlag, Konzerne zum Öffnen ihres Datenschatzes für andere Firmen zu zwingen.

Die Bundesregierung drängt bei den Verhandlungen um eine EU-Verordnung gegen Terrorpropaganda auf kurze Löschfristen für Online-Dienste. Das geht aus einem „Kompromissvorschlag“ der deutschen Ratspräsidentschaft hervor, den wir veröffentlicht haben. Halten Google, Facebook und Co. die Fristen zur Löschung von terroristischen Inhalten nicht ein, drohen ihnen Milliardenstrafen. Der deutsche Vorschlag auf EU-Ebene sieht gar strengere Löschfristen vor als das hiesige Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

In der Türkei ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, das große Social-Media-Konzerne verpflichtet, Nutzer:innendaten im Inland zu speichern und Ansprechpartner:innen für Beschwerden bereitzustellen. Die Konzerne müssen demnach Inhalte, die vermeintlich Persönlichkeits- und Datenschutzrechte verletzen, binnen kurzer Zeit löschen. Oppositionspolitiker:innen befürchten aber, dass die Regierung durch das neue Gesetz missliebige Inhalte aus dem Netz entfernen will.

Klimaschutz, Transparenz und Datenschutz zusammendenken

Zum Tag der Informationsfreiheit am vergangenen Montag hat das Transparenzportal Frag den Staat mit der Deutschen Umwelthilfe eine Kampagne gestartet, die einen Datensatz mit Energieausweisen öffentlicher Gebäude zum Ziel hat. Der „Klima-Gebäude-Check“ soll das Verbesserungspotenzial bei Klimaschutz und Energieeffizienz von Behörden, Schulen und Schwimmbädern aufzeigen. Alle Bürger:innen können mit ein paar Klicks auf der Internetseite von Frag den Staat die Energieausweise von Gebäuden in ihrer Nähe anfragen.

Ums Klima geht es auch den Aktivist:innen von Ende Gelände. Damit sie erneut Bagger und Schienen im rheinischen Braunkohlerevier besetzen konnten, mussten die Aktivist:innen das Corona-Tracing im Rahmen ihrer Protestaktion sicherstellen. Sie entwickelten dazu ein eigenes System, das persönliche Daten vor dem Zugriff der Polizei schützt.

Und sonst so?

Eine neue Pisa-Sonderauswertung mit Daten aus 2018 lässt Schulen in Deutschland bei der digitalen Ausstattung abermals schlecht dastehen. Nicht einmal die Hälfte der Schüler:innen kann demnach auf Online-Lernplattformen zugreifen. Auch bei der digitalen Weiterbildung von Lehrkräften hat Deutschland Nachholbedarf. Die EU drängt derweil bei den Mitgliedsstaaten auf Investitionen im Bereich digitale Bildung.

Eine neue Folge Neues aus dem Fernsehrat: Dieses Mal diskutiert Leonhard Dobusch die neu eingesetzten Creative-Commons-Lizenzen bei ausgewählten Videos der Tagesschau. Die ARD steht dabei den Kolleg:innen vom ZDF nach und wird wahrscheinlich an Reichweite einbüßen müssen.

Wir enden diesen Wochenrückblick mit dem Hinweis auf ein spannendes lokaljournalistisches Projekt in Münster. Mitgründer Christian Humborg gibt in einem Gastbeitrag Einblicke in das ambitionierte Projekt RUMS. Als Sozialunternehmen und rein digitales Start-up will es den für die Demokratie so wichtigen Lokaljournalismus beleben.

Wir wünschen euch ein schönes Wochenende!

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Categories: netz und politik

bits: ARD und ZDF öffnen sich mehr für Creative Commons

Netzpolitik - Fri, 02/10/2020 - 17:00

Hallo,

der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk experimentiert endlich mehr mit Creative-Commons – Lizenzen. Nach dem erfolgreichen ZDF-Experiment mit freien Inhalten aus der „Terra-X“-Redaktion packt jetzt die Tagesschau einige Erklär-Videos unter eine CC-Lizenz. Dabei hat man aber die restriktivste von allen Lizenzmöglichkeiten ausgewählt, die nicht kompatibel zur Wikipedia ist. Leonhard Dobusch hat die Entwicklungen eingeordnet und seine Kritik geht in die gleiche Richtung: Open Tagesschau: Zu restriktiv für große Reichweite. Dafür gibt es jetzt ein Erklärvideo der Tagesschau dazu.

Deutlich spannender finde ich die Verwendung von Creative-Commons-Lizenzen in dem aktuellen ZDF-Projekt „Meine Wende“ aus der Redaktion von „Das kleine Fernsehspiel“. Menschen werden eingeladen, ihre Geschichte zur Wende und deutschen Einheit zu erzählen. Die Tonspur wird dabei aufgenommen und die Redaktion sucht die besten eingereichten Beiträge raus und veröffentlicht sie in einem Podcast als Zeitzeugen-Geschichten.

Einige der aus Sicht der Fernsehspiel-Redaktion „berührendsten und stärksten Lebensgeschichten“ werden von unterschiedlichen Animationsfilm-Künstlerinnen und -Künstlern als animierte Doku-Serie für TV und Online aufbereitet.

Die Inhalte können weiterkopiert, kommerziell genutzt und auch bearbeitet werden, ohne Panik vor einer Urheberrechtsabmahnung zu bekommen. Die CC-Lizenz macht es möglich und ist in diesem Fall auch Wikipedia-kompatibel.

Das ist ein schönes Beispiel für die Verwendung offener Lizenzen in einem zeitgeschichtlichen Crowdsourcing-Projekte zum Anlass von 30 Jahren deutsche Einheit, die morgen gefeiert wird.

Beide Projekte zeigen, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten mal mehr, mal weniger in Richtung Netz-Zukunft öffnen. Hoffentlich bleibt es nicht nur bei den einzelnen Experimenten.

Neues auf netzpolitik.org

Die deutsche Regierung engagiert sich aktuell im Rahmen der Debatte um eine EU-Verordnung gegen Terrorpropaganda für kürzere Löschfristen, als es das hiesige Netzwerkdurchsetzungsgesetz tut. Das zeigen Dokumente, die Alexander Fanta gelesen hat: Deutschland drängt auf kurze Löschfristen.

Die geplante EU-Verordnung gegen Terrorpropaganda könnte die Bestimmungen des deutschen NetzDG deutlich verschärfen. Dafür setzt sich die Bundesregierung im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft ein. Ihr vertraulicher Textvorschlag, den wir veröffentlichen, möchte Behörden europaweit das Recht geben, vorgebliche „Terror-Inhalte“ löschen zu lassen.

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Matthias Monroy hat sich den Abschlussbericht über eine Rechte Anschlagserie in Berlin angeschaut: Polizei und ZITiS können Geräte von Verdächtigen nicht entschlüsseln.

Die Berliner Polizei scheitert daran, Handy und Laptop eines Neonazis zu knacken. Das geht aus dem Abschlussbericht der Ermittlungsgruppe zu Brandstiftungen und Sprühereien im Bezirk Neukölln hervor. Auch Bundesbehörden und Firmen haben sich an den Geräten die Zähne ausgebissen.

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Über eine neue Höchststrafe zur Durchsetzung der Datenschutzgrundverordnung hatte ich gestern kurz berichtet. Leonard Kamps hat dazu einen Artikel geschrieben: H&M kassiert 35 Millionen Euro Strafe.

Eine Rekordstrafe folgt dem BigBrotherAward auf dem Fuße: Der Modekonzern H&M knackt den aktuellen deutschen Bußgeld-Rekord, weil er die Privatsphäre seiner Angestellten verletzt hat.

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Das Netz-Medium RUMS möchte ein neues Angebot für Münster aufbauen. Mitgründer Christian Humborg beschreibt in einem Gastbeitrag bei uns über die Notwendigkeit und Strategie dahinter: Neuer lokaler Qualitätsjournalismus ausgerechnet in Münster?

Mit RUMS kommt in Münster ein ambitioniertes Lokaljournalismus-Projekt aus der Start-Phase. Mitgründer Christian Humborg gibt Einblicke in das publizistische Experiment aus dem Netz.

Kurze Pausenmusik:

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Feedback und sachdienliche Hinweise bitte an markus@netzpolitik.org schicken.

Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Alexander Fanta unterstützt.

Was sonst noch passierte:

Die Beweisaufnahme im Auslieferungsverfahren von Julian Assange in die USA ist gestern abgeschlossen worden. Jetzt hat die Verteidigung vier Wochen Zeit für ein Statement und die Anklage zwei Wochen zur Erwiderung. Das Urteil wird am 04.01. im Londoner Gericht Old Bailey gesprochen. Das Schweizer Magazin Republik hat mit dem Informatikprofessor Christian Grothoff gesprochen, der als Zeuge beim Verfahren dabei war, um unabhängig zu klären, wer wann die ersten Veröffentlichungen gemacht hat, wofür die USA Julian Assange für immer im Gefängnis sehen wollen: «Julian Assange ist verantwortungs­voll mit den Daten umgegangen».

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Deutsche Unternehmen werben in Ungarn ungern in kritischen Medien. Das ist gut für die unternehmerischen Beziehungen zum Orban-Regime, aber schlecht für die Meinungsfreiheit und -vielfalt. Das Problem adressiert die Deutsche Welle: Deutsche Unternehmen in Ungarn: Geschäft oder Pressefreiheit?

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Die Süddeutsche Zeitung hat Ulf Buermeyer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte zum aktuellen BND-Gesetz – Referentenentwurf interviewt: „Darf in der Demokratie keine unkontrollierten Behörden geben“. Ulf hält die dort enthaltenden Reformen für einen kleinen Fortschritt, der aber nicht weit genug geht. Große Kritik übt er daran, dass der BND zukünftig entscheiden darf, wer ein Journalist ist. Das sei ein „ein juristischer Taschenspielerstrick des Bundeskanzleramts, um gerade unkonventionell arbeitende oder ausländische Journalisten doch weitgehend nach Gusto überwachen zu können.“

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BuzzFeedNews hat Schulungsunterlagen von Palantir für die Polizei von Los Angeles veröffentlicht: Scars, Tattoos, And License Plates: This Is What Palantir And The LAPD Know About You. Das bringt etwas mehr Licht in die Produkte der verschlossenen Überwachungsfirma Palantir, die auch in Deutschland aktiv ist.

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Das Ärzteblatt berichtet über eine größere Studie zu Corona in Indien, die aufgrund der dortigen Lebens-Verhältnisse im Vergleich zu Industrie-Staaten nicht so einfach auf uns übertragbar ist. Aber die Erkenntnisse auf Basis der vielen Daten bringt neue Indizien, dass der Großteil der Infizierten eher kaum den Virus auf weitere Personen überträgt und Superspreader ein besondere Rolle einnehmen: Die meisten Infektionen erfolgen durch Superspreader.

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Das US-Musikmagazin „RollingStone“ hat eine aktualisierte Liste der „Best album of all the time“ veröffentlicht. Das neue an der 500 Alben umfassenden Liste ist, dass das traditionelle „weiße“ Gitarrenmagazin jetzt sehr viele Soul und Hip-Hop-Alben aufgenommen hat und die Liste gegenüber früheren Versionen im Zuge der Debatte um Black lives matter viel diverser geworden ist. Auf Platz 1 ist dann auch „Marvin Gaye“ gelandet. Man merkt aber an den fehlenden elektronischen Alben, dass es letztendlich eine US-zentrierte Liste bleibt.

Audio des Tages: The missing cryptoqueen

Während des Hypes um Kryptowährungen verschwand die Deutsch-Bulgarin Ruja Ignatova, die eine virtuelle Währung namens OneCoin als Schneeballsystem aufgebaut hatte. Die Geldwerte waren weg und übrig blieben rund 60.000 betroffene Deutsche Anleger:innen und Millionen andere weltweit. Die BBC hat den Fall in der hörenswerten Podcast-Serie „The Missing Cryptoqueen“ spannend aufbereitet.

In Folge der aktuellen #FinCen-Files hat Marcus Engert für Buzzfeed den Fall nochmal mit den neuen Erkenntnissen aufgerollt. Das gibt es hier zum Nachlesen: OneCoin konnte Milliarden stehlen, obwohl Banken die Behörden informiert hatten

Video des Tages: Parlament

Es gibt leider nur wenige Politik-Serien aus Europa. Den europäischen Standard setzte die dänische Serie Borgen vor einigen Jahren, die zeigte, dass auch bei uns West-Wing-ähnliche Qualitäten möglich sind. Aus Deutschland ist mir vor allem die ZDF-Serie „Eichwald, MdB“ im Kopf geblieben. In den zwei Staffeln versuchte man irgendwie, das Konzept von Stromberg auf den Bundestag zu übertragen, was aber nicht so wirklich klappte und nur manchmal lustig war.

In der ARD-Mediathek gibt es jetzt die Serie „Parlament“, die von WDR, ARD-One und verschiedenen europäischen Partnern produziert wurde. Und ich bin begeistert. Denn „Parlament“ schafft es anhand der Geschichte von einigen Büroleiter:innen und Referent:innen im EU-Abgeordneten einen Gesetzgebungsprozess zu vermitteln und gleichzeitig ist die Atmosphäre des EU-Parlaments mit seinen Sitzungen, Empfängen und Reisegruppen gut abgebildet. Dabei wird anschaulich gezeigt, wie die Abläufe im politischen Maschinenraum sind und welche Herausforderungen manchmal interkulturelle Kommunikation mit sich bringt. Das ist in der Vermittlung von Politik nicht nur gut gelungen, sondern auch noch sehr witzig gemacht. Und die Hauptfiguren spielen dabei sehr charmant ihre Rollen, so dass man bis zum Ende mitfiebert, ob der Bericht mit allen Änderungen durchkommt und wie sich die Beziehungen unter den Menschen entwickeln.

Einziger Nachteil auch hier: Die beiden EU-Abgeordneten erfüllen leider wieder das Klischee von unfähigen und unmotivierten Politiker:innen. Die gibt es auch im EU-Parlament, aber sie bilden eher eine Minderheit. Und möglicherweise ist die Erzählform etwas ungewöhnlich, weil es keine deutsch-synchronisierte Fassung gibt. Stattdessen sprechen die Schauspieler:innen jeweils in ihren Sprachen oder wechseln untereinander zwischen deutsch, französisch und englisch hin und her – eben wie man es im EU-Parlament macht. Dafür gibt es deutsche Untertitel.

„Parlament“ hat zehn Folgen zu je 25 Minuten und ist in der ARD-Mediathek zu finden. Ich hoffe, es kommt eine zweite Staffel, die dann die Trilog-Verhandlungen erklärt.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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RUMS: Neuer lokaler Qualitätsjournalismus ausgerechnet in Münster?

Netzpolitik - Fri, 02/10/2020 - 11:30

Christian Humborg ist einer der Gründer:innen von “RUMS – Neuer Journalismus für Münster”. Er ist in Münster geboren und aufgewachsen und lebt seit über 20 Jahren in Berlin. Er twittert unter @chumborg.

Viele Menschen verbinden mit Münster eine beschauliche, konservative Stadt, in der vor langer Zeit der Westfälische Frieden geschlossen wurde, andere verbinden Münster mit Fahrraddiebstählen. Münster überrascht aber als Ort eines neuen journalistischen Projektes. Im März haben wir “RUMS – Neuer Journalismus für Münster” als kostenlosen Newsletter gestartet. Zweimal die Woche erfahren die Leser:innen in einem als Email versendeten Brief, was in der Stadt passiert ist und vor allem warum, sie lesen Recherchen und Analysen zur Stadtpolitik, aber auch über Ausstellungen, Restaurants und ungewöhnliche Geschichten des Alltags. Eines der Vorbilder war der seit Jahren beim Tagesspiegel erscheinende Checkpoint-Newsletter. Im Laufe der Zeit sind größere Recherchen auf der Website hinzugekommen sowie Podcasts der “Briefe”.

Brinkbäumer, Polenz, Reemtsma und Weisband sind dabei

Jeden Sonntag erscheint zudem per Email eine Kolumne von einer oder einem der Kolumnist:innen: Carla Reemtsma, Mitgründerin der Fridays for Future-Bewegung, die in Münster studiert; Marina Weisband, Psychologin und ehemalige Geschäftsführerin der Piratenpartei, die in Münster lebt; Klaus Brinkbäumer, Autor für Tagesspiegel und Zeit, ehemaliger Spiegel-Chefredakteur, der in Münster geboren und aufgewachsen ist und jetzt in New York lebt; Ruprecht Polenz, Goldener Blogger 2020 und ehemaliger Generalsekretär der CDU, der in Münster lebt.

Der Lokaljournalismus ist krank

Mit unserem Angebot reagieren wir auf eine Entwicklung, die es seit langem überall gibt und die RUMS-Redakteur Ralf Heimann in einem seiner Briefe beschrieben hat: “Der Lokaljournalismus ist krank. Der Niedergang hat vor knapp 40 Jahren begonnen, ungefähr zeitgleich mit dem Start des Privatfernsehens. Später kam das Internet hinzu und verschärfte die Probleme. Die Verlage verstanden zu spät, dass ihr Leiden nicht einfach wieder verschwindet. In den vergangenen 30 Jahren verloren die deutschen Tageszeitungen etwa die Hälfte ihrer Gesamtauflage.”

Heimann stellt fest, dass bei immer kleiner werdenden Redaktionen immer weniger Journalist:innen immer mehr arbeiten müssen. Das bedeutet für ihn, dass sie auf einen wichtigen Teil der Arbeit verzichten müssen: die Recherche. Er schreibt: “Sie geben das wieder, was ihnen auf Pressekonferenzen gesagt wird, statt noch wen anders zu fragen, ob das alles wirklich so stimmt. Sie checken Fakten nicht gegen, denn das dauert manchmal genauso lange wie die Arbeit an einem Beitrag. Oft erscheinen einfach Pressemitteilungen. Den Journalist:innen kann man das kaum vorwerfen. Sie müssen sich mit den Umständen arrangieren.”

Auf Münsters Medienmarkt ist Platz genug

Ralf Heimann Beschreibung trifft auch viele Städte und eben auch auf Münster zu. Seit sechs Jahren gibt es dort nur noch ein Verlagshaus, das Tageszeitungen herausgibt: den eigenen Titel “Westfälische Nachrichten” und die 2014 aufgekaufte und inzwischen als sogenannte Zombiezeitung betriebene “Münstersche Zeitung”, deren Redakteur:innen und Inhalte nahezu identisch sind. Das Monatsabo kann innerhalb eines ähnlichen Webseitendesigns einmal in rot für 41,90 Euro und einmal in blau für 40,90 Euro im Monat gebucht werden. Der Chef des Verlags ist auch Präsident der IHK Münster und Vorstandsvorsitzender des Vereins der Kaufmannschaft in Münster. Kein Wunder, dass sich auch viele Entscheidungsträger:innen in der Stadt Vielfalt und Unabhängigkeit im Journalismus wünschen. Daneben gibt es einige kleinere Titel oder Websites, die mal regelmäßig und unregelmäßig, mal werbefinanziert, mal nicht, für Nachrichten und Einordnungen sorgen, aber kein Medium, das nachhaltig finanzierten lokalen Recherchejournalismus anbietet.

Wir sind fest davon überzeugt, dass es genug Sehnsucht und Interesse an verlässlichem lokalen Journalismus gibt. Allein wenn wir uns eine spezielle Zielgruppe anschauen: In Münster studieren rund 60.000 Menschen an der Universität und der Fachhochschule. Wir waren auch überzeugt, dass es eine Zahlungsbereitschaft gibt, eben für diesen anspruchsvollen, unabhängigen Journalismus. Daher haben wir von Anfang an klar gemacht, dass wir RUMS nicht durch Werbung, sondern durch Beiträge der Leser:innen finanzieren wollen, denn Werbefreiheit ermöglicht Unabhängigkeit. Schon beim Start und im weiteren Verlauf haben wir immer wieder klar kommuniziert, dass RUMS ab September kostenpflichtig werden würde.

Die Konversionsrate von 26% ist enorm

Am 1. September war es dann soweit. Die bisherigen rund 3.400 Lese:innen wurden eingeladen, ein monatliches Unterstützungsmodell zu wählen, zwischen 8 Euro (Standard), 15 Euro (Idealistisch) und 40 Euro (Großzügig). Studierende, Schüler:innen, Azubis und Arbeitslose können mit 4 Euro dabei sein. Am 30. September zahlten rund 900 Personen – damit kann sich RUMS selbst tragen. Was Medienmacher:innen aufhorchen lässt, ist die Konversionsrate. 26 Prozent der bisherigen Leser:innen haben sich dafür entschieden, für RUMS zu bezahlen. Das ist enorm und innerhalb des Medienmarktes ein extrem hoher Wert. Im Wikipedia-Artikel zu “Konversion (Marketing)” heißt es: “Maximale Konversionsraten liegen bei ca. 10 Prozent, große Medienhäuser sprechen oft von niedrigen einstelligen Konversionsraten”. Warum es so gut funktioniert? Neben der beschriebenen Sehnsucht nach einem weiteren Medium in der Stadt mutmaßen wir, dass die Leser:innen vor allem die Unabhängigkeit und die Qualität der Arbeit schätzen.

RUMS ist ein Sozialunternehmen

Hinter RUMS stehen zehn Gründer:innen, überwiegend aus Münster, die ihre Investition wahrscheinlich nie zurück erhalten werden, denn mindestens 90% eines möglichen Gewinns, von dem RUMS weit entfernt sind, werden in das Unternehmen zurückfließen. Wir werden in den nächsten Jahren um das weitere Wachstum kämpfen müssen. Wir haben uns bewusst gegen die Gemeinnützigkeit entschieden, weil uns die rechtliche Unsicherheit und die Abhängigkeit vom lokalen Finanzamt zu hoch erschien. Wir stehen für Public Interest Journalism, lokalen Journalismus über Fragen von öffentlichem Interesse. Diesen braucht jede Stadt genauso wie Schulen, Krankenhäuser, Wasser- und Internetversorgung.

Zur zentralen Bedeutung eines lokalen Journalismus für die Demokratie sei erneut RUMS-Redakteur Ralf Heimann zitiert: “Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass in Nachrichtenwüsten die Wahlbeteiligung zurückgeht. Es gibt Hinweise darauf, dass die politische Polarisierung dort zunimmt, wo Lokalmedien fehlen. Das zivilgesellschaftliche Engagement scheint dort größer zu sein, wo es lokale Medien gibt. Dafür gibt es ebenfalls wissenschaftliche Belege. Es ließ sich zeigen, dass Kommunen mehr Geld ausgeben, wenn Lokalmedien fehlen, weil Lokalpolitiker Ausgaben eher durchwinken, wenn ihnen niemand auf die Finger schaut. Auch das haben Forscher untersucht. Sie haben sogar einen Zusammenhang zwischen der Umweltverschmutzung und der lokalen Berichterstattung belegt.”

Das “vielleicht spannendeste und ambitionierteste Lokaljournalismus-Projekt” in Deutschland

RUMS reiht sich ein in rein digitale journalistische Start-Ups, die nicht aus den bisherigen Verlagen entstanden sind, wie CORRECTIV, finanztip, Krautreporter, netzpolitik.org und perspective daily (zufällig auch in Münster beheimatet). Beispiele dieser Start-Ups auf lokaler Ebene sind die Prenzlauer Berg Nachrichten und das Lokalblog Nürnberg. Der viel für die Süddeutsche Zeitung tätige Medienjournalist Simon Hurtz hält RUMS für das vielleicht spannendste und ambitionierteste Lokaljournalismus-Projekt, das es derzeit in Deutschland gibt.

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Rechte Anschlagserie: Polizei und ZITiS können Geräte von Verdächtigen nicht entschlüsseln

Netzpolitik - Fri, 02/10/2020 - 10:49

Die Aufklärung einer rechten Anschlagsserie in Berlin wird durch die Verschlüsselung von Geräten, die von der Polizei bei Verdächtigen beschlagnahmt wurden, deutlich erschwert. So steht es im Abschlussbericht der Ermittlungsgruppe „Fokus“. Demnach hat die Polizei mehrere behördliche und private Stellen um Hilfe bei der Entschlüsselung gebeten, jedes Mal erfolglos.

Der eingestufte Bericht hat 72 Seiten, in einer viel kürzeren offenen Version fehlen die Ausführungen zur digitalen Forensik. Dort heißt es lediglich in einer Fußnote, es werde „weiterhin an der Dekryptierung zweier verschlüsselter Datenträger eines Tatverdächtigen gearbeitet“.

Seit mehreren Jahren werden linke Aktivisten und Projekte im Berliner Stadtteil Neukölln mit Brandstiftungen und Sprühereien heimgesucht, verdächtigt werden drei polizeilich bekannte Mitglieder der rechten Szene. Weil die Polizei nur schleppend ermittelte, hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) vor über einem Jahr die Ermittlungsgruppe „Fokus“ eingesetzt. „Unabhängige“ BeamtInnen sollten darin die bisherige Arbeit ihrer KollegInnen überprüfen. Neue Beweise gegen die drei Hauptverdächtigen Sebastian T., Tilo P. und Julian B. gibt es nach Ende der neuen Untersuchung jedoch nicht.

Geräte fast ein Jahr beim BKA

Im Rahmen einer Durchsuchung bei Sebastian T. hatte die Polizei vor zwei Jahren ein Handy und einen Laptop beschlagnahmt. Das Telefon der Marke Haier war mit einer Boot-Pin gesichert, Angaben zur Art der Verschlüsselung des Samsung-Rechners sind im eingestuften Bericht geschwärzt.

Zuerst hatte sich das Berliner Landeskriminalamt an der Entschlüsselung versucht. Zuständig ist das auf Mobilfunkforensik spezialisierte Dezernat 71 „Forensische Informations- und Kommunikationstechnik“, das digitale Spuren sichert, untersucht und bewertet.

Nachdem die Abteilung „trotz Einsatz der größten Leistungsreserven für Passwortberechnungen“ erfolglos blieb, schickten die ErmittlerInnen die Geräte im Mai 2018 mit der Bitte um Unterstützung an das Bundeskriminalamt. Hierzu hatte das LKA mit der Staatsanwaltschaft eine Frist für den „Entschlüsselungsversuch“ abgestimmt, die im März 2019 endete. Dann gab auch das BKA die Geräte unverrichteter Dinge zurück.

Anschließend wurden Telefon und Laptop einer „auf Entschlüsselung spezialisierten Firma“ übergeben, deren Name ebenfalls geschwärzt ist. Es handelt sich dabei vermutlich nicht um einen Dienstleister, sondern einen Hersteller entsprechender Technik. Denn im Text heißt es weiter, dass „Softwarelösungen“ dieser Firma auch bei anderen Stellen zum Einsatz kommen. Nur wenige Wochen später musste diese aber auch dem LKA mitteilen, „diese Art der Kryptierung nicht entschlüsseln zu können“.

Welcher Hersteller sich an den Geräten versuchte ist unklar, der wohl bekannteste Anbieter in diesem Bereich ist die israelische Firma Cellebrite, die Anwendungen zur digitalen Forensik auch an viele deutsche Polizeibehörden verkauft.

Wörterbuchdatei für Brute-Force-Angriff

Abermals wandten sich die ErmittlerInnen an eine Bundesbehörde. In Berlin war „dienstlich bekannt“, dass die beim Bundesinnenministerium angesiedelte Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) „über neueste und leistungsstarke Technik“ zum Brechen von Verschlüsselung verfügt.

Im Juni 2019 haben die Berliner BeamtInnen das Handy deshalb im Original an die ZITiS in München übergeben. Die Daten des Laptops wurden bereits Ende Mai, also während der noch laufenden Untersuchung durch die Entschlüsselungsfirma, als Hashwerte an die ZITiS digital übermittelt.

Der Bericht der Ermittlungsgruppe beschreibt, wie die Geräte mit einem Brute-Force-Angriff entschlüsselt werden sollten, also dem massenhaften Ausprobieren von Passwörtern. Zunächst hatte ZITiS versucht, die Firmware mittels Reverse Engineering zu analysieren.

Für die Angriffe mit einem Hochleistungsrechner hat das LKA eine „Wörterbuchdatei“ mit möglichen Bestandteilen der Passwörter erstellt und an die ZITiS geschickt. Sie basiert auf unverschlüsselten, beschlagnahmten Asservaten des Verdächtigen T., darunter drei Mobiltelefone, SIM-Karten, diverse Speichermedien und Festplatten sowie weitere Geräte. Nach einer späteren Durchsuchung kamen ein weiteres Mobiltelefon und eine CD hinzu.

Sechs Tage für vier Buchstaben

Im Oktober meldete die Hackerbehörde schließlich für das Telefon des Verdächtigen einen „Teilerfolg“: So sei es gelungen, eine versuchsweise installierte Kryptierung „gleicher Art“ mit einem Passwort aus vier Buchstaben zu überwinden. Hierfür soll der Rechner dem Bericht zufolge allerdings sechs Tage gebraucht haben. Die Passwörter für das Handy und den Laptop müssen komplexer gewesen sein, denn ein halbes Jahr später, im April 2020, stellte die ZITiS ihre Anstrengungen ein. Eine Dekryptierung sei „in absehbarer Zeit […] sehr unwahrscheinlich“.

Beim LKA hatte man* inzwischen von der gerade eingerichteten „Entschlüsselungsplattform“ bei der EU-Polizeiagentur Europol gehört. Die Abteilung ist auf die Entschlüsselung von Geräten spezialisiert und will dafür ebenfalls Supercomputer nutzen. Eine dort erfolgte „Unterstützungsanfrage“ des Dezernats 71 wurde jedoch abschlägig beantwortet, Europol verfügt demnach über weniger technische Ressourcen als die ZITiS.

Die Berliner ErmittlerInnen wollen jedoch nicht aufgeben. In Absprache mit der Staatsanwaltschaft nahm das LKA Kontakt zu einer im Bericht geschwärzten Stelle auf, bei der es sich um eine Behörde handeln dürfte. Denkbar ist, dass diese im Ausland liegt.

Zu den Spezialisten beim Knacken verschlüsselter Mobiltelefone gehört beispielsweise das FBI, das auch schon bei ausländischen Mordermittlungen um Unterstützung gefragt wurde. Nicht ausgeschlossen also, dass die Berliner Polizei irgendwann doch noch weitere Beweise erhält, um die Neonazis in Berlin-Neukölln vor Gericht zu bringen.

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EU-Gesetz gegen Terrorinhalte: Deutschland drängt auf kurze Löschfristen

Netzpolitik - Fri, 02/10/2020 - 10:16

Die Verhandlungen über eine neue EU-Verordnung gegen Terrorpropaganda gehen in den Endspurt. Deutschland drängt darin zu Auflagen, die Diensteanbieter im Netz gegen das Androhen hoher Geldstrafen zum Löschen von verdächtigen Inhalten binnen kürzester Zeit verpflichten sollen. Zugleich schlägt die deutsche Ratspräsidentschaft in einem „Kompromissvorschlag“, den netzpolitik.org veröffentlicht [PDF], eine Aufweichung des grundrechtlichen Schutzes gegenüber früheren Textentwürfen vor.

Die EU möchte mit dem Gesetzesvorschlag terroristische Inhalte im Netz bekämpfen, etwa Propaganda des Islamischen Staates oder Live-Videos wie jenes des rechtsextremen Christchurch-Attentäters. Zu diesem Zweck soll es Lösch- und Sperrverpflichtungen für alle in Europa tätigen Online-Dienste geben, bei denen Nutzende Kommentare, Videos oder Bilder hinterlassen können. Einige EU-Verhandler:innen drängen überdies darauf, verpflichtende Uploadfilter gegen Terrorinhalte vorzuschreiben.

Kommen die Anbieter den Lösch-Anordnungen nicht nach, drohen ihnen Strafen von bis zu vier Prozent ihres globalen Umsatzes – für Konzerne wie Google und Facebook kann das Milliarden Euro ausmachen. Zugleich beruhte in bisherigen Entwürfen die Einstufung, was als „terroristischer Inhalt“ gilt, auf schwammigen Definitionen, die Raum für Zensur offenlassen. Die Vorschläge aus Brüssel werden von Expert:innen aus NGOs und Grundrechteorganisationen als Gefahr für die freie Meinungsäußerung kritisiert.

Der Kompromissvorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft enthält nun eine etwas konkretere Definition, was terroristische Inhalte sein sollen. Diese konzentriert sich auf Aufrufe zu Terrorakten und Bitten um Unterstützung für terroristische Handlungen und Gruppen, auch nennt sie Anleitungen zum Bau einer Bombe, Feuerwaffen oder anderer gefährliche Gegenstände.

Verschärfung für das NetzDG

Bemerkenswert ist der Entwurf der deutschen Ratspräsidentschaft aus innerstaatlicher Perspektive. Denn der deutsche Vorschlag würde für Plattformen weitaus strengere Auflagen machen als es in Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) tut, das die Große Koalition gerade wieder reformieren möchte. Das NetzDG sieht eine Mindest-Löschfrist von 24 Stunden vor, die neue EU-Verordnung würde diese Frist für terroristische Inhalte in „außergewöhnlichen Fällen“ auf eine Stunde heruntersetzen. Diese sehr kurze Löschfrist war bereits in früheren Entwürfen enthalten, wurde aber immer wieder scharf kritisiert.

Die Lösch-Anordnungen sollen nach dem deutschen Entwurf auch jenseits von Landesgrenzen verschickt werden können. Eine Behörde in Ungarn könnte dann etwa einem deutschen Online-Dienste die Löschung eines Inhaltes anordnen, wobei die deutschen Behörden allerdings ein Mitspracherecht haben. Dennoch etabliert der Vorschlag das auch in umstrittenen Entwürfen für die E-Evidence-Verordnung enthaltene Prinzip, Behörden künftig europaweit Handlungsfreiheit zu geben.

Pikant ist das nicht zuletzt deshalb, weil es zwischen europäischen Ländern Auffassungsunterschiede gib, welche Gruppen als terroristisch einzustufen sind. Deutlich wird das etwa daran, dass einige EU-Staaten die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) als Terrorgruppe sehen, andere aber nicht.

Schutz für Journalismus wird beschränkt

Darüber hinaus führt der deutsche Entwurf einen neuen Unterparagraphen ein, der den grundrechtlichen Schutz von Inhalten aus Nachrichtenmedien, Bildung, Wissenschaft und Kunst einschränkt. „Blanko-Ausnahmen können dazu führen, dass illegale Inhalte unter dem Vorwand schutzwürdiger Motive veröffentlicht werden“, heißt es in dem Text der deutschen Ratspräsidentschaft.

Deutschland fordert eine Prüfung von Fall zu Fall, ob es sich tatsächlich um schutzwürdige Inhalte handelt – eine Prüfung, die innerhalb kürzester Löschfristen und unter hohen Strafandrohungen wohl zu vielen ungerechtfertigten Löschungen führen dürfte. Das kehrt praktisch das Prinzip um, dass etwa journalistische und künstlerische Inhalte grundsätzlich einer größeren Freiheit unterliegen. Der deutsche Entwurf fordert, dass Online-Dienste den Nachweis erbringen, dass es sich um eine „legitime Ausübung der Freiheit des Ausdrucks und der Information“ handelt, wie es in dem Entwurf heißt.

Ob der neue Entwurf aus Deutschland weiterhin Uploadfilter vorschreibt, ist unterdessen unklar. In dem deutschen Papier heißt es, die Mitgliedsstaaten hätten den Verweis auf verpflichtende „proaktive Maßnahmen“ der Plattformen geändert, er spricht nun stattdessen von „spezifischen Maßnahmen“. Das könnte freilich noch immer eine Filterpflicht implizieren.

Nach einer Einschätzung aus Verhandlungskreisen bewegt der deutsche Entwurf die laufenden Gespräche zwischen Kommission, EU-Parlament und Mitgliedsstaaten deutlich näher an die Ziellinie. Deutschland möchte noch während seiner Ratspräsidentschaft eine Einigung erzielen, also bis Jahresende. Die Verordnung gegen Terrorinhalte könnte dann bereits nächstes Jahr Gesetz werden.

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DSGVO-Verstoß: H&M kassiert 35 Millionen Euro Strafe

Netzpolitik - Fri, 02/10/2020 - 09:50

Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar hat ein Bußgeld von 35,3 Millionen Euro gegen die schwedische Modekette H&M verhängt. Im Servicecenter des Onlineshops in Nürnberg sei über Jahre hinweg das Privatleben von Beschäftigten überwacht worden, teilte die Behörde mit.

Der Bußgeldbescheid ist ein neuer Rekord in Deutschland seit der Einführung der Datenschutzgrundverordnung, wie heise online meldet. Das Unternehmen hatte bereits zuvor für seinen Umgang mit Mitarbeiter:innen den Datenschutz-Negativpreis BigBrotherAward 2020 in der Kategorie Arbeitswelt erhalten.

Plauderei über Privates von Chefs protokolliert

Vorgesetzte legten über längere Zeiträume detaillierte Profile von Beschäftigten an. Sie enthielten Informationen über Angestellte, von harmlosen privaten Geschichten bis hin zu sensibelsten Daten. Urlaubserlebnisse, familiäre Probleme, Krankheiten und religiöse Bekenntnisse wurden protokolliert. Die Informationen erlangten die Chefs beim Smalltalk im Flur über das Privatleben und in regelmäßigen „Welcome Back Talks“ nach einem Urlaub oder einer Erkrankung.

Die Profile beeinflussten laut Caspar mitunter Entscheidungen über den beruflichen Werdegang der Betroffenen, ohne dass diese davon wissen konnten. Aufgeflogen ist die detaillierte Überwachung des Privatlebens der Mitarbeitenden des H&M-Servicecenters, nachdem der Zugriff auf ein unternehmensinternes Netzwerklaufwerk fehlerhaft konfiguriert war. Statt eines Kreises von etwa 50 Führungskräften, hatten für einige Stunden alle im Unternehmen Einblick in die etwa 60 Gigabyte umfassenden Datensammlung. Nachdem die FAZ im Oktober letzten Jahres darüber berichtet hatte, schaltete sich die Datenschutzbehörde am Sitz des Unternehmens in Hamburg ein.

Datenschützer statuiert an Verstößen von H&M ein Exempel

Der Hamburger Datenschützer Johannes Caspar nennt den Fall eine „schwere Missachtung des Beschäftigtendatenschutzes“. „Das verhängte Bußgeld ist dementsprechend in seiner Höhe angemessen und geeignet, Unternehmen von Verletzungen der Privatsphäre ihrer Beschäftigten abzuschrecken“, sagte Caspar in einer Pressemitteilung.

H&M teilte mit, man übernehme die volle Verantwortung und entschuldige sich bei den Betroffenen. Dem Entscheid gingen Zeugenvernehmungen voraus, der Konzern händigte die Datensammlung aus und kooperierte mit der Behörde. Mit der Reaktion des Konzerns zeigt sich der Datenschützer zufrieden und lobt die Bemühungen um Transparenz in der Aufklärung. H&M kündigte an, die in den vergangene zwei Jahren betroffenen Beschäftigten finanziell zu entschädigen. Darüber hinaus soll mit einem Aktionsplan die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen zukünftig gewährleistet werden. Eine Prüfung des Bußgeldentscheids behält sich H&M allerdings noch vor.

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Neues aus dem Fernsehrat (65): Open Tagesschau: Zu restriktiv für große Reichweite

Netzpolitik - Thu, 01/10/2020 - 17:21

Seit Juli 2016 darf ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten. Was liegt da näher, als im Internet mehr oder weniger regelmäßig Neues aus dem Fernsehrat zu berichten? Eine Serie.

Das ZDF hat mit frei lizenzierten Erklärvideos der Doku-Reihe Terra X vorgelegt, jetzt zieht die ARD nach. Ab sofort sind ausgewählte Tagesschau-Videos unter Creative-Commons-Lizenzen zur Nutzung verfügbar. In der Erklärung zur Veröffentlichung heißt es von Seiten der Tagesschau-Redaktion:

Vor allem Schulen, Museen und Bildungseinrichtungen sollen unsere Inhalte noch komfortabler und noch rechtssicherer für ihre Zwecke vervielfältigen dürfen, ohne vorher Fragen zum Urheberrecht klären zu müssen.

Damit ist Creative Commons endgültig im Kernbereich öffentlich-rechtlicher Medienangebote angekommen. Mehr Mainstream als Tagesschau geht nicht.

Allerdings gibt es bei den ARD-Videos einen großen Unterschied im Vergleich zu den ZDF Terra-X-Videos, was die gewählte Creative-Commons-Lizenz betrifft. Die Tagesschau-Videos stehen unter der restriktivsten Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND, die kommerzielle Nutzung sowie Bearbeitung der Inhalte ausschließt.

Freiere Lizenz bedeutet größere Reichweite

Das erlaubt zwar immer noch viele Nutzungsweisen, eine Einbettung der Videos in freie Projekte wie zum Beispiel der Wikipedia ist damit jedoch nicht möglich. Das ist vor allem für die ARD ein großer Nachteil: mit dem Verzicht auf die Wikipedia und andere freie Projekte geht ein Verzicht auf Reichweite einher.

Je mehr sich der Nachrichtenkonsum auf digitale Plattformen verlagert, desto wichtiger wird auch für öffentlich-rechtliche Medien die Präsenz auf Drittplattformen. Und die Wikipedia ist hier – verglichen mit YouTube oder Facebook – ein besonders passendes Umfeld, das wie die Öffentlich-Rechtlichen auf einen möglichst neutralen Standpunkt und möglichst gut belegte Informationen setzt.

Die ARD muss sich deshalb die Frage gefallen lassen, warum sie sich nicht wie die Kolleg:innen bei ZDF Terra X zu freier und Wikipedia-kompatibler Lizenzierung haben durchringen können. Das ändert nichts daran, dass die Entscheidung zur Nutzung von Creative-Commons-Lizenzen für Tagesschau-Inhalte ein wichtiger Schritt in Richtung zeitgemäßer öffentlich-rechtlicher Online-Angebote darstellt.

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bits: Facebook will vollendete Tatsachen schaffen

Netzpolitik - Thu, 01/10/2020 - 17:00

Hallo,

Facebook beginnt jetzt die engere Verknüpfung der eigenen Plattformen und lässt Instagram-Nutzer:innen mit dem Facebook-Messenger kommunizieren. Das wird als Interoperabilität verkauft und verschmilzt die Dienste enger miteinander: Facebook takes a big step in linking Instagram, Messenger and WhatsApp. Für Facebook ergibt das viel Sinn: Die eigenen Produkte werden gegenüber Konkurrenzprodukten gestärkt und Nutzer:innen noch enger gebunden.

Allerdings ist das keine echte Interoperabilität zwischen den Messenger-Diensten, weil es keine Kommunikationsmöglichkeiten außerhalb des Facebook-Universums gibt. Und Facebook verfolgt damit vor allem einen Plan: Die engere Verzahnung soll zukünftige Anti-Kartellentscheidungen beeinflussen, die möglicherweise zu dem Ergebnis führen könnten, dass Facebook zu viel Macht hat und Instagram und/oder Whatsapp entflechtet werden müssten.

Das Bundeskartellamt ermittelt bereits in diese Richtung und auch die Hinweise zur kommenden Digitale-Dienste-Gesetzgebung der EU zeigen, dass die EU dafür die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen könnte. Dringend notwendig wäre es, denn Facebook dominiert mit seinen Plattformen das soziale Netz mit mehreren Milliarden Nutzer:innen.

Facebook will mit der Integration vollendete Tatsachen schaffen und seine Macht noch weiter ausbauen. Das sollte eine Warnung sein.

Neues auf netzpolitik.org

Jana Ballweber und Ingo Dachwitz schreiben über neue Enthüllungen des Fernsehsenders Channel4: Wie Trump Millionen Schwarze Amerikaner:innen mit gezielter Werbung vom Wählen abhalten wollte.

Ein geleakter Datensatz zeigt, mit welchen Methoden Donald Trump Schwarze Wähler:innen davon abhalten wollte, 2016 zur Wahl zu gehen. Der Skandal zeugt von einer neuen Dimension der strategischen Demobilisierung und wirft erneut Fragen nach Facebooks Rolle bei Wahlen auf.

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Charlotte Pekel fasst einen Brief von Gewerkschaften aus 15 europäischen Staaten an die EU-Kommission zusammen: Gewerkschaften protestieren gegen Überwachung von Amazon-Beschäftigten.

Gewerkschaftsvertreter:innen aus ganz Europa wenden sich in einem Brief an die EU-Kommission: EU-Institutionen sollen prüfen, wie Amazon seine Angestellten an europäischen Standorten überwacht und ob der Konzern damit gegen europäisches Recht verstößt.

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Anna Biselli schreibt über das Vorgehen der türkischen Regierung, die Meinungsfreiheit noch weiter einzuschränken: Umstrittenes Social-Media-Gesetz tritt in Kraft.

In der Türkei sollen große soziale Medien Ansprechpartner bereithalten, sonst drohen hohe Strafen. Ein entsprechendes Gesetz ist heute in Kraft getreten. Ob sich Facebook, Twitter und Co. fügen, ist noch nicht absehbar.

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Gute Nachrichten aus der EU hat Alexander Fanta: EU schreibt schwarze Liste unfairer Praktiken.

Die EU-Kommission plant laut einem geleakten Dokument Schritte gegen die Zwangsinstallation von Apps und Bevorzugung eigener Produkte in der Suche bei großen Plattformen.

Kurze Pausenmusik:

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Feedback und sachdienliche Hinweise bitte an markus@netzpolitik.org schicken.

Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Alexander Fanta unterstützt.

Was sonst noch passierte:

Bei der Polizei Berlin wurde eine weitere Chatgruppe mit rechtsextremen Inhalten entdeckt: Rassistische Chatgruppe aufgedeckt. Das interessante an diesem Fall ist, dass die Ermittlungen von einem Kollegen angestoßen wurden. Und der Vorgesetzte interessierte sich nicht für Warnhinweise.

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Währenddessen wurden jetzt beim Verfassungsschutz NRW vier Beamte als rechtsextreme Verdachtsfälle entdeckt, zu deren Aufgaben es auch gehörte, rechtsextreme Verdächtige zu observieren: Verdachtsfälle beim Verfassungsschutz in NRW.

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Zeit-Online dokumentiert die Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung: 187 Schicksale.

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Die US-Bürgerrechtsorganisationen ACLU und Access Now wenden sich in einem offenen Brief an die EU-Kommission und schlagen konkrete Handlungsempfehlungen vor, wie die EU Druck auf die USA ausüben sollte, um rechtskonforme transnationale Datentransfers nach dem Schrems II-Urteil des Europäischen Gerichtshof zum Privacy Shield ermöglichen zu können. Dazu gehört die Forderung, die verdachtsunabhängige Massenüberwachung einzustellen.

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Steigen jetzt die Corona-Zahlen oder werden einfach mehr durch Tests entdeckt, die im Frühjahr die Dunkelziffer bildeten? Das ist leider noch vollkommen unklar, wie der NDR zusammenfasst: Steigt die Zahl der Corona-Fälle, weil mehr getestet wird? Das Problem ist die Datenbasis.

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Neue Erkenntnisse aus der Aerosole-Forschung: Aerosole können beim Sprechen schnell Abstand von zwei Metern überwinden. Die kleinen Tröpfchen verbreiten sich dabei in einem Winkel von 40-50 Grad vor der sprechenden Person. Besonders beliebt bei Aerosolen sind längere Redeflüsse und Worte mit vielen harten Konsonanten. Dagegen schützt man sich, indem man Sicherheitsabstand einhält, lüftet, Maske trägt und deutlich versetzt redet. Österreichischer Akzent könnte auch helfen, der hat weitaus weniger harte Konsonanten.

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Vorgestern sprach Donald Trump im TV-Duell mit Joe Biden die rechtsextreme US-Gruppierung Proud Boys an und gab das positive Signal in deren Richtung. Gestern wollte er die Proud Boys nicht mehr kennen. Die Belltower-News haben ein Porträt über die militante Gruppe gemacht: Wer sind die Proud Boys?

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Christian Fahrenbach erklärt den US-Supreme Court bei den Krautreportern: Die neun mächtigsten Menschen der USA, verständlich erklärt.

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Unser Medienanwalt Thorsten Feldmann von der Kanzlei JBB erklärt im Interview mit Stefan Niggemeier bei Übermedien die rechtlichen Hintergründe, warum in TV-Dokumentation beim Einsatz von Versteckter Kamera immer „Gedächtnisprotokoll“ steht. Und was man dabei beachten muss: Warum berufen sich Undercover-Reportagen auf ominöse „Gedächtnis­protokolle“?

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Die Modekette H&M muss 35.258.707,95 Euro an Bußgeld für die Überwachung von Mitarbeiter:innen in einem Servicecenter in Nürnberg zahlen. Ein schönes Beispiel über die Wirkung der Datenschutzgrundverordnung mit einer angemessenen und empfindlichen Strafe. Darüber informierte der zuständige Hamburger Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: 35,3 Millionen Euro Bußgeld wegen Datenschutzverstößen im Servicecenter von H&M.

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Reporter ohne Grenzen kommentiert den von uns veröffentlichten Referentenentwurf des BND-Gesetzes und kritisiert die Bundesregierung, dass diese „offenkundig jeden Millimeter an Spielraum innerhalb der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nutzen“ würde, „um dem BND auch künftig möglichst viel Überwachung von Journalistinnen und Journalisten zu erlauben“: Zu wenig Schutz für ausländische Journalisten.

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Heute vor 100 Jahren wurde Berlin zu Großstadt. Das habe ich über zuerst über den SWR2-Wissen-Podcast gelernt, der gestern das Thema „Berlin – Geschichte einer Metropole“ hatte. Die Berliner Zeitung hat heute noch eigenes Feature dazu und bietet einen „Spaziergang durch zehn Dekaden Geschichte voller Höhen und Tiefen“: Metropolis an der Spree.

Audio des Tages: Hannah Arendt – endlich verstehen

Der RBB bietet den sechsteiligen Podcast „Hannah Arendt – endlich verstehen“ an. In den Folgen blicken unterschiedliche Wissenschaftler:innen aus ihrer jeweiligen Perspektive auf das Leben und Werk von Hannah Arendt.

Netzpolitik-Jobs

Ich bekomme regelmäßig Job-Angebote im netzpolitischen Bereich zugeschickt und dachte mir, dass eine zusätzliche Rubrik ein guter Service sein könnte. Zweimal die Woche werde ich zukünftig auf aktuelle Job-Angebote hinweisen.

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Die Forschungsgruppe „Politik der Digitalisierung“ (POLDI) am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sucht eine/n „Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in (m/w/d)“ für ihr GUARDINT-Projekt, das sich mit der demokratischen Kontrolle digitaler und transnationaler Nachrichtendienstüberwachung befasst.

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Investigate Europe ist eine transnationale Medienplattform für investigativen Journalismus mit Sitz in Berlin. Aktuell wird ein/e Community Engagement Coordinator/in gesucht. Das ist wohl zwischen Social Media-, Community-Management und Audience Development angesiedelt.

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Epicenter.works ist eine österreichische Organisation für digitale Bürgerrechte. Aktuell hat die Organisation mit Sitz in Wien eine „Policy Advisor (m/w/d)„-Stelle ausgeschrieben.

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Wikimedia Deutschland sucht eine/n „Referent für Bildung und Teilhabe in der digitalen Welt“ (m/w/d).

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Und eine zweite Ausschreibung von Wikimedia Deutschland sucht nach „Manager digitale/ offline Events (m/w/d)“.

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Die Deutsche Welle sucht eine/n „Redakteur (w/m/d) für Digitalpolitik“ in Berlin.

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Die Free Software Foundation Europe setzt sich für die Förderung von Freier Software (im Volksmund auch Open Source genannt) ein. Für ihr Team in Berlin, das drei Türen weiter neben unserem Büro auf derselben Etage sitzt, sucht die FSFE jetzt eine Büroassistenz.

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Der Digital Freedom Fund ist ein weiterer Zusammenschluss verschiedener Stiftungen, die zivilgesellschaftliche Organisationen bei strategischen Prozessführungen finanziell unterstützt und vernetzt. Dafür wird ein Operations Officer für das Büro in Berlin gesucht. Das ist weitgehend Reise- und Eventmanagement.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

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Microtargeting: Wie Trump Millionen Schwarze Amerikaner:innen mit gezielter Werbung vom Wählen abhalten wollte

Netzpolitik - Thu, 01/10/2020 - 13:51

Wahlkämpfe in den USA sind heute immer auch große Datenschlachten. Dass die Kampagnen daran arbeiten, die zielgenaue Ansprache von Wählergruppen zu perfektionieren, ist spätestens seit dem Skandal um Facebook und Cambridge Analytica bekannt, der das sogenannte Microtargeting nach der letzten US-Präsidentschaftswahl ins öffentliche Bewusstsein schockte. Auch schon vor der Wahl, die Donald Trump vor vier Jahren ins Präsidentenamt brachte, berichteten Medien über Versuche, mit der Kommunikationsstrategie bestimmte Gruppen gezielt von der Wahl abzuhalten.

Doch der Datensatz, den der britische Fernsehsender Channel 4 nun in die Hände bekam, zeugt von einer neuen Dimension der strategischen Demobilisierung. Sie richtete sich überproportional häufig gegen Schwarze Menschen.

Die Reporter erhielten nach eigenen Angaben die gesamte Datenbank der Trump-Kampagne aus dem Jahr 2016. Fünf Terabyte Daten mit Angaben über fast 200 Millionen Amerikaner:innen. Darunter Informationen wie Namen und Kontaktdaten, Sozialversicherungsnummern, Angaben zum Wahlverhalten, Interessen und Vorlieben, sozioökonomische Informationen, politische Interessen und psychographische Persönlichkeitsprofile.

Das demokratische Lager vom Wählen abhalten

Aus dem Leak geht hervor, dass die Trump-Kampagne Wähler:innen auf Basis der Daten in acht Kategorien eingeteilt hat. Sie sollen mehr dem Trump- oder dem Clinton-Lager angehört haben und unterschiedlich stark in ihrer Tendenz gewesen sein. Auch vermeintlich unentschiedene Wähler:innen wurden kategorisiert. Das sollte es dem Wahlkampfteam ermöglichen, gezielt die Menschen anzusprechen, die man noch überzeugen konnte und kein Geld für Werbung bei Menschen auszugeben, die eh nicht beeinflusst werden konnten.

Insbesondere in 16 Bundesstaaten, in denen äußerst knappe Wahlergebnisse vorhergesagt waren, sollten so die kommunikativen Maßnahmen möglichst gezielt eingesetzt werden. Trumps überraschende Siege in einigen dieser strategisch bedeutsamen Swing States gelten als Ursache für seinen Wahlerfolg. Obwohl seine Konkurrentin Hillary Clinton insgesamt mehr Stimmen erhielt, hatte der Republikaner entscheidende Staaten gewonnen und so mehr Wahlmänner auf seiner Seite.

Eine der acht Kategorien bezeichnete Trumps Team als „Deterrence“, zu Deutsch: Abschreckung. Einsortiert wurden hier Menschen, die eindeutig dem Clinton-Lager angehörten und von denen man nicht glaubte, sie zu einer Stimme für Trump überzeugen zu können. Stattdessen war das Ziel, diese Gruppe mit gezielten Negativ-Informationen über Hillary Clinton gänzlich vom Wählen abzuhalten.

Acht Kategorien für US-Wähler:innen. Das ausgelassene Feld auf der Clinton-Seite steht für „Deterrence“: Menschen aus dem pro-demokratischen Lager, die von der Wahl abgehalten werden sollten. Alle Rechte vorbehalten Screenshot: Channel 4 Facebook verweigert Transparenz

So bekamen Menschen, die als weiß, liberal und idealistisch galten, gezielt Werbung mit Informationen über Clintons Unterstützung für Freihandelsabkommen und ihre geleakten E-Mails zu sehen. Junge Frauen bekamen Anzeigen, die Missbrauchsvorwürfe gegenüber Clintons Ehemann thematisierten. Schwarze Wähler:innen bekamen rassistische Aussagen von Clinton aus den 90er Jahren als Werbeanzeigen in sozialen Medien angezeigt.

Nachvollziehen kann die Öffentlichkeit diese Vorgänge nicht, denn die Anzeigen waren sogenannte Dark Ads: sie erschienen nur in den Feeds der ausgewählten Zielgruppen, niemand sonst bekam sie zu Gesicht. Erst nach den Wahlen 2016 hat Facebook diese Werbeform abgeschafft und Anzeigen-Archive eingeführt.

Dies gilt allerdings nicht rückwirkend, die Anzeigen aus dem umstrittenen Wahlkampf 2016 hat der Konzern nie veröffentlicht. Bis heute ist das Microtargeting auf Facebook ein undurchsichtiges Geschäft. Transparenz darüber, auf welcher Datengrundlage und mit welchen Kategorien Zielgruppen ausgewählt werden, gewährt der Konzern auch heute nicht.

Überproportional viele Schwarze Wähler:innen

Channel 4 zufolge zeigen die Daten der Trump-Kampagne, dass Schwarze Wähler:innen in der Deterrence-Kategorie deutlich überproportional vertreten waren. Ihr Anteil übersteigt den, den diese Gruppe an der Gesamtbevölkerung der untersuchten Bundesstaaten hatte. So machen in Schwarze Menschen in Georgia beispielsweise 32 Prozent der Bevölkerung aus, seien aber zu 61 Prozent in der Abschreckungskategorie vertreten.

In North Carolina ist das Verhältnis 22 Prozent zu 46 Prozent. In Wisconsin liegt es 5,4 Prozent zu 17 Prozent. Insgesamt landeten 3,5 Millionen Schwarze Amerikaner:innen in der Kategorie ‚Deterrence‘. Zählt man andere Minderheiten dazu, etwa Menschen, die als Hispanics oder Asian American kategorisiert wurden, würden diese laut Channel 4 insgesamt 54 Prozent der Menschen ausmachen, die Trumps Kampagne vom Wählen abhalten wollte.

Die Unterdrückung von Schwarzen Wähler:innen hat in den USA lange Tradition und beschränkt sich bis heute nicht auf den Online-Bereich. Das Wahlrecht bekamen Schwarze Männer erst im Jahr 1870, Schwarze Frauen im Jahr 1920. Mit dem Voting Rights Act verbot der Gesetzgeber diskriminierende Wahlgesetzgebung. Der Supreme Court kassierte Teile dieses Gesetzes 2013 aber wieder ein, sodass bei der Gleichberechtigung der Wähler:innen sogar Rückschritte zu verzeichnen sind.

Dies wird von der republikanischen Partei, die unter People of Colour deutlich schlechter abschneidet, teilweise strategisch befördert. Einer der Hauptgründe, die Schwarzen US-Amerikaner:innen das Wählen erschweren, ist eine geringere Zahl an Wahlbüros in Städten und Bezirken, in denen Schwarze Einwohner:innen die Mehrheit stellen. Das führt zu viel längeren Wartezeiten am Wahltag. Die Büros, die es dann gibt, sind in diesen Gegenden auch noch häufig unterfinanziert und unterbesetzt.

Ein paar zehntausend Stimmen waren entscheidend

In dem polarisierten politischen System der USA sind Negative Campaigning und gezielte Maßnahmen zur Wahlunterdrückung keine Neuheit. Die Granularität der Daten und das Ausmaß der rassistischen Prägung stellen jedoch eine neue Dimension dar. Die Datenbank der Trump-Kampagne ist so detailliert, dass Channel 4 mit Hilfe ihrer Adresse, ihrer Geburtsdaten und weiteren persönlichen Informationen Betroffene in Milwaukee, Wisconsin ausfindig machen konnte, um sie damit zu konfrontieren, dass die Trump-Kampagne sie aktiv vom Wählen abhalten wollte.

Channel 4 zufolge gab es in dem Jahr tatsächlich eine Trendwende: erstmals war kein Anstieg der Wahlbeteiligung unter Schwarzen US-Amerikaner:innen zu verzeichnen. Das schlechte Abschneiden Clintons bei dieser Gruppe wird mit verantwortlich für ihre Niederlage gemacht.

Welchen Effekt die Kommunikationskampagne zur Demobilisierung Schwarzer Wähler:innen 2016 hatte, lässt sich dabei nicht zweifelsfrei feststellen. Es dürfte sich um ein Zusammenspiel mehrerer Gründe handeln, zu denen auch die Polarisierung der pro-demokratischen Wählerschaft durch die harten Auseinandersetzungen mit Bernie Sanders im Vorwahlkampf oder Clintons politische Agenda zählen. Doch selbst wenn die gezielte Negativkampagne nur bei einigen zehntausend Menschen verfangen haben sollte, könnte sie einen Ausschlag gegeben haben. Schließlich hat Trump zentrale Swing States wie Wisconsin, Pennsylvania, Michigan oder Ohio nur mit wenigen zehntausend Stimmen Vorsprung gewonnen.

Cambridge Analytica lässt grüßen

Woher die Daten im Einzelnen stammen, ist nicht bekannt. Der Kommunikationswissenschaftler David Caroll betont jedoch, dass sich in der Datenbank auch Informationen von Cambridge Analytica befinden. Die inzwischen aufgelöste Firma unterstützte die Trump-Kampagne 2016 personell. Caroll weist zudem darauf hin, dass die Kategorisierung der Wählerschaft in die acht Segmente genau dem Modell entspricht, das Cambridge Analytica verwendet hat.

Bis heute ist umstritten, wie groß der Anteil der Datenfirma an Trumps Erfolg 2016 war. Klar ist jedoch, dass sie sich unrechtmäßig die Daten von Millionen Facebook-Nutzer:innen ergaunerte und diese für die Erstellung psychographischer Persönlichkeitsprofile nutzte. Channel 4 zufolge arbeiten auch im Datenteam der 2020er Trump-Kampagne zwei ehemalige Leute von Cambridge Analytica.

Bis heute ist Facebook die Plattform, die für zugeschnittene politische Werbung die größte Rolle spielt. 2016 gab allein Trumps Kernteam 44 Millionen Dollar für 6 Millionen unterschiedliche Anzeigen auf Facebook aus. Der Werbe-Konzern steht schon länger in der Kritik, nicht genug gegen die Manipulation von Wähler:innen zu unternehmen. Während Google das Microtargeting bei politischer Werbung deutlich eingeschränkt hat und Twitter Wahlwerbung gänzlich verboten hat, lässt Facebook den Wahlkämpfern weiter freie Hand.

Vor kurzem strich Facebook zwar die Kategorie der „ethnischen Affinität“ aus dem Katalog der Eigenschaften, nach denen Werbetreibende ihre Anzeigen individualisieren können. Im vorliegenden Fall würde dieser Schritt aber vermutlich wenig bewirken, da Trumps Datensätze geographisch so genau waren, dass Viertel, in denen mehrheitlich Schwarze Menschen leben, einfach aufgrund ihrer Wohnadresse kategorisiert werden könnten.

Microtargeting auch in Deutschland?

Auch die Maßnahmen, die das Unternehmen gegen Desinformation vor der US-Wahl ankündigte, werden das Problem nicht lösen. Zwar sollen in der Woche vor der Wahl keine neuen Anzeigen mehr geschaltet werden dürfen, bereits vorhandene Werbung darf aber auch am Wahltag noch neu zugeschnitten werden und kann so immer noch kurz vor der Wahl neue Zielgruppen erreichen und somit Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe vom Wählen abhalten.

Die Verfügbarkeit und Qualität von Daten ist der entscheidende Faktor für den Erfolg zielgerichteter Wahlkampfkampagnen und auch der Grund dafür, dass Microtargeting in Deutschland bislang eine kleinere Rolle spielt als in den USA. Daten aus zentralen Wählerregistern stehen den Parteien hierzulande nicht zur Verfügung. Dennoch entdecken auch deutsche Parteien die Macht der Daten. Von der Bundestagswahl 2017 und der Europawahl 2019 sind verschiedene Versuche und Strategien der Parteien bekannt, ihr Werbebudget effizienter einzusetzen.

Nach welchen Kriterien sind die Anzeigen genau zuschneiden und welche Daten ihnen dabei helfen, darüber geben sich die meisten deutschen Parteien eher zugeknöpft.

Die Dokumentation von Channel 4 im Original

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Brief an die EU-Kommission: Gewerkschaften protestieren gegen Überwachung von Amazon-Beschäftigten

Netzpolitik - Thu, 01/10/2020 - 13:24

Gewerkschaften aus 15 europäischen Ländern fordern in einem Brief an die EU-Kommission (PDF) die Untersuchung illegaler Überwachungspraktiken gegen Beschäftigte durch den Handelskonzern Amazon. 37 Gewerkschaftsvertreter:innen haben den Brief unterzeichnet. Sie repräsentieren mehr als 12 Millionen Beschäftigte in Europa. Auch Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di, und ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger unterzeichneten den Brief.

In den vergangenen Wochen gab es immer wieder Enthüllungen darüber, wie Amazon seine Mitarbeiter:innen überwacht und die Bildung von Gewerkschaften verhindern will. In den USA sollen Amazon-Beschäftigte ständiger Überwachung durch Kameras ausgesetzt sein. Laut einem Bericht des Open Market Institute misst der Konzern die Arbeitsleistung und bestimmt strikte Wege und Pausenzeiten bei der Warenauslieferung.

Außerdem hatte Amazon in zwei – nach eigenen Angaben versehentlich veröffentlichten – Stellenanzeigen nach Geheimdienstlern für den Bereich Gefahrenabwehr gesucht. Insbesondere die interne Organisation von Angestellten und damit die Bildung von Gewerkschaften stellte für Amazon offensichtlich eine Gefahr dar, wie Vice berichtete. In der Stellenbeschreibung tauchten Gewerkschaften als mögliche Bedrohung neben beispielsweise Terrorismus auf.

Gewerkschaften fürchten Verstöße gegen europäisches Recht

Gesucht wurden auch Bewerber:innen mit französischen und spanischen Sprachkenntnissen. Die Gewerkschaften befürchteten deshalb die Überwachung von europäischen Amazon-Beschäftigten. In dem Brief an die EU-Kommission beziehen sie sich auf die vorausgehende Berichterstattung und schreiben:

Die von Amazon geplante Intensivierung der Arbeitnehmer-Überwachung in Europa und in der ganzen Welt ist ein weiterer Beleg dafür, dass die EU-Einrichtungen die Geschäfts- und Arbeitsplatzpraktiken von Amazon auf dem ganzen Kontinent genauer untersuchen müssen, da wir vermuten, dass sie gegen die für unsere Bürgerinnen und Bürger in Europa geltenden Arbeitsgesetze, Datenschutzgesetze und Persönlichkeitsrechte verstoßen.

Der Regionalsekretär der internationalen Dienstleistungsgewerkschaft UNI Global Union, Oliver Roethig, äußert sich besorgt über die Arbeitsbedingungen für Amazon-Beschäftigte: „Das vom reichsten Mann der Welt geführte Unternehmen spioniert einige der am schlechtesten bezahlten Arbeitnehmer in der EU aus. Gestützt auf seine Daten-Monopolmacht führt Amazon den Angriff auf die Rechte der Arbeitnehmer an, um deren Bemühungen zur Verbesserung ihrer Bedingungen zunichte zu machen.“

Die Gewerkschaftsvertreter:innen wollen deshalb verhindern, dass sich in Europa eine Industrie etabliert, die Gewerkschaften unterdrückt – wie es sie bereits in den USA gebe.

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Türkei: Umstrittenes Social-Media-Gesetz tritt in Kraft

Netzpolitik - Thu, 01/10/2020 - 12:15

In der Türkei ist ein neues Social-Media-Gesetz in Kraft getreten, von dem weitreichende Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit befürchtet werden. Das von der Regierungspartei AKP eingebrachte und im Juli verabschiedete Gesetz zielt vor allem auf Plattformbetreiber. Soziale Netzwerke mit mehr als einer Million Nutzer:innen in der Türkei müssen Nutzer:innendaten im Inland speichern und in den nächsten Wochen eine Vertretung im Land einrichten.

Diese soll als Ansprechpartnerin für Beschwerden über Inhalte fungieren, die vermeintlich Persönlichkeits- oder Datenschutzrechte verletzen. Solche Inhalte müssen die Plattformen binnen kurzer Zeit entfernen. Kommen sie den Vorgaben nicht nach, drohen Strafen. Zuletzt kann die Erreichbarkeit der Seiten eingeschränkt werden, bis sie praktisch unbenutzbar sind.

Offizielles Ziel des Gesetzes ist es, Hassrede und Belästigungen im Netz einzuschränken. Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde dabei als Vorbild genannt. Der türkische Präsident Erdo?an prangerte Kommentare über die Ehe seiner Tochter und ihren Ehemann, den Finanzminister, bei der Geburt ihres vierten Kindes an. Dass es wirklich um verletzende Inhalte geht, bezweifeln Oppositionspolitikerinnen und Menschenrechtsaktivisten. Denn die Beleidigung von Politikern oder dem Präsidenten ist bereits jetzt strafbar. Sie befürchten, dass mit dem neuen Gesetz missliebige Inhalte aus dem Internet entfernt werden sollen.

Auf Nachfrage des Guardian wollten große Plattformen wie Facebook und Tiktok nicht Stellung beziehen, wie sie mit den Vorgaben aus Ankara umgehen wollen. Facebooks Menschenrechtsbeauftrager twitterte jedoch, dass das Gesetz viele menschenrechtliche Bedenken aufwerfe.

Der Rechtsprofessor und Digital-Rights-Aktivist Yaman Akdeniz forderte Facebook und Twitter dazu auf, sich nicht zum verlängerten Arm der türkischen Strafverfolgungsbehörden zu machen. Auch die NGO Human Rights Watch ruft die Unternehmen dazu auf, sich gegen die Regelungen zu stellen.

Die Zensur von Internetinhalten und die Verfolgung von Personen aufgrund ihrer Äußerungen in Sozialen Medien kommt in der Türkei immer wieder vor. So war im Land zweieinhalb Jahre lang der Zugang zur Wikipedia blockiert. Es sollen Ende 2019 400.000 Websites gesperrt gewesen sein. Im März wurden 64 Personen wegen „unbegründeten und provokativen Coronavirus-Beiträgen“ festgenommen.

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Amazon, Google und Co.: EU schreibt schwarze Liste unfairer Praktiken

Netzpolitik - Thu, 01/10/2020 - 11:33

Die EU-Kommission möchte durch neue Wettbewerbsinstrumente unfaire Geschäftspraktiken von Plattformkonzernen unterbinden. Die Brüsseler Behörde legt dafür eine schwarze Liste von Praktiken an, die sie künftig verbieten möchte. Dazu gehört etwa die Bevorzugung von eigenen Produkten und Dienstleistungen in der eigenen Suchanzeige, wie sie Google und Amazon bislang betrieben haben sollen.

Die schwarze Liste ist Teil des geplanten Digitale-Dienste-Gesetzespaketes, das die Kommission offiziell am 2. Dezember vorstellen will. Durch das Bündel an Maßnahmen möchte die EU die Macht der großen Plattformen einschränken und einen faireren Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt ermöglichen.

Ein geleakter Entwurf der schwarzen Liste wurde nun von der Nachrichtenseite politico.eu veröffentlicht. Darin wird etwa vorgeschlagen, die Plattformfirmen zum Öffnen ihres Datenschatzes für andere Firmen zu zwingen. Daten, die ein Konzern über seine Dienste sammelt, dürfte er in dem Fall nur dann verwenden, wenn er sie auch Nutzer:innen im selben Geschäftsbereich zur Verfügung stellt.

Selbstbevorzugung und Metrik-Mogelei im Visier

Ein großer Teil der schwarzen Liste beschäftigt sich mit verschiedenen Formen der Bevorzugung eigener Angebote. Dazu zählt laut der Liste nicht nur die Besserstellung der eigenen Produkte und Dienstleistungen in der Suche, sondern auch die exklusive Vorinstallation eigener Apps auf Betriebssystemen von Geräten oder eine Verpflichtung für Hersteller, das zu tun. Auch dürften Nutzer:innen ebenso nicht daran gehindert werden, vorinstallierte Apps zu de-installieren. Verboten werden soll außerdem, dass Nutzer:innen sich mit einem E-Mailkonto der Plattform registrieren müssen, um einen anderen Dienst zu nutzen.

Unter besondere Beobachtung stellen möchte die Kommission Geschäftspraktiken bei der Online-Werbung. Das Geschäft mit der Werbung im Netz wird von Google und Facebook dominiert, inzwischen mischen aber auch Amazon und Microsoft dabei mit. Die Kommission schlägt nun vor, dass die Plattformen sich einmal im Jahr einer Prüfung ihrer Metriken und Berichtspflichten gegenüber Geschäftskunden unterziehen müssen. Damit sollen Fällen wie jener verhindert werden, als Facebook über Jahre hinweg übertriebene Zugriffszahlen auf Videos meldete und damit Werbekunden hinters Licht führte.

Neben der schwarzen Liste soll es auch eine „graue Liste“ von Geschäftspraktiken geben, die zwar nicht explizit verboten sind, aber als unfair gelten und zu einem Eingreifen der Aufsichtsbehörden führen sollen. Etwa wenn Plattformen es Nutzenden nicht ausreichend leicht machen, mit ihren Daten zu den Diensten anderer Plattformen zu wechseln. Ein solches Recht ist bereits als Datenportabilität in der Datenschutzgrundverordnung verankert, allerdings setzen die großen Plattformen diese Auflage bislang eher minimalistisch um.

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bits: Huawei oder Nein

Netzpolitik - Wed, 30/09/2020 - 17:00

Hallo,

das IT-Sicherheitsgesetz 2.0 soll kommen. Schon wieder. Bereits im April 2019 veröffentlichten wir einen ersten Referentenentwurf, der vorsah, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zu einer Hackerbehörde mit neuen Befugnissen zu machen. Über den Vorschlag konnte sich die Große Koalition nicht einigen. Im Mai dieses Jahres haben wir die zweite Version eines Referententwurfs veröffentlicht. Dieser konkretisierte die Hacker-Pläne der Bundesregierung – und lag dann wieder auf Eis. Jetzt scheint es bald eine dritte Version zu geben, wie das Handelsblatt vermeldet. Der Referentenentwurf müsste kommenden Monat fertig sein, wenn die prognostizierte Kabinettsbehandlung im November stattfinden soll.

Die Große Koalition hat sich demnach darauf geeinigt, die Nutzung von Huawei-Komponenten beim Aufbau von 5G-Netzwerken stark einzuschränken. Argumentiert wird mit Sicherheitsbedenken, dass chinesische Sicherheitsgesetze dortige Unternehmen zu einer Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden zwingen. Das Argument kann ich nachvollziehen. Aber nach der Logik müssten eigentlich auch US-Unternehmen vom Aufbau ausgeschlossen oder ebenso eingeschränkt werden.

Die ganze Debatte um Huawei und 5G hat wenig mit klassischer Netzpolitik und mehr mit Außen- und Wirtschaftspolitik zu tun. Auf letzterem Spielfeld scheinen sich viele wohler zu fühlen als sich durch Details des IT-Sicherheitsgesetzes zu wühlen. Auch weil viele Politiker:innen und Journalist:innen ohne Kenntnisse der technischen Materie noch ihre traditionell gelernten Schablonen aus der Zeit des Kalten Krieges verwenden können.

Es steht aber zu befürchten, dass diese Frage eine weitere fundierte Debatte um ein zukunftsfähiges und sinnvolles IT-Sicherheitsgesetz weiter überlagern wird. Und in der öffentlichen Wahrnehmung und im politischen Berlin IT-Sicherheit nur noch unter der Frage „Huawei oder Nein“ diskutiert wird. Wir haben größere Probleme in der IT-Sicherheit, für die es dringend Lösungen braucht. Das BSI zu einer Hackerbehörde umzubauen ist weiterhin eher keine sinnvolle Strategie, um mehr Vertrauen und IT-Sicherheit zu schaffen. Darüber müsste viel mehr diskutiert werden. Wir bleiben dran.

Neues auf netzpolitik.org

Charlotte Pekel und Alexander Fanta schreiben über die Pisa-Sonderauswertung: Deutsche Schulen schwächeln bei digitaler Ausstattung.

Schulen in Deutschland liegen beim digitalen Lernen immer noch unter dem internationalen Durchschnitt, das zeigt eine neue Pisa-Studie. Nicht einmal die Hälfte der Schüler:innen hat demnach Zugang zu Online-Lernplattformen.

Apropos: Was wurde eigentlich aus der versprochenen Bildungsflatrate, die Deutsche Telekom und Forschungsministerium für „zum Ende der Sommerferien“ angekündigt hatten? In Berlin beginnen in zehn Tage schon die Herbstferien.

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Marie Bröckling analysiert unterschiedliche Strategien der Bundesländer bei der Reform der Polizeigesetze: Berlin und Bremen sind besser als Bayern.

In Berlin und in Bremen soll die Polizei neue Überwachungs-Werkzeuge an die Hand bekommen. Mit dem exzessiven Aufrüsten der letzten Jahre haben diese Gesetze wenig zu tun. Sie schlagen einen anderen Weg ein.

Kurze Pausenmusik:

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Die Erstellung dieser Ausgabe wurde freundlicherweise von Tomas Rudl unterstützt.

Was sonst noch passierte:

In Baden-Würtemberg regt sich Protest gegen die Pläne des Kultusministeriums, die Schul-Infrastrukturen auf Microsoft-Produkte umzustellen. Sowohl der Landeselternbeirat, die Arbeitsgemeinschaft Gymnasialer Elternvertreter (Arge) sowie der Philologenverband Baden-Württemberg wenden sich gegen die Überlegungen, wie Heise-Online berichtet: Massiver Protest gegen Bildungsplattform mit.

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Eine gute und verständliche Analyse, warum Donald Trump nicht so einfach TikTok in den USA verbieten darf, hat Heise-Online auf Basis der Urteilsbegründung der jüngsten gerichtlichen Entscheidung veröffentlicht: Warum TikTok in den USA weitermachen darf. Kurz: Auch mit den aktuellen Notstandsgesetzen bleibt TikTok ein Dienst zur Übertragung von Information und ist dadurch besonders geschützt (zumindest vor Donald Trump).

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In den USA fand die erste TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden statt. Ich hab mal rein geschaltet, aber der destruktive und diskursvernichtende Stil von Trump war nicht lange auszuhalten. Eine gute Zusammenfassung hat die New York Times. Hier gibt es das Video auf Youtube. Und hier ein deutlich entspannteres Transkript, das die Inhalte aber auch nicht besser macht. OMG.

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Mit den vielen EU-Institutionen und dem NATO-Hauptquartier ist Brüssel beliebt bei internationalen Spionen. Ein weiterer Bonus ist die Rechtslage, die es schwer macht, gegen Spionage vorzugehen, wie Politico beschreibt: Belgium’s spy problem.

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Viele Apps tracken intransparent Nutzer:innen, weil App-Entwickler:innen zu wenig nachdenken und auf fertige Bauteile zurückgreifen. Mobilsicher.de beschreibt die Hintergründe bei Android: App-Module – Wie Apps Sie verfolgen.

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Die Süddeutsche Zeitung berichtet über Steuertricks im Immobiliengeschäft und eine interessante Studie des grünen EU-Abgeordneten Sven Giegold dazu: Wenn die Miete auf den Cayman Islands landet.

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Das NDR-Medienmagazin ZAPP geht der Frage nach, wo die Grenzen zwischen Journalismus und Aktivismus verlaufen. Aktuell gab es die Fälle, dass sowohl der Stern als auch die Bewegungs-erprobte Taz mit Aktivist:innen von Fridays for Future mehr oder weniger kooperiert haben: Medien im Klimawandel – Aktivismus oder Journalismus?

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Der Kulturjournalist Tobias Rapp hat DJ Tanith über Subkultur und Hedonismus vor und während Corona für die Jungle-World interviewt: »Die Tanzfläche ist ein Ort der Katharsis«.

Audio des Tages: Ólafur Elíasson

In der aktuellen Ausgabe des „Alles gesagt“-Podcasts von Zeit-Online ist der Künstler Ólafur Elíasson zu Gast bei Jochen Wegner und Christoph Amend. Das Gespräch geht über sein Leben und Werk, aber vor allem um Kunst und auch Aktivismus. Mit 4:28 Stunden ist der Podcast nicht kurz, dafür bleibt er konstant interessant und mit 1.5 Geschwindigkeit kann man ihn immer noch entspannt hören.

Video des Tages: Wir Ostdeutsche in der Anstalt

Die ZDF-Kabarett-Sendung „Die Anstalt“ hat in ihrer gestrigen Ausgabe das Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange ausführlich thematisiert.

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Wir Ostdeutsche – 30 Jahre im vereinten Land“ ist eine interessante ARD-Dokumentation über Identitäten von Menschen, die in der DDR aufgewachsen sind.

Dazu passt auch das Essay von Christian Bangel im Rahmen einer Debatte der Bundeszentrale für politische Bildung: Es gibt keine wirkliche Ostdebatte.

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Das war es für heute. Viele Grüße und bleibt gesund,
Markus Beckedahl

Ich freue mich immer über Feedback und gute Hinweise. Meine Mailadresse ist markus@netzpolitik.org. Ich bin zwar häufig von zu vielen eMails überfordert und bekomme nicht alle beantwortet. Aber ich lese alle Mails.

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