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netz und politik

Bundesrat: SPD-Ministerpräsidentin Schwesig fordert Vorratsdatenspeicherung

Netzpolitik - Fri, 11/09/2020 - 14:40

Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern fordert die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. In einem Antrag im Bundesrat fordert SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, dass die Bundesregierung die „Einführung der Mindestspeicherpflicht“ vorbereitet.

Die anlasslose Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten wurde wiederholt von obersten Gerichten als grundrechtswidrig eingestuft. Zur Zeit gibt es in der Theorie eine Vorratsdatenspeicherung per Gesetz, die aber in der Praxis ausgesetzt ist. Beim Europäischen Gerichtshof stehen weitere Urteile aus. Erst vor einem Jahr hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Provider keine Daten speichern müssen.

So weit wie rechtlich möglich

SPD-Politikerin Schwesig weiß das, will die Vorratsdatenspeicherung aber trotzdem vorantreiben. Konkret will sie die Bundesregierung auffordern, „die Einführung der Mindestspeicherpflicht“ vorzubereiten, damit sie unmittelbar nach den ausstehenden Gerichtsurteilen wieder eingeführt werden kann. Die Umsetzung soll dabei „so weit wie […] verfassungsrechtlich und europarechtskonform möglich“ sein, also so umfassend wie gerade noch legal.

Als Begründung dient erneut die „Kinderpornografie“, die eigentlich Dokumentation von Missbrauch heißen müsste. Ministerpräsidentin Schwesig behauptet erneut, „dass alleine im Jahr 2017 insgesamt 8.400 Verdachtshinweise nicht aufgeklärt werden konnten“. Diese Behauptung hatten wir bereits damals widerlegt.

In Wahrheit liegt die Aufklärungsquote von Missbrauchsdokumentation weit vor anderen Sexualdelikten oder Kriminalität allgemein. Zudem muss viel mehr gegen sexuellen Missbrauch getan werden statt sich auf Folgeschäden zu beschränken. All das ist der SPD seit vielen Jahren bekannt.

Netzpolitischer Zombie

Erst vor zwei Wochen hat das Bundesjustizministerium einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder veröffentlicht. Der Veröffentlichung war eine lange Auseinandersetzung in der schwarz-roten Bundesregierung vorausgegangen.

Weil Teile der SPD die Vorratsdatenspeicherung ablehnen, vor allem die Vorsitzende Saskia Esken, enthielt der Entwurf von Ministerin Lambrecht absichtlich keine Vorratsdatenspeicherung. Warum jetzt ausgerechnet eine SPD-Ministerpräsidentin die Forderung wieder aufkocht, konnte uns die SPD-Parteispitze nicht auf Anhieb beantworten.

Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag, kommentiert:

Bis heute gibt es, trotzt größter Bemühungen von CDU/CSU und SPD keine rechtskonforme Vorratsdatenspeicherungen. Höchste Gerichte haben die Tür längst zugemacht. Die GroKo hat nur ein Ziel: Von den massiven Versäumnissen im Kampf gegen sexuelle Missbrauchsdarstellungen abzulenken. Das ist ein rechts- und innenpolitisches Armutszeugnis und hilft niemandem.

Der Antrag von Mecklenburg-Vorpommern soll nächsten Freitag im Bundesrat behandelt werden.

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Studie zu CO2-Emissionen: Videostreaming ist am umweltschädlichsten im 3G-Netz

Netzpolitik - Fri, 11/09/2020 - 14:29

Wer beim Online-Videostreaming das Klima schützen möchte, schaut die Lieblingsserie am besten zu Hause auf der Couch im heimischen WLAN. Zu diesem vorläufigen Ergebnis kommt das Forschungsprojekt „Green Cloud-Computing“, an dem das Öko-Institut und das Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) im Auftrag des Umweltbundesamt arbeiten. Demnach sind die CO2-Emissionen am geringsten, wenn HD-Videos eines Cloud-Dienstes per Glasfaser-Anschluss gestreamt werden.

Bislang gab es den Wissenschaftler:innen zufolge keine belastbaren Zahlen zur Klimabilanz von Cloud-Diensten, die Videostreaming und Online-Datenspeicherung anbieten. Bisherige Studien kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen und beruhten auf Rechenmodellen und Annahmen. Die Studie des Umweltbundesamtes arbeitet mit realen Messdaten. Die Forschenden haben dafür an einem großen Streaming-Rechenzentrum gemessen.

So lasse sich der CO2-Fußabdruck von Videostreaming, Video-Konferenzen und Online-Datenspeicherung realitätsnäher bestimmen, heißt es in der gemeinsamen Pressemitteilung von Bundesumweltministerin Svenja Schulze und dem Umweltbundesamt. Die Wissenschaftler:innen haben dafür die Treibhausgasemissionen pro Stunde Videostreaming in HD-Qualität gemessen und die Emissionen für Rechenzentrum und Datenübertragung zusammengefasst.

Hohe CO2-Emissionen im alten Mobilfunknetz

Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die Datenverarbeitung im Rechenzentrum mit 1,5 Gramm CO2 pro Stunde eher gering ist. Wichtiger für die Klimaverträglichkeit ist die Übertragung zu den Nutzer:innen. Wer auf Cloud-Dienste mit Glasfaser-Anschluss zugreift, spart am meisten Kohlenstoffdioxid ein: Die Belastung liegt bei 2 Gramm CO2 pro Stunde HD-Videostreaming. Verbraucher:innen mit Kupferkabel müssen sich 4 Gramm CO2 pro Stunde auf die Bilanz schreiben.

Deutlich höher können die Werte beim Streaming aus dem Mobilfunknetz liegen. Während es bei einer Datenübertragung mit 5G noch 5 Gramm CO2 pro Stunde sind, sind es bei der Übertragung mit 4G schon 13 Gramm. Am klimaschädlichsten ist es, Videos im Mobilfunkstandard 3G zu schauen: Dabei werden 90 Gramm CO2 pro Stunde ausgestoßen.

Entscheidend für die Klimabilanz ist auch die Video-Auflösung. Die Wissenschaftler:innen empfehlen, Videos in HD-Qualität statt Ultra-HD zu streamen, um Daten und damit CO2 einzusparen. Wer eine Stunde Videos in Ultra-HD statt HD am Fernseher schaut, verbraucht 7 Gigabyte statt 700 Megabyte, also zehnmal so viel Datenvolumen. Das treibt die Emissionen in die Höhe. Das Forschungsteam rät Betreiber:innen von Websites, das automatische Abspielen von Videos standardmäßig auszuschalten, um den Datenverbrauch zu reduzieren.

Schulze wirbt für umweltfreundliche Digitalisierung

Aus Sicht von Bundesumweltministerin Schulze ist klimafreundliches Streaming vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse möglich, mit der richtigen Infrastruktur. „Aus Umweltsicht ist es eine gute Idee, mehr öffentliche WLAN Hotspots einzurichten, denn das ist klimafreundlicher als Streaming im Mobilfunknetz“, sagte sie in einer Pressekonferenz am Donnerstag. Auch die Vorteile von Home-Office und Videokonferenzen für das Klima stiegen mit effizienteren Rechenzentren und moderneren Netzen.

„Unsere Forschung zeigt, dass wir verstärkt in den Ausbau der Glasfasernetze investieren sollten“, sagte der Präsident des Umweltbundesamtes Dirk Messner. Künftig würden die Datenmengen durch mehr Videokonferenzen und vernetztes Fahren weiter steigen. Die 5G-Übertragungstechnik bezeichnete er mit Blick auf den Klimaschutz als vielversprechend.

Digitalisierung für Klimaschutz nutzen

Videostreaming könnte demnach insgesamt klimafreundlicher werden, wenn auch die Digitalisierung vorangetrieben wird. Ministerin Schulze will das im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf europäischer Ebene erreichen, sagte sie bei der Vorstellung der Studienergebnisse.

Forschende des Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und der Technischen Universität Berlin kamen indes zu dem Schluss, dass die voranschreitende Digitalisierung nicht automatisch mehr Klimaschutz bedeute. Die steigende Nutzung von digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien und das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre sorgten für einen höheren Energieverbrauch.

Zwar könne durch effizientere Arbeits- und Produktionsprozesse und moderne technische Geräte Energie eingespart werden, sagt der Wirtschaftsforscher Steffen Lange vom IÖW. Das führe jedoch an anderen Stellen zu mehr Nachfrage, also mehr Energieverbrauch, vermutet Johanna Pohl von der TU Berlin. Die Forscher:innen plädieren dafür, „die digitalen Möglichkeiten in den Dienst einer ökologischen Transformation der Ökonomie zu stellen.“ Nur wenn digitale Technologien für wirtschaftlichen Wandel genutzt würden, könnten die Klimaschutzziele eingehalten werden.

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Telio GmbH und der Staat: Zu diesen Bedingungen telefonieren Gefangene

Netzpolitik - Fri, 11/09/2020 - 12:14

Die Firma Telio soll in vielen deutschen Gefängnissen den Gefangenen die Kommunikation zur Außenwelt ermöglichen. Wie viel diese Anrufe aber kosten, das will Telio nicht preisgeben.

Deswegen fragten wir die Verträge zwischen Telio und den Bundesländern über das Informationsfreiheitsgesetz an. Das Ergebnis war ernüchternd. „Auf Anfrage des Hessischen Ministeriums der Justiz wurde die Erteilung der Einwilligung durch die Telio GmbH abgelehnt.“ So ähnlich lauteten auch die Antworten, die wir aus fast allen anderen Bundesländern bekamen.

Nur in zwei Bundesländern war die Anfrage erfolgreich, ohne dass es dabei zu horrenden Kosten gekommen wäre: in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Nach der Anhörung der Geschäftsführung von Telio übermittelte das Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern die Leistungsbeschreibung, die Allgemeinen Vertragsbedingungen und den Rahmenvertrag. Ausgeschlossen wurde das „Preisblatt Endkundenpreis“, das Angebot des Bieters aus dem Oktober 2019 sowie weitere Unterlagen aus der Ausschreibung – die Geschäftsführung von Telio hatte der Veröffentlichung nicht zugestimmt, da diese Dokumente ihrer Ansicht nach Geschäftsgeheimnisse enthielten.

In dem Vertrag zwischen dem Land Mecklenburg-Vorpommern und der Telio GmbH vom 16. Dezember 2019 lassen drei Punkte aufhorchen: Erstens sollen mehr Haftraumtelefone installiert werden. Zweitens gibt es eine paradoxe Formulierung zur Ankündigung von Überwachung während des Telefonats. Drittens fehlt eine Möglichkeit, die im Jahr 2020 selbstverständlich sein sollte: Häftlinge anzurufen – von außen.

Kosten für das Land: 0,00 EUR

Das Niedersächsische Justizministerium gab dagegen nur die Leistungsbeschreibung heraus, ohne weitere Teile wie AGB und Rahmenvertrag. Das muss es auch nicht: Niedersachsen hat weder ein Transparenz- noch ein Informationsfreiheitsgesetz. Die Leistungsbeschreibungen beider Länder ähneln sich erstaunlicherweise sehr.

Wie wir im Dezember 2019 berichteten, ermöglicht Telio mit seinen Produkten die Kommunikation und Überwachung von Gefangenen. Dabei erhebt die Firma hohe Preise, über deren Höhe sie sich ausschweigt. Einzelne Anfragen von Parlamentarier:innen können zwar Licht in das Dunkel bringen, aber genaue Auflistungen der Leistungen, die Telio in den Gefängnissen erbringt, waren bislang nicht bekannt. Nun konnten wir eben diese Leistungsbeschreibung befreien.

In den Vertragsunterlagen wird klargestellt: Die Kosten für die Installationen, Instandhaltung und weitere Wartung der Telio-Produkte übernimmt Telio selbst. Das Land zahlt dafür nichts. Die Kosten werden vielmehr an die Gefangenen weitergegeben – über die Telefongebühr. Und die ist hoch. Ein Anruf in das Mobilfunknetz kann dabei bis zu 23 Cent pro Minute betragen.

Mehr Haftraumtelefone

Dr. Jan Fährmann, Jurist und Mitarbeiter am Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit Berlin, ist Experte auf dem Gebiet der Gefangenenkommunikation. Er veröffentlichte im vergangenen Jahr seine Dissertation zum Thema. Auf Nachfrage bestätigt er die Entwicklung weg von Flurtelefonen hin zu mehr Haftraumtelefonen. Am Telefon berichtet er, dass es Fälle gab, in denen sich Gefangene gegenseitig von den Flurtelefonen verdrängten, wodurch es zu Gewalt und Nötigungen kam.

Haftraumtelefone führten somit zu einer Win-Win-Win-Situation, sagt Fährmann: Für Gefangene ermöglichten sie mehr Privatsphäre während des Telefonats. Für die öffentlichen Betreiber der Justizvollzugsanstalten (JVA) bedeuteten sie bessere Resozialisierung durch Verminderung der oben genannten Effekte und mehr Ruhe im Vollzug. Und für Telio bringen sie höhere Einnahmen, da die Gefangenen mehr telefonieren.

Keine Ansage bei richterlicher Anordnung zum Abhören

Unter dem Punkt „Mithören von Telefongesprächen“ aus der Leistungsbeschreibung heißt es:

Es muss vor dem Verbindungsaufbau eines jeden Telefongespräches eine automatische Ansage erfolgen, sobald die theoretische Möglichkeit des Mithörens besteht. Diese Ansage ist für die Gefangenen und Untergebrachten kostenfrei. Falls nur eine richterlich angeordnete Telefonüberwachung gemäß Strafprozessordnung (StPO) besteht, darf diese Ansage nicht erfolgen. (Hervorhebung durch uns)

Diese Formulierung deutet auf eine paradoxe Situation hin: Wenn die Gefangenen immer davon ausgehen müssen, dass JVA-Beamte mithören, dann könnten sie im Fall einer richterlich angeordneten Überwachung sehr einfach merken, dass ebendiese angeordnet wurde – weil die Ansage fehlt. Das entstandene Paradoxon kann uns die Pressestelle des Justizministeriums Mecklenburg-Vorpommern nicht erklären. Ein Sprecher antwortet auf die Frage, ob diese Praxis zielführend sei: „Ja, denn nach § 100a StPO darf die Telekommunikation auch ohne Wissen der Betroffenen überwacht und aufgezeichnet werden.“

Keine Anrufe von außen

Ein Merkmal, das in der Leistungsbeschreibung fehlt, ist die Möglichkeit für Angehörige oder andere Menschen in Freiheit, die Gefangenen anzurufen. Jegliche Verbindungen müssen demnach aus der JVA heraus in die Außenwelt stattfinden. Nicht mal um einen Rückruf kann gebeten werden. Für Manuel Matzke, Bundessprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO, ist dieser Zustand „unvermittelbar“ und „insgesamt nicht zu verstehen“.

Die JVA könne ja die einwählenden Telefonnummern genau so kontrollieren und überprüfen, wie sie es auch bei ausgehenden Anrufen tue, sagt Matzke. In der Sicherungsverwahrung sei dies schon möglich. In der Sicherungsverwahrung sitzen Menschen in JVAs ein, die ihre eigentliche Strafe schon büßten, jedoch „für die Allgemeinheit gefährlich“ seien. Es ist eine Präventivhaft, die von Menschenrechtsorganisation scharf kritisiert wird.

Weiter sagt Matzke, dass „die deutsche Justiz Telio das Monopol quasi zu Füßen legt und somit die finanzielle Ausbeutung von Gefangenen duldet und sogar unterstützt, obwohl sie eine Fürsorgepflicht hat, welche auch die finanziellen Belange der Gefangenen betrifft“. Telios Tarife von bis zu 23 Cent pro Minute wurden vom Bundesverfassungsgericht als „marktüblich“ eingeschätzt.

Nio? Nio!

Telio rühmt sich mit seiner internationalen Verbreitung und besitzt seit Anfang August einen neuen Internetauftritt. Dieser bringt Einblick in ein Produkt namens „Nio“, über das wir im Dezember erstmals berichteten. Zu dem Zeitpunkt war nur bekannt, dass es ein Multimedia- und Sonderprodukt für Berlin war. Nun scheint Nio marktreif zu sein. Nio wird nun offensiv neben den älteren Produkten PHONio und ROOMio beworben.

Telio reagierte auf eine Konfrontation nicht. In dieser fragten wir unter anderem, warum ihr Impressum neuerdings – nach der Überarbeitung ihrer Webseite – mangelhaft sei: Darin fehlen Angaben wie Geschäftsführer und eine ladungsfähige Anschrift.

Einzigartig und kosteneffizient! Alle Rechte vorbehalten Screenshot von tel.io

Korrektur vom 11.09.2020 17:10 Uhr: Der Satz zur Sicherungsverwahrung wurde präzisiert.

Leistungsbeschreibung Dienstleistungskonzession über die Einrichtung sowie die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen für Gefangene in den Justizvollzugseinrichtungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern

Gegenstand des Auftrages ist die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen unter Verwandlung einer Telekommunikationsanlage in 4 Liegenschaften von Justizvollzugseinrichtungen Mecklenburg-Vorpommerns. Die technische Infrastruktur der einzelnen Liegenschaften darf dabei nicht beeinträchtigt werden.

Die Inanspruchnahme der Dienstleistung (Nutzung der Flur- und Haftraumtelekommunikationssysteme) erfolgt auf Grundlage individueller Benutzerkonten für jeden Gefangenen und Untergebrachten ausschließlich auf Guthaben-Basis.

Die jeweilige Justizvollzugseinrichtung ist die Betreiberin der Telekommunikationsanlage. Vertragspartner und Konzessionsgeber aus dem zu schließenden Rahmenvertrag über die Dienstleistung ist das Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

Die Telekommunikationsdienstleistung erstreckt sich auf die Verwaltung des Telefonverkehrs der Gefangenen und Untergebrachten, die Abrechnung angefallener Telefonentgelte, die Einrichtung und Wartung der notwendigen Hard- und Software.

Der Konzessionsnehmer als Anbieter der Dienstleistung stellt hierfür dem aktuellen Stand der Technik entsprechende Telekommunikationssysteme (Flur- und Haftraumtelefonie mit entsprechender Hard- und Software) in der nachfolgenden Liegenschaften des Landes Mecklenburg-Vorpommern bereit und richtet diese ein.

Die Baupläne der jeweiligen Justizvollzugseinrichtung werden nicht an den Bieter herausgegeben, sondern zur örtlichen Einsichtnahme in der jeweiligen Vollzugseinrichtung zur Verfügung gestellt. Zur Erstellung des Angebots wird eine Vor-Ort-Besichtigung dringend empfohlen.

JVA Bützow, Kühlungsborner Straße 28a, 18246 Bützow

Benötigte Endgeräte
Anzahl Flurtelefone: 18
Anzahl Haftraumtelefone: derzeit 235,
davon 20 in der Abteilung Sicherungsverwahrung
(ab ca. 2022 zuzüglich 216)
Benötigte AdministrationsPCs
PCs: 2
Drucker: 2
Beschreibung der technischen Infrastruktur

  • für die Administrations-/Arbeitsplätze steht eine strukturierte CAT-Verkabelung zur Verfügung
  • für die Vollzugsbereiche A,H und SV steht eine Netzwerkverkabelung in die Haftbereiche zur Verfügung (Verteilung über Patchfelder in den Haftbereichen)
  • für die Vollzugsbereiche Haftkrankenabteilung C, D und G steht eine durchgängige analoge Zweidrahttelefonverbindung zur Verfügung
JVA Neustralitz, Am Kaulksee3, 17235 Neustrelitz

Benötigte Endgeräte
Anzahl Flurtelefone: 19
Anzahl Haftraumtelefone: ab ca. 2022 zusätzlich 259
Benötigte AdministrationsPCs
PCs: 5
Drucker: 2
Beschreibung der technischen Infrastruktur

  • die Flurtelefone sind mittels J-Y(ST)Y-Verkabelung angeschlossen
  • die Administrations-Arbeilsplätze sind mittels — J-Y(ST)Y-Verkabelung angeschlossen
  • für die Haftraumtelefone ab ca. 2022 is: eine CAT-Verkabelung vorgesehen
JVA Stralsund, Franzenshöhe 12, 18439 Stralsund

Benötigte Endgeräte
Anzahl Flurlelefone: 9 (ab 2020 zusätzlich 4)
Anzahl Haftraumtelefane: ab ca. 05/ 2022 zusätzlich 138
Benötigte AdministrationsPCs
PCs: 3 (ab ca. 05/ 2022 zusätzlich 3)
Drucker: 2
Beschreibung der technischen Infrastruktur

  • durchgängige Koax-Verkabelung von der Kopfstation über die Unterverteilungen bis in den Haftraum
  • für die AdministrationsPCs liegt eine CAT-Verkabelung vor
  • die Flurtelefone sind mittels CAT-Verbindung (im offenen Vollzug) oder mittels J-Y — Verkabelung (im geschlossenen Vollzug) angeschlossen
  • für die Haftraumtelefone ab ca. 05/ 2022 ist eine CAT-Verkabelung vorgesehen
JVA Waldeck, Zum Fuchsbau 1, 18196 Dummerstorf

Benötigte Endgeräte
Anzahl Flurtelefone: 19
Anzahl Haftraumtelefone: 281
Benötigte AdministrationsPCs
PCs: 7
Drucker: 2
Beschreibung der technischen Infrastruktur

  • durchgängige Koax-Verkabelung von der Kopfstation, in die Hafträume steht eine strukturierte CAT7-Verkabelung zur Verfügung
  • die Flurtelefone sind mittels J-Y(ST)Y-Verkabelung angeschlossen
  • die Administrations-/Arbeitsplätze sind mittels J-Y(ST)Y-Verkabelung angeschlossen

Der Konzessionsnehmer trägt die Kosten für Hardware. Verbrauchsmaterialien, notwendige Verkabelungen. soweit das vorhandene Leitungsnetz nicht genutzt werden kann.

Die Endgeräte werden sowohl in einzelnen Hafträumen als auch auf Stationsfluren vom Konzessionsnehmer installiert und kostenfrei zur Verfügung gestellt. Gleiches gilt für die sonstige notwendige Hardware (AdministrationsPCs, Drucker einschließlich Verbrauchsmaterial), das Anschlussmaterial und die Administrationssoftware. Zum Anschlussmaterial gehören auch die notwendigen DVI-KVM-Switche von den zu stellenden AdministrationsPCs an die vorhandenen Bildschirme.

Der Konzessionsnehmer versichert diese Komponenten eigenständig und eigenverantwortlich gegen auftretende Schäden. Die Justizvollzugseinrichtungen haften nicht für Schäden, die durch Gefangene ocer Untergebrachte verursacht werden. Die gesetzlich vorgeschriebenen Betriebsmittelprüfungen erfolgen durch den Konzessionsnehmer auf eigene Kosten. Dem Konzessionsnehmer obliegt der Betrieb, die Wartung, Aktualisierung, Instandsetzung und der Ersatz der eingesetzten Hard- und Softwarekomponenten auf seine Kosten.

Systemanforderungen Gefangenen- und Untergebrachtenkonto

Den Gefangenen und Untergebrachten wird auf Antrag ein gebührenfreies Telefonkonto, welches sich in der Ausgestaltung nach verschiedenen Kontenvorlagen ausrichtet, die sich wiederum nach Haftarten kategorisieren lassen, zur Verfügung gestellt. Die Gefangenen- und Untergebrachtenkonten werden zentral in einem durch die Justizvollzugseinrichtung gepflegten System eingerichtet, aufgeladen und verwaltet.

Die Konten müssen manuell ge- und entsperrt werden können. Die Sperrung kann zeitlich befristet werden; nach Fristablauf endet die Kontensperre automatisiert.

Die Gefangenen und Untergebrachten erhalten die Kontonummer bei Beantragung des Kontos zusammen mit einer personifizierten Identifikationsmöglichkeit. Die Kosten hierfür trägt der Konzessionsnehmer.

Die einzelnen Verbindungen und Verbindungsversuche müssen konkreten Endgeräten und somit einzelnen Hafträumen und Flurtelefonen zugeordnet werden können.

Bei Verlegungen von Gefangenen zwischen den vorgenannten Jusizvollzugseinrichtungen muss eine Kontenverlegemöglichkeit durch aktive Aufnahmebestätigung der aufnehmenden Justizvollzugseinrichtung mit Übernahme des kompletten Datensatzes (Verbindungs- und Guthabendaten) von der abgebenden Justizvollzugseinrichtung bestehen.

Im Rahmen der Telefonkontonutzung müssen flexible Gesprächslimitierungsmöglichkeiten für jede Justizvollzugseinrichtung bestehen. Diese müssen sich mindestens auf die Auswahl der Gesprächsteilnehmer bzw. die angerufene Nummer, die Gesprächsdauer Gesprächszeiten und Gesprächskosten beziehen.

Bei Entlassung von Gefangenen und Untergebrachten werden die Konten der Gefangenen oder Untergebrachten ausschließlich von Seiten der Justizvollzugseinrichtung geschlossen. Der Konzessionsnehmer zahlt das Restguthaben auf dem Konto an die Justizvollzugseinrichtung zur Weitergabe an die Gefangenen oder Untergebrachten aus. Geschlossene Konten können von der Justizvollzugseinrichtung wieder aktiviert werden.

Einzahlmöglichkeit von außen

Die Einzahlmöglichkeit von außen muss vorhanden sein. Diese muss durch die Justizvollzugseinrichtung bzgl. des einzahlbaren Guthabenbetrages einschränkbar und auswertbar sein.

Kostenfreie Guthabenabfrage

Die Gefangenen oder Untergebrachten müssen die Möglichkeit haben, ihr aktuelles Restguthaben kostenfrei abfragen zu können.

Kostenfreie Hotline

Für Kontoinhaber und Einzahler muss eine kostenfreie Hotline eingerichtet werden. Diese muss werktags mindestens in der Zeit von 16.00 Uhr his 20.00 Uhr erreichbar sein.

Endgeräte

Durch den Konzessionsnehmer sind kabelgebundene Endgeräte für die Haftraumtelefonie mit einer Anschlusskabellänge von mindestens 1 Meter his maximal 3 Meter zu stellen. Die Flurtelefone müssen zusätzlich manipulationsgeschützt sein. Eine intuitive und einfache Bedienung der Telefone muss gewährleistet sein. Bei den Flurgeräten muss darüber hinaus – soweit nicht bauseits vorhanden – eine Vorrichtung installiert werden, die gegen das unbefugte Mithören schützt.

Ersatzgeräte sind in der jeweiligen Justizvollzugseinrichtung‘ vorzuhalten. Als ausreichend wird eine Bereitstellung von zwei Geräten Flurtelefonie und fünf Geräten Haftraumtelefonie angesehen. Der Gerätetausch muss ohne vorherige Schulung des Personals der jeweiligen Justizvollzugseinrichtung durchgeführt werden können.

Mehrsprachigkeit der Bedienerführung

Die Sprachführung für die Gefangenen und Untergebrachten hat mindestens folgende Sprachen zu unterstützen:

  • Deutsch
  • Englisch
  • Polnisch
  • Türkisch
  • Russisch
  • Französisch
  • Arabisch
Telefonwege

Es dürfen grundsätzlich nur ausgehende Gespräche möglich sein. Rufweiterleitungen werden vom System erkannt und unterbunden.

Eingehende Gespräche (Rückruffunktion) sind aufgrund der besonderen verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (20 Haftraumtelefone in der JVA Bützow) für die Untergebrachten unter den Vorgaben des Konzessionsgebers zu ermöglichen.

Administrationssoftware

Die Administrationssoftware muss intuitiv und einfach zu nutzen sein. Sie dient der zentralen Kontrolle und Administration der Telefonanlage.

Vergabe von Berechtigungsrollen / Benutzer- und Rollensystem

Für die Eingaben Nutzung und Auswertung der Systemsoftware und der Sicherheitseinstellungen sind verschiedene Berechtigungsrollen und damit verbundene Nutzungsbeschränkungen einzurichten. Die Berechtigungen werden durch die Justizvollzugseinrichtung eingerichtet und verwaltet.

Die Verwaltungssoftware verfügt dabei über ein personalisiertes Login-System.

Schulung des Personals

Das Personal ist auf Kosten des Konzessionsnehmers ausreichend zu Schulen. Schulungen bei Updates sind in Absprache kostenfrei durchzuführen.

Schwarz- und Weißlisten

Das Telefonsystem muss die Funktionalität aufweisen, zwischen einer für die oder den einzelnen Gefangenen und Untergebrachten gespeicherten sogenannten Schwarz- und Weißliste zu unterscheiden. Bei der Weißliste ist den Gefangenen und Untergebrachten ein Verbindungsaufbau nur möglich, wenn sich die angewählte Rufnummer auf der Liste befindet. Bei der Schwarzliste ist den Gefangenen und Untergebrachten ein Verbindungsaufbau zu allen Rufnummern möglich, die nicht auf dieser Liste stehen.

Beide Listen müssen sowohl global als auch für einzelne Telefonkonten anwendbar sein. Dabeii überlagert die Schwarzliste die Weißliste. Die Listen werden ausschließlich durch die Justizvollzugseinrichtungen eingerichtet und gepflegt.

Erkennbarkeit der Gesprächsteilnehmer

Aktive Verbindungen müssen darstellbar sein. Hierzu gehören mindestens folgende Informationen:

  • angerufene Nummer (ggf. mit hinterlegter Bezeichnung)
  • Kontoinhaber
  • Standort des Endgerätes.
Mithören von Telefongesprächen

An jedem Standort eines AdministrationsPCs muss die Möglichkeit des gänzlichen und auch teilweisen Mithörens von Telefongesprächen bestehen.

Es muss vor dem Verbindungsaufbau eines jeden Telefongespräches eine automatische Ansage erfolgen, sobald die theoretische Möglichkeit des Mithörens besteht. Diese Ansage ist für die Gefangenen und Untergebrachten kostenfrei. Falls nur eine richterlich angeordnete Telefonüberwachung gemäß Strafprozessordnung (StPO) besteht, darf diese Ansage nicht erfolgen.

Unterbrechung von Telefongesprächen

Es muss jederzeit für die Justizvollzugseinrichtung die Möglichkeit bestehen, aktive Verbindungen zu trennen.

Aufzeichnen von Telefongesprächen

Es muss die Möglichkeit bestehen, Gespräche aufzuzeichnen und zeitversetzt anzuhören.

Ausleitung von Telefongesprächen

Es muss die Möglichkeit bestehen, Gespräche an Dritte auszuleiten und vor Ort zu überwachen.

Krisenfall

Es muss durch die Justizvollzugseinrichtung jederzeit möglich sein, die Endgeräte zusammen oder einzeln zu deaktivieren (sogenanntes Not-Aus).

Auswertungsmöglichkeiten

Die Konten und Telefonverbindungen der Gefangenen und Untergebrachten müsse auswertbar sein. Die ausgewerteten Daten können dabei in CSV- und PDF-Formate auf ein lokales USB-Speichermedium an vorher definierten Rechnern exportiert oder direkt sortiert werden. Die Ausweitung muss mindestens folgende Kriterien/Zuordnungen unterstützen:

  • Welche Kontostände ergeben sich global?
  • Wer hat welche Rufnummer von welchem Endgerät angerufen und wie oft?
  • Welche Rufnummer wurde von welchem Benutzerkonto angewählt?
  • Welche Rufnummern kommen in mehreren und welchen persönlichen Weißlisten vor?
  • Welche Rufnummern wurden am häufigsten in der Justizvollzugseinrichtung und von einzelnen Gefangenen oder Untergebrachten angewählt?
  • Welche Anrufe wurden von wem und mittels weichen Endgerätes über eine Dauer von unter 30 Sekunden geführt?
  • Rufnummernsuche ab mindestens zwei Ziffern
  • Suchfunktion nach Gefangenen- oder Untergebrachtenkonten (konkreter Name, Buchungsnummer und/oder alphabetische Aufstellung)
  • Einstellung von Einzelverbindungs- und -versuchsnachweisen persönlich und global mit den Informationen über
    • Datum-/Uhrzeit
    • das genutzte Endgerät
    • die gewählte Rufnummer mit Anschlussinhaber (soweit hinterlegt)
    • den Verbindungsstatus (Verbindung erfolgreich bzw. nicht erfolgreich, da besetzt, vorher beendet, abgebrochen, nicht genehmigte aber angewählte Rufnummer)
    • die Gesprächsdauer
    • die Gesprächskosten
    • eine Gesprächsaufzeichnung.
Servicenummer

Für die jeweilige Justizvollzugseinrichtung ist eine kostenfreie Servicenummer einzurichten. Diese steht werktags an mindestens 8 Stunden in der Zeit von 07.00 Uhr bis 20.00 Uhr zur Verfügung.

Störungsbeseitigung

Die Störungsbeseitigung sollte unverzüglich, spätestens aber am Ende des auf die Störungsmeldung folgenden Werktages erfolgt sein.

Die Störungsbeseitigung ist für die Justizvollzugseinrichtung und die Gefangenen und Untergebrachten kostenfrei.

Datenschutz

Der Konzessionsnehmer speichert die zur ordnungsgemäßen Entgeltermittlung und Abrechnung erforderlichen Daten sowie die sonstigen im Rahmen des mit dem Konzessionsgeber laufenden Vertragsverhältnisses entstehenden kundenbezogenen Daten (Verbindungsdaten) im Auftrag des Konzessionsgebers gemäß den jeweils gültigen Datenschutzvorschriften. Dabei sind für gespeicherte Daten individuelle Löschungsfristen einstellbar.

Personenbezogene Daten müssen zentral oder dezentral in den Justizvollzugseinrichtungen gespeichert werden. Der Konzessionsnehmer ist für die regelmäßige Datensicherung verantwortlich.
Ein Wartungszugriff dar nur nach Freigabe durch die jeweilige Justizvollzugseinrichtung und unter Nutzung eines Dokumentationsprotokolls erfolgen. Eine Datenhaltung von personenbezogenen Daten außerhalb der jeweiligen Justizvollzugseinrichtung ist nicht zulässig.

Server

Falls bauseits nicht vorhanden, sind die Server mit einer eigenen USV auszustatten.

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Was vom Tage übrig blieb: Amazon, Algorithmen und Amoral

Netzpolitik - Thu, 10/09/2020 - 17:00

Former NSA chief Keith Alexander has joined Amazon’s board of directors (Verge)
Wer sich noch an Edward Snowden erinnern kann, dürfte beim Name Keith Alexander aufhorchen. Der ehemalige NSA-Chef hatte die Enthüllungen von Snowden schärfstens kritisiert und unter anderem suggeriert, Journalisten sollten nicht über die geheimen Papiere berichten. Nun zeigt eine Eingabe bei der US-Börsenaufsicht, dass der Ex-Geheimdienstler im Aufsichtsrat des Datenkonzerns Amazon sitzt. Das Unternehmen aus Seattle dürfte sich davon Expertise und gute Verbindungen zum US-Militär versprechen, wo milliardenschwere Aufträge warten.

TikTok tries to remove widely shared suicide clip (BBC)
Seit Sonntag kursiert auf TikTok das Video eines Mannes, der sich vor laufender Kamera umbringt – und die Social-Media-Plattform schafft es nicht, das Material zu löschen. Das Originalvideo war ursprünglich in einem Livestream auf Facebook zu sehen und wurde dort laut eigenen Angaben noch am selben Tag entfernt. Auch auf Twitter und Instagram kursierten Kopien, doch vor allem auf TikTok verwenden Nutzer:innen die weitreichenden Editier-Möglichkeiten, um die Szenen hinter unauffälligen Katzenbildern zu verstecken. Eltern berichten Medien von traumatisierten Teenagern, die die Bilder unerwartet in ihrem Feed sahen und seither nicht aus dem Kopf bekommen und immer wieder neu hochzuladen. Der Fall wirft Fragen auf, etwa: Warum bekommt die Plattform mit den jüngsten Nutzer:innen und dem angeblich avanciertesten Algorithmen es nicht auf die Reihe, einen Videoclip dauerhaft zu sperren? Es ist nicht so, dass TikTok von dem Problem massiv überrascht worden wäre. Denn der Fall erinnert auch an TikToks früheres Versagen im Umgang mit Suizid-Videos, über die The Intercept berichtete.

The Social Dilemma (Netflix)
Warum die Algorithmen von TikTok womöglich mehr auf Screentime und weniger auf Selbstmord-Entfernen optimiert sind, das erklärt die neue Netflix-Doku „The Social Dilemma“ ganz anschaulich. Regisseur Jeff Orlowski hat all die Ethik-Big-Shots aus dem Silicon Valley vor die Kamera gesetzt – von Tristan Harris bis Shoshanna Zuboff – und lässt sie das Geschäftsmodell Überwachungskapitalismus noch mal so richtig plakativ aufdröseln. Das ist nicht unbedingt neu, aber gekoppelt mit einer fiktiven Familiengeschichte und dem Mad-Man-Schauspieler Vincent Kartheiser („Pete Campbell“) in der Rolle als „Der Algorithmus“ so niedrigschwellig erzählt, dass danach so ziemlich jeder klar sein dürfte, warum die kleine rote Notification-Bubble auf ihrem Smartphone nicht zu ihrem Vorteil erfunden wurde. Macht euch Popcorn.

Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb“, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.

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Katastrophen-Schutz: Der Warntag ist ausgefallen

Netzpolitik - Thu, 10/09/2020 - 16:36

Heute um 11:00 Uhr sollte der erste bundesweite „Warntag“ stattfinden, der zukünftig jährlich immer am zweiten Donnerstag im September geplant ist. Die Idee dahinter ist sinnvoll: Im Falle einer unerwarteten (Natur-)Katastrophe sollten möglichst große Teile der Bevölkerung schnell darüber informiert werden. Nicht nur die für viele etwas unerwartete Corona-Pandemie zeigt anschaulich, dass so etwas schon passieren kann, zumal die Klimakrise sich weiter zuspitzen wird. Und dafür sollen die Warn-Infrastrukturen getestet werden.

Für mich persönlich ist der Warntag aber ausgefallen. Gestern hab ich noch viel dran gedacht und mir vorgestellt, wie um 11:00 Uhr dann die Sirenen losgehen. Um 11:20 Uhr sollte dann die Entwarnung auf denselben Kanälen durchgegeben werden. Praktisch bemerkte ich gegen 11:04, dass ich weiterhin dieselben Baustellengeräusche von draußen vernahm, aber keine Sirene gehört hatte. Später erfuhr ich zufällig im Netz, dass Berlin zu dicht besiedelt ist und deshalb auf Sirenen verzichtet. Das ist nachvollziehbar, aber passte nicht ganz in die bundesweite Kommunikation zum Warntag, die nun mal Sirenen für alle versprochen hatte.

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Für diese Fälle gab es wohl pünktliche Hinweise im (öffentlich-rechtlichen) Radio und Fernsehen. Aber beides konsumiere ich nicht mehr linear, so dass diese mich nicht erreichten. Dafür sollte die NINA-Warnapp des Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) funktionieren, die ich mir mal installiert hatte und die seitdem im Hintergrund auf ihren Einsatz wartete. Die Idee dahinter ist, dass darüber ein „schneller und effizienter Weg zur Warnung der Bevölkerung“ im Falle eines Zivil- und Katastrophenschutzes aufgebaut werden kann, um „die Menschen über Gefahren zu informieren und gleichzeitig konkrete Verhaltenshinweise zu geben.“ Das klappte auch – irgendwie: Erst nach 11:30 Uhr bekam ich darüber eine Information, als die Übung bundesweit schon wieder eingestellt war.

Die für rund 20 Millionen Euro angeschaffte App mit Infrastruktur (ohne Open-Source) hat leider versagt. Gut, dass wir das vor einem richtigen Katastrophenfall getestet haben. Ich bin gespannt auf die Evaluierung und die Debatte im Anschluss, was die technischen und organisatorischen Gründe waren und ob es vielleicht nicht doch bessere Methoden wie Cell Broadcast gibt. Im Falle einer Zombie-Apokalypse können 30 Minuten Verzögerung schon einen klitzekleinen Unterschied machen. Und vielleicht macht etwas Unabhängigkeit vom Netz mehr Sinn, denn im Katastrophenfall würde ich mich jetzt auch nicht auf funktionierendes Internet verlassen wollen, zumal das mit dem Breitbandausbau in vielen Regionen ja verschleppt wurde.

Auf jeden Fall zeigt das Beispiel, dass so ein Warntag Sinn macht. Beim nächsten mal möchte ich aber auch gewarnt werden.

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Privatsphäre: Portland verbietet Videoüberwachung mit Gesichtserkennung

Netzpolitik - Thu, 10/09/2020 - 15:53

Mit Portland hat eine weitere US-Stadt Videoüberwachung mit Gesichtserkennung verboten. Außergewöhnlich ist der Fall, weil das Verbot nicht nur für öffentliche Stellen, sondern erstmals auch für private Unternehmen gelten wird.

In den vergangenen Jahren haben immer mehr US-Städte die Technik verbannt, unter anderem Boston oder San Francisco. Allerdings ließen die Städte Schlupflöcher offen, die Ermittlungsbehörden etwa den Zugriff auf zunehmend engmaschige private Kameranetzwerke erlauben.

Dies will der einstimmig gefasste Entschluss des Stadtrats von Portland verhindern. Für öffentliche Einrichtungen gilt das Verbot ab sofort, private Stellen haben bis Ende des Jahres Zeit, die Technik abzuklemmen. Ihnen ist künftig verboten, biometrische Daten zu sammeln, zu speichern und auszuwerten. Vom Gesetz ausgenommen sind bestimmte Anwendungen, etwa das Entsperren eines Handys per Gesichtsabdruck.

Die Grundrechte-NGO ACLU begrüßte die Entscheidung. „Gesichtserkennung ist eine invasive Gefahr für unsere Privatsphäre, insbesondere für Frauen und schwarze, braune sowie indigene Menschen, die von der Technologie oft irrtümlich identifiziert werden“, sagte der lokale ACLU-Chef Jann Carson.

Neben dem diskriminierenden Potenzial birgt Videoüberwachung mit Gesichtserkennung die Gefahr, auf lange Sicht die Privatsphäre abzuschaffen. Jede Bewegung im öffentlichen Raum könnte einzelnen Menschen zuordenbare Datenspuren hinterlassen, die sich für eine anlasslose Überwachung nutzen ließen.

Umkämpftes Portland

Der Hintergrund für die Entscheidung in Portland dürfte der Stellvertreterkrieg sein, in dem sich die Stadt seit geraumer Zeit befindet. Aus historischen Gründen gilt der umliegende US-Bundesstaat Oregon als Hochburg für rechte Milizen und Neonazis, während sich dessen größte Stadt, Portland, zuletzt zu einem linksalternativen Mekka entwickelte.

Das sorgt für anhaltende Spannungen zwischen rechten und linken Aktivist:innen, die sich regelmäßig und öffentlichkeitswirksam in gewalttätigen Auseinandersetzungen entladen. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Gemengelage vor wenigen Wochen, als ein Mitglied einer Rechtsaußen-Miliz von einem Black-Lives-Matter-Sympathisanten erschossen wurde.

In diesem Licht ist auch die Entscheidung der Trump-Administration vom Juli zu sehen, als Reaktion auf Proteste gegen systemischen Rassismus militarisierte Bundesbehörden nach Portland zu schicken: Anstatt die Lage zu entschärfen, gingen die Truppen erst recht mit brutaler Gewalt gegen Black-Lives-Matter-Aktivist:innen vor.

Das provozierende Auftreten der Polizeieinheiten sorgte nicht nur für eine landesweite Diskussion über die bewusst herbeigeführte Eskalation, sondern erhöhte auch den politischen Druck auf Ted Wheeler, den Bürgermeister von Portland.

„Tear Gas Teddy“

Wheeler hatte seit Beginn der BLM-Proteste eine unglückliche Figur abgegeben. Wie in weiten Teilen des Landes reagierte die lokale Polizei mit Gewaltexzessen auf überwiegend friedlich Protestierende, was Wheeler schließlich den Spitznamen „Tear Gas Teddy“ (tear gas, engl. Tränengas) einhandelte. Die Bundestruppen taten den Rest. Jüngsten Umfragen zufolge sehen ihn beinahe zwei Drittel der Wähler in Portland in einem ungünstigen Licht.

Wheeler, der sich im November der Wiederwahl stellen will, musste also handeln. Seit gut einem Jahr stand ein Verbot der Gesichtserkennung zur Debatte, zuletzt ging es aber sehr schnell: Gemeinsam mit der progressiven Stadträtin und langjährigen Bürgerrechtsaktivistin Jo Ann Hardesty brachte Wheeler am Mittwoch den Antrag auf das Verbot ein, der umgehend abgesegnet wurde.

„Unsere Privatsphäre gehört uns“, sagte Hardesty vor der Abstimmung. „Es ist unsere Pflicht sicherzustellen, dass sie nicht einfach so von anderen heimlich gehortet und dann für Profite oder Angstpolitik verkauft wird.“ Die Abgeordnete hofft nun, dass das Gesetz wegweisend für den Rest des Landes wird.

Europa uneins

In Europa zeichnet sich indes keine klare Linie gegen die invasive Technik ab. Zwar stand eine Zeit lang ein mögliches Verbot von Gesichtserkennung im öffentlichen Raum zur Debatte. In der aktuellen Strategie der EU-Kommission findet sich eine derart deutliche Ansage allerdings nicht wieder. Erwähnung finden lediglich „ernsthafte Grundrechtsbedenken“ beim Einsatz biometrischer Identifizierungssysteme.

Einzelne europäische Länder testen die Technik auf eigene Faust, in Deutschland etwa beim inzwischen wieder eingestampften Pilotprojekt auf dem Berliner Bahnhof Südkreuz. In Wales wiederum erklärte jüngst ein Gericht die Nutzung von automatisierter Gesichtserkennung durch die Polizei für illegal.

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Digitale-Dienste-Gesetz: UN-Menschenrechtshüterin warnt vor Lösch-Exzessen

Netzpolitik - Thu, 10/09/2020 - 11:56

Die UN-Menschenrechtshochkomissarin Michelle Bachelet mahnt die EU dazu, bei ihrem geplanten Gesetz zur Regulierung von Online-Plattformen die Meinungsfreiheit zu schützen. Weltweit wachse die Sorge über die Strukturen und Prozesse von privaten Firmen bei der Moderation von Inhalten, schrieb Bachelet in einem Brief an EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Facebook, Twitter und TikTok haben jeweils eigene Regeln, welche Inhalte sie entfernen oder unsichtbar machen. An der Moderation von Inhalten durch die Plattformen ist inzwischen häufig Kritik zu hören. Für Ärger sorgt ihr zögerliches Vorgehen gegen Hass und Falschmeldungen, jedoch mehren sich auch die Beispiele von schwer nachvollziehbaren Kontensperrungen und willkürlichen Regeln gegen bestimmte Inhalte.

Die EU-Kommission will bis Dezember ein Gesetzespaket vorschlagen, das den Plattformen klare Regeln für die Moderation von Inhalten geben soll. Das Digitale-Dienste-Gesetz sorgt bereits jetzt für intensives Lobbying der Digitalkonzerne und Rechteinhaber, aber auch aus der Zivilgesellschaft. Erst kürzlich endete die öffentliche Konsultationsphase für das umfassende Vorhaben.

Bachelet gegen Überwachungspflichten

In die Debatte bringt sich nun auch die wichtigste Menschenrechtshüterin der Vereinten Nationen ein. Ihr Brief stellt vier klare Kriterien für das neue Gesetz auf: Es müsse durch Regeln und Prozesse jedem Menschen gleichen Zugang zur digitalen Welt ermöglichen; es brauche Transparenz über die Funktionsweise der Plattformen; es dürfe nur Vorschriften zur Löschung tatsächlich illegaler Inhalte und keinerlei generelle Überwachungspflichten geben; und es müsse zugängliche und effektive Mittel gegen Fehlentscheidungen der Plattform geben.

Michelle Bachelet CC-BY-SA 2.0 Suzanne Plunkett, Chatham House

Bachelet empfiehlt der Kommission eine Folgenabschätzung über mögliche Auswirkungen ihres Gesetzes auf Ungleichheit und Diskriminierung von benachteiligten Gruppen. Die EU müsse die globalen Auswirkungen ihres Vorhabens bedenken, schreibt die frühere chilenische Präsidentin.

Kommission: Überwachungspflicht bleibt verboten

Die EU-Kommission antwortet auf den Brief Bachelets, dass in dem Gesetz für digitale Dienste Prozesse zur Entfernung von Inhalten sowie Maßnahmen für Transparenz und Abhilfe gegen Fehlentscheidungen geplant sind. Ein Sprecher betont auf Anfrage von netzpolitik.org, das Gesetz solle rechtliche Klarheit für Plattformen schaffen. „Generelle Überwachungspflichten sollten weiterhin verboten bleiben, während die Kommission nach Lösungen suchen wird, um negative Anreize für proaktive Maßnahmen von Dienstleistungsanbietern zu beseitigen.“ Der letzte Teil des Satzes ist ein Verweis auf sogenannte Gute-Samariter-Klauseln, die freiwillige Moderationsmaßnahmen der Plattformen legitimieren sollen.

Die Digitalkonzerne pochen selbst darauf, von einer generellen Überwachungspflicht ausgenommen zu werden. Das geht aus Stellungnahmen der Branchenverbände Edima und Bitkom hervor, in denen Google, Facebook und andere Konzerne Mitglied sind. Warnungen vor einer solchen Pflicht kommen auch aus dem Europäischen Parlament und zivilgesellschaftlichen Organisationen wie European Digital Rights. Derzeit untersagt die eCommerce-Richtlinie den EU-Mitgliedstaaten, untermauert von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes, Online-Dienste zu einer allgemeinen Überwachung aller von ihnen übermittelten oder gespeicherten Inhalte zu verpflichten.

Warum warnen alle vor etwas, das die EU-Kommission nach eigenen Angaben ohnehin nicht vorhat? Für Befürchtungen sorgen Schritte der EU aus der jüngeren Vergangenheit: Auf die EU-Urheberrechtsreform werden Plattformen mit automatisierter Inhalteerkennung reagieren müssen, um potenzielle Urheberrechtsverstöße zu vermeiden. Die Verordnung gegen Terrorpropaganda, die bald beschlossen werden soll, soll Plattformen zur automatisierten Entfernung von tatsächlichen oder angeblichen Terror-Inhalten verpflichten. Und ein neues Maßnahmenpaket gegen Kindesmissbrauch sieht eine Durchleuchtungspflicht für solche Inhalte vor.

Das Digitale-Dienste-Gesetz dürfe sich nicht an solchen Vorbildern orientieren, betonen Netzfreiheits-Organisationen. Stattdessen müsse ein Rahmen für die Kontrolle und Moderation von Inhalten geschaffen werden, der Meinungsfreiheit und das Recht auf Privatsphäre von Nutzer:innen respektiere.

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Blauer Brief aus Dublin: Facebook Datentransfers in die USA vor dem Aus

Netzpolitik - Wed, 09/09/2020 - 23:56

Es wird Ernst für Facebook: Der Konzern muss seine Datentransfers in die USA stoppen. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat die für Facebook in Europa zuständige irische Datenschutzbehörde dem Konzern erklärt, dass ihm für solche Transfers die rechtliche Basis fehlen. Das schreibt Facebooks Kommunikationschef Nick Clegg in einem Blogpost.

Das EU-Gericht hatte im Juli Privacy Shield gekippt. Die Absprache ermöglichte Facebook und rund 5.000 Firmen und Organisationen den Transfer von Nutzer:innendaten in die USA. Dort verwertete Facebook die Daten für Werbezwecke, allerdings können sich auch Geheimdienste wie die NSA legal Zugang verschaffen. Der EuGH stoppte Privacy Shield und stellte klar, europäische Daten müssten besser vor Überwachung geschützt werden.

Standardvertragsklauseln ade

Facebook macht allerdings nach dem Urteil weiter wie zuvor, sehr zum Ärger von Datenschützer:innen wie Max Schrems. Der Konzern beruft sich für den transatlantischen Datentransfer nicht auf Privacy Shield, sondern auf Standardvertragsklauseln. Doch auch diese juristischen Behelfe untersagte die irische Datenschutzbehörde dem Konzern bereits Anfang August in einer vorläufigen Anordnung, wie das Wall Street Journal und Politico nun berichten.

Eine endgültige Anweisung aus Irland steht noch aus. Sie könnte im Oktober kommen, nachdem der Konzern eine Antwort abgeben darf und andere EU-Behörden über die Entscheidung informiert werden, berichtet Politico. Facebook stützt sich einstweilen solange auf Standardvertragsklauseln zur Datenübertragung „bis wir weitere Anleitung erhalten“, schreibt Facebook-Manager Clegg in dem Blogpost.

Der EU-US Privacy Shield war eine informelle Absprache auf dem Gebiet des Datenschutzrechts, die von 2015 bis 2016 zwischen der Europäischen Union und den USA ausgehandelt wurde. Sie besteht aus einer Reihe von Zusicherungen der US-amerikanischen Bundesregierung und einem Angemessenheitsbeschluss der EU-Kommission. Die Absprache sollte den Schutz personenbezogener Daten, die zwischen den Vereinigten Staaten und Mitgliedsstaaten der EU ausgetauscht werden, regeln. Seit dem 16. Juli ist Privacy Shield ungültig.

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Was vom Tage übrig blieb: Von der ohrenbetäubenden Lautstärke zur letzten Ruhe

Netzpolitik - Wed, 09/09/2020 - 17:23

Is Russian Meddling as Dangerous as We Think? (New Yorker)
Die Einflussnahme auf Wahlen und Desinformation aus dem Ausland sind zu einem bedeutenden netzpolitischen Thema in Brüssel und Washington geworden, wo immer wieder laut über verpflichtende Maßnahmen zur Eindämmung von fremder Propaganda in sozialen Netzwerken nachgedacht wird. Ein Essay im New Yorker beschäftigt sich mit dem Phänomen und konstatiert, dass es solche Einflussnahme etwa aus Russland zwar gibt, sie aber kaum die Relevanz erreicht, die ihr zuweilen zugeschrieben wird. Der Moskau-Korrespondent des New Yorker, Joshua Yaffa, schreibt: „Aber verglichen mit, sagen wir, Fox-News-Experten wie Tucker Carlson und Sean Hannity, ganz zu schweigen von Trump selbst, überwiegt die wahrgenommene Bedrohung durch russische Trolle bei weitem ihre echte Reichweite. Wie hörbar, geschweige denn folgenreich, sind die russischen Bemühungen, die Behauptungen zu verstärken, dass die Briefwahl zu Wahlbetrug führt, wenn der Präsident diese These regelmäßig in ohrenbetäubender Lautstärke verbreitet?“

EU leaders to call for an EU electronic ID by mid-2021 (Euractiv)
Laut einem geleakten Entwurf der Schlusserklärung des Europäischen Rates nächste Woche wollen die EU-Staats- und Regierungschef:innen die Kommission dazu aufrufen, bis Mitte 2021 einen Vorschlag für eine europaweite elektronische Identität (e-ID) vorzulegen. Elektronische Identitätsnachweise, wie es sie bereits als nationale Lösung in den meisten EU-Staaten gibt, können elektronische Amtswege oder Einkäufe erleichtern. Allerdings lassen solche amtlichen Identitätsnachweise immer wieder Befürchtungen aufkommen, dass sie für womöglich neu eingeführte Identifizierungspflichten etwa für Gamer dienen könnten.

Facebook muss Erben direkten Zugang zu Account geben (Golem.de)
Was mit dem eigenen Konto in sozialen Netzwerken nach dem Tod passiert, diese Frage beschäftigt schon länger die Gerichte. Bereits 2018 urteilte der Bundesgerichtshof, dass Facebook den Eltern einer verstorbenen 15-Jährigen Zugang zu ihrem Konto gewähren müssen. Der Datenkonzern schickte daraufhin eine PDF-Datei mit 15.000 Seiten. Das sei nicht genug, urteilte das Gericht, nachdem die Eltern neuerlich geklagt hatten. Facebook müsse nun vollen Zugang zu dem Konto gewähren, wie ihn die Tochter gehabt hatte.

Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es jetzt die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb“, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.

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Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Justizministerin lobt Gesetz gegen Hass im Netz

Netzpolitik - Wed, 09/09/2020 - 16:05

Die Bundesregierung stellt sich beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz ein gutes Zeugnis aus. Ein heute vorgelegter, erster Evaluierungsbericht aus dem Bundesjustizministerium kommt zu dem Ergebnis, dass die „mit dem NetzDG verfolgten Ziele in erheblichem Umfang erreicht wurden und Verbesserungsbedarf nur in Einzelpunkten besteht“.

Das vor rund drei Jahren in Kraft getretene NetzDG richtet sich gegen hetzerische Inhalte in sozialen Medien oder anderen Online-Diensten ab einer bestimmten Größe, auf denen sich Nutzer:innen austauschen können.

Aus Sicht der Bundesregierung haben die Betreiber zu wenig gegen solche Inhalte unternommen. Das NetzDG schreibt ihnen vor, dass sie ihnen gemeldete Inhalte innerhalb von 24 Stunden löschen müssen, sonst drohen ihnen Geldstrafen.

Keine Anzeichen für Overblocking

„Wir sehen deutliche Verbesserungen beim Umgang der sozialen Netzwerke mit Nutzerbeschwerden über strafbare Inhalte“, sagt die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht in einer Pressemitteilung.

Für im Vorfeld geäußerte Befürchtungen, etwa Nebenwirkungen wie das sogenannte Overblocking, habe man keine Anhaltspunkte gefunden. Zudem ließen sich über die öffentlichen Transparenzberichte der sozialen Netzwerke, so unvollständig sie auch sein mögen, deren Löschpraxis besser nachvollziehen und Bußgelder bei Verstößen verhängen.

Gleichzeitig räumt Lambrecht ein, dass durchaus Verbesserungsbedarf bestehe. Allerdings sei die Regierung bereits tätig geworden. So hat der Bundestag kürzlich das Gesetz gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität beschlossen, das unter anderem eine umstrittene Meldepflicht für Plattformbetreiber vorsieht. Demnach müssen sie hetzerische Postings an das Bundeskriminalamt weiterleiten.

Gegenwärtig verhandelt wird noch über eine weitere, deutlich weniger kontroverse Gesetzesänderung, die das NetzDG verbessern soll. Damit sollen Nutzer:innenrechte gestärkt werden, etwa durch leichter auffindbare Meldewege und Einspruchsmöglichkeiten für jene, die sich von einer Plattform ungerecht behandelt fühlen.

Regulatorische Schieflage ausgleichen

Insgesamt soll dies die einseitige Regulierungsstruktur des NetzDG ins Lot bringen, die von Beginn an in der Kritik stand. Betreiber müssen nur dann Sanktionen befürchten, wenn sie zu wenig löschen, umgekehrt aber nicht. Dieser Anreiz birgt die Gefahr, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit unzulässig einzuschränken.

Obwohl der Evaluierungsbericht keine Hinweise für Overblocking zutage fördert, will die Justizministerin das Thema „weiterhin ernst“ nehmen und beobachten: „Anreize und Risiken für systematische Fehlentscheidungen sollten durch den Ausbau von Sicherungsmechanismen, insbesondere durch die Möglichkeit, die ursprüngliche Entscheidung durch den Diensteanbieter überprüfen zu lassen, weiter minimiert werden“.

Dem Bericht liegt unter anderem ein juristisches Gutachten von Martin Eifert zugrunde, das im Auftrag des Jursitzministeriums erstellt wurde. Das Gutachten geht in einigen Punkten über den Evaluierungsbericht hinaus. Um etwa dem weiterhin nur unbefriedigend gelösten Problem der privatisierten Rechtsdurchsetzung zu begegnen, schlägt Eifert die Einrichtung von „Cyber Courts“ vor.

Solche von den Betreibern selbst eingerichtete und auf „Neutralität angelegte private“ Schiedsgerichte sollten Rechtsstreitigkeiten billig klären. „Um die Netzwerkanbieter zur Einrichtung solcher ‚Cyber Courts‘ zu bewegen, könne künftig die weitgehende Haftungsfreistellung der Netzwerkanbieter an die Existenz solcher Institutionen gekoppelt werden“, heißt es in dem Gutachten. In Frage kämen aber auch außergerichtliche Streitbeilegungsverfahren, wie sie „insbesondere bereits im Verbraucherrecht zur Streitschlichtung im Online-Handel existieren“.

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Shadowbanning: TikTok zensiert LGBTQ-Themen und politische Hashtags

Netzpolitik - Wed, 09/09/2020 - 11:08

TikTok zensiert und versteckt Hashtags zu LGBTQ-Themen in mindestens acht Sprachen. Das entdeckte ein Forscherteam des Australian Strategic Policy Institute (ASPI) bei Recherchen rund um die App.

Nach außen hin gibt sich TikTok als Plattform, auf der alle gleichermaßen willkommen sind. Zur globalen Pride Month im Juni feierte TikTok lautstark seine LGBTQ-Community, rief zu Spenden auf, legte Regenbogenflaggen und Effekte über die Videos. Doch im Maschinenraum der App sieht es anders aus.

Betroffen sind etwa der arabische Hashtags ????_?????# („schwul“) und ??????? ????# („transgender“) und die russischen Hashtags #??? („schwul“) und #?????????? („Ich bin lesbisch“). Auch #gei auf Estnisch und #gej auf Bosnisch werden zensiert. TikTok-Nutzer:innen, die Videos mit diesen Tags posten, merken nicht, dass ihre Inhalte in der Suche unterdrückt werden. Ihre Videos werden nicht gelöscht – die Methode wird deshalb auch als Shadowbanning bezeichnet. In der Praxis behandelt TikTok diese Hashtags aber ähnlich wie terroristische Organisationen, Drogen oder Kraftausdrücke: Wer danach sucht, bekommt eine Fehlermeldung. In einigen Fällen suggeriert TikTok in den Suchergebnissen, dass die Begriffe nicht verwendet würden – obwohl sie für zahlreiche Videos auf der Plattform im Einsatz sind.

Zensur weit über nationale Gesetze hinaus

TikToks Manager:innen und der chinesische Mutterkonzern ByteDance werden nicht müde zu betonen, dass die App von „keiner fremden Regierung beeinflusst wird, auch nicht der chinesischen Regierung“. Auch sollen die Moderationsregeln der App keinen „politischen Befindlichkeiten“ folgen. Die jetzt von ASPI aufgedeckten Zensurpraktiken zeigen das Gegenteil: eine Plattform, die in ihrer Bereitschaft, alles zu zensieren, was gegen die homo- und transfeindlichen „Befindlichkeiten“ von Regierungen verstoßen könnte, alle anderen Mitstreiter:innen überbietet.

TikTok verweist darauf, dass bestimmte Hashtags aufgrund von lokalen Gesetzen unterdrückt werden müssten. Doch die Plattform geht auf mehreren Ebenen weit über das hinaus, was Gesetze vorschreiben. Denn die Maßnahmen betreffen nicht nur Nutzer:innen in russisch- und arabischsprachigen Ländern, sondern gelten weltweit – auch für Nutzer:innen in Deutschland, den USA oder anderen Ländern. Dabei wäre TikTok durchaus in der Lage, die Zensur auf bestimmte Regionen zu begrenzen. In anderen Bereichen arbeitet die App stark mit Geolokalisierung.

Im Fall von Russland geht die Zensur zudem weit über das hinaus, was andere Social-Media-Plattformen tun. Seit 2013 ist es dort verboten „Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ zu verbreiten – ein Gesetz, das die Menschenrechte massiv einschränkt. Weder Instagram noch Twitter lassen sich davon beeindrucken, beide Plattformen zeigen auch in Russland weiterhin LGBTQ-Hashtags an. TikTok scheint dagegen überzuerfüllen, was sich die russische Regierung wünscht – auf Kosten der Nutzer:innen.

Dass TikTok LGBTQ-Inhalte zensierte, war schon länger bekannt. Whistleblower aus dem Unternehmen hatten 2019 Moderationsrichtlinien an den Guardian geleakt, die zeigten, dass TikTok Inhalte auch in solchen Ländern zensiert, in denen Homosexualität niemals illegal war. In der Türkei sollten demnach Videos zensiert werden, auf denen Männer sich Küssen oder an den Händen halten, auch Pride-Demonstrationen oder andere Dinge, die „Homosexualität bewerben“ sollten versteckt werden. In unseren eigenen Recherchen haben wir aufgedeckt, dass TikTok die Reichweite von LGBTQ-Nutzer:innen über Monate gedrosselt hat – vorgeblich um sie vor Mobbing zu schützen.

Auch Hashtags gegen Polizeigewalt wieder verschwunden

Die Maßnahmen betreffen nach Recherchen von ASPI auch politische Hashtags. So wurde der Hashtag #acab – ein Acronym für „all cops are bastards“ – in der Suche nicht angezeigt, als zur gleichen Zeit die Demonstrationen gegen den Mord am Schwarzen US-Amerikaner George Floyd ihren Höhepunkt erreichten und der Begriff zu einem Ausdruck der Proteste gegen Polizeigewalt wurde. Nach massiver öffentlicher Kritik war der Hashtag Ende Mai in der Suche plötzlich wieder da, TikTok verwies auf einen „technischen Fehler“. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Hashtag laut dem dem Digital Forensic Research Lab des Atlantic Council bereits 96,5 Millionen Ansichten.

Drei Monate später war der Hashtag schon wieder aus der Suche getilgt worden, entdeckten die Forscher:innen. Zugleich demonstrierten Tausende in Kenosha gegen rassistische Polizeigewalt, nachdem ein Polizist den Schwarzen US-Amerikaner Jacob Blake in den Rücken geschossen hatte.

Es sei sehr unwahrscheinlich, schreiben die ASPI-Forscher:innen in ihrem Bericht, dass der Hashtag ein weiteres Mal von einem technischen Fehler betroffen gewesen sei. Sie vermuten vielmehr, dass TikTok die schwindende öffentliche Aufmerksamkeit nutzte, um den Hashtag unauffällig ein weiteres Mal zu zensieren.

A key finding: Hashtags related to LGBTQ+ issues are suppressed on the platform in at least 8 languages.

Eg: When Russian-speaking users—citizens and non-citizens alike—search the app for #??? (#Gay), they’re met with a totally blank hashtag search result page. pic.twitter.com/rwFD48mD0F

— ????Fergus Ryan (@fryan) September 8, 2020

Eine TikTok-Sprecherin teilte mit, es gebe nationale Unterschiede in der Handhabung von Hashtags. „Als Teil unseres lokalisierten Moderationsansatzes waren einige Begriffe, die das ASPI zur Verfügung stellte, teilweise aufgrund einschlägiger örtlicher Gesetze eingeschränkt“, sagte sie. Andere Begriffe seien eingeschränkt worden, „weil sie in erster Linie bei der Suche nach pornografischen Inhalten verwendet wurden“ oder weil es bei der Übersetzung aus dem Arabischen zu Problemen kam. Die Begriffe würden derzeit überprüft, um „ähnliche Probleme in Zukunft zu vermeiden.“

Gegen Hassrede und Homosexualität

Gestern gab die EU-Kommission bekannt, dass TikTok einem freiwilligen Kodex zur Bekämpfung von Hassrede im Netz beigetreten ist. Damit folgt die chinesische Plattform anderen Tech-Unternehmen wie Facebook, Microsoft, YouTube oder Twitter, die bereits seit 2016 an dem Abkommen beteiligt sind. Die Unternehmen verpflichten sich darin unter anderem dazu, „klare und wirksame Verfahren für die Prüfung von Meldungen über illegale Hassreden in ihren Diensten einführen, um solche Inhalte zu entfernen oder den Zugang dazu zu sperren“. In dem Kodex bekennen sich die Firmen außerdem dazu, ihre Nutzer zu informieren und dafür zu sensibilisieren, „welche Art von Inhalten nach ihren Regeln und Community-Leitlinien nicht erlaubt sind“.

TikTok tilgt bereits heute terroristische Propaganda, rassistische oder antisemitische Hetze und neuerdings auch Verschwörungstheorien wie QAnon von der Plattform. Das Unternehmen sucht per Algorithmus nach solchen Inhalten und versucht sie frühzeitig zu löschen. Hashtags wie #Nazi, #ISIS oder #KKK werden zudem in der Suche zensiert, seit Juli 2020 auch #QAnon.

Doch während die Einschränkung der Meinungsfreiheit in diesen Fällen rechtlich gedeckt ist, zeigt die Zensur von Hashtags zu Polizeigewalt und LGBTQ-Themen, dass TikTok in seiner Content-Moderation nach wie vor einen grobmotorischen Ansatz fährt. Technisch gesehen behandelt die App diese Themen alle gleichermaßen als unerwünschte Inhalte und zensiert sie in der Suche – egal, ob es sich dabei um Terrorismus, Extremismus, Verschwörungstheorien oder Homosexualität handelt.

Update 14.09.: Wir haben den Beitrag um ein Statement von TikTok ergänzt.

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Datenschutz-Studie: Privatsphäre und Wettbewerb zusammendenken

Netzpolitik - Tue, 08/09/2020 - 17:19

Facebook kauft WhatsApp, Google kauft FitBit, Microsoft kauft Skype. Übernahmen kleinerer Start-ups durch große, mitunter marktbeherrschende IT-Konzerne gehört beinahe zur Routine im Silicon Valley. Mal sollen solche Aufkäufe einen potenziellen Konkurrenten ausschalten, mal wecken Datenschätze Begehrlichkeiten, nicht selten ist beides im Spiel. Das ruft inzwischen regelmäßig Wettbewerbsbehörden auf den Plan.

So prüft etwa die EU-Kommission, ob sich Google mit dem Kauf eines Fitness-Tracker-Herstellers einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte. Das Bundeskartellamt wiederum ist in einen längeren Rechtsstreit mit Facebook verheddert. Das Unternehmen soll mit der nachträglichen Zusammenführung von Daten aus Facebook, Instagram, WhatsApp und anderen Quellen seine Marktmacht missbraucht haben.

Mangelnder Wettbewerb birgt die Gefahr, so die These, die Wahlfreiheit von Verbraucher:innen einzuschränken. Auf lange Sicht führt dies zu überteuerten und schlechteren Produkten. Marktmächtige Unternehmen müssen sich keiner Konkurrenz stellen, während ihnen Verbraucher:innen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind.

Wettbewerb und Privatsphäre zusammendenken

Diese Effekte sind einigermaßen gut erforscht. Sie bilden die Grundlage für gegenwärtige Bemühungen, das Kartellrecht an die neue Realität anzupassen. Kaum untersucht wurden aber bislang die Mechanismen, über welche der Wettbewerb die Privatsphäre beeinflusst.

Eine neue Studie von Aline Blankertz, die bei der Stiftung Neue Verantwortung das Projekt „Datenökonomie“ leitet, hat nun mehrere geläufige Thesen näher unter die Lupe genommen, die oft in der Debatte auftauchen. Letztlich will die Forscherin die Frage beantworten, ob weniger Wettbewerb zu weniger Datenschutz führt.

Zwar gebe es inzwischen einen Konsens darüber, dass ein Zusammenhang zwischen der Marktmacht der großen Digitalkonzerne und der Verfügbarkeit von Daten besteht, sagt die Forscherin dem Tagesspiegel (€€€). Allerdings werde dies meistens im Hinblick auf die Innovationsdynamik diskutiert, so Blankertz: Welches Unternehmen hat Zugang zu welchen Daten und welchen Vorteil verschafft ihm das im Wettbewerb?

„Wettbewerbspolitik als Hebel gegen schlechten Datenschutz einzusetzen, ist aber nur dann sinnvoll und wirksam, wenn mangelnder Wettbewerb auch ein Grund für diese Ergebnisse ist“, heißt es in der Studie. Darin klopft Blankertz sechs mögliche Zusammenhänge ab, über die der Wettbewerb die Privatsphäre beeinflussen kann.

Sechs gängige Thesen abgeklopft

So gebe es etwa vorläufige Belege dafür, dass in Werbemärkten Unternehmen mehr personenbezogene Daten sammeln, wenn weniger Wettbewerb herrscht. Erwiesen seien zudem Schäden für den Wettbewerb, wenn sich dominante Unternehmen quasi-regulatorische Befugnisse über personenbezogene Daten aneignen, die den Wettbewerb behindern – allerdings mit unklaren Implikationen für die Privatsphäre.

Aline Blankertz hat sechs Mechanismen untersucht, über die Wettbewerb die Privatsphäre beeinflusst. Alle Rechte vorbehalten Stiftung Neue Verantwortung (Screenshot)

Insgesamt fallen die Ergebnisse gemischt aus: „Es zeigt sich, dass mehr Forschung nötig ist, um die Relevanz einiger dieser Mechanismen marktübergreifend besser zu erkennen und zu verstehen“, schreibt Blankertz. Bei anderen liege bereits eine ausreichende empirische und konzeptionelle Grundlage vor, um politisch konkret zu handeln.

So sollten Wettbewerbs- und Datenschutzbehörden mehr Wahlmöglichkeiten für Verbraucher:innen gegenüber marktbeherrschenden Unternehmen sicherstellen, fordert Blankertz. Dabei käme auch in Frage, Verbraucher:innen demokratisch in die Entwicklung von Datenschutzbestimmungen einzubeziehen.

Letztere sollten näher untersucht und über Unternehmensgrenzen hinweg vergleichbar gemacht werden. Dies soll letztlich eine Beurteilung ermöglichen, ob eine Praxis den Schutz der Privatsphäre verbessert oder verschlechtert.

Datenschutzniveau in kartellrechtlichen Entscheidungen

Zudem weist die Studie darauf hin, dass die Privatsphäre leiden kann, ohne dass Gesetze wie die Datenschutzgrundverordnung verletzt werden müssen. Passieren kann dies etwa bei einer Firmenübernahme, wenn zuvor getrennte Datentöpfe zusammengerührt werden.

Bislang sei das Datenschutzniveau nicht in eine kartellrechtliche Bewertung eingeflossen, beispielsweise im Fall der WhatsApp-Übernahme durch Facebook. In Folge hat dies zu einer Absenkung des Datenschutzes für WhatsApp-Nutzer:innen geführt, was von der EU-Kommission bei ihrer Genehmigung jedoch nicht ausreichend berücksichtigt wurde.

Umfragen könnten hier weiterhelfen, schreibt Blankertz: Wenn sich viele Verbraucher:innen Sorgen um ihre Privatsphäre in einem bestimmten Marktsegment machen, dann könnte dies als ausreichend angesehen werden, um die Implikationen für die Privatsphäre in die Bewertung aufzunehmen.

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Was vom Tage übrig blieb: Fieber messen, Gesichter erkennen und Daten lecken

Netzpolitik - Tue, 08/09/2020 - 17:00

Aktuelle Fieberkurve für Deutschland (Corona-Datenspende)
Die Corona-Datenspende-App des Robert-Koch-Instituts sorgte im Frühjahr für Verwirrung bei allen, die auf die Corona-Warn-App warteten. Während letztere mit All-Inclusive-Budget von SAP und Telekom zusammengebaut wurde, dümpelte die Datenspende-App – die Fieber anhand von Pulsdaten aus Fitnesstrackern messen sollte – lange im Fahrwasser herum. Jetzt hat das Team auf Basis der gespendeten Daten eine Echtzeit-Fieberkurve für Deutschland und einzelne Bundesländer veröffentlicht, die täglich aktualisiert wird. Fieber hat nicht zwingend etwas mit Covid-19-Erkrankungen zu tun, das Team hofft aber nach wie vor, die Daten zur Früherkennung einsetzen zu können. Erste Auswertungen lassen hoffen. Aber ob es klappt, ist nach wie vor offen.

Polizei setzt jetzt Gesichtserkennung im Regelbetrieb ein (futurezone.at)
Nach einer Testphase hat die österreichische Polizei nahezu unbemerkt die Gesichtserkennung in den Regelbetrieb überführt. Seit 1. August gleicht die Polizei in bestimmten Fällen Bilder von Überwachungskameras mit einer Referenzdatenbank der Polizei ab, erfuhr ein Abgeordneter nach einer parlamentarischen Anfrage. Der Abgleich findet offline statt, es handelt sich nicht um Echtzeit-Überwachung. Die Software stammt von der deutschen Firma Cognitec Systems und hat knapp eine halbe Million Euro gekostet.

A data fail left banks and councils exposed by a quick Google search (Wired)
Private Daten aus mehr als 50.000 Briefen von Banken und Behörden waren seit Juni öffentlich im Netz abrufbar. Der Fehler lag im System des Londoner Unternehmens „Virtual Mail Room“. Informationen zu Insolvenzen oder unbezahlten Steuern sowie Tausende Namen und Adressen waren frei zugänglich. Betroffen waren Menschen im Vereinigten Königreich, Kanada und den USA. Das Datenleck weckt Zweifel an der Sorgfaltspflicht von Unternehmen und Behörden, die ausgelagerte Mailing-Dienste für die Kommunikation mit sensiblen Daten verwenden.

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Pläne von Auskunfteien: Datenpools könnten Verbraucher:innen den Stromanbieterwechsel erschweren

Netzpolitik - Tue, 08/09/2020 - 15:57

Wer einmal ein großes Vergleichsportal genutzt hat, kennt es: Alle paar Wochen landen E-Mails mit Werbung für einen Stromanbieter-Wechsel im Postfach. Verbraucher:innen in Deutschland können bislang frei entscheiden, wann und wie häufig sie ihren Anbieter wechseln möchten. Inzwischen lehnen jedoch offenbar immer mehr Energieversorger Neukund:innen ohne konkrete Begründung ab – eine Entwicklung, die sich künftig verschärfen könnte.

Einer Recherche des NDR und der Süddeutschen Zeitung zufolge planen die privaten Wirtschaftsauskunfteien Schufa und Crif Bürgel Datenpools, in denen Energieversorger Daten von Kund:innen sammeln können. Alle beteiligten Anbieter könnten demnach Daten einspeisen und auslesen. Daten- und Verbraucherschützer:innen befürchten, dass die Anbieter diese Datenpools nutzen könnten, um wechselfreudige Kund:innen zu identifizieren und abzulehnen.

Viele Strom- und Gasanbieter locken Neukund:innen mit Boni und vorübergehenden Vergünstigungen in einen Vertrag. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl derer, die sich für einen neuen Vertrag entschieden, stark gestiegen. 2010 wechselten 2,7 Millionen deutsche Haushalte ihren Energieversorger, 2018 waren es bereits 4,7 Millionen. Verbraucher:innen, die günstige Vertragskonditionen ausnutzen und häufig wechseln, sind bei den Anbietern jedoch unbeliebt. Für sie lohnen sich die Einstiegstarife erst, wenn Kund:innen über die Mindestlaufzeit hinaus bei ihnen bleiben.

Pläne zu Datenpools gibt es schon länger

Die geplanten Datenpools könnten den Energieversorgern in die Karten spielen. Bislang melden diese den Auskunfteien nur, ob jemand seine Rechnung nicht bezahlt oder den Versorger betrogen hat. Könnten Anbieter zusätzlich einsehen, wer häufig wechselt, könnten sie diese Verbraucher:innen systematisch ablehnen oder ihnen günstige Verträge verwehren.

Die Schufa tüftelt offenbar schon länger an solch einem Datenpool. Laut SZ-Recherche wollte die Auskunftei im sogenannten Schufa-E-Pool Informationen zu unbezahlten Rechnungen, zum bestehenden Energiekonto und der bisherigen Vertragslaufzeit sammeln. Anbieter könnten diese Informationen für „Entscheidungsprozesse im Neukundengeschäft“ einsetzen, hieß es in einer Werbebroschüre von 2018.

Die Schufa führte dieses Projekt bis August 2020 in einer weiteren Firmenbroschüre. Sie bezeichnete das gegenüber SZ und NDR jedoch als ein „redaktionelles Versehen“ und nahm das Produkt aus dem Netz. Der E-Pool sei nicht „marktfähig“ und man wisse noch nicht, „ob und wenn, in welcher Ausgestaltung“ die Idee weiterverfolgt würde.

Kritik von Datenschutzbehörden

Auch die Auskunftei Crif Bürgel arbeitet an einem Datenpool. Nach SZ-Informationen hat das Unternehmen ein erstes Konzept beim Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht eingereicht, wartet aber noch auf eine Entscheidung. Sowohl Crif Bürgel als auch die Schufa betonen, sich an geltendes Recht zu halten.

Ob die Auskunfteien ihre Datenpools tatsächlich einsetzen dürfen, wollen die Datenschutzbehörden von Bund und Ländern Anfang November beraten. Mehrere Behörden äußerten sich auf Nachfrage von SZ und NDR bereits kritisch zu den Plänen.

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Klimaaktivismus: Facebook sperrte Seite von Extinction Rebellion

Netzpolitik - Tue, 08/09/2020 - 14:31

Facebook hat am Wochenende überraschend die Seite von Extinction Rebellion Belgium gesperrt. Erst nach Protesten der Umweltgruppe und Nachfragen von Journalist:innen ging die Seite wieder online. Warum genau die Seite mit mehr als 17.000 Abonnenten gesperrt wurde, konnte Facebook nicht eindeutig beantworten.

Das soziale Netzwerk steht wegen seiner Löschentscheidungen häufig in der Kritik. Entscheidungen über Sperrungen und Löschungen von Veranstaltungen, Seiten und Konten müssen meist Beschäftigte in Facebooks Moderationszentren unter großem Zeitdruck treffen, Fehlentscheidungen sind kaum vermeidbar.

Gruppe fordert Aufklärung

Belgische Aktivist:innen von Extinction Rebellion loggten sich am Freitag bei Facebook ein, um die Seite zu verwalten. Doch sie war gesperrt, berichteten sie in einer Pressemitteilung. Als Grund für die Sperrung sei eine Monate zurückliegende Einladung der Gruppe zu einer Demo für Frauenrechte am 8. März genannt worden, die demnach ohne ersichtlichen Grund als „Hassrede“ gemeldet worden sei.

Bemühungen um Aufklärung und Entsperrung waren nach Angaben der Gruppe zunächst erfolglos. Facebook habe auf begrenzte Ressourcen während der Covid-19-Pandemie verwiesen. Erst drei Tage später, nach einer Pressemitteilung und Tweets von Extinction Rebellion, sei die Seite wieder dagewesen, sagte eine Sprecherin der Gruppe, Naila Sebbahi. „Wir haben immer noch nichts von ihnen gehört und warten weiter auf Antworten.“

Facebook machte nur vage Angaben über den Grund für die Sperrung der Seite. „Die Seite von Extinction Rebellion Belgien wurde irrtümlich von unseren automatisierten Tools entfernt und wiederhergestellt, sobald wir in der Lage waren, dies zu prüfen. Wir entschuldigen uns für die verursachten Unannehmlichkeiten“, sagte ein Sprecher auf Anfrage von netzpolitik.org.

Der Konzern musste sich in jüngerer Vergangenheit immer wieder für versehentliche Sperrungen entschuldigen. Oft reagierte Facebook erst nach kritischer Berichterstattung und Empörung der Betroffenen.

„Wir sehen das als Zensur, denn diese Art von Vorfall ist nicht neu“, beklagt Sebbahi. Ähnliches sei auch bei Gruppen von Extinction Rebellion in Frankreich und Großbritannien passiert. „Wir glauben, dass dies Versuche sind, uns zum Schweigen zu bringen.“ Die Sperrung von Seiten sei eine Bedrohung für die Rede- und Organisationsfreiheit einer gewaltfreien Bewegung von Hunderttausenden Menschen.

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Was vom Tage übrig blieb: Drohmails, Digitale Dienste und digitale Souveränität

Netzpolitik - Mon, 07/09/2020 - 17:00

What’s missing from corporate statements on racial injustice? The real cause of racism. (Technology Review)
Seit dem polizeilichen Mord an George Floyd überschlagen sich US-Firmen mit Solidaritätsbekundungen. Auch sie, erklären etwa Facebook, AirBnb oder Twitter, wollen etwas gegen systemischen Rassismus unternehmen. Allerdings verwenden sie dabei durchgängig eine Sprache, welche die (Funktion der) Rassisten unter den Teppich kehrt, während die Last der Unterdrückung auf die Opfer abgeladen wird – eine rhetorische Praxis, die als „Racecraft“ bekannt ist. Die schwarze Soziologin Amber Hamilton untersuchte 63 öffentliche Stellungnahmen aus dem IT-Sektor, die zwischen Ende Mai und Ende Juni herauskamen, und fand in allen zumindest Reste von „Racecrafting“. Diese Vernebelung pflanze sich folgerichtig in den vorgeschlagenen „Lösungen“ der Konzerne fort, die nur an der Oberfläche kratzten, warnt Hamilton.

Digitale Souveränität als strategische Autonomie – Umgang mit Abhängigkeiten im digitalen Staat (Kompetenzzentrum Öffentliche IT)
Die Förderung „digitaler Souveränität“ hatte sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben. Zu abhängig haben wir uns gemacht von Google und Microsoft und Huawei und Facebook und Dropbox und allerlei anderen Anbietern, die zumeist nicht aus Europa stammen. Ein Weißbuch des Fraunhofer Kompetenzzentrum Öffentliche IT stellt nun „eine Systematik zur Identifikation und Bewertung digitaler Abhängigkeiten im Staatshandeln vor“ und zeigt verschiedene Handlungsoptionen für Staat und Verwaltung auf.

Rechtsextreme Drohmails: Fall „NSU 2.0“ – vier Polizisten unter Verdacht (Süddeutsche Zeitung)
Diesmal sind es insgesamt vier Polizeibeamte aus Hamburg und Berlin, die unautorisiert Daten aus Polizei-Computern abgefragt haben sollen – etwa die persönlichen Daten der Kabarettistin ?dil Baydar oder die der taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah, die nach einer polizeikritischen Glosse Drohmails unter dem Pseudonym „NSU 2.0“ erhielt. Zwar sind die vier Beschuldigten vernommen worden, berichtet die SZ, allerdings gebe die Indizienlage nicht zweifelsfrei her, ob sie wirklich hinter den Drohmails stecken.

EFF Responds to EU Commission on the Digital Services Act: Put Users Back in Control (EFF)
Mit dem bevorstehenden Digitale-Dienste-Gesetz will die EU-Kommission weite Teile der Online-Welt neu regeln. Zum Ausklang der öffentlichen Konsultationsphase meldet sich nun die US-amerikanische Digital-NGO Electronic Frontier Foundation zu Wort. Aus Sicht der Aktivist:innen sollten Plattformen interoperabel werden, weiter vom Providerprivileg geschützt werden sowie ihren Nutzer:innen mehr Rechte geben.

Jeden Tag bleiben im Chat der Redaktion zahlreiche Links und Themen liegen. Doch die sind viel zu spannend, um sie nicht zu teilen. Deswegen gibt es jetzt die Rubrik „Was vom Tage übrig blieb“, in der die Redakteurinnen und Redakteure gemeinschaftlich solche Links kuratieren und sie unter der Woche um 18 Uhr samt einem aktuellen Ausblick aus unserem Büro veröffentlichen. Wir freuen uns über weitere spannende Links und kurze Beschreibungen der verlinkten Inhalte, die ihr unter dieser Sammlung ergänzen könnt.

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Mögliche Auslieferung in die USA: Julian Assange hat nur seinen Job gemacht

Netzpolitik - Mon, 07/09/2020 - 16:45

In London hat heute die Hauptverhandlung darüber begonnen, ob der Wikileaks-Gründer Julian Assange in die USA ausgeliefert werden kann. Die USA bemühen sich seit zehn Jahren, Assange für Veröffentlichungen von Wikileaks anzuklagen. Dabei geht es vor allem um Dokumente, die die Whistleblowerin Chelsea Manning Wikileaks übergeben hatte. Das Transparenzprojekt hat dann in Kooperation mit traditionellen Medienhäusern wie dem Spiegel, dem Guardian oder der New York Times eine kollaborative und gemeinsame Berichterstattung initiiert und durchgeführt.

Dabei geht es um Fälle wie das „Collateral Murder“-Video, die Veröffentlichung von Depeschen US-amerikanischer Botschaften („Cablegate“), die Veröffentlichung des Kriegstagebuchs des Afghanistan-Krieges („Afghan War Diary“) oder die Veröffentlichung des Kriegstagebuchs des Irak-Krieges („iraq war logs“).

Es geht um die konkreten Anschuldigungen, nicht um das Verhalten von Assange

Es ist immer schwierig, die konkreten Anklagepunkte gegen Assange von seinem Verhalten und seiner Persönlichkeit zu trennen. Trotzdem ist das wichtig und notwendig.

Obwohl Julian Assange die Veröffentlichungen in einem journalistischen Ökosystem koordiniert hat, versuchen die USA, ihn wegen Hackens ins Gefängnis zu bringen. Seine Gegner versuchen den Eindruck zu erwecken, dass es sich bei diesem Fall nicht um eine Auseinandersetzung um die Pressefreiheit handeln würde, weil Assange kein Journalist sei. Ihm wird als zentraler Punkte vorgeworfen, er solle Chelsea Manning als Quelle technisch unterstützt haben, ihr Daten auf einem sicheren Wege zu transferieren, und er soll sie motiviert haben, weiteres Material zu organisieren. Dazu kommen noch Vorwürfe, die Veröffentlichungen durch Wikileaks hätten Menschenleben gefährdet.

Dieser Kommentar erschien zuerst im täglichen bits-Newsletter,
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Auch wenn die Anklage diesen Weg geht und ihn als Hacker und nicht als Journalisten anklagt, ist das ein Angriff auf die Pressefreiheit. Denn Wikileaks war bei den Veröffentlichungen ganz klar in ein journalistisches Ökosystem eingebunden. Und die konstruierten Vorwürfe könnten auch gegen uns angewendet werden: Auch wir geben (nicht nur) unseren potentiellen Quellen Tipps und Tricks zur digitalen Selbstverteidigung und empfehlen Tools und Wege, die eigenen Datenspuren zu minimieren oder zu verstecken sowie Verschlüsselungswerkzeuge zu nutzen. Ist das auch schon eine „technische Unterstützung“?

Julian Assange drohen bis zu 175 Jahre Haft, wenn man alle Anklagepunkte zusammenaddiert. Das bisherige Agieren der US-Regierung lässt große Zweifel aufkommen, dass er in den USA mit einem fairen Prozess rechnen kann. Durch die Veröffentlichungen wurden die USA diplomatisch blamiert und Kriegsverbrechen offengelegt, das wird keinem Journalisten verziehen. Daher ist die Jagd auf Assange auch als Zeichen an andere Journalist:innen zu verstehen, dass man sich nicht mit den USA anlegen sollte, auch wenn man Kriegsverbrechen dokumentiert.

In Zeiten der Corona-Pandemie und noch immer hohen Infektionszahlen in Großbritannien ist das Verfolgen der öffentlichen Verhandlung ein Thema für sich: Die Anzahl der Berichterstatter musste wegen der Ansteckungsgefahr reduziert werden, das mediale Interesse ist aber nach wie vor hoch. Medienvertreter standen sich schon vor Ausbruch von Corona die Beine in den Bauch, um an einen Platz im Gerichtssaal zu kommen. Nun ist es praktisch fast unmöglich geworden, live zu berichten.

Das hat auch damit zu tun, dass sich das Gericht wenig schert um die Online-Übertragung. Sie funktionierte in der Vergangenheit nicht durchgehend, was verständlicherweise Verärgerung auslöste. Gerade US-amerikanische Journalisten sind auf den Stream angewiesen, da sie durch die Pandemie und die damit einhergehenden Einreisebeschränkungen mit langen Quarantänezeiten schon faktisch kaum physisch teilnehmen könnten.

Gut ist jedoch, dass sich Journalistenverbände verstärkt engagieren, um auf die Misere hinzuweisen und das Gericht unter Druck zu setzen, der Presse eine bessere Möglichkeit zur Berichterstattung zu geben.

Wenn die Auslieferung durchkommt und Assange möglicherweise für immer im Gefängnis landet, kann das massive Auswirkungen auf die Pressefreiheit haben, allein durch die Chilling effects und den Präzedenzfall.

Wir drücken die Daumen, dass er in einem fairen Prozess seine Unschuld beweisen kann. Aber viel Hoffnung auf diesen fairen Prozess haben wir nicht. Kritischer und investigativer Journalismus darf kein Verbrechen sein.

Im Vorfeld der Hauptverhandlung hat die ARD eine aktuelle Wikileaks-Dokumentation veröffentlicht: Wikileaks – Die USA gegen Julian Assange.

Verbrecher oder Revolutionär? Die Doku beleuchtet den Aufstieg und Fall von Julian Assange – vom gefeierten Publizisten zum als Spion und Vergewaltiger verschrienen Sonderling. Es entsteht ein differenziertes Bild von Assange und Wikileaks.

Am Wochenende diskutierten Noam Chomsky, Alice Walker und Daniel Ellsberg über die Vorwürfe und die Anklage. Davon gibt es ein Video.

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Problem-Geschäftsmodelle: Google verheddert sich im eigenen Überwachungsapparat

Netzpolitik - Mon, 07/09/2020 - 10:23

Dass Google auf allen erdenklichen Wegen versucht, Informationen über die geographische Position, die Aufenthalte und die Bewegungen seiner Nutzer abzugreifen, wird niemanden überraschen: Das Geschäftsmodell heißt Werbung, und die verkauft sich eben besser, wenn der Werbende weiß, wo sich sein Werbeopfer gerade befindet. Aber viele Nutzer sind der Ansicht, man könne das immerhin abschalten, um nicht auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Dass dies ein bloßes Wunschdenken ist, lässt sich in jüngst freigegebenen Akten einer Klage gegen Google im US-Staat Arizona nachlesen.

Die Information, wo sich Nutzer befinden, ist für Google bares Geld wert. Durch die mobile Netznutzung ist es möglich, Werbung an präzisere geographische Daten zu binden. Dass Google solche Bewegungsdaten zu Geld macht, bestreitet der Konzern nicht. Das ist schließlich auch nicht per se illegal und oft die Standardvoreinstellung, etwa bei Googles Android-Betriebssystem für Smartphones. Allerdings bietet der Werbekonzern den Nutzern an, die Sammlung der Bewegungsdaten zu deaktivieren, wenn sie sich gegen dieses „location tracking“ entscheiden wollen.

Aus teilweise geschwärzten internen Akten des Konzerns geht jedoch hervor, dass selbst Googles eigene Leute der Ansicht sind, die Abwahl der Sammlung von Bewegungsdaten sei derart verschleiert und verkompliziert, dass es in der Praxis nahezu unmöglich ist, diesem Tracking zu entgehen. Die Google-Mitarbeiter haben es im Selbstversuch auch nicht hinbekommen, die Sammlung der Bewegungsdaten vollständig zu deaktivieren. In unternehmensinternen Meetings sprachen sie untereinander darüber, wie unübersichtlich und irreführend die Einstellungen in der Software ihres Arbeitgebers seien.

Das Verfahren gegen Google geht auf eine lesenswerte Recherche und Veröffentlichung von Associated Press (AP) zurück, in der die Journalisten detailliert dargelegt hatten, welche Bewegungsdaten Android-Smartphones, aber auch iPhones der Firma Apple über ihre Besitzer sammelten, obwohl in den Einstellungen das „location tracking“ deaktiviert war. Die Recherche zeigte: Wer die „Location History“ auf seinem Mobilgerät stoppt, beendet dennoch nicht, dass Google die Bewegungsdaten speichert.

Diese trügerische Geschäftspraxis von Google sei nicht rechtens, stellt die nun öffentliche erweiterte Beschwerdeschrift (pdf) nüchtern fest.

Nutzer gesetzwidrig in die Irre geführt

Praktisch bedeutet das: Es mögen viele Nutzer zwar meinen, sie hätten das Tracken der Bewegungen deaktiviert und sich damit gegen das Aufzeichnen ihrer Aufenthaltsorte geschützt, weil es in den Einstellungen der Software so wirkt, aber faktisch werden diese Daten weiterhin gespeichert und zu Google übertragen. In der ursprünglichen Beschwerdeschrift vom Mai 2020 (pdf) hatte der Attorney General von Arizona und damit der Oberste Justizbeamte des Bundesstaates daher mehrere Vorwürfe des Verstoßes gegen Verbraucherrechte gegen Google erhoben. Insbesondere weil auch Aufenthaltsdaten gesammelt und verarbeitet werden, die von den Nutzer gerade nicht freigegeben und durch aktive Maßnahmen als geschützt markiert wurden, sieht dies der Republikaner als klaren Gesetzesverstoß.

Tatsächlich braucht man wohl keine allzu große Phantasie, um zu dem Schluss zu kommen, dass es sich hier um Absicht handelt: Der Vorwurf lautet, dass Google seine Nutzer gesetzwidrig in die Irre führt. Die Methoden, mit denen Google die Bewegungsdaten überwache, seien teilweise „willfully deceptive“ (vorsätzlich trügerisch). Sie seien ein Verstoß gegen den Arizona Consumer Fraud Act, ein Gesetz zum Verbraucherschutz in dem Bundesstaat.

Googles „weitreichender Überwachungsapparat“

Es laufen allein in den Vereinigten Staaten mehr als vierzig kartellrechtliche Verfahren gegen Google, in verschiedenen europäischen Staaten wurde die Datenschutzgrundverordnung in mehreren Beschwerden gegen die Standortdatenspeicherung in Stellung gebracht. Die New York Times berichtete letzte Woche, dass wohl schon Ende September ein umfängliches Kartell-Verfahren gegen das Google-Mutterunternehmen Alphabet eröffnet werde. Sowohl die Suchmaschine als auch die Werbevermarktung würden nach Ansicht des US-Justizministers den Maßgaben der Kartellgesetze nicht genügen.

Der Werbekonzern ist also rechtlichen Ärger gewöhnt. Der Arizona-Fall fußt allerdings auf Verbraucherrechten und ist grundsätzlicher Natur in dem Sinne, dass explizit der Kern des Geschäftsmodells als Teil der Beschwerdeschrift angegriffen wird. Dabei werden die Google-Nutzer in aller Deutlichkeit als „targets of a sweeping surveillance apparatus“ (Ziele eines weitreichenden Überwachungsapparates) bezeichnet.

AP visualisierte seine Recherchen mit konkreten Beispielen. Alle Rechte vorbehalten Screenshot AP

Besonders macht den Fall außerdem, dass unternehmensinterne Unterlagen zum „location tracking“ nun aktenkundig und teilweise auch öffentlich sind. Die präzisen individuellen Bewegungsprofile fußen besonders aus den Daten der Smartphones, die das Betriebssystem Android installiert haben. Obwohl der Datenkonzern in Reaktion auf die AP-Recherche zurückgewiesen hatte, die Nutzer-Bewegungsdaten trotz ihres ausdrücklichen Nicht-Wollens weiterhin zu sammeln, sprechen diese Unterlagen eine andere Sprache: „Testimony from Google employees and Google’s internal documents confirm the conclusion of the AP story“. (Aussagen von Google-Angestellten und Google-interne Dokumente bestätigen die Ergebnisse der AP-Geschichte.)

Mit den Aussagen konnte auch die Behauptung des Konzerns widerlegt werden, dass Nutzer, die das sogenannte „GAP“ (Google ads personalization) deaktivieren, zugleich der Standortdatenverwendung entgehen würden. Dem ist nämlich nicht so: Wer diese geobasierte Werbe-Personalisierung abschaltet, erhält dennoch Werbung, die auf dem eigenen Standort basiert.

Allzu leicht waren die Untersuchungen gegen Google für den Attorney General von Arizona, Mark Brnovich, dabei nicht: In der Beschwerdeschrift wird auf „Google’s uncooperative conduct, delay tactics“ (unkooperatives Gebaren, Verzögerungstaktiken) verwiesen. Dass die Dokumente nun teilweise öffentlich einsehbar sind, dagegen hat Google auch lange gekämpft.

Die Aussagen aus den internen Informationen sind umso deutlicher. Ein Google-Angestellter äußert zum „location tracking“ und der Art, wie die Einstellungen vorgenommen werden müssten, um tatsächlich die Sammlung der Bewegungsdaten zu verhindern, folgende Beobachtung: Es fühle sich an, als wäre die Benutzungsgestaltung so entworfen worden, dass die Verhinderung der Bewegungsdatenspeicherung zwar möglich sei, aber so schwierig, dass die Leute es nicht rausfinden könnten („feels like it is designed to make things possible, yet difficult enough that people won’t figure it out“).

Brnovich kommt in einer Pressemitteilung zu seiner Beschwerde zu dem selben Schluss wie der Google-Angestellte: „It’s nearly impossible to stop Google from tracking your movements without your knowledge or consent.“ (Es ist nahezu unmöglich, Google daran zu hindern, Deine Bewegungsdaten ohne Dein Wissen oder Deine Zustimmung zu verfolgen.)

Das Hauptquartier von Google, der „Googleplex“, in Mountain View, Kalifornien. CC-BY 2.0 US Department of State Google-Krisensitzungen

Aus den Papieren gehen noch weitere Informationen hervor, die man nur selten lesen kann: wie Google intern darauf reagiert, wenn wie in diesem Fall durch die AP-Veröffentlichung breit über die Irreführung der Nutzer mit dem Ziel der Werbemonetarisierung berichtet wird. In den Akten wird dazu ausgeführt:

The day the AP story was published, Google turned into crisis mode and held a self-styled ‚Oh Shit‘ meeting in reaction to the story.
(An dem Tag, als die AP-Geschichte veröffentlicht wurde, schaltete Google in den Krisenmodus und hielt ein selbst so benanntes ‚Oh Scheiße‘-Treffen als Reaktion auf die Geschichte ab.)

In diesem Treffen unter dem selbstgewählten Motto Oh Shit werden auch Medienanalysen besprochen, die ein gewisses Geschmäckle haben. Denn durch die Tatsache, dass Google mit seiner Suchmaschine und dem Service Google News eine sehr genaue Einsicht darin hat, wie sich eine Nachrichtengeschichte auch über die Kontinente hinweg verbreitet und wie sie referenziert wird, entsteht eine potentielle Manipulationsmacht.

Ein wenig pikiert wird vermerkt, dass insgesamt nicht einmal fünfzig Presseanfragen an Google gerichtet worden seien. Das ist tatsächlich nicht viel, gemessen an der Reichweite der AP-Recherche: In der Spitze erzeugte die AP-Veröffentlichung an den Tagen danach immerhin 4.600 Erwähnungen pro Stunde, heißt es in der von ars technica veröffentlichten Medienanalyse von Google (pdf). Sie werden ganz überwiegend als „negative pieces“ klassifiziert, sind also Google-kritische Artikel. Ein eigener Social-Media-Bericht ergänzt diese Informationen in den Google-Krisensitzungen.

Nach vier Tagen war der Spuk allerdings auch wieder vorbei und Google konnte aufatmen. Vielleicht war es aber auch nur eine längere Verschnaufpause, denn der Generalanwalt von Arizona meint es offenbar ernst und kann seine Rechtsauffassung mit den Aussagen der Google-Leute hinreichend gut belegen. Der Fall lohnt sich also weiter zu beobachten.

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Digitale Teilhabe: Geplante Internet-Flatrate für Schüler:innen verfehlt womöglich das Ziel

Netzpolitik - Mon, 07/09/2020 - 06:30

Fremdwörter nachschlagen, Projekte vorbereiten oder Fotosynthese auf Youtube erklären lassen: Schule ohne Internet funktioniert praktisch nicht mehr. Aber nicht alle haben Zugang dazu: Bildung per Mausklick ist in Deutschland nicht nur vom Breitbandausbau, sondern auch stark vom Einkommen abhängig. Zwar hatten im letzten Jahr laut Statistischem Bundesamt 99,4 Prozent der Haushalte mit Kind(ern) unter 18 Jahren und einem Nettoeinkommen unter 2000 Euro einen Internetanschluss. In fast 20 Prozent dieser Haushalte besitzen Familien keinen Laptop und in fast der Hälfte kein Tablet.

An Computern mangelte es nur in gut zwei Prozent der Haushalte mit schwachen Einkommensverhältnissen. Über den Zustand der Geräte und die Qualität der Netzanbindung sagt die Statistik indes nichts aus, hier liegen aber oft die Probleme. Um Videos zu streamen, Lernmaterial herunterzuladen oder Präsentationen zu erstellen, brauchen Schüler:innen moderne Endgeräte und stabiles Internet. Viele Schüler:innen brauchen hier Hilfen, das hat das durch die Corona-Pandemie erzwungene Homeschooling offengelegt.

Mitte Mai stockte das Bildungsministerium deshalb den Digitalpakt Schule bereits mit 500 Millionen Euro auf, um Laptops für bedürftige Schüler:innen zu kaufen. Der Bund legte Ende August nochmal 500 Millionen Euro oben drauf, um Endgeräte für Lehrkräfte zu finanzieren. Die greifen für die digitale Lehre bislang meist auf ihre privaten Laptops zurück.

Und die Hilfen sollen noch weiter gehen: Bundesbildungsministerin Anja Karliczek plant kostenlose Internet-Flatrates für bedürftige Schüler:innen. Diese sollen – so das ehrgeizige Ziel – zum Ende der Sommerferien in Baden-Württemberg nächste Woche in allen Bundesländern angeboten werden. Was sinnvoll klingt, sorgte bislang jedoch vor allem für Verwirrung.

Bildungsministerin gibt Telekom und Vodafone einen Vorsprung

Die Deutsche Telekom preschte bereits vor zwei Wochen mit ihrem Angebot einer „Bildungs-Flatrate“ vor. Das Unternehmen bietet Schulen und Schulträgern Verträge mit unbegrenztem Datenvolumen für 10 Euro pro Monat für ausgewählte Bildungsinhalte an. „Unsere SIM-Karten sollen mit den geförderten Endgeräten aus dem Digitalpakt zum Einsatz kommen“, schreibt die Telekom in ihrem Blog. Schüler:innen könnten mit diesem Zugang allerdings nur auf „Bildungsinhalte“ zugreifen, die die Schulen beziehungsweise Schulträger zuvor bestimmen sollen.

Das Angebot der Telekom war jedoch nicht Ergebnis einer offiziellen Ausschreibung durch das Bildungsministerium. Die Bildungsministerin hatte zuvor die Telekom und Vodafone kontaktiert, um entsprechende Angebote einzuholen. Das bestätigte das Ministerium gegenüber netzpolitik.org: „Begleitend zum ‚Sofortprogramm‘ zur Laptop-Ausstattung im Digitalpakt Schule wurde vereinbart, dass Bildungsministerin Karliczek Telekom-Unternehmen um Unterstützung bittet. Sie hat die Vorstandsvorsitzenden von Telekom und Vodafone dazu angeschrieben.“

Die Telekom habe das Ministerium auch vorab über ihr Angebot der sogenannten Bildungs-Flatrate informiert. Vodafone habe „einen Einsteigertarif in ähnlicher Größenordnung“, an dem sich das Unternehmen orientiere. Vodafone gibt gegenüber netzpolitik.org lediglich an, an passenden Angeboten zu arbeiten.

Warum Telefónica/O2 als drittgrößter Netzbetreiber in Deutschland nicht direkt angefragt wurde, konnte ein Sprecher des Ministeriums im Gespräch mit netzpolitik.org zunächst nicht begründen. Laut einem Sprecher von O2 habe das Ministerium ihm gegenüber den Grund angegeben, dass das Unternehmen kein Angebot in passender Größenordnung in seinem Portfolio führe. In der kommenden Woche sollen demnach Gespräche mit allen großen Mobilfunkbetreibern stattfinden.

Was sind die Kriterien für Bildungsinhalte?

Offenbar hat die Telekom mit ihrem Angebot die Gelegenheit genutzt, sich früh in Position zu bringen. Denn letztendlich entscheiden die Länder beziehungsweise Kommunen, ob und welchen Anbieter sie wählen. Dass Ministerin Karliczek der Telekom und Vodafone durch ihre inoffizielle Anfrage diesen Vorsprung einräumt, ist zumindest fragwürdig.

Aber auch das Angebot des Unternehmens an sich lässt viele Fragen offen. Ob die Flatrate nur auf den aus dem Digitalpakt finanzierten Endgeräten zu Verfügung gestellt wird, oder auch darüber hinaus, dazu machten die Telekom und das Bildungsministerium widersprüchliche Angaben. Die Telekom will die Flatrate auf den Endgeräten anbieten, das Ministerium spricht von einem Mobilfunk-Tarif für Schulen, den diese selbst bezahlen.

Zudem ist nicht entschieden, nach welchen Maßstäben die „Bildungsinhalte“ definiert werden, auf die Schüler:innen mit dem Telekom-Tarif zugreifen könnten. Solche Einschränkungen könnten die Ungleichheit bei Bildungschancen verschärfen und den Weg in eine „digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft“ ebnen, befürchtet die ehemalige EU-Abgeordnete Julia Reda.

Dass der Tarif nur eingeschränkten Internet-Zugang bietet, war jedoch offenbar nicht expliziter Wunsch der Bundesbildungsministerin. „Die konkrete Ausgestaltung der Angebote obliegt den Anbietern“, so das Bundesministerium. Zwar überlässt die Telekom die Entscheidung über die Inhalte den Schulträgern. Diese dürfte jedoch vielen schwerfallen. Die anderen Anbieter könnten hier nachbessern und ihre Angebote offener gestalten. Denn auf Plattformen wie Youtube sind zwar viel Unterhaltung, aber auch sinnvolle Bildungsformate zu finden. Die Schulträger müssten entscheiden, ob sie für hilfreiche Inhalte das Risiko eingehen wollen, dass Schüler:innen sich beim Lernen ablenken.

Ahnungslosigkeit in den Bundesländern

„Die Länder haben die Möglichkeit, ihre eigenen Landesangebote für digitale Medien sowie Inhalte von besonders relevanten Anbietern bereit zu stellen“, teilt das Bundesbildungsministerium mit. „Freie und kommunale Schulträger können zusätzlich eigene Medien einbeziehen.“ Die Inhalte würden „die Vielfalt des Bildungsföderalismus“ widerspiegeln. Wer nach welchen Kriterien entscheiden könnte, welche Seiten „relevant“ und damit zugelassen sind, das wissen die Länder bislang nicht.

Wir haben alle 16 Bundesländer gefragt. Elf haben sich zurückgemeldet. Die Antworten sind größtenteils schwammig. Die Kultusministerien verwiesen auf laufende Gespräche zwischen Bund, Ländern und Netzanbietern. Details zu Angeboten und Ausgestaltung seien ihnen noch nicht bekannt. Während Brandenburg Interesse an weiteren Gesprächen signalisiert hat, wissen Thüringen und Baden-Württemberg noch nicht, ob sie das Angebot einer Flatrate für Schüler:innen wahrnehmen.

In Baden-Württemberg befürchtet man „nicht unerhebliche strukturelle Kosten“. Aktuell sei zudem „unklar, auf welcher Ebene (Schule, Klasse, Schulträger, Land) Zugriffsregelungen vorgenommen werden sollen oder können“, teilt das dortige Kultusministerium mit. Plattformen wie Youtube und Twitter seien bei Schüler:innen und Lehrkräften gefragt, stellten aber auch Inhalte zur Verfügung, „die altersbeschränkt und für Kinder nicht geeignet sind.“

Telekom-Angebot gefährdet Netzneutralität

Das Vorhaben von Ministerin Karliczek könnte auch gegen Gesetze verstoßen. Darauf weist auch Julia Reda hin. Würde die Telekom nur den Zugang zu einzelnen Websites erlauben, würde sie damit gegen die Netzneutralität verstoßen. Das Prinzip der Netzneutralität sieht vor, dass Netzbetreibende alle Inhalte gleich behandeln und den Zugang dazu sicherstellen müssen.

Auch wenn die Schulträger die Telekom anweisen würden, welche Seiten sie zulassen darf und welche nicht, würde das gegen die EU-Richtlinien zur Netzneutralität verstoßen. Anbieter dürfen den Datenverkehr nicht ohne Gesetzesgrundlage überwachen.

Würden Inhalte auf den Laptops und Tablets der Schüler:innen gefiltert, wären laut Julia Reda sogenannte Allowlists notwendig. Damit hätten Schüler:innen nur sehr begrenzten Zugriff auf Online-Inhalte, was auch ihre Medienkompetenz einschränken könnte. Und auch das Ziel, allen Schüler:innen den Zugang zum Internet zu ermöglichen, könnte die Bildungsministerin verfehlen. Nämlich dann, wenn Inhalte-Filter auf den aus dem Digitalpakt finanzierten Endgeräten installiert würden, die für viele Schüler:innen das einzige internetfähige Gerät sind. Dann könnten sie auch zu Hause nicht frei im Internet surfen.

Was die Schüler:innen brauchen, sind Laptops und ordentliche Mobilfunktarife, bezahlt vom Staat. Geld ist genug da, es ist nur falsch verteilt. Immerhin ist das Bildungsministerium jetzt offenbar mit allen Beteiligten im Gespräch. Seinen Zeitplan wird es aber kaum einhalten können.

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Targeted Advertising: Facebook und Instagram streichen die Racial-Profiling-Option für zielgerichtete Werbung

Netzpolitik - Sun, 06/09/2020 - 07:00

Facebook hat still und heimlich eine umstrittene Funktion für zielgerichtete Werbung abgestellt. US-Werbetreibende können Zielgruppen auf den Plattform des Konzerns nun nicht mehr anhand ihrer Zugehörigkeit zu Gruppen wie „African Amerian“, „Hispanic“ oder „Asian American“ aussortieren. Diese von Facebook als „multikulturelles Marketing“ bezeichnete Funktion wurde offenbar Anfang August ohne größere Ankündigung eingestampft.

Darüber berichtet diese Woche Julia Angwin, die Chefredakteurin des Investigativmagazins The Markup. Die von ihr als „Racial Ad Profiling“ bezeichnete Funktion sei im Rahmen eines Updates für den Anzeigenmanager der Plattformen deaktiviert worden. Angwin hatte gemeinsam mit anderen Reporter:innen seit 2016 immer wieder gezeigt, dass diese Funktion für rassistische Diskriminierung genutzt werden kann.

Insbesondere konnte sie mit ihrem Team nachweisen, dass Menschen auf Basis der von Facebook zugeschriebenen „ethnischen Affinität“ (2017 umbenannt in „multikulturelle Affinität“), von Anzeigen für Jobs und Wohnungen ausgeschlossen wurden. Diese Praxis ist nach dem Fair Housing Act in den USA verboten.

Facebook bekam das Problem nicht in den Griff

Das Gesetz von 1968 verbietet explizit Werbung im Wohnungsbereich, die bestimmte Menschen aufgrund von „Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, Behinderung, Familienstatus oder nationaler Herkunft“ bevorzugt oder diskriminiert. Der Datenkonzern hatte sich lange Zeit auf den Standpunkt gestellt, dass es Sache der Werbetreibenden sei, sich an die Regeln zu halten. Mehrere Bürgerrechtsorganisationen um die American Civil Liberties Union (ACLU) hatten das Thema aufgegriffen und gegen Facebook geklagt.

In einem gerichtlichen Vergleich hatte Facebook versprochen, dass das „multikulturelle Marketing“ in besonders geschützten Werbekategorien für Jobs, Wohnen und Finanzen nicht mehr verwendet werden kann. The Markup konnte jedoch nachweisen, dass es immer noch möglich war, diskriminierende Anzeigen in diesen Bereichen zu schalten.

Die auf Facebook und Instagram geschalteten Anzeigen werden in einer Mischung aus automatisierten Verfahren und menschlicher Überprüfung kontrolliert. Julia Angwin deutet die Abschaffung des Werbetools als Eingeständnis, dass Facebook die durch seine datenbasierten Werbewerkzeuge ermöglichte Diskriminierung nicht in den Griff bekommt.

Die Entscheidung könnte unterdessen auch Auswirkungen auf den Online-Werbung im Präsidentschaftswahlkampf der USA haben. Mehrere US-Medien berichteten 2016 davon, dass die Kampagne von Donald Trump damals gezielt People of Colour mit negativer Wahlwerbung auf Facebook adressiert hatte, die dem Ruf seiner Konkurrentin in dieser Wählergruppe schaden sollte. Das Ziel dieses Negative Campaigning war die gezielte Demobilisierung potenzieller Clinton-Wähler:innen. Anders als Twitter und Google/Youtube hat Facebook die Nutzung von Targeting in Wahlwerbung in diesem Wahlkampf nicht eingeschränkt.

Diskriminierung ist nicht auszuschließen

Facebook verfügt über umfassende Informationen über seine Nutzer:innen und setzt diese unter anderem für die Prognose von Charaktereigenschaften, Interessengebieten und Vorlieben ein. Likes, Klicks und andere Verhaltensweisen werden so zu „Merkmalen“, die Facebook seinen Nutzer:innen zuschreibt, auch in sensiblen Bereichen wie Gesundheit, sexuelle Orientierung, religiöse, kulturelle oder politische Einstellung. Werbetreibenden bietet Facebook die Möglichkeit, Menschen anhand dieser Merkmale gezielt anzusprechen oder aus Zielgruppen auszuschließen: Targeted Advertising.

Die Nachrichtenseite Ars Technica macht in einem Beispiel deutlich, wie die Möglichkeiten des „multikulturellen Marketings“ auch dort rassistische Stereotype verstärken können, wo sie nicht illegal sind: Die Universal Studios produzierten zur Werbung für das Biopic „Straight Outta Compton“ über die US-amerikanische Hip-Hop-Crew N.W.A. unterschiedliche Trailer. Eine sozialkritische Variante bekamen Facebook-Nutzerinnen und -Nutzer zu sehen, die als „African American“ kategorisiert waren. Alle anderen Nutzer sahen Werbung für einen scheinbar gewöhnlichen Gangsterfilm mit den üblichen Bildern Gewalt, Waffen und Stress zwischen Schwarzen Musikern und der Polizei.

Für zielgerichtete Werbung mit deutschsprachigen Anzeigen bot Facebook keine Sortierung der Nutzer:innen nach „multikultureller Affinität“ an. Wie der Wiener Privacy-Forscher und Netzaktivist Wolfie Christl in unserer Berichterstattung zum Thema betonte, ist dies für die Diskriminierung bestimmter Gruppen auch gar nicht notwendig:

Facebook stellt Werbetreibenden tausende Kategorien zur Verfügung, um NutzerInnen bei Werbeanzeigen gezielt ein- oder auszuschließen. Wenn man eine bestimmte Kategorie wie „ethnische Herkunft“ nicht direkt nutzen kann, kann man immer noch stellvertretend sogenannte „Proxies“ verwenden. So was wird schon lange gemacht, etwa wenn Menschen aus bestimmten Wohnbezirken automatisch eine schlechtere Bonität zugeschrieben wird. Wenn man bei Facebook-Werbeanzeigen z.B. Geflüchtete aus dem arabischen Raum ausschließen will, könnte man einfach die Kategorien „Arabische Sprache“, „Islam“ und „Koran“ verwenden, in Kombination mit der Kategorie „Expats – Nicht in ihrem Heimatland lebende Personen“.

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Categories: netz und politik